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Bremen auf Solidarität der Länder angewiesen

444 Millionen Euro hat Bremen im vergangenen Jahr aus dem Länderfinanzausgleich bekommen. Geld, das der Stadtstaat braucht. Die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen wollen allerdings gegen das bisherige System klagen. Welche Folgen eine solche Klage hätte, liegt auf der Hand: Der Versuch Bremens, bis 2020 die Schuldenbremse zu schaffen, wäre schon heute gescheitert. 

Es gibt Ärger um das Geld aus dem Länderfinanzausgleich.Es fehlt an allen Ecken und Enden. Ein Beispiel liefert das Straßennetz. Der Sanierungsstau wird auf rund 90 Millionen Euro geschätzt, allein die zusätzlichen Ausgaben durch Winterschäden liegen in diesem Jahr voraussichtlich im zweistelligen Millionenbereich. Oder die Sozialhilfe. Als im vergangenen Jahr 50 Millionen Euro zusätzlich an Leistungen gezahlt werden mussten, musste das Geld als Kredit aufgenommen werden.

Wenn der Länderfinanzausgleich von heute auf morgen wegbrechen würde, hätte dies dramatische Auswirkungen auf den Haushalt. Die Kurve, die den Schuldenstand anzeigt, würde steiler ansteigen. Derzeit rechnet das Finanzressort von Senatorin Karoline Linnert (Grüne) damit, dass 2018 der Höhepunkt mit 21,8 Milliarden Euro erreicht sein wird. Danach soll es, in kleinen Schritten, an die Tilgung gehen. Ohne den Länderfinanzausgleich kämen bis dahin inklusive Zinssteigerungen rund vier Milliarden Euro hinzu. Der Bremer Schuldenberg würde schneller ansteigen als in jeder Modellrechnung.

Rein hypothetischer Fall

Damit wären dann auch alle Überlegungen hinfällig, bis 2020 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne): "An diese Dimension des Problems hat offensichtlich niemand gedacht." Sie macht deutlich, dass es sich aus ihrer Sicht um einen rein hypothetischen Fall handelt.

Ende Januar hatten sich die Regierungen von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung getroffen. Eigentlich sollten in diesem Rahmen schon die Rechtswissenschaftler beauftragt werden, eine Klage gegen den Finanzausgleich vorzubereiten. Das zumindest wurde aufgeschoben. Stattdessen hieß es, die Nehmerländer würden ein letztes Mal zu Gesprächen aufgefordert, und im Sommer solle dann die Klageschrift vorliegen. Es gehe nicht darum, hieß es, den Länderfinanzausgleich komplett abzuschaffen, sondern es gehe um mehr Gerechtigkeit. Karoline Linnert antwortet: "Wir können uns über alles unterhalten, aber nur auf gleicher Augenhöhe."

Bremen hat in den vergangenen Jahren zwischen 179 und 505 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich erhalten. Auch in den Berliner Haushalt würde ein Riesenloch gerissen, wenn der Ausgleich mit einem Mal ausbliebe: Knapp 2,9 Milliarden Euro hat die Hauptstadt 2010 erhalten und ist damit unangefochten Spitzenreiter.

Geber ist neben den drei genannten Ländern nur noch Hamburg. Im vergangenen Jahr musste Hamburg 62 Millionen einzahlen. Die drei potenziellen Klage-Länder müssen deutlicher hinlegen. Bayern 3,49 Milliarden, Baden-Württemberg 1,69 Milliarden und Hessen 1,74 Milliarden Euro.

Wiederholt haben die reichen Länder kritisiert, die Nehmer würden sich mit dem Geld aus dem Finanzausgleich Dinge leisten, die man sich selbst nicht zugestehe. Darauf reagiert Linnert erzürnt. "Das Geld hat keine Bänder", sagt die Finanzsenatorin. Heißt: Die Mittel aus dem solidarischen Ausgleich sind Teil des allgemeinen Haushalts. Ob sie jetzt in Kindergärten, neue Schulformen oder den Polizeifunk investiert werden, lässt sich nicht sagen. Linnert pocht außerdem darauf, dass niemand dem Parlament in die Haushaltshoheit reinzureden hat. "Wenn die Bürgerschaft entscheidet, dass künftig ein Kindergartenjahr kostenlos sein soll, dann geht das Herrn Mappus nichts an. Wenn Baden-Württemberg sein Geld lieber in Polizeieinsätze gegen Stuttgart-21-Demonstranten investiert, ist das sein gutes Recht."

Im Grundgesetz verankert

So leicht ist aber am Länderfinanzausgleich auch nicht zu rütteln. Denn er ist Teil des Grundgesetzes. In Artikel 107 heißt es: "Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird." Wenn der Finanzausgleich also geändert werden soll, muss ein entsprechendes Gesetz im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit finden.

Der Finanzausgleich in seiner jetzigen Form gilt bis 2019. Mitte des Jahrzehnts, so Linnert, sei der richtige Zeitpunkt, um über künftige Veränderungen zu sprechen. Den Angriff von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bezeichnet sie als den Versuch, "mit Entsolidarisierung Stimmen zu fangen". In Unruhe versetzt sie das nicht: Es sei der zehnte Angriff auf den Länderfinanzausgleich, seit sie politisch aktiv sei.

Denkbar ist allerdings, dass die sogenannte Stadtstaaten-Veredelung infrage gestellt wird. Berlin, Hamburg und Bremen erhalten einen Zuschlag. Jeder Einwohner wird hier mit dem Faktor 1,35 multipliziert. Das Argument dafür: Die Stadtstaaten hielten eine Reihe von Einrichtungen vor, die auch von den Menschen im Umland genutzt würden: Theater, Schwimmbäder, Krankenhäuser. Standpunkt von Karoline Linnert ist es, dass der Multiplikator mit 1,35 eher zu niedrig angesetzt sei. Die Kampfansage lautet 1,45.

Hinter der Debatte um die Einwohner-Gewichtung versteckt sich auch eine erneute Diskussion über die Bremer Selbstständigkeit. Denn: Mit dem Stadtstaaten-Plus fließt zusätzliches Geld in die Region, von dem auch das Umland profitiert. Wenn die Regelung kippt, fehlt folglich eines der Hauptargumente für die Selbstständigkeit. Linnert macht ihre Position klar: "Es tut dem föderalen Gefüge gut, dass wir die Stadtstaaten haben." Und: "Wir sind kein Bundesland zweiter Klasse."

Weser Kurier vom 04.02.2011 - Michael Brandt

Streit um Länderfinanzausgleich - Reich gegen Arm

Die Südländer wollen weniger abgeben und planen eine Verfassungsklage. Sie streiten gegen eine Regelung, die sie selbst mit ausgehandelt haben.

Die reichen Länder wollen für den Länderfinanzausgleich weniger zahlen. Baden-Württemberg, Bayern und Hessen kündigten eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Zuvor soll aber noch einmal mit den Nehmerländern verhandelt werden.

Es hat vor allem politische Gründe, dass der Finanzausgleich gerade jetzt skandalisiert wird. In Baden-Württemberg wird im März gewählt, und die schwarz-gelbe Koalition von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) liegt in Umfragen hinten. In Hessen sind ebenfalls im März Kommunalwahlen.

Die Südländer wollen gegen Gesetze klagen, die sie 2001 selbst mit ausgehandelt haben- und als Erfolg verkauften. Man habe jetzt "eine wichtige Korrektur erreicht", sagte im Juni 2001 der damalige Stuttgarter Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU): "Wenn ein Land überdurchschnittliche Steuereinnahmen verbucht, dann wird davon in Zukunft weniger für den Ausgleich abgeschöpft." Hinter der Neuregelung würden sich "die von uns geforderten strukturellen Veränderungen" verbergen.

Davon will man in Stuttgart nichts mehr wissen: "Ein System, das keinerlei Anreiz bietet, den Nehmerstatus zu überwinden, und bei dem sich Nehmerländer Dinge leisten können, die sich die zahlenden Länder nicht leisten können, ist für uns schlicht nicht akzeptabel", sagte Mappus.

Der Länderfinanzausgleich ist im Grundgesetz vorgesehen und wird auch von den Geberländern nicht grundsätzlich infrage gestellt. Er läuft in mehreren Stufen ab. Zunächst wird die Umsatzsteuer auf die Länder verteilt, wobei finanzschwache Länder überproportional viel bekommen. Dann findet der eigentliche Finanzausgleich zwischen den Ländern statt, Volumen rund 7 Milliarden Euro. Anschließend zahlt der Bund noch einmal 12 Milliarden Ergänzungszuweisungen an schwache und überschuldete Länder.

Die Südländer klagten schon in den 90er Jahren beim Verfassungsgericht, weil sie weniger abgeben wollten. 1999 entschied Karlsruhe: Der Finanzausgleich muss politisch neu ausgehandelt werden. Nach harten Verhandlungen einigten sich die Länder 2001, weil der Bund höhere Zahlungen zusagte. Am Ende sahen sich damals alle Länder als Gewinner. Doch nun zerfleischen sie sich wieder gegenseitig. Mappus beruft sich auf ein Gutachten des Tübinger Professors Christian Seiler. "Eigenverantwortung und Solidarität stehen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis", heißt es dort.

Anhängig sind in Karlsruhe auch noch Klagen von Bremen und dem Saarland, die höhere Bundeszuweisungen fordern. Eine ähnliche Klage Berlins war 2006 gescheitert. Saarlands scheidender Ministerpräsident Peter Müller (CDU) drohte, man werde die derzeit ruhende Klage wiederaufnehmen, wenn die Südländer nach Karlsruhe gehen. Was er nicht erwähnt: Das Saarland, Bremen und drei andere Länder erhalten ab 2011 vom Bund zusätzliche Hilfen von insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr. Die Klagen der armen Länder sind also längst erledigt.

taz vom 24.01.2011 - Christian Rath

Michael Brandt über den Bremer Finanzplan

Eine ganze Reihe von Berufsgruppen versucht sich daran, fundiert in die Zukunft zu blicken. Meteorologen, Wahrsager, Schriftsteller- und Finanzbeamte. Es ist schon immer ein menschliches Bedürfnis gewesen, den Schleier zu lüften und zu erfahren, was das Morgen bringt. Wenn man sich diesem Thema einigermaßen seriös nähert, geht es darum, anhand der vorüegenden Fakten einen möglichen Weg in die Zukunft aufzuzeigen. Seht her, so kann es kommen! Und genau das gibt der Finanzplan für die Jahre 2010 bis 2014 aus dem Haus von Finanzsenatorin Karoline Linnert wieder: nicht die eine, sondern nur eine von vielen möglichen Entwicklungen.

Niemand kann ernsthaft annehmen, schon heute eine Prognose darüber abgeben zu können, dass Bremen ab 2018 tatsächlich seine Schulden abbauen kann. Dagegen sprechen allein schon die politischen Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre. Zu oft ist den Bremerinnen und Bremern von Wirtschafts- oder Finanzsenatorin bereits verkündet worden, dass man nun endlich die Bremer Probleme im Griff habe. Es hat sich bisher immer als nicht zutreffend erwiesen. Man braucht nur einen Blick auf die rasant tickende Schuldenuhr zu werfen.

Warum eine Vorhersage für die Finanzentwicklung Bremens seriös nicht machbar ist, hegt auf der Hand. Auch Karoline Linnert selbst sagt in ihrer Erklärung zum Finanzplan, konkrete Schritte zu weit im Voraus festzulegen, mache angesichts der „Planungsunsicherheiten" keinen Sinn. Eine Vielzahl von Unwägbarkeiten kann der Finanzplan folglich gar nicht berücksichtigen. Wie entwickeln sich in den kommenden Jahren die Energiepreise? Bleibt die Weltwirtschaft oder wenigstens das europäische Gefüge stabil? Oder schlägt die Ökonomie schon in absehbarer Zeit die nächsten Kapriolen? Müssen wir fortan infolge des Klimawandels immer mit Eiseswintern und den damit verbundenen hohen Folgekosten rechnen? Ist der demografische Wandel mit all seinen Auswirkungen wirklich bis ins Detail durchgerechnet? Das fragile Haushaltsgerüst kann schon morgen in sich zusammenbrechen - und niemand hat es vorhergesagt.

