Gaebler Info und Genealogie
|
|
Pisa Was nun?
Position des Baden-Württembergischen Handwerkstages zu PisaNeue Organisation des SchulwesensDie Frage, die sich im Anschluss an die PISA-Studie aber auch aufgrund vielfältiger Beobachtungen der letzten Jahren geradezu aufdrängt, lautet: Ist die vorhandene Schulorganisation bzw. die Dreigliedrigkeit geeignet, um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden? Der Trend zur höheren Allgemeinbildung, der das Bildungsverhalten der jungen Menschen kennzeichnet, führt dazu, dass immer mehr Jugendliche einen höheren schulischen Abschluss anstreben. Mit dem Erwerb der Mittleren Reife oder der Fach- bzw. Hochschulreife steigt die Erwartung der Schulabgänger und ihres Umfeldes an ausbildungsadäquate Karrieren mit dem Ergebnis, dass sich kaum mehr jemand für eine Ausbildung im gewerblich-technischen Bereich interessiert. Dies wird nicht zuletzt damit begründet, dass der erreichte Abschluss für eine solche Ausbildung nicht nötig und somit umsonst gewesen wäre. Wer einen höheren Abschluss als den der Hauptschule gemacht hat, fühlt sich also zu Höherem als zu einer gewerblich- technischen Ausbildung berufen (vgl. Studie der Akademie für Technikfolgenabschätzung Jahrgang 2000, Nachwuchsmangel im Handwerk). Darüber hinaus lässt die Reduzierung der gymnasialen Oberstufe sowie die Berufsakademie mit einer Gesamtausbildungsdauer von drei Jahren eine duale Ausbildung mit ihrer drei bis 3,5-jährigen Ausbildungszeit vor allem für höherqualifizierte Jugendliche unattraktiv erscheinen. Dabei ist das Handwerk in zunehmendem Maße auf leistungsstärkere Auszubildende angewiesen, da die Qualifikationsanforderungen kontinuierlich zunehmen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird es für die Betriebe immer schwieriger, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Der bereits erwähnte Trend zur höheren Allgemeinbildung und die damit verbundene, sehr verbreitete Vorstellung, dass nur derjenige eine Erfolg versprechende Zukunft hat, der über eine möglichst hohe formale Bildung verfügt, machten das Gymnasium zur begehrtesten Schulart. Wer das Gymnasium nicht schafft, geht in die Realschule, vielfach mit dem Ziel, auf indirektem Wege das Abitur zu machen, und wer übrig bleibt, besucht die Hauptschule und fühlt sich bereits als Verlierer. Die Tatsache, dass in den meisten Fällen die Hauptschule nicht bewusst gewählt wurde, sondern eine Zwangsentscheidung darstellt, wirkt sich nicht nur negativ auf die Motivation der Schüler und ihrer Eltern aus, sondern auch auf die der Lehrer, die in dieser Schulart unterrichten. Dies in Verbindung mit der Tatsache, dass die Leistungsträger und damit auch die positiven Vorbilder in dieser Lerngemeinschaft fehlen, haben die Hauptschule zur „Restschule“ gemacht. Darüber hinaus belasten die unzähligen Konflikte, die die Verteilung auf die einzelnen Schularten jedes Jahr auslöst, die Beziehung zwischen Schule und Elternhaus. Die Dreigliedrigkeit ist angesichts der Lernsituation in den Hauptschulen nicht so ertragreich, dass eine solche Belastung gerechtfertigt ist. Darüber hinaus können die Eltern nicht ihre Pflichten wahrnehmen und stärker in den Lernprozess eingebunden werden, wenn ihnen das Recht abgesprochen wird, bei solchen wichtigen Entscheidungen mitbestimmen zu können. Die Ergebnisse der PISA-Studie betonen die Notwendigkeit individueller Förderung und stellen die Dreigliedrigkeit in Frage. In der PISA-Studie wurde festgestellt, dass aufgrund der individuellen Entwicklungsverläufe eine zuverlässige Diagnostik und damit eine sichere Selektion nach der Grundschule nicht vorgenommen werden kann (vgl. PISA 2000, S. 43). Hinzu kommt, dass diese Form der Trennung in Schularten in keinem anderen Land außerhalb des deutschsprachigen Raums vorkommt. Kinder brauchen Lernanreize. Es ist mehr als fragwürdig, ob Selektion hierzu einen positiven Beitrag leistet. Beispiele anderer Länder zeigen, welche hohe Lernmotivation Kinder haben, wenn sie in Gruppen lernen, in denen es verschiedene Talente und Begabungen gibt, Gruppen, in denen die einen die anderen unterstützen und umgekehrt. Ein weiterer Aspekt, der das dreigliedrige