Freunde von rechts

Es ist verwirrend: Manch Konservativer exhumiert reumütig die Linke, während manch Linker das nur für Nostalgie hält.

"Markt pur ist Wirtschaft pervers. Markt pur ist der pure Wahnsinn." Wer das sagte, ist kein durchgeknallter Linker aus dem Kreise der üblichen Verdächtigen, sondern der leibhaftige Vorsitzende der CSU. Dieser Tage gesprochen auf dem Nürnberger Parteitag, als Kernsätze landesweit verbreitet über die Fernsehkanäle. Derweil nahm in den USA die Zahl der Protestierer gegen das Bankenwesen unter dem Motto "Besetzt die Wallstreet" ständig zu. Und auch die amerikanischen Medien seien endlich auf diese Bewegung aufmerksam geworden.

"Ist das der Beginn einer neuen revolutionären Bewegung?", fragte eine TV-Moderatorin. Erste Schnell-Interpreten der Ereignisse beschwören schon eine Parallele zu den revolutionären Bewegungen in den arabischen Ländern. Und unser greiser Experte für Mediation, Revolution und Stresstests aller Art raunt düster in die Kameramikrofone, auch bei unserer Jugend werde sich sicher bald etwas zusammenbrauen.

Dass ich mich bei meiner anschwellenden Philippika einmal auf einen Mitherausgeber der FAZ würde berufen können, überrascht mich dann allerdings doch. "Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist nicht nur wieder da, sie wird auch gebraucht. Und weiter: Globalisierung bedeutet nur, dass Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler jeder Nation verteilen".

Geradezu revolutionär klingt es, wenn Frank Schirrmacher den erzkonservativen britischen Thatcher-Biografen Charles Moore mit dessen Analyse zitiert: "Denn wenn die Banken, die sich um unser Geld kümmern sollen, uns das Geld wegnehmen, es verlieren und aufgrund staatlicher Garantien dafür nicht bestraft werden, passiert etwas Schlimmes. Es zeigt sich - wie die Linke immer behauptet hat - dass ein System, das angetreten ist, das Vorankommen von vielen zu ermöglichen, sich zu einem System pervertiert hat, das die Wenigen bereichert".

Einmal unterstellt, diese Reaktivierung linker Kritik am Kapitalismus sei eine ernstzunehmende Aussicht, wäre die revolutionäre Einheitsfront gegen den globalen Klassenfeind nur noch eine Frage der Zeit. Rolf Hochhuth, der schon lange die Revolution fordert, Arm in Arm mit den Leuten von der FAZ auf Barrikaden aus Euro-Paletten und Ikea-Möbeln: ein unschlagbares Team! Wenn aber nun Michael Naumann mit seiner Regierungserfahrung aus den Schröder-Jahren im Feuilleton derselben Zeitung die exhumierte Linke gleich wieder beerdigt: "Links sind höchstens noch Erinnerungen. Als die Finanzmärkte entfesselt wurden, entschied sich die rot-grüne Regierung, das deutsche Großkapital zu fördern", dann ist die Verwirrung wirklich perfekt.

Da setzen sich immer mehr Hardcore-Leute via FAZ vom ausgelaugten Konservativismus ab, und das soll alles nichts zu bedeuten haben, weil es ja leider keine Alternative gebe? Alles nur ein Spiel, Vorhang zu und alle Fragen offen? Zeit, den Transfer des Feuilletons in die Politik zu organisieren. Auch der Sockel des monumentalen Chemnitzer Karl-Marx-Kopfes bedarf übrigens dringend der Sanierung.

Von Klaus Staeck
Frankfurter Rundschau vom 09.11.2011


Aus dem Tal der Tränen

Nun haben wir den schwarz-gelben Salat. Eine Mehrheit wollte es so. Nun muss sie mit den selbst gewählten Folgen leben. Das Wunschpaar von Börse, Banken und Unternehmerverbänden hat die Wahl klar gewonnen. Ausgerechnet die Mitverursacher der gefährlichsten Krise wurden mit Wahlboni überreich beschenkt. Das mag den einen oder anderen wackeren Demokraten zwar schier zur Verzweiflung bringen. Aber jede Krise produziert nun einmal auch ihre Profiteure. Dieser Freundeskreis "Nehmt, was ihr kriegen könnt" pendelt inzwischen um die fünfzehn Prozent. Solange sich der tumbe opferbereite Steuerzahler willig als verlässliche Melkkuh für das Versagen anderer missbrauchen lässt, ist das neoliberale Ideologiemodell für eine bestimmte Klientel durchaus attraktiv und zukunftsfähig. Wer bereitwillig die Suppe auslöffelt, die andere versalzen haben, hat jedes Mitgefühl verwirkt.

Von Klaus Staeck
Frankfurter Rundschau vom 01.10.2009

 

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