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Am Anfang die Mütter

Das Matriarchat bietet die Möglichkeit, die Gesellschaft im Einklang mit der Natur egalitär, bedürfnisorientiert und gewaltfrei zu organisieren.

Von Heide Göttner-Abendroth

Frauenfragen sind Menschheitsfragen, keine Randerscheinung. Die Höhe einer Gesellschaft und Kultur hängt davon ab, wie frei und kreativ sich Frauen darin bewegen können. Wir leben heute mit einer einseitig männlich bestimmten Geschichts- und Weltdeutung in Wissenschaft und Gesellschaft, die mit indirekter und direkter Gewalt aufrecht erhalten wird. Es ist die Ideologie von der universellen männlichen Dominanz oder dem universellen Patriarchat.

Diesem Weltbild widerspricht die moderne Matriarchatsforschung. Den Kern bildet die Erkenntnis, dass Frauen nicht nur in den längsten Epochen der Menschheitsgeschichte Gesellschafts- und Kulturschöpferinnen waren, sondern auch dass die von ihnen geschaffene Kultur die Grundlage jeder späteren Kulturentwicklung ist. Dabei schufen sie eine Gesellschaftsform, die im Gegensatz zur patriarchalen grundsätzlich egalitär ist. Es gibt in ihr präzise Regeln, wie das Zusammenleben bedürfnisorientiert, friedlich, gewaltfrei, das heißt schlicht human, organisiert werden kann.

Keine Umkehrung der Herrschaft

"Matriarchat" ist nicht die Umkehrung von "Patriarchat" im Sinne von "Frauenherrschaft". Frauenherrschaft im patriarchalen Sinne hat es nie gegeben, Matriarchate hingegen oft und in vielfältigen Formen. Die Parallelität der Begriffe "Matriarchat" und "Patriarchat" trügt. Denn das griechische Wort "arché" hat eine doppelte Bedeutung, es heißt sowohl "Anfang" wie "Herrschaft". Genauer übersetzt heißt "Patriarchat" klarerweise "Herrschaft der Väter", aber "Matriarchat" heißt "am Anfang die Mütter". Und das trifft die Sache.

Frauen gelten in diesem Forschungsansatz nicht an sich als die besseren Menschen. Es geht nicht um Männer vs. Frauen, sondern um zwei Gesellschaftsordnungen. In Matriarchaten gibt es matriarchale Frauen und Männer. In Patriarchaten gibt es patriarchale Männer und patriarchalisierte Frauen - beides ist eine Fehlentwicklung. Insofern geht es um Matriarchate vs. Patriarchate, wobei Matriarchate als Gesellschaftsordnung klare Vorteile bieten.

Man kann die Regeln der matriarchalen Gesellschaftsform nicht mehr aus ihrer geschichtlich weit zurückliegenden Epoche gewinnen. Aber es gibt noch heute lebende, matriarchale Gesellschaften, in allen Kontinenten außer Europa, die uns ihre Regeln in der Praxis zeigen.

Die ökonomischen Muster

Matriarchate sind autarke Gesellschaften, die meist auf Gartenbau oder Ackerbau beruhen; Land und Häuser sind Claneigentum, niemals Privatbesitz; Frauen haben die Verteilung der lebenswichtigen Güter in der Hand; ständiger Ausgleich der Ebene des Wohlstands durch Austausch der lebenswichtigen Güter, insbesondere als Geschenke bei den zahlreichen Festen in perfekter Gegenseitigkeit - daher handelt es sich um Ausgleichsgesellschaften.

Im Gegensatz dazu sind Patriarchate auf allen ihren geschichtlichen Stufen immer Akkumulationsgesellschaften, bei denen die Güter aller Menschen in den Händen von wenigen landen.

Die sozialen Muster

Matriarchale Clans werden durch Matrilinearität (Verwandtschaft in Mutterlinie) und Matrilokalität (Wohnsitz im Mutterhaus) zusammengehalten; es gilt die Besuchs-Ehe nur über Nacht auf Seiten der Männer mit sexueller Freiheit für beide Geschlechter; die biologische Vaterschaft ist unbekannt oder unbedeutend; Männer sind die "sozialen Väter" der Schwesterkinder; alle Clans sind untereinander verwandt wie eine "große Familie" mit gegenseitigem Hilfssystem - daher sind sie nicht-hierarchische Verwandtschaftsgesellschaften.

Moderne patriarchale Gesellschaften bestehen demgegenüber aus untereinander Fremden, die Herrschafts- und Interessengruppen bilden, die als Ego-Gruppen gegeneinander antreten und sich unaufhörlich bekämpfen. Das gesellschaftliche Gleichgewicht bleibt dabei immer prekär.