Die vielen Tabellen im Finanzplan und die gesetzten Worte im Amtsdeutsch suggerieren dem Leser ein hohes Maß an Ex-pertentum und Verbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit kann der Finanzplan nicht haben. Er müsste eigentlich einen deutlich sichtbaren Aufdruck auf der Titelseite tragen: Alle Angaben ohne Gewähr.

So ist der Finanzplan erstens nur ein Arbeitsinstrument. Es ist ein Zahlenpaket, an dem sich diejenigen orientieren können, die Bremens Geldgeschäfte in Händen haben. Das umfangreiche Papier kann zur Überprüfung herangezogen werden, ob alles im Fahrplan ist.

Und zweitens ist der Finanzplan - das ist seine wichtigste Funktion - ein politisches Werkzeug. Die Zahlen, die Tabellen und Kalkulationen dienen dem Ziel, eine positive Botschaft zu vermitteln. Sie lautet: Die rot-grüne Landesregierung, allen voran Finanzsenatorin Linnert, spart nach Kräften und kann es endlich schaffen, Bremen bis 2020 zu konsolidieren. Gerade im Wahljahr ist das eine wichtige Botschaft, schließlich ist der Schuldenberg von momentan 17,8 Milliarden Euro Bremens eigentliches Problem.

Auf dem Papier ist dieser Weg nun vorgezeichnet, allein die Realität muss noch folgen. Bisher hat sie das allerdings bei noch keiner Landesregierung getan.

Weser Kurier vom 02.02.2011

Bremen macht erst 2019 weniger Schulden

Es wird besser – wenigstens zum Ende des Jahrzehnts. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hat am Dienstag im Senat den Bremer Finanzplan für die Jahre 2010 bis 2014 vorgelegt. Klar wird anhand der Zahlen: Die Sparmaßnahmen, die jetzt auf dem Papier festgelegt wurden, zeigen erst in einigen Jahren Auswirkungen auf den immensen Schuldenstand. Die Gesamtschulden des Bundeslandes erreichen nach der jetzigen Prognose 2018 ihren Höhepunkt. Mit 21,8 Milliarden Euro.

Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne).Der Finanzplan wird von der Behörde regelmäßig vorgelegt. Er zeichnet in groben Zügen die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben für einen Zeitraum von fünf Jahren vor. Und er leistet sich in einigen Positionen einen Blick in die noch entferntere Zukunft. Zum Beispiel in der Frage, wie sich die Bevölkerungszahl entwickelt. Die Statistiker rechnen mit einem leichten Rückgang.

Diesmal aber kommt dem Gerüst eine besondere Bedeutung zu, denn es steht am Anfang des sogenannten Konsolidierungspfades. Heißt: Bremen muss – wie alle anderen Bundesländer – bis 2020 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen. Karoline Linnert am Dienstag: „Ein steiniger Weg liegt vor uns.“ Sie sieht die Zahlen als Beleg dafür, dass der arme Stadtstaat seinen Sparkurs beibehält.

Zinsbelastung wächst weiter

Wie steinig der Weg ist, belegen 24 Tabellen auf den 58 Seiten den Finanzplanes. Zunächst, ist dem zu entnehmen, steigt der Schuldenstand deutlich weiter. Der Pegel erreicht in diesem Jahr laut Vorhersage 18,9 Milliarden Euro, im kommenden Jahr dann 19,7 Milliarden. Erst nach 2018 rechnen die Finanzexperten im Haus des Reichs damit, dass die Gegensteuerung greift und der Schuldenstand sehr langsam sinkt. Erst auf 21,7 Milliarden, dann auf 21,6 Milliarden, und weiter auf diesem Pfad.

Durch den anwachsenden Schuldenberg steigt auch die Zinsbelastung weiter an. 2010 musste der Stadtstaat (die beiden Kommunen Bremen und Bremerhaven und das Land) 690,5 Millionen Euro allein für Zinsen aufbringen. Im Jahr 2014, also gegen Ende des jetzigen Planungszeitraums, wird dieser Marker bei 752,6 Millionen Euro liegen. Der Anteil der Zinsen an den Ausgaben wird immer bestimmender. Wobei der Bund Bremen bis 2020 mit jährlich 300 Millionen Euro unter die Arme greift, sofern sich Bremen strikt an den Konsolidierungspfad hält.

„Das Ziel ist nur erreichbar, wenn wir Stellen abbauen, die Investitionen auf ein vertretbares Maß senken und Steuereinnahmen auch tatsächlich steigen“, sagt Linnert. Der Reihe nach: Bekanntlich hat der Senat beschlossen, dass bis 2014 rund 950 Vollzeitstellen eingespart werden. Dabei hatte die Finanzsenatorin Karoline Linnert schon in der Vergangenheit klar gemacht, dass nicht jede Stelle, die durch Fluktuation frei wird, auch eingespart werden könne. Die Personalkosten steigen weiter auf knapp 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2014. Wobei sich diese Zahl allerdings auf die Kernverwaltung bezieht. Mit allen Ausgliederungen, Kliniken und Hochschulen liegt die Ausgaben-Marke im Personalsektor deutlich höher.

Nichtsdestotrotz: Die Zahl der Beschäftigten in der Kernverwaltung nimmt ab. Und 2019/2020 sollen dann auch die Versorgungslasten (Pensionen und sonstige Zahlungen) mit 382 Millionen Euro ihren Spitzenwert überschreiten.

Zweitens die Investitionen. 2010 hat es bei den Ausgaben noch eine deutliche Delle nach oben gegeben, Bremen konnte 641 Millionen Euro investieren. Grund dafür war das Konjunkturprogramm das Bundes, das in Bremen vor allem in energetische Sanierungen gesteckt worden ist. Grundsätzlich pendeln sich die Investitionen auf ein Niveau von ungefähr 495 Millionen Euro ein.

Finanzressort hofft einen Wandel

Drittens die Steuereinnahmen. Tatsächlich geht das Finanzressort – fußend auf die bundesweiten Prognosen – nach der Finanz- und Wirtschaftskrise davon aus, dass es ordentlich bergauf geht. In diesem Jahr sollen es rund 3,3 Milliarden Euro sein, in vier Jahren sollen 3,7 Milliarden in die Kasse kommen. Dabei ist der Länderfinanzausgleich, den jetzt die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen infrage gestellt, eingerechnet. Linnert warnt davor, beim Länderfinanzausgleich Abstriche zu machen: „Wer Hand an das Fundament eines Gebäudes legt, der muss mit dessen Einsturz rechnen.“

Um rund 111 Millionen Euro pro Jahr muss das Bremer Defizit – das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben – in den kommenden zehn Jahren geschlossen werden. Bemessensgrundlage ist das Haushaltsminus des vergangenen Jahres: 1,113 Milliarden Euro gilt es in zehn Schritten auf Null zu fahren. Das Finanzressort zeigt noch einmal auf, dass aus seiner Warte dieser Schritt für 2011 eingehalten werde und für 2012 „aus aktueller Sicht gute Aussichten“ bestünden.

Nachbessern müssen die städtischen Haushälter allerdings in den Jahren 2013 und 2014 teilweise kräftig. Im ersten Jahr müssen nach den derzeitigen Vorhersagen 73 Millionen Euro extra eingespart werden, im Jahr später sogar rund 120 Millionen Euro.

Konkret sagen, wie das gehen soll, will Finanzsenatorin Karoline Linnert heute noch nicht. „Wir gehen Schritt für Schritt vor.“ Angesichts der vielfältigen Planungsunsicherheiten mache es allerdings keinen Sinn, so zu tun, als könne man jetzt schon alles im Detail festlegen. „Wir werden unsere Planungen Jahr für Jahr weiter konkretisieren. Das braucht langen Atem.“

Weser Kurier vom 02.02.2011 - Michael Brandt

Bremens Schulden - Ausschuss legt Sparkatalog vor

Die Schuldenbremse soll in Bremen vorläufig keinen Verfassungsrang bekommen. Das gehört zu den mehrheitlich getragenen Vorschlägen des Parlamentsausschusses, der sich mit den finanzpolitischen Konsequenzen aus der bundesweiten Föderalismuskommission II für Bremen befasst hat.

Zum Ausklang der rund einjährigen Beratungen stellt die Vorsitzende des Gremiums, die SPD-Abgeordnete Uta Kummer, einen Katalog an Empfehlungen vor. Sie hält es unter anderem für verfrüht, das Verbot der Neuverschuldung, das erst ab 2020 greifen soll, schon jetzt in der Verfassung zu verankern. Vielmehr sollte es in dieser Übergangszeit in die Landeshaushaltsordnung einfließen.

Die Schuldenregelung sieht vor, das die Haushalte der Länder künftig ohne Einnahmen aus Krediten auskommen müssen. Dies gehört zu den Verabredungen, die in der Föderalismuskommission II auf Bundesebene getroffen worden waren. Überdies gibt es für besonders finanzschwache Länder, darunter Bremen, gegen den Nachweis konsequenter Sparpolitik übergangsweise bis 2019 eine jährliche Hilfe in dreistelliger Millionenhöhe. Am 15. Oktober vergangenen Jahres war in Berlin ein spezielles Gremium ("Evaluationsausschuss") eingesetzt worden, das die Haushaltslage der notleidenden Länder überprüft und im Mai dem Stabilitätsrat berichtet.

Hilfen vom Bund, Nachweis eiserner Sparpolitik in Bremen, die Schuldenbremse als unabweisliche Perspektive - vor diesem Hintergrund hatte die Bremische Bürgerschaft im Dezember 2009 einen eigenen themenbezogenen Ausschuss eingesetzt, um die Umsetzung der Vorgaben aus der Föderalismuskomission II parlamentarisch zu begleiten. Die Opposition hatte damals dafür geworben, das Problem politisch eine Etage höher anzusiedeln und eine Enquetekommission einzurichten, um zusätzlichen externen Sachverstand fest einbeziehen zu können. Sie war aber damit nicht durchgedrungen.

Parlamentarischer Konflikt droht

Nach rund einjähriger Beratungszeit ist jetzt ein Katalog mit "Empfehlungen des Ausschusses" formuliert worden. Hinter einem Spiegelstrich heißt es, die Mehrheit der Ausschussmitglieder rate davon ab, die Landesverfassung "im Vorgriff" auf 2020 zu ändern.

Damit ist ein Konflikt für die Plenums-Beratungen programmiert, die für Februar angepeilt sind. Der Abgeordnete Wolfgang Schrörs, der für die CDU-Fraktion in dem Ausschuss mitgearbeitet hat, erklärte, er habe die Empfehlungen bis Ende dieser Woche noch nicht zugestellt bekommen. Wenn die rot-grüne Mehrheit aber tatsächlich dagegen sei, die Schuldenbremse in die bremische Landesverfassung aufzunehmen, dann sei dies geradezu "ein Beweis dafür, dass die Koalition an ernsthaften Sparbemühungen nicht interessiert" sei. Der Christdemokrat verweist zudem darauf, dass andere Bundesländer einen anderen Weg beschreiten wollten und diese Regelung zur Haushaltskontrolle in ihre Verfassungen aufnehmen wollten.

Die Ausschussvorsitzende Uta Kummer von der SPD-Regierungsfraktion erklärte zum Abschluss der Ausschussberatungen, in den Diskussionen und Prüfungen mit auswärtigen Fachleuten habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sich Bremen mit seinem haushaltspolitischen Kurs im Vergleich mit anderen Ländern behaupten könne. Bei genauer Betrachtung habe sich beispielsweise erwiesen, dass ein Anstieg der Sozialausgaben nicht nur in Bremen, sondern auch anderswo registriert werde und finanzpolitisch Sorgen bereite. Und es sei auch nachgewiesen worden, dass manche Sparprogramme, die in anderen Ländern aufgelegt und "mit großem Theaterdonner" als beispielhaft angesehen worden seien, über längere Sicht dann doch nicht den erwarteten Erfolg gehabt hätten.