Schulsystem in Frage stellt, ist die Tatsache, dass das Leistungsniveau der deutschen Schüler im Vergleich zu anderen Ländern, die kein gegliedertes System haben, wesentlich niedriger ist. In keinem anderen Land sind die Lerngruppen so homogen wie in Deutschland und trotzdem bringen sie weder Topleistungen (Kompetenzstufe V) noch ein Gesamtergebnis auf hohem Niveau bzw. unter den besten zehn hervor; selbst die besten Bundesländer verharren allenfalls auf Durchschnittsniveau (vgl. PISA-E). Im Gegenteil: Die starke Homogenität produziert Schwierigkeiten im Umgang mit Unterschieden und Abweichungen. Das selektive Schulsystem entlässt die Schulen aus der Verantwortung, sich um schwierige und abweichende Schüler zu kümmern. Wer nicht der Norm entspricht, den stigmatisiert das System zum schlechten Schüler. Er wird vom Gymnasium in die Realschule und von dort in die Hauptschule und in die Förderschule weitergereicht. „Das Bestreben die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler möglichst homogen zu halten,“ wird in der PISA-Studie konstatiert (ebd. S. 46) „hat in vielen Fällen, erhebliche Auswirkungen auf deren Schullaufbahn. Der Anteil der Jugendlichen, deren Schulkarriere glatt verlaufen ist, nimmt im Verlauf der Schulzeit deutlich ab. ... Fasst man Rückläufer und Wiederholer zusammen, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass mindestens ein Drittel der in Deutschland erfassten Schülerinnen und Schüler eine Schullaufbahn hinter sich hat, die durch Misserfolgserlebnisse gekennzeichnet ist“. Ein weiterer unerwünschter Nebeneffekt der frühen Verteilung auf getrennte Bildungsgänge ist die soziale Auslese der Jugendlichen. Nach den Ergebnissen der PISA-Studie haben über 40 Prozent der Gymnasien eine Schülerschaft, die in der Mehrheit der oberen Mittelschicht angehört; ihre Väter oder Mütter sind Akademiker, Führungskräfte und selbstständige Unternehmer mit mindestens zehn Angestellten. Demgegenüber konzentrieren sich in Sonderschulen und in einem Teil der Hauptschulen Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Aus diesen Gründen schlägt das baden-württembergische Handwerk ein neues System der Schulorganisation vor: Kernelement dieses Systems ist ein 3-Stufen-Konzept (siehe Graphik oben). Die erste Stufe bildet der Vorschulische Bereich, der obligatorisch sein muss und ein bis zwei Jahre umfassen soll (vgl. 3.1). Darauf aufbauend soll in einer Grundstufe, deren Name noch zu definieren ist und die neun Jahre dauern soll, eine breit angelegte Allgemeinbildung mit einem größeren Bildungsangebot erfolgen, um einer individuellen Förderung gerecht zu werden. Im Anschluss an diese Phase soll die Spezialisierung entweder im allgemeinbildenden Gymnasium oder in der beruflichen Ausbildung (duale Ausbildung, vollzeitschulische Maßnahmen, berufliche Gymnasien) jeweils über drei Jahre erfolgen. Der Zugang zur Oberstufe soll über Eingangsprüfungen geregelt werden. Der Abschluss der dritten Bildungsphase soll zum Hochschulstudium berechtigen, so dass der Weg zur Hochschule jedem offen steht. Mit dieser Konzeption des Schulsystems ist kein Gesamtschulsystem im herkömmlichen Sinne beabsichtigt. Ziel ist es vielmehr, die Vorteile des gegliederten Schulsystems mit den Vorteilen des Gesamtschulsystems zu einem neuen System zu verbinden, das eine größere Differenzierung und damit eine bessere Förderung der einzelnen Schüler ermöglicht. Besonders wichtig ist, formale mit informaler Bildung zu verzahnen; im Fall der Allgemeinbildung bedeutet dies, dass der schulische Bildungsprozess mit dem Bildungsprozess in der Familie verbunden sein soll. Damit hätten die Eltern Unterstützung und Beratung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und die Sicherheit, in den Lernprozess ihrer Kinder aktiv eingebunden zu sein; die Lehrer hätten die Unterstützung des Elternhauses und die Kinder erlebten eine Kontinuität in ihrem Bildungsprozess und wären nicht mit unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen konfrontiert. Was ist zu tun?Vorhandene Ansätze sichern und ausbauen
Neue Ansätze auf den Weg bringen
onmousedown="ET_Event.link('Link%20auf%20www.gaebler.info', |