Alle Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip gefällt im Sinne von Einstimmigkeit; das gilt fürs Clanhaus, Dorf oder Stadt und die ganze Region; Männer sind häufig die Delegierten der Clans im Dorfrat oder Stammesrat; sie agieren nur als Informations- aber nicht als Entscheidungsträger; es existieren keine Klassen und Herrschaftsstrukturen - daher handelt es sich um egalitäre Konsensgesellschaften.

Patriarchate sind demgegenüber grundsätzlich Herrschaftsgesellschaften, sogar noch in ihrer Spielart als formale Demokratien. Denn hierbei werden die Minderheiten stimmlos gemacht und der politische Willen der absolut meisten Menschen auf das Schreiben eines Kreuzchens bei der Wahl reduziert.

Die kulturellen Muster

Verbreitet ist der Glaube an eine konkrete Wiedergeburt im selben Clan, Ahninnen und Ahnen werden verehrt; die ganze Welt gilt als göttlich, und zwar als weiblich göttlich; das Universum ist die Schöpferin-Göttin, die Erde die Mutter alles Lebendigen; alle Naturerscheinungen und Lebewesen werden verehrt. Dualistische Weltsicht und Moral sind unbekannt; alles im Leben ist Teil eines symbolischen, rituellen Systems - daher entstehen sakrale Gesellschaften als Göttinkulturen.

Demgegenüber werden in Patriarchaten die religiösen und spirituellen Fähigkeiten der Menschen in der Regel dazu benutzt, um in Welt- und Staatsreligionen die Prinzipien der Herrschenden zu stützen.

Was kann das für den Weg in eine zukünftige, nicht-patriarchale, egalitäre Gesellschaft bedeuten? Spiritualität und Politik werden miteinander verbunden sein, um zu einer anderen Ökonomie und Gesellschaftsordnung zu führen. Wie das geht, führen uns die matriarchalen Gesellschaften deutlich vor Augen. In ihnen sind Ökonomie, Politik, Sozialordnung und Spiritualität untrennbar verbunden, um allen ein gutes Leben zu ermöglichen. Dabei genügt eine Veränderung der Geschlechterrollen innerhalb des Patriarchats nicht. Sondern es geht darum, das Patriarchat in Richtung neuer matriarchaler Gesellschaftsformen zu überschreiten.

Dabei können wir heute klarerweise keine Muster übernehmen, die historisch vergangen sind, wie z.B. die blutsverwandten Clans oder die alleinige Ackerbau-Ökonomie. Aber wir können von diesen jahrtausendelang erprobten Mustern egalitärer Gesellschaften vielfältige Anregungen zum kreativen Weiterdenken erhalten.

Großindustrien und Lebensstandard werden nicht weiter gesteigert, denn es besteht die Gefahr, die Biosphäre der Erde vollends zu zerstören; an deren Stelle tritt die Subsistenz-Perspektive als autarke regionale Wirtschaftsform; weltweit sind meist Frauen in Subsistenzwirtschaft die Trägerinnen; diese Formen gilt es zu stärken statt sie der Globalisierung der Großkonzerne zu opfern; in einem strikt ökologischen Wirtschaften hat Lebensqualität Vorrang vor Quantität.

Für neue soziale Muster

Die fortschreitende "Atomisierung" der Gesellschaft muss aufgehalten werden, denn Vereinzelung und Vereinsamung der Menschen sind Nährboden für Gewalt; stattdessen werden wahlverwandte Gemeinschaften als Lebensgemeinschaften, Nachbarschaftsgemeinschaften oder Netzwerke gebildet: "wahlverwandte Clans" werden wesentlich von Frauen initiiert, getragen und geleitet; als Maëstab gelten die Bedürfnisse von Frauen und Kindern, die Zukunft der Menschheit, und nicht die Macht- und Potenzwünsche von patriarchalen Männern; Männer werden von Frauen vollgültig integriert gemäß den Werten der Fürsorge und Liebe.

Für neue politische Muster

Das Konsens-Prinzip wird konsequent eingeführt; dieses "basisdemokratische" Prinzip ist das impulsgebende Prinzip für matriarchale Gemeinschaftsbildung überhaupt; es stellt die Balance zwischen Frauen und Männern und zwischen den Generationen her; als Entscheidungsträger fungieren kleine Einheiten nur bis zur Größe von Region; lebensfähige Regionen sind das Ziel und nicht Staaten-Unionen und Supermächte.

Für neue kulturelle Muster

Von hierarchischen Staatsreligionen mit absolutem Wahrheitsanspruch wird Abschied genommen ebenso von Glaubenslehre, Dogmen und Priesterkaste; stattdessen wird die Welt neu "geheiligt", das bedeutet Achtsamkeit für alles, was auf der Erde ist und freie, kreative Weise der Verehrung in kleinen, spontanen Gruppen; Leben und sichtbare Welt werden vielfältig gefeiert; eine persönliche und gemeinsame Spiritualität durchdringt das ganze Leben.

Frankfurter Rundschau vom 19.03.2005 

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