Zu den Empfehlungen, die das Parlament über die Arbeit des Föderalismus-Ausschusses nun in die bremische Regierungspolitik einspeist, gehört unter anderem, die Personalkosten der öffentlichen Hand weiter zu verringern. Es gelte, so ein Vorschlag, "die Kosten für das aktive Personal konstant zu halten". Und der Anstieg der Versorgungsbezüge für Bedienstete sei "nicht als unabwendbar hinzunehmen". Zu den Zielen gehöre es, "die Beamtenversorgung an die Entwicklungen der Rentenversicherung anzugleichen".

In den Empfehlungen wird überdies dafür plädiert, weitere "Handlungsspielräume" für künftige Reformen und Kostensenkungen auf dem Personalsektor zu benennen. Es müsse beispielsweise untersucht werden, ob womöglich Regelungen im Beamten- und Besoldungsrecht im Vergleich zu dem, was für andere Beschäftigte gilt, "nicht mehr angemessen" oder auch "nicht mehr zeitgemäß" seien.

Weser Kurier vom 23.01.2011 - Wigbert Gerling

Bremer Haushalt 2011 - Bürgerschaft beschließt neue Schulden

Start zum haushaltspolitischen Hindernislauf auf der Langstrecke im Landtag: Mit den Stimmen der rot-grünen Koalition ist am Mittwoch der Etat für das kommende Jahr beschlossen worden. Er sieht Einnahmen von knapp 3,2 und Ausgaben von gut 4,2 Milliarden Euro vor. Das Minus wird einmal mehr durch neue Schulden ausgeglichen.

Die Zuschauerränge im Haus der Bürgerschaft waren voll, als am Mittwoch in einer Generaldebatte über den Umgang mit den leeren Kassen gestritten wurde. Dazu einige Rohdaten, die Grundlage der parlamentarischen Diskussion waren: Im Haushaltsplan für das kommenden Jahr ist eingerechnet, dass von den erwarteten knapp 3,2 Milliarden Euro Einnahmen etwa zwei Milliarden via Steuern kommen. Ein Betrag von fast 590 Millionen Euro, so der zweite große Plus-Posten, erreicht Bremen über das bundesweite System des Länderfinanzausgleichs. Hinzu kommt in etwa gleicher Höhe noch Geld beispielsweise aus der Städtebauförderung, aus Gebühren und aus Töpfen der Europäischen Union.

Bei den Ausgaben in Höhe von über 4,2 Milliarden gehören die Personalkosten mit gut 1,1 Milliarden wie üblich zu den größten Einzelpositionen. Für Investitionen will Bremen 464 Millionen Euro zur Verfügung stellen, für Sozialleistungen wird mit Ausgaben von 679 Millionen gerechnet - und ein beinahe ebenso großer Betrag, genau 623 Millionen, muss demnach ausgegeben werden, um die Zinsen für den Schuldenberg zu bezahlen.

2011 greift erstmals die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Danach dürfen die Bundesländer von 2020 an keine neuen Kredite aufnehmen. Bis dahin will Bremen die Neuverschuldung schrittweise um 112 Millionen Euro jährlich abbauen. Im Gegenzug soll der klamme Zwei-Städte-Staat bis 2019 Konsolidierungshilfen in Höhe von 300 Millionen Euro jährlich erhalten.

"Bremen gibt jeden sechsten Euro für Zinsen aus"

"Dieser Haushalt ist ein Einstieg in neue Zeiten", sagte Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne). Mit ihm sei ein erster Schritt zur Haushaltskonsolidierung getan. "Wir stellen uns der Herausforderung, mit knappen Ressourcen auszukommen", betonte Linnert. "Brutalstmögliches Sparen" sei jedoch keine Option, sagte die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ute Kummer.

Nach Angaben des Bundes der Steuerzahler sitzt die Hansestadt auf einem Schuldenberg von 17,2 Milliarden Euro, die Finanzbehörde sprach zuletzt von 16,4 Milliarden Euro. Bis 2014 wird das Defizit - unter anderem wegen der enormen Zinslast - auf 19,2 Milliarden Euro steigen.

"Bremen gibt jeden sechsten Euro für Zinsen aus", kritisierte der CDU-Finanzexperte Wolfgang Schrörs. "Der Senat muss endlich mit dem Sparen beginnen." Schrörs bezeichnete den Haushaltsentwurf als Bankrotterklärung. Dieser sei verantwortungslos und unsolide. Auch die FDP und die Linken lehnten die Finanzpläne ab. (wk/dpa)

Weser Kurier vom 08.12.2010

Schein-Selbstständigkeit

Lars Haider zur Eigenständigkeit Bremens

In diesen Vorwahlkampfzeiten ist viel von Bremens Selbstständigkeit die Rede. Parteien, die sich in Gründung befinden, sprechen darüber, genauso wie Geberländer, die genug vom Länderfinanzausgleich haben und sich sogar Prozesse dagegen vorstellen können. Außerdem gibt es den Senat, der sich gegen die einen wie die anderen wehrt.

Dabei entsteht die Frage, ob der Begriff geeignet ist, den Zustand des kleinsten Bundeslandes wahrheitsgetreu zu beschreiben, oder ob man nicht ehrlicherweise von einer Schein-Selbstständigkeit sprechen müsste. Denn ohne die Hilfe anderer könnte Bremen unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt nicht existieren. Was direkt zur nächsten Frage führt: Wer hat das beste Konzept, um das Land irgendwann einmal in eine Selbstständigkeit zu führen, die diesen Namen wirklich verdient? Das muss das entscheidende Wahlkampfthema sein, weil sich ihm alles andere unterordnet.

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, wie der von allen gewünschte Fortbestand Bremens gesichert werden konnte. Erstens wie bisher mit einer wie auch immer gearteten Hilfe von außen. Zweitens, in dem die Art der Besteuerung in Deutschland grundsätzlich geändert wird: Die Menschen müssten ihre Steuern nicht mehr dort zahlen, wo sie wohnen, sondern dort, wo sie arbeiten. Und drittens: Bre-men muss dem Rest der Republik beweisen, dass es bereit ist, die Selbstständigkeit aus eigenen Stücken zu bewahren. Das würde extreme, eindrucksvolle Sparanstrengungen und einen grundsätzlich anderen Umgang mit öffentlichen Geldern bedingen.

Punkt eins scheidet kurz- bis mittelfristig aus. Einerseits angesichts des wachsenden Widerstandes der sogenannten Geberländer, andererseits wegen der für 2020 festgelegten Schuldenbremse. Punkt zwei wäre im Hinblick auf die stärke innerbremische Wertschöpfung wünschenswert, dürfte aber angesichts der Machtverhältnisse in Bundestag und Bundesrat niemals durchzusetzen sein. Das weiß auch der Senat um Bürgermeister Jens Böhrnsen. Bleibt also nur Punkt drei: Das ist der härteste, aber eben auch der einzige Weg aus der Krise, in der Bremen steckt.

In der Vergangenheit ist es keiner Regierung gelungen, im Rest der Republik den Eindruck zu vermitteln, dass man wirklich alles dafür tun würde, eine echte Selbstständigkeit zu erlangen. Doch genau darauf kommt es jetzt an: Wie man von den Spielern einer Fußball-Bundesliga-Mannschaft im Abstiegskampf erwartet, dass sie wenigstens kämpft, wenn die spielerischen Mittel begrenzt sind, muss Bremen endlich unbedingten Sanierungswillen zeigen. Deshalb können und werden Parteien, die vor der Wahl im Mai allen Ernstes ankündigen, dieses oder jenes würde es künftig mehr geben, nur verlieren.

In diesem Wahlkampf muss es darum gehen, das große Ganze - also das eigenständige Land Bremen - zu erhalten, auch wenn das zuungunsten kleiner oder größerer Gruppen geht. Es wird keine Versprechen geben können außer jenem, die Finanzen des Landes zu konsolidieren. Natürlich machen sich dazu passende Ankündigungen und Slogans auf Wahlplakaten nicht besonders gut. Trotzdem sind sie so richtig wie alternativlos. Es sei denn, Parteien und Politiker wollen den Wählerinnen und Wählern etwas versprechen, was sie nicht halten können. Oder was Bremen von der Schein- am Ende wirklich in die Unselbstständigkeit führt.

 Weser Kurier  vom 26.01.2011


Länderfinanzausgleich

Mal sind es Geber, dann wieder Nehmer: Klagen gegen den Finanzausgleich sind die Regel

Die Klage gegen den Länderfinanzausgleich ist fast so alt wie das System als solches. 1952 erklärte das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal den horizontalen Finanzausgleich, also die Zahlungen zwischen den Ländern zur Angleichung der Lebensverhältnisse, als mit dem Grundgesetz vereinbar. Schon damals war Baden-Württemberg Kläger gewesen. Es hatte sich auf den Standpunkt gestellt, nur Bundeszuschüsse seien vom Grundgesetz gedeckt.

1986 entschieden die Richter in Karlsruhe, der Länderfinanzausgleich sei nicht verfassungskonform. Der Grund lautete: Die Finanzkraft der Länder werde unzureichend bestimmt, weil bergrechtliche Förderabgaben und die Spielbankenabgabe ebenso wenig berücksichtigt würden wie die Grunderwerbsteuer und die Feuerschutzsteuer. Hingegen akzeptierten die Richter die sogenannte Einwohnerveredelung, mit der die Sonderlasten der Küstenländer mit ihren Häfen und der Stadtstaaten ausgeglichen wird.

Das 1987 geänderte Gesetz landete schon kurz darauf wieder in Karlsruhe. 1992 stufte der Zweite Senat es als im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar ein. Die Stadtstaaten Bremen und Hamburg hatten geklagt, weil sie sich einen für sie günstigeren Einwohnerschlüssel erhofft hatten. Auch Schleswig-Holstein und das Saarland waren mit ihrem Ansinnen gescheitert, die (schwache) Finanzkraft ihrer Gemeinden stärker zu berücksichtigen. Damals äußerten sich Baden-Württemberg und Hessen zufrieden, weil sie nicht noch mehr zahlen mussten.

1999 gab das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf, den Länderfinanzausgleich in zwei Stufen neu zu regeln. In einem Maßstäbegesetz sollte er grundlegend klären, wie das Umsatzsteueraufkommen und die Bundesergänzungszuweisungen verteilt werden sollen, "bevor deren spätere Wirkungen konkret bekannt werden". Anschließend sollten auf dieser Basis die Details geklärt werden. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen hatten geklagt. Doch erwies es sich als eine Illusion, dass die Verhandlungen unabhängig von den dadurch ausgelösten Umverteilungseffekten möglich sein sollten. So hat man die rechtlichen Grundlagen zwar geändert, aber das System aus wenigen Zahlern und vielen Empfängern ist im Wesentlichen gleich geblieben, (mas.)

F.A.Z vom 25.01.2011


Warum Bremen so hoch verschuldet ist

Von Michael Brandt 

Das kleinste Land, die größte Schuldenlast. Bremen gibt im Jahr eine Milliarde Euro mehr aus, als in die Kasse kommt. Die Folge des süßen Lebens: Mehr als 16 Milliarden Euro Schulden und allein 650 Millionen Euro pro Jahr, um bei den Banken die Kreditzinsen zu zahlen. Wann wurden die Hebel in Bremen falsch umgelegt?

Wieder und wieder treten die Regierunsgspitzen in Bremen an die Öffentlichkeit und beteuern: Jetzt geht es richtig los mit dem Sparen und dem Sanieren des Haushalts, jetzt wird es ernst. Das hat den Charme einer Dauerwerbesendung in der Endlosschleife. Die Worte gleichen sich, ob es um die Koalitionsverhandlungen 2007 geht, die Klage in Karlsruhe, die Föderalismusverhandlungen 2009 oder die Haushaltsberatungen heute.

Klar aber: Jetzt wird Bremen der Sparkurs zu einem Gutteil von außen diktiert. Wenn das kleinste Bundesland ab 1. Januar 2011 jährlich 300 Millionen Euro an Zinsbeihilfen vom Bund haben will, muss es auch die Kriterien erfüllen. Welche genau das sind? Das wird sich erst im Laufe des Jahres zeigen.

Vorsorglich hat die rot-grüne Koalition in den vergangenen Wochen damit begonnen, den Spar-Haushalt 2011 umzubauen. Der Prozess war angesichts der Wirtschaftskrise im vergangenen Herbst gestoppt worden. Derzeitiger Stand: Das Defizit soll 2011 um 46 Millionen Euro mehr schrumpfen, als bereits verabredet war. Unter dem Strich soll der Spalt zwischen Einnahmen und Ausgaben um 96 Millionen Euro verringert werden. Die Senatoren wollen jetzt bis Mitte Mai Hausaufgaben machen, ehe die nächste Klausurtagung ansteht.

Um zu erklären, wie Bremen an diesen Punkt gelangt ist, muss man in die Geschichte blicken. Ein möglicher Anfangspunkt sind die ausgehenden 60er Jahre. Damals wurde das Steuerwesen in der Bundesrepublik neu geordnet - mit Zustimmung des Bremer Bürgermeisters Hans Koschnick (SPD). Die Bürger zahlten fortan ihre Steuern nicht mehr am Arbeits- sondern am Wohnort. Für Bremen ein Verlustgeschäft, das bis heute nachwirkt.

Zwar sollte der Länderfinanzausgleich die Ungerechtigkeiten ausbügeln, aber es dauerte bis 1987, ehe Bremen als eine Art Entschädigung sogenannte Bundesergänzungszuweisungen bekam. Unverändert ist jedoch noch heute die vermeintlich ungerechte Finanzverteilung durch das Wohnortprinzip eines der Hauptargumente Bremer Politik, wenn es darum geht, den Schuldenberg zu erklären.

Bei der Bürgerschaftswahl 1971 kam die SPD mit Koschnick an der Spitze auf ihr bisher bestes Ergebnis im Lande, mit mehr als 55 Prozent der Stimmen sicherten sich die Sozialdemokraten die Alleinregierung. 1973 kam die Ölkrise und damit für Bremen die wirtschaftliche Stagnation. Während die Bundesrepublik 1975 sogar einen Rückgang der Wirtschaft erlebte, konnte sich die Wirtschaft in Bremen knapp behaupten. Dennoch: Die Zahl der Arbeitslosen kletterten erstmals seit Wirtschaftswunderzeiten kontinuierlich, erreichte 1974 die Marke von 4,5 Prozent, ein Jahr später 5,6 Prozent.

44.000 öffentliche Jobs

Der Senat antwortete mit einem massiven Einstellungsprogramm für den öffentlichen Dienst. Rund 30.000 Staatsdiener kümmerten sich 1974 um das Gemeinweisen, nur sechs Jahre später waren es bereits knapp 44.000. Der Beamtenbund forderte aber auch in dieser Situation noch 'mehr Personal'. Rund 14.000 Personen arbeiten heute in der Kernverwaltung, dazu kommen noch einmal wenigstens 13.000 Beschäftigte in den Gesellschaften, zum Beispiel in den Kliniken, und den Eigenbetrieben wie etwa den Museen. Die Personalausgaben liegen oberhalb der Milliardengrenze - allerdings ohne Versorgungslasten für die Ehemaligen gerechnet. Die Folgen des Einstellungsbooms wirken bis auf den heutigen Tag nach.

Bremen hatte es nicht einfach. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die nicht eben positiv für die Haushaltsentwicklung waren. So sagen die Fachleute der Finanzbehörde, es sei ursprünglich nicht absehbar gewesen, dass Bremen die Kosten für den Uni-Aufbau würde allein bewältigen müssen. 1983 ging die AG Weser in Konkurs, 1996 war es der Vulkan in Bremen-Nord. Dazu kommt die Stadtstaaten-Problematik: Die Sozialausgaben steigen und Bremen hält Leistungen für das Umland vor.

Unter finanziellen Aspekten wirkte indes eine andere Entwicklung wesentlich schwerer als die spektakulären Pleiten: Mit Beginn der 90er Jahre nahm der Einwohnerverlust dramatisch zu. Schon in früheren Jahrzehnten war die Zahl der Berufspendler stetig angestiegen. 1960 waren es knapp 60.000, zehn Jahre später schon 70.000, die Zählung von 1987 ergab rund 100.000 Einpendler. Und jeder verlorene Bürger kostet Bremen 3.748 Euro im Jahr.

1992 konnte Bremen unter SPD-Bürgermeister Klaus Wedemeier erstmals einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erzielen. Bremens Profit: 9,7 Milliarden flossen dem Haushalt zu. Die Strategie der ab 1995 rot-schwarzen Landesregierung: Kräftig investieren, um wirtschaftlich gestärkt die Schulden zu tilgen. Der Plan schlug fehl, wie die ungebrochene Entwicklung von Schuldenstand und Pro-Kopf-Verschuldung belegt. Unrühmlicher Höhepunkt: Die Fehlinvestition in den Space Park.

Explosion der Schulden

1950 lag der Schuldenstand im Land bei umgerechnet 233 Euro pro Einwohner. Lange Jahre pendelte die Pro-Kopf-Verschuldung unterhalb von 500 Euro rauf und runter. Ab 1970 ging es steil bergan. Ein Beispiel: von 1973 bis 1974 stieg der Schuldenstand je Einwohner von 970 auf 1.304 Euro. Heute liegt er bei 24.400 Euro. Bundesweit ein Rekord.

Parallel dazu hat sich der Stand der Gesamtschulden entwickelt. 1957 überschritten sie erstmals die Milliarden-Euro-Grenze. Mittlerweile hat Bremen die Marke von 16,1 Milliarden Euro Schulden überschritten. Die Uhr, die der Bund der Steuerzahler in der Sandstraße aufgehängt hat, tickt immer schneller. Derzeit geht das Ressort von Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) davon aus, dass 2020 die Schulden bei 23 Milliarden Euro liegen werden.

Weser Kurier vom 14.03.2010


1,69 Billionen: Staatsschulden auf Rekordstand

Die Staatsschulden in Deutschland haben wegen der Wirtschaftskrise einen Rekordstand erreicht. Bund, Länder und Gemeinden standen Ende 2009 mit 1,69 Billionen Euro so tief in der Kreide wie noch nie.

Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr betrug 7,1 Prozent oder 112,7 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mitteilte. Dies war der zweitgrößte Schuldenzuwachs seit Bestehen der Bundesrepublik. Eine höhere absolute Steigerung der öffentlichen Schulden wurde nur 1995 mit 170,7 Milliarden Euro registriert, als es Sondereffekte aus der Wiedervereinigung gab.

Am stärksten wuchsen im vergangenen Jahr die Schulden der Länder. Ihr Schuldenstand lag Ende 2009 bei 526,3 Milliarden Euro. Das war ein Zuwachs von 8,5 Prozent (41,4 Milliarden Euro). Die Verluste der Landesbanken haben den Schuldenzuwachs maßgeblich beeinflusst - entweder durch die direkte Belastung der Landeshaushalte oder durch die Neugründung von Gesellschaften, die zur Risikoabschirmung der Landesbanken dienen.

Die Schuldenlast des Bundes stieg um 6,9 Prozent (68,1 Milliarden Euro) auf 1,053 Billionen Euro. Enthalten darin sind die Schulden, die zur Bewältigung der Krise gemacht wurden. Dazu gehören der Finanzmarktstabilisierungsfonds (36 Milliarden Euro) sowie der Investitions- und Tilgungsfonds (6,7 Milliarden Euro). Die Schulden der Kommunen erhöhten sich um 3,0 Prozent (3,2 Milliarden Euro) auf 112,1 Milliarden Euro.

Insgesamt lagen die Kreditmarkt-Schulden, die die öffentlichen Haushalte zur Deckung ihrer Defizite aufnehmen, bei 1,6331 Billionen Euro. Außerdem wurden im Laufe des vergangenen Jahres kurzfristige Kassenkredite in Höhe von 59,1 Milliarden Euro aufgenommen.

Weser Kurier vom 11.03.2010


Jeder Bremer hat 35.087 Euro Schulden

Ein Etatentwurf der Superlative: Die Bundesregierung hat gestern den größten Schuldenhaushalt der deutschen Geschichte beschlossen, Finanzminister Peer Steinbrück stimmt das Land bereits auf einen harten Sparkurs ab 2011 ein und erwartet "erhebliche Verteilungskonflikte" bei der Begleichung der Rechnung für die Krise: Bis 2013 müssen die Ausgaben um insgesamt 37 Milliarden gekürzt werden. Dazu kommen ab 2013 dauerhaft weitere 18,5 Milliarden, um die neue Schuldenregel der Verfassung einhalten zu können.

Angesichts der gigantischen Neuverschuldung stehe die kommende Bundesregierung vor einer "finanzpolitischen Mammutaufgabe", sagte der Finanzminister. Die neue Regierung werde sich darauf konzentrieren müssen, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen und zu einem stabilen Haushalt zurückzukehren, so Steinbrück.

Eine Rosskur mit wenig Spielraum: Die großen Ausgabenblöcke wie der Rentenzuschuss von 81 Milliarden Euro (25 Prozent des Etats, ein fast fünfmal so hoher Anteil wie vor einem Vierteljahrhundert), rund 40 Milliarden Euro Schuldzinsen (ein Siebtel des Haushalts) oder ein auf 14 Milliarden Euro steigender Zuschuss an den Gesundheitsfonds und ein 20-Milliarden-Euro-Kredit an die Bundesagentur für Arbeit schränken den Handlungsspielraum stark ein.

Konkrete Angaben über die in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2013 pauschal vorgesehenen Einsparungen wollte der Finanzminister denn auch nicht machen. Die Schuldenbremse verpflichtet den Bund von 2011 an, die Neuverschuldung schrittweise zurückzuführen. Von 2016 an darf er sich in "Normalzeiten" nur mit 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschulden, das wären aktuell etwa 8,5 Milliarden Euro.

Auf eine Neuverschuldung von sechs Milliarden Euro wäre Steinbrück im kommenden Jahr "bei einem normalen Konjunkturverlauf" gekommen, nun aber muss der Staat 2010 mindestens 86,1 Milliarden Euro, 40 Milliarden mehr als in diesem Jahr, an neuen Schulden aufnehmen. Bis 2013 sollen es 310 Milliarden Euro sein. Steinbrück nannte die Rekordschuldenaufnahme für den 327,7-Milliarden-Euro-Etat wegen der tiefen Rezession der deutschen Wirtschaft "unumgänglich". Mit dem Geld sollen wegbrechende Steuereinnahmen sowie Mehrkosten für den Arbeitsmarkt, die Sozialkassen und die Konjunkturpakete ausgeglichen werden.

Der Finanzminister wies zugleich auf weitere Haushaltsrisiken durch möglicherweise steigende Zinsen hin. Die neuen Schulden für 2010 könnten am Ende auch über 100 Milliarden Euro liegen, wenn auch noch Kosten aus Konjunkturpaket und Bankenrettungsfonds SoFFin anfallen sollten. Die gesamte Staatsverschuldung von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen nähert sich nunmehr der Rekordmarke von 1600 Milliarden Euro, das macht laut Bund der Steuerzahler eine um etwas mehr als tausend Euro auf 19.277 Euro steigende Pro-Kopf-Verschuldung. Rechnet man in Bremen die Schulden von Land und Stadt extra, trägt jeder Bremer Bürger eine Schuldenlast von 35.087 Euro.

Der Finanzminister räumte ein, dass Deutschland die Maastricht-Defizitgrenze des Euro-Stabilitätspakts von drei Prozent deutlich verfehlen wird. Das Defizit dürfte 2009 rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, 2010 knapp sechs Prozent.

Angesichts der dramatischen Haushaltslage warnte Steinbrück erneut vor "waghalsigen" Steuersenkungsversprechen, schloss aber eine erneute Erhöhung der Mehrwertsteuer wie nach der Wahl 2005 aus: "Wir sind gebrannte Kinder." Einen solchen Glaubwürdigkeitsverlust dürfe man sich nicht noch einmal leisten. In der Union geht der Streit um die Steuerpolitik dennoch munter weiter. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) wies gestern die Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer zurück, im Wahlprogramm ein konkretes Datum für geplante Steuersenkungen festzulegen.

Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) erklärte im Interview mit dieser Zeitung, für weitere Steuersenkungen oder staatliche Konjunkturprogramme sei angesichts der schwierigen Zeiten kein Platz. Er lobte ausdrücklich den Bundesfinanzminister: "Ich wüsste zurzeit nicht, ob ein anderer sich besser schlagen würde als er."

Weser Kurier vom 25.06.2009


Berlin keilt, Bremen kontert 

Schlagabtausch zwischen Sarrazin und Linnert - Böhrnsen-Brief zur Haushaltslage

Von Michael Brandt und Wigbert Gerling

Berlin gegen Bremen - ein Nordduell mit aggressiven Angriffen. In der Sturmspitze: Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin auf der einen, seine Amtskollegin Karoline Linnert auf der anderen Seite. Der Berliner keilte, Bremen habe die Finanzhilfen mit "ungezügelter Ausgabenwirtschaft verpulvert", Linnert konterte, Berlin sitze "im Glashaus" und argumentiere "befremdlich" bis "völlig absurd".Rot-grün ist die Bremer Regierung, rot gegen grün markierte gestern die Konfliktlinie. Rund zwei Wochen vor der Schaffermahlzeit, bei der der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit in Bremen die traditionelle Mischung aus Stockfisch und Braunkohl einnehmen wird, nahm sich sein sozialdemokratischer Finanzsenator Sarrazin die Hansestädter zur Brust.

Ausgangspunkt waren Überlegungen aus Baden-Württemberg, wonach armen Ländern wie Bremen geholfen werden sollte, wenn es gelte, die Last aufgehäufter Schulden zu lindern. Das ließ Sarrazin nicht ruhen: "Eine Altschuldenhilfe für die Länder darf nicht dazu führen, dass fortgesetzte Misswirtschaft subventioniert wird", legte er per Presseerklärung los. Der Bund habe Bremen bereits "mit gigantischen Beträgen geholfen" - es seien Sanierungshilfen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro an die Weser geflossen. Würde man dies auf die Bevölkerungszahl von Berlin hochrechnen, hätte das Land an der Spree einen Anspruch auf über 30 Milliarden. Der Finanzsenator hob schließlich noch hervor, dass Berlin "seine Hausaufgabe gemacht" und dabei die Ausgaben "radikal begrenzt" habe.

Der Bremer Kollegin Karoline Linnert fiel sogleich ein Sprichwort ein: "Wer im Glashaus sitzt..." Nicht zuletzt angesichts der "milliardenschweren Berliner Bankenpleite sei die Attacke Sarrazins "äußerst befremdlich". Finanzsenatorin Linnert: "In vielen Bereichen leistet sich Berlin höhere Ausgaben als Bremen." In Berlin betreue ein Lehrer rechnerisch 15,1 Schüler, in Bremen 17,3. Sarrazin scheitere mit seinem Versuch, "Berlin als Musterknaben zu präsentieren".

Wie es um den Bremer Haushalt bestellt ist, diese Frage ist auch Teil der Senatsberatungen, die am Dienstag stattfinden. Es soll, so der jetzige Stand der Dinge, ein dicker Stapel an Unterlagen zur Föderalismuskommission II beraten werden. Denn: Im Herbst hatte die Kommission die Länder angeschrieben und sich detailliert nach dem Stand der öffentlichen Verschuldung erkundigt. Das Antwortschreiben von Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) an die Kommissionsvorsitzenden Peter Struck (SPD) und Günther Oettinger (CDU) liegt uns im Entwurf vor. Wenig überraschende Kernaussage: Obwohl alle Anstrengungen unternommen würden, könne Bremen im Zeitraum bis 2019 den Haushalt objektiv nicht aus eigener Kraft ausgleichen.

Weser Kurier vom 26.01.2008


Schulden wachsen ungebremst

Senat beschließt Finanzrahmen bis 2011 - Kaum Spielräume für Investitionen

Von Michael Brandt

Trotz aller Anstrengungen - Bremen rutscht immer tiefer in die Schuldenfalle. Im nächsten Jahr schiebt der Stadtstaat einen Schuldenberg von 14,4 Milliarden Euro vor sich her, die 16-Milliarden-Grenze wird dann voraussichtlich 2011 erreicht sein. 2008 wird Bremen allein 626 Millionen Euro ausgeben müssen, um Zinsen zu bezahlen. Gestern hat Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) den Finanzrahmen bis 2011 präsentiert.

Finanzsenatorin Linnert (Grüne)Die Hansestadt bekommt die wachsende Zinslast nicht in den Griff. Allein um die Zinsen zu tilgen, müssen neue Kredite aufgenommen werden. Linnert deshalb: "Das ist die Kernzahl des Bremer Debakels." Auch das Etappenziel, Eingaben und Ausgaben (ohne Zinsen) ausgewogen zu gestalten, würde nicht dazu beitragen, die "galoppierende Staatsverschuldung" in den Griff zu bekommen. 2009 soll der sogenannte Primärsaldo ausgeglichen sein.

Die Finanzfachleute gehen dabei einerseits davon aus, dass die Bremer Einnahmen kontinuierlich ansteigen. Im nächsten Jahr sollen knapp 3,2 Milliarden Euro in die Kasse kommen, im Jahr 2009 dann knapp 3,4 Milliarden. Andererseits werden bei den Ausgaben vor allem die Investitionen im Vergleich zu vergangenen Jahren reduziert. Der Senat hat sich gestern dazu auf die groben Investitionszahlen für den kommenden Doppelhaushalt geeinigt. Generell leiste sich Bremen laut Linnert im Vergleich zu anderen Großstädten immer noch eine hohe Investitionsquote.2008 will Bremen demnach 454 Millionen Euro investieren. Dabei liegen die Anmeldungen der Ressorts rund 130 Millionen Euro über dem Eckwert. Verschärft wird das Problem dadurch, dass von den 454 Millionen Euro Investitionsmitteln bereits 352 Millionen durch frühere Entscheidungen gebunden sind.

Dennoch sind laut Karoline Linnert Spielräume vorhaben. "Hier wird nicht alles kaputt gespart. Das ist nicht so." Als Beispiele nannte sie die notwendige Sanierung der Justizvollzugsanstalt und den Kunsthallenanbau.

Schließlich hat die grüne Finanzsenatorin gestern den sogenannten "Benchmarking-Bericht" für 2007 vorgelegt. Darin wird Bremen detailliert mit anderen Großstädten und Ländern verglichen. Auf 150 Seiten findet sich eine Fülle von Material. So ist zum Beispiel der Arbeitsplatzabbau von 2001 bis 2006 in Bremen unterdurchschnittlich gewesen. Hingegen arbeiten in Bremen im Vergleich zu den Stadtstaaten Hamburg und Berlin deutlich mehr Pendler.

Bei der Polizeidichte nimmt Bremen Rang fünf von elf Vergleichsstädten ein. Als kritisch bewertete Karoline Linnert, dass Bremen hingegen bei den Ausgaben pro Schüler und bei den Kulturausgaben am unteren Ende der Skala rangiere. Auch bei den Ausgaben pro Studierendem könne man "nicht weiter kürzen, um die Qualität nicht zu gefährden".

Weser Kurier vom 12.12.2007


"Große Koalition bot Angriffsflächen"

Interview mit Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) zu den überregionalen Attacken gegen Bremen

Attacken erst von anderen Bundesländern, dann auch vom Bund gegen die bremische Haushaltsführung - das Land Bremen, das vor dem Verfassungsgericht eine Finanzhilfe erstreiten will, bekommt es derzeit knüppeldick. Nach dem politische Trommelfeuer sprach unser Redakteur Wigbert Gerling mit Bürgermeister Jens Böhrnsen.

Frage: Das Land Bremen fordert finanzielle Hilfe von anderen ein, aber es sieht so aus, als stehe es inzwischen auf verlorenem Posten, ohne Verbündete?

Jens Böhrnsen: Bremen hat gute Argumente und auch gute Freunde unter den anderen Ländern und beim Bund. Niemand darf sich ins Bockshorn jagen lassen, wenn Stellungnahmen, die nun bei Gericht eingehen, kritisch ausfallen. Ein solches Verfahren wird nicht mit Samthandschuhen geführt. Am Ende aber entscheiden die Richter.

Und wo sind die Bremer Freunde beim Ringen um mehr Geld?

In der Frage der Kosten für die Seehäfen zum Beispiel stehen die norddeutschen Länder zusammen, die meinen, der Bund müsse sich mehr beteiligen. Gemeinsamkeit gibt es auch mit Ländern, deren hohe Wirtschaftskraft sich - wie in Bremen - nicht in den Steuereinnahmen widerspiegelt. Darüber sind wir etwa mit Baden-Württemberg im guten Gespräch.

Sorgt es Sie nicht, dass das Land Berlin gleichwohl in Karlsruhe erst vor wenigen Monaten richtig untergegangen ist - mit ähnlichem Begehren wie Bremen?

Richtig ist, dass nach dem Berlin-Urteil die Latte höher liegt. Aber das, was jetzt gegen die bremische Finanzpolitik vorgebracht wurde - zuletzt vom Bund -, das war polemisch, milde gesagt. Es ist doch absurd, wenn gefordert wird, dass Bremen bei einem Etat von etwa vier Milliarden Euro noch eine Milliarde einsparen könnte. Das nenne ich akademisches Geschwafel. Ich lade die Kritiker nach Bremen ein. Sollen sie doch hier in den Stadtteilen konkret überprüfen, ob wir zum Beispiel für Soziales und Bildung zu viel ausgeben. Bremen liegt bei den konsumtiven Pro-Kopf-Ausgaben niedriger als der Stadtstaat Hamburg und erst recht als Berlin.

Wurmt es Sie, dass Sie immer auch damit zu tun haben, die Finanzpolitik der vergangenen großen Koalition zu rechtfertigen?

Man muss ganz klar einräumen, dass die Politik der großen Koalition auch Angriffsflächen für Kritik geschaffen hat. Es war zwar richtig, viel für die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur zu tun, aber die frühere Koalition hat bei den Investitionen an einigen Stellen übertrieben. Wir haben uns da so manches nicht leisten können und dürfen. So taucht in jedem Schriftsatz für das Verfassungsgericht der Space Park auf. Er ist überregional das Negativ-Symbol für bremische Investitionspolitik geworden, das uns um die Ohren gehauen wird. Und auch die teilweise mangelnde Transparenz in der Haushaltspolitik der großen Koalition stößt zu Recht auf Kritik. Aber es geht nicht darum, die Vergangenheit zu bewältigen - ich schaue in die Zukunft. Wir wollen mit Argumenten überzeugen. Wir haben für Transparenz im Haushalt gesorgt, da kann man in jede Ecke hineinleuchten. Unser Haushalt ist jetzt bundesweit vorzeigbar. Die rot-grüne Regierung hat sich ganz ambitioniert vorgenommen, dass sie die erste ist, die in den kommenden vier Jahren weniger ausgibt als die Regierung zuvor. Wir sparen und setzen dennoch Schwerpunkte - bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, bei Soziales und Bildung.

Der Bundestagsabgeordnete Volker Kröning hat nun vorgeschlagen, die Klage in Karlsruhe mangels Aussicht auf Erfolg lieber schnell zurückzunehmen.

Es gehört gewiss nicht zu den taktischen Meisterleistungen, wenn man öffentlich darüber redet, ob man eine Klage aus Ängstlichkeit vor den Argumenten anderer zurücknimmt. Ich bin von unseren Argumenten zugunsten einer finanziellen Hilfe für Bremen überzeugt.

Weser Kurier vom 15.08.2007


Nächstes Gutachten, nächster Tiefschlag

Böhrnsen bezeichnet Kritik des Bundes als "realitätsblind und weltfremd" - Bund verurteilt Investitionspolitik

Von Michael Brandt

Im Tonfall moderat, inhaltlich deshalb nicht weniger happig. Seit gestern liegt die Stellungnahme des Bundes zur Klage in Karlsruhe vor. Sie lässt weder ein gutes Haar an der bisherigen Sanierungspolitik des Landes, noch sieht sie einen Anspruch Bremens auf finanzielle Hilfe der Ländergemeinschaft. Finanz-Staatsrat Henning Lühr mahnte dennoch "konzentrierte Gelassenheit" an." Die Strategie, durch höhere Investitionsausgaben die Steuereinnahmen nachhaltig zu steigern, schlug fehlt", heißt es in der 70 Seiten umfassenden Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten Christian Waldhoff.

Diese Strategie sei von Bremen "eigenverantwortlich ins Werk gesetzt" worden. Bremen hatte sich bisher regelmäßig darauf berufen, dass alle Sanierungsschritte mit dem Bund abgesprochen gewesen seien.An anderer Stelle vergleicht das Gutachten die Bremer Ausgaben mit denen des Stadtstaats Hamburg. Ein Beispiel: Im Jahr 2005 lagen die Investitionsausgaben pro Einwohner in Bremen bei 1138 Euro, in Hamburg bei 624 Euro. Schließlich erhebt der Bund den Vorwurf, Bremen würde nicht nur zu viel Geld ausgeben, sondern habe auch die Anstrengungen nicht ausreichend dargelegt, die Einnahmen zu erhöhen.

Gemeint sind damit explizit die Anhebung von Gebühren, Gewerbe- und Grundsteuern sowie weitere Verkäufe und Privatisierungen. Staatsrat Lühr erteilte gestern bereits einer Anhebung von Kita-Gebühren eine Absage: "Das führt zu einer sozialen Schieflage in der Stadt. Das wollen wir nicht. Die neue Koalition ist mit anderen Zielen angetreten." Er fasste die Kernaussage des Berichts so zusammen: "Entweder ihr schafft es selbst oder ihr schließt euch einem anderen Land an." "Der Bund liegt falsch, wenn er mit solchen oberflächlichen Zahlenspielereien die Haushaltsnotlage des Landes Bremen beurteilen will."

Mit diesen Worten bezog gestern außerdem Bürgermeister Jens Böhrnsen Stellung zu den Waldhoff-Aussagen. So moniert er, dass das Gutachten zwar die hohen Sozialausgaben Bremens kritisiere, dabei aber nicht beachte, dass auch die Zahl der Sozialhilfeempfänger hier überproportional hoch sei. Als "realitätsblind und weltfremd" stufte Böhrnsen die Kritik der Gutachter daran ein, dass Bremen die laufenden Kosten bis 2009 lediglich konstant halten wolle. Bremen habe an vielen Stellen bereits "bis auf den Knochen" gespart.

Für die Hansestadt ist das Berliner Gutachten bereits der zweite Tiefschlag innerhalb kürzester Zeit. Anfang August war die Stellungnahme der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen publik geworden. Finanzwissenschaftler kamen darin zu dem Schluss, Bremen könne den Haushalt aus eigener Kraft konsolidieren. Sie hatten für Bremen ein weiteres jährliches Einsparpotenzial von einer Milliarde errechnet. In der Finanzbehörde haben gestern bereits die Fachleute damit begonnen, eine Entgegnung auszuarbeiten. Lühr: "Bei einer fairen Betrachtung wird deutlich, dass Bremen erhebliche Eigenanstrengungen unternimmt, sich aber ohne Hilfe der Länder und des Bundes nicht aus der Haushaltsnotlage befreien kann."

Weser Kurier vom 10.08.2007


Scharfe Kritik aus Sachsen - wachsender Zorn in Bremen

Streit über Gutachten zur Haushaltsnotlage geht in die nächste Runde - CDU warnt Regierungskoalition

Von Michael Brandt

"So viel kann gesagt werden: Die angespannte Bremer Haushaltslage ist und bleibt hausgemacht." So heißt es in einer Erklärung des sächsischen Finanzministeriums in Dresden angesichts des aktuellen Gutachter-Streits. Wie berichtet, war in dieser Woche eine Expertise der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen publik geworden. Vor dem Hintergrund der Bremer Klage in Karlsruhe bezweifeln die Länder, dass Bremen in einer Haushaltsnotlage steckt.Jetzt legt Sachsen ordentlich nach: "Bremen kann aus unserer Sicht nicht ausreichend darlegen, dass es alle Möglichkeiten zur Lösung seiner Haushaltsprobleme ausgeschöpft hat." Im Gegenteil: Die Länder sehen an der Weser "noch erheblichen eigenen Handlungsspielraum." Es sei lediglich zu erkennen, dass "manche überzogene Ausgabe der Vergangenheit" inzwischen reduziert würde. In Bremen hat das Gutachten, das der Prozessbevollmächtigte der genannten Länder, Professor Ulrich Häde aus Frankfurt, vorgelegt hat, für weitere Reaktionen gesorgt. CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp nannte das Papier ein "Gefälligkeitsgutachten" und bescheinigte den Wissenschaftlern ein "hohes Maß an Ignoranz". Die Schwellenwerte, anhand derer Bremen in dem Gutachten gemessen werde, seien willkürlich ausgewählt, und die Eigenanstrengungen Bremens würden nicht berücksichtigt. Der Oppositionsführer erklärte an die rot-grüne Regierung gerichtet, diese sei jetzt in der Pflicht, "den selbst verursachten Spagat zwischen ideologisch bedingten Ausgabenwünschen und der finanzpolitischen Solidität zu meistern." "Das Gutachten geht in weiten Teilen völlig an der Realität vorbei", urteilt der FDP-Fraktionsvorsitzende Uwe Woltemath. Er bleibt aber auch bei der bisherigen Einschätzung der Liberalen: "Bremens Probleme lassen sich nicht vor Gericht lösen." Woltemath fordert in diesem Zusammenhang unter anderem die Novellierung des Personalvertretungsgesetzes und den Verkauf der städtischen Gewoba-Anteile. Klaus-Rainer Rupp, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken, schließlich befindet: Eine Einsparung von einer Milliarde Euro, wie im Gutachten dargestellt, "wäre nur möglich um den Preis der Zerstörung des sozialen Fundaments dieser Stadt". Wer dies fordere, der wolle eine andere Gesellschaft ohne sozialen Anspruch. Und die Arbeitnehmerkammer hält die im Gutachten genannten Einsparpotenziale wie schon tags zuvor Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) für "absurd". Der Bremer Haushalt bewege sich bereits jetzt am Rande der gesetzlichen Möglichkeiten. In einer Erklärung heißt es, im Gutachten würden nicht nur Äpfel mit Birnen verglichen, zusätzlich werde noch mehrfach in die falsche Obstkiste gegriffen.

Weser Kurier vom 03.08.2007


Länder zweifeln an Bremer Notlage

Gutachten: Bremen kann Haushalt allein in den Griff bekommen - Böhrnsen und Linnert reagieren empört

Von Michael Brandt

Bremen hat noch Einspar-Potenziale von einer Milliarde Euro pro Jahr. Diese Auffassung vertreten Wirtschaftswissenschaftler in einem Gutachten, das mehrere Bundesländer in Auftrag gegeben haben. Hintergrund ist die Bremer Klage auf Finanzhilfe beim Bundesverfassungsgericht. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist stocksauer. Er bezeichnete das Papier gestern als "akademisches Geschwafel". Professor Lars P. Feld von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und der Prozessbevollmächtigte der Gegner-Länder, Professor Ulrich Häde, lassen kein gutes Haar an den Bemühungen Bremens, die Haushaltsnotlage in den Griff zu bekommen. Feld hat sich im Auftrag von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen die Situation des kleinsten Bundeslandes angesehen.

Grob zusammengefasst vertritt er die These: Bremen geht es überhaupt nicht schlecht genug, um eine "extreme Haushaltsnotlage" vor Gericht geltend zu machen. So werfen die Gutachter Bremen zum Beispiel vor, dass die Sozialausgaben hier zwischen 2000 und 2004 um 16, 2 Prozent gestiegen seien, während sie in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin stagnierten. Als "deutlich aufgebläht" bezeichnen die Wissenschaftler beispielsweise auch den Personalbestand an Hochschule und Universitäten. Alles in allem lägen die Ausgaben pro Einwohner über denen Hamburgs und Berlins und weit über denen der Flächenstaaten. Nähme sich Bremen jeweils den sparsamsten Stadtstaat zum Vorbild, sagt Professor Feld, ließen sich mehr als 541 Millionen Euro pro Jahr sparen.
Das aber reicht nicht: Wer bundesstaatliche Hilfe einfordere, dürfe sich nicht am Ausgabenniveau seiner reichen Nachbarn orientieren. Auch die Bremer Sanierungsstrategie seit 1993 - Stärkung der Wirtschaftskraft durch öffentliche Investitionen - greifen die Heidelberger an. Das Gesamturteil des Gutachtens steht den bisherigen Einschätzungen des Rathauses direkt entgegen. Es könne keine Haushaltsnotlage festgestellt werden, heißt es. Und: "Bremen kann seinen Haushalt aus eigener Kraft konsolidieren."

Jens Böhrnsen nannte allein die Vorstellung abwegig, Bremen könne bei einem Ausgabenvolumen von vier Milliarden Euro - allein eine Milliarde Euro für Personal - eine weitere Milliarde einsparen. Dies entlarve die Gutachter. Die Verfasser hätten offenbar eher die Zielvorgaben ihrer Auftraggeber befolgt als wissenschaftliche Sorgfalt walten zu lassen. Böhrnsen lädt die Heidelberger Wissenschaftler ein, ihren Elfenbeinturm zu verlassen und "vier Wochen Politik in einem Haushaltsnotlageland mit konkreten sozialen Herausforderungen zu begleiten". Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) stellte gestern die Methode des Feld-Gutachtens in Frage.

Der reine Zahlen-Vergleich mit anderen Ländern sei eine "wissenschaftliche Spielerei" und habe mit der politischen Wirklichkeit nichts gemein. Wenn man die Einsparungen des Gutachtens in die Wirklichkeit umsetzen würde, dann ruiniere man Bremen. Nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag: Man könne ja auch das Bremer Ausgabenniveau für die Bereiche Landwirtschaft und Forsten als Maßstab für Bayern nehmen. Bremen hat seinen Schriftsatz zur Klage im März dieses Jahres vervollständigt und abgeschickt.

Die grundlegenden Argumente liegen zwar schon einige Monate länger in Karlsruhe, das Rathaus hatte sich aber entschieden, auf 56 Seiten noch einmal nachzubessern. Grund dafür war, dass Berlin von den Karlsruher Richtern mit einer ähnlichen Klage eine Abfuhr kassiert hatte. Mit einer Entscheidung über den "Fall Bremen" wird für 2008 gerechnet.

Weser Kurier vom 02.08.2007


Grüne: Senat muss Stellung zur Finanzpolitik beziehen

Reaktion auf kritische Gutachten - Forderung nach mehr Ehrlichkeit

Von Wigbert Gerling

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karoline Linnert, verlangt vom Senat, dass er in der nächsten Bürgerschaftssitzung zum Gutachten anderer Bundesländer über Bremens Finanzpolitik in einer Regierungserklärung "Stellung bezieht". Die Landesregierung solle dabei auch die weitere Strategie für die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erläutern. Linnert: " Nur so kann die Öffentlichkeit beurteilen, ob der Senat wenigstens jetzt in dieser für Bremen überlebenswichtigen Frage die richtigen Schritte ergreift." Wie berichtet, ist in Karlsruhe ein Verfahren anhängig, mit dem Bremen die Grundlage für weitere Finanzhilfen des Bundes erstreiten will. Vor diesem Hintergrund hatte Stefan Korioth, Fachmann am Lehrstuhl für öffentliches Recht in München, mit der Vollmacht von acht Bundesländern die bremische Finanzpolitik der vergangenen Jahre bewertet und war zu einem geradezu vernichtenden Urteil gekommen. Das Bundesland habe es "praktisch völlig unterlassen", die Sanierung des Haushalts auch nur in Angriff zu nehmen. Die Strategie, über Investitionen zur Schuldentilgung zu kommen, sei "von Anfang an erkennbar verfehlt" gewesen und auch erfolglos geblieben. Vielmehr sei Geld "vergeudet" worden. Karoline Linnert bezeichnete das Korioth-Gutachten als "Kampfschrift gegen Bremen". Der Verfasser habe "wenig Mühe auf differenziertes Argumentieren verwendet". Die Grünen blieben dabei: Bremen sei im Wesentlichen unverschuldet in die Haushaltsnotlage geraten. Allerdings habe die große Koalition aus SPD und CDU "durch jahrzehntelange Haushaltstrickserei" eine solche "Kampfschrift" begünstigt. Zinsen und Personalausgaben seien zum Teil als Investitionen verbucht worden. "Dieses Gebaren - von den Grünen jahrelang angeprangert - wird nun zur Belastung für Bremen und bedroht den Erfolg unserer Klage", erklärte gestern Karoline Linnert. Deshalb müsse der Senat nun unverzüglich mit einer Regierungserklärung die Position des Landes klarstellen. Die Fraktionschefin kommentierte überdies ein Gutachten zur rechtlichen Substanz des sogenannten Kanzlerbriefs, auf dessen Grundlage Bremen über Jahre auf Millionenzahlungen aus Berlin spekuliert und einen entsprechenden Betrag, der niemals kam, auch schon in den Haushalt eingestellt hatte. Es ging um über 500 Millionen Euro im Etat für 2005. Zuvor allerdings war bereits eine Expertise eingeholt worden, die zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Kanzlerbrief rechtlich auf tönernen Füßen stehe und nicht zu großen Erwartungen berechtigen könne. Die Grüne Karoline Linnert erklärte dazu, es sei ein "finanzpolitischer Sündenfall ersten Ranges gewesen", dass der Senat die via Kanzlerbrief erwarteten gut 500 Millionen Euro bereits in den Haushalt eingestellt habe. Auch dieser "Geniestreich" der großen Koalition werde "Bremen schaden". Der FDP-Landesvorsitzende Uwe Woltemath sprach gestern in Bremen mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Liberalen, Rainer Brüderle, über die Finanzlage des kleinsten Bundeslandes. Beide seien sich einig gewesen, so hieß es anschließend, dass die Selbstständigkeit des Landes "nicht zur Disposition" stehe. Der Senat aber habe es nicht geschafft, die Haushaltsdefizite "auch nur annähernd zu beseitigen". SPD und CDU hätten es zu verantworten, dass Bremen beim Bemühen, die Selbstständigkeit zu erhalten, heute einen schwereren Stand habe als vor zwölf Jahren. Woltemath: "Bremen braucht dringend mehr Ehrlichkeit und eine neue, glaubwürdige Sanierungsstrategie." In den neuen Gang vor das Verfassungsgericht setze die FDP "wenig Hoffnung".

Weser Kurier vom 15.03.2007


Milliardenschulden drücken

Ein Teil schlummert in GmbHs - Experte: Bremer Haushalt ist relativ transparent 

Von Bernd Schneider

Die Kommunen weisen nur gut die Hälfte ihrer Schulden im Kernhaushalt aus. 43 Prozent schlummern in ausgegliederten Betrieben. Das zeigen Studien der Bertelsmann-Stiftung. Für die Stadtstaaten seien solche Angaben schwer zu machen, heißt es, die Finanzen von Land und Stadtgemeinden ließen sich nicht ohne Weiteres trennen. Bremens Finanzressort spricht von rund 1,4 Milliarden Euro Schulden in öffentlichen Betrieben.13,5 Milliarden Euro Miese hatte Bremen Ende 2006 im Kernhaushalt. Wegen der 200 Gesellschaften sowie diverser Eigenbetriebe - etwa die Kliniken - kommen nochmals über zehn Prozent oben drauf. Damit landet das Land Bremen bei einem Minus von etwa 15 Milliarden Euro Ende 2006.Nach der Bertelsmann-Studie lag der ausgegliederte Anteil an den Schulden sogar bei 20 Prozent. Gemessen an vergleichbaren Großstädten, sei das allerdings immer noch relativ wenig, sagt Gerhard Micosatt, Leiter der Studie. "Dort liegt der Anteil oft bei 40, 50 Prozent." Im Vergleich dazu seien die Verhältnisse in Bremen "wesentlich transparenter". Wo Müllabfuhr, Krankenhäuser und Schwimmbäder ausgelagert werden, sei die Verlockung für die Kommunen groß, in diesen Gesellschaften Schulden zu verstecken, sagt Micosatt. So werde schon einmal das gesamte Kanalnetz an eine städtische GmbH verkauft. Die müsse den Deal mit Krediten finanzieren - und leite damit frisches Geld ins Stadtsäckel. Bremen dagegen verschuldet sich im Kernhaushalt. Die Verbindlichkeiten in den Gesellschaften und Eigenbetrieben sinken seit Jahren leicht, der Schuldenberg im Haushalt dagegen wächst seit Ende des Sanierungszeitraumes (2004) um eine Milliarde Euro jährlich: von 12,8 Milliarden (2004) auf 13,8 Milliarden (2005) und schließlich 14,8 Milliarden (2006) - die Verbindlichkeiten der Gesellschaften sind mit eingerechnet. So jedenfalls die Angaben aus dem Finanzressort. Ein Viertel aller Ausgaben finanziert Bremen folglich über Kredite. Bereits im November hatte die Bertelsmann-Stiftung vorgerechnet: Wenn das Land seine Schulden bis 2020 nur stabil halten will, muss es sofort 22 Prozent seiner Ausgaben streichen. "Dies entspräche 62,6 Prozent der Personalausgaben", heißt es in dem Bertelsmann-Bericht. Dort waren die Schulden der Gesellschaften noch nicht einmal eingerechnet. Kein Bundesland müsste nur annähernd so drastisch sparen. Berlin, Rang zwei unter den Überschuldeten, müsste nur rund 15 Prozent seiner Ausgaben kürzen. Über solche "finanzwirtschaftlichen Monopoly-Spiele" kann sich Bremens Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) allerdings nur ärgern. Bertelsmann solle sich "auf ordentliche Politikberatung" zurückbesinnen. "Wir brauchen keine abstrakten Ratschläge", so der Senator. "Uns wäre mit konstruktiven Vorschlägen besser gedient".

Weser Kurier vom 20.02.2007


"Bremen ist ein anderer Fall als Berlin" 

Interview mit dem bayerischen Finanzminister Kurt Faltlhauser und Bremens Finanzsenator Ulrich Nußbaum

Immer wieder gab es in der Vergangenheit kritische Töne aus Bayern, wenn es um Bremen ging. Gestern war, begleitet von Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der Bayerische Staatsminister der Finanzen, Kurt Faltlhauser, zu Gast beim Schaffermahl. Vorher sprach unser Redakteur Wigbert Gerling mit den beiden Finanzpolitikern. Faltlhauser wandte sich energisch dagegen, die Eigenständigkeit Bremens anzutasten

Frage: Sie bekommen heute zum Schaffermahl in Bremen ein gutes Essen - kann das kleinste Bundesland erwarten, dass es auch weiterhin etwas von den Bayern bekommt?

Kurt Faltlhauser: Bremen erhält regelmäßig so viel von Bayern, dass eigentlich Dankprozessionen angebracht wären. Unser Land war 2006 mit einem Beitrag von 2,1 Milliarden Euro mit Hessen der größte Einzahler in den Länderfinanzausgleich.

Das könnte man auch als Rückzahlung einstufen, schließlich war Bayern einst viele Jahre Empfängerland.

Das stimmt - aber es stimmt auch, dass wir vor Jahrzehnten, umgerechnet in Euro, 3,4 Milliarden bekommen und inzwischen schon 21 Milliarden zurückgezahlt haben. Ich stelle derzeit mit Genugtuung fest, dass die Steuereinnahmen der schwächeren Länder stärker anziehen als die der wohlhabenderen. Dennoch möchte ich nicht in der Haut Ihres Finanzsenators Ulrich Nußbaum stecken.

Und umgekehrt, Herr Nußbaum?

Ulrich Nußbaum: Ich bleibe lieber Bremer Finanzsenator. Und Herr Faltlhauser macht das so gut in Bayern, da wäre es unnötig, in seine Rolle zu schlüpfen . Im übrigen sind unsere Steuereinnahmen um rund zehn Prozent angestiegen. Damit können wir aber keine Schulden abbauen.

Herr Faltlhauser, wie erklären Sie sich denn die günstige Entwicklung in Bremen?

Bremen hat in der Vergangenheit viele Schulden aufgebaut. In letzter Zeit hat das Bundesland seinen Haushalt wirklich ordentlich konsolidiert. Respekt vor dieser Durchsetzungskraft. Das ist das Ergebnis einer guten Arbeit der großen Koalition. Ohnehin ist Bremens Ruf besser geworden, auch bei uns in München. Früher wurde zum Beispiel immer mit Verachtung auf die Bremer Universität geguckt - das ist völlig weg.

Stichwort "weg": Manche Politiker, auch aus Süddeutschland, verschaffen sich gern einen Medienauftritt, wenn sie fordern, das Bundesland Bremen gehöre weg.

Ich halte das für schlichten Unsinn. Wir Bayern sind stolz auf unsere Geschichte, und genauso sind die Bremer geschichtsbewusst und stolz. Bremen ist mit Sicherheit kein künstliches Gebilde, und die Forderung nach Abschaffung dieses Bundeslandes ist einfach absurd, unhistorisch.

Langsam läuft die Arbeit in der Föderalismuskommission II an, die die Finanzbeziehungen zwischen den Ländern neu ordnen will. Bremen hofft, am Ende konkret mehr in der Kasse zu haben. Zu Recht - oder überzogene Hoffnung?

Ich schaue mit skeptischer Neugier auf das, was sich in der Föderalismuskommission II entwickelt. Man wird sich die Finanzverfassung im Grundgesetz ansehen, man wird sich mit Regeln für die Verschuldung befassen. Fast alle Länder haben sich das Ziel gesetzt, einen ausgeglichenen Haushalt zu bekommen. Diese Bemühungen machen natürlich den Spielraum für Sonderzahlungen an andere Länder geringer. In der Föderalismuskommission II dürfte es auch um so etwas wie einen Stabilitätspakt gehen. Es ist doch eigenartig, dass es Stabilitätskriterien zwar auf der europäischen Ebene gibt, für Deutschland aber nicht. Und an dieser Stelle wird es dann ganz ernst. Ich meine den Vorschlag, in diesem Zusammenhang einen "Bereinigungspakt" zu schließen, nach dem Motto: die Schulden aller Länder kommen in einen Topf, und gemeinschaftlich sorgen Bund und Länder dafür, dass sie abgetragen werden. Ich halte dies für nicht wahrscheinlich. Wir haben das für Bayern einmal genauer geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich damit unsere Finanzausgleichszahlungen verdoppelten. Aber die richtige Sachdebatte hat ja noch nicht begonnen.

Das dürfte, Herr Nußbaum, einen Bremer Finanzsenator nicht gerade zukunftsfroh stimmen.

Ulrich Nußbaum: Ob das nun "Bereinigungspakt" heißt oder anders etikettiert wird - ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen. dass die Schulden des einen Landes einem anderen aufgedrückt werden. Das ist unrealistisch und kann nicht die Lösung sein, auch nicht, wenn der Ausgleich mit einem großen Bremer Eigenbeitrag flankiert wird. Aus meiner Sicht brauchen wir vor allem auch Instrumente, die dafür sorgen, dass wir nicht sofort wieder abrutschen, wenn es gelungen ist, den Haushalt zu konsolidieren.

Die Schere zwischen armen und reichen Ländern ist im vergangenen Jahrzehnt auseinander gegangen. Wo müsste die Kommission ansetzen, um den Trend umzukehren?

Kurt Faltlhauser: Wir wollen nicht, dass unter den Ländern die finanzielle Kluft zu groß wird. Sehen Sie: Herr Nußbaum hat damit zu kämpfen, dass über 13 Prozent seines Haushalts für Zinszahlungen ausgegeben werden müssen. Bei uns in Bayern liegt diese Zinsquote unter drei Prozent. Und diese rund zehn Prozent Unterschied zeigen genau das Grundproblem. Denn mit dieser Differenz, die wir eben nicht zur Bank bringen müssen, können wir etwas für Bayern tun, etwas bewegen.

Das Land Berlin ist vor das Bundesverfassungsgericht gegangen, um Finanzhilfen zu erstreiten. Das Ergebnis: Eine Abfuhr auf der ganzen Linie. Sehen Sie das als Präjudiz für den Ausgang der Bremer Klage?

Kurt Faltlhauser: Ich werde mich hüten, eine Vorhersage zu machen. Die Karlsruher Richter hatten ja bereits vor Jahren festgestellt, dass Bremen ein Haushalts-Notlagenland ist. Insoweit ist Bremen ein anderer Fall als Berlin.

Weser Kurier vom 10.02.2007


Bremen eröffnet Finanzpoker

Mit einem Brief an alle Länderchefs will Bürgermeister Böhrnsen Blockaden lösen

Von Dietrich Eickmeier

Es ist womöglich die letzte Chance für Bremen im Überlebenskampf. Denn im nächste Woche beginnenden Finanzpoker von Bund und Ländern wird sich zeigen, ob der hoch verschuldete Stadtstaat die Chance für einen Neustart erhält. Konkret: Es geht beispielsweise darum, wie viele Lehrer, Sozialarbeiter oder Erzieher Bremen in Zukunft bezahlen - und wie viel Nahverkehr, Kliniken oder Studenten sich die Hansestadt leisten kann. Im Bremer Rathaus spricht man schon von einem "historischen Durchbruch", dass es überhaupt zu den Verhandlungen kommt. Denn danach sah es lange Zeit in Berlin mangels Interesse der reichen Bundesländer nicht aus. Nun aber werden am kommenden Mittwoch in einer Ministerpräsidentenkonferenz die Weichen für eine 32-köpfige Bund-Länder-Kommission unter Vorsitz von SPD-Fraktionschef Peter Struck und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) gestellt, die Bundestag und Bundesrat zwei Tage später zur Neuregelung der Finanzbeziehungen einsetzen wollen. Um die Besetzung wird noch gerangelt. Fest steht nur, dass die Minister Peer Steinbrück (Finanzen), Brigitte Zypries (Justiz), Wolfgang Schäuble (Innen) und Tho-mas de Maizière (Kanzleramt) gesetzt sind. Und dass Bürgermeister Jens Böhrnsen nicht allein für Bremen steht. Er erhält Verstärkung durch Volker Kröning, der als Obmann die SPD-Bundestagsfraktion vertritt. Man wolle in dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen, versichert Struck, auch wenn sich dafür noch kein inhaltliches Konzept abzeichnet. Der Bremer Bürgermeister freilich sieht darin, "dass wir nach wie vor ganz am Anfang stehen", die Chance, alte Blockaden zu überwinden. In einem Brief appelliert Böhrnsen an die Regierungschefs aller Bundesländer daran, die "jeweils seit Jahrzehnten bekannten Positionen" nicht zu wiederholen und "keine Zeit auf die Diskussion unrealistischer Positionen zu verschwenden". Er bemüht sich darum, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem er in seinem Brief eine Brücke zwischen bremischen und gesamtstaatlichen Interessen zu bauen versucht. Und dabei anderen Ländern entgegenkommt. Böhrnsen ist bereit, Verschuldungs-Obergrenzen zu akzeptieren, ebenso ein "Diagnose-, Frühwarn- und Sanktionssystem", um Haushaltsnotlagen verhindern zu können. Voraussetzung dafür sei aber, so Böhrnsen, dass zunächst ein Zustand geschaffen werde, der die Einhaltung solcher Grenzen möglich mache. Das heißt: gleiche Ausgangsbedingungen für alle. Ansatz für einen solchen finanziellen Neubeginn könne ein Entschuldungskonzept sein, wie es von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff ins Gespräch gebracht worden ist. Dieses Konzept aber müsse ergänzt werden durch einen Ausgleich für regionale Sonderbelastungen, im Fall Bremens also für die hohen Sozialhilfekosten und die Hafeninvestitionen. Der Bremer Bürgermeister weiß aber auch, dass dies die reichen Südländer nur akzeptieren können, wenn er deren Forderung nach mehr Wettbewerb zwischen den Ländern berücksichtigt. Und darum schlägt er mehr Eigenständigkeit der Länder in der Steuerpolitik und eine stärkere Berücksichtigung der Wirtschafts- und Finanzkraft beim Finanzausgleich vor. Das könnte in der Tat die Brücke sein, über die am Ende alle gehen können, hofft SPD-Obmann Kröning. Schließlich, so der Bremer Abgeordnete, seien auch die Wirtschaftsweisen zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Finanzausgleich "nicht länger an der Steuerkraft, sondern am Bruttoinlandsprodukt je Einwohner orientieren muss".

Weser Kurier vom 07.12.2006


"Gesetz gegen Notlagen fällig"

Volker Kröning zu Finanzreform: Mehr Hilfe bei mehr Verantwortung

Wie geht es nach dem Karlsruher Urteil zur Berlin-Klage weiter mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen? Über die Chancen für eine Finanzreform, über die Bund und Länder reden wollen, sprach unser Berliner Korrespondent Dietrich Eickmeier mit dem SPD-Haushaltsexperten Volker Kröning. Der Bremer Abgeordnete, bereits bei der Föderalismusreform Obmann der SPD, bereitet nun im Auftrag seiner Fraktion die zweite Stufe der Modernisierung des Bundesstaats vor.

Frage: Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Klage Berlins auf Finanzhilfen abgelehnt hat, spielt sich Merkwürdiges ab: Die reichen Länder wollen Schuldenobergrenzen oder Schuldenverbot, der Bund einen nationalen Schuldenpakt, was die Länder aber mit der Begründung, den Bund gehe das nichts an, ablehnen. Was passiert denn nun?

Volker Kröning: Ein Bundesgesetz gegen Haushaltsnotlagen ist fällig. Mehr als die Hälfte der Länder verhält sich schon bei der Aufstellung, zumindest aber beim Abschluss ihrer Haushalte verfassungswidrig. Die so genannte Goldene Regel - Neuverschuldung bis zur Höhe der Investitionen und sogar darüber hinaus, um vermeintlich das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen - muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Falls die Länder keine Gesetzesinitiative über den Bundesrat zustande bringen, wird sie von der Bundesregierung kommen. Eine Mehrheit im Deutschen Bundestag ist gesichert.

Ist denn der Eindruck richtig, dass die Debatte erst einmal auf die aktuellen Haushaltskrisen im Bundesstaat konzentriert und noch lange nicht auf die vor Jahresfrist von Union und SPD vereinbarte Finanzreform?

Ja, leider. Das Ziel der finanzwirtschaftlichen Stabilität wird gegenüber dem Ziel des volkswirtschaftlichen Wachstums überbetont. Es ist absehbar, dass die Politik der Haushaltsnotlagenprävention, wenn sie sich überhaupt durchsetzt, bald stecken bleibt. Vorschläge zur Verbesserung der föderalen Bedingungen von Wachstum und Beschäftigung liegen auf dem Tisch, die Politik muss handeln.

Kanzleramtschef Thomas de Maizière sagt jetzt, dieses Rad sei wohl auch für die große Koalition zu groß. Sie auch?

Nein. Die Große Koalition muss zumindest die Blaupause für eine Bundesstaatsreform II ausarbeiten. Nach meiner Meinung wären Gesetzesvorschläge innerhalb eines Jahres möglich.

Bislang können sich die Länder noch nicht einmal auf eine eigene Sondierungsgruppe geschweige denn auf eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Bund einigen. Wer will denn die Finanzreform überhaupt noch?

Zurzeit sind noch keine Mehrheiten in Sicht. Ich beobachte täglich, dass noch große Überzeugungsarbeit nötig ist. Man denkt nur in Verteilungskategorien, sowohl im Länder-Länder- als auch im Bund-Länder-Verhältnis und umgekehrt. Jede größere Gesetzesänderung wird dazu instrumentalisiert, sich einen finanziellen Vorteil zu ergattern, zum Beispiel ganz aktuell bei der finanziellen Bewältigung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Stattdessen sollte man sich an einen Tisch setzen und überlegen, wie man den gemeinsamen Nutzen steigern kann.

Nehmen wir mal an, es kommt doch noch zu einer Bund-Länder-Kommission, was muss die denn als Minimum erreichen?

Wer bereit ist, mehr Verantwortung für sich zu übernehmen, sollte Hilfe bei der Entschuldung bekommen. Dies gilt für politische Gemeinwesen genauso wie für Individuen. Eine nationale Entschuldungsstrategie, von der zunehmend - in Bremen wie in Niedersachsen - gesprochen wird, macht nur in dieser Reihenfolge einen Sinn. Vor allem: Nicht am Finanzausgleich, sondern an der Steuerverteilung muss angesetzt werden. Folgt sie dem Grundsatz, dass die Steuern dort bleiben, wo sie erarbeitet beziehungsweise erwirtschaftet werden, kann auch der Ausgleich reduziert und transparent ausgestaltet werden. Er ist von der horizontalen in die vertikale Dimension zu verlagern. Zugleich wird es nicht zu vermeiden sein, die Aufgaben des Gemeinwesens zu begrenzen und ihre Erfüllung effektiver zu gestalten. Wir müssen lernen, mit weniger Geld Gleiches zu leisten oder mit gleichem Geld mehr.

Stichworte Verantwortung, Steuerverteilung: Heißt das mehr Steuerautonomie für die Länder und eventuell auch ein Zurück zum Prinzip, wo die Arbeitsstätte ist, werden auch die Steuern gezahlt?

Ja, beides. Der erste Schritt der Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, den wir unternommen haben, reicht nicht aus, denn er stärkt die Länderhaushalte nur auf der Ausgaben- und nicht auf der Einnahmenseite. Pikanterweise haben ja sogar die Gemeinden mit ihrem Hebesatzrecht mehr Steuerautonomie als die Länder. Kommen wir zu einer Schuldenbegrenzung wird sich das Problem bald zuspitzen: Die Länder müssen dann entweder eigenständig Standards unter den Durchschnitt senken oder sich auf andere Weise als über Gemeinschaftssteuern und Kreditaufnahme finanzieren. Nur über eine stärkere Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverantwortung lässt sich das Ungleichgewicht im Föderalismus überwinden. Die gegenwärtige Steuerzerlegung - also bei der Lohnsteuer, wo es Bremen besonders drückt - zu korrigieren, ist schon mehrfach versucht worden, gesetzgeberisch und gerichtlich, aber immer wieder gescheitert. Also sollte man versuchen, an dieser Stelle die Verfassung zu ändern, auch wenn dafür eine Zweidrittel-Mehrheit gebraucht wird.

Kann die Politik das leisten oder bleibt am Ende doch nur Druckausübung durch das Bundesverfassungsgericht mit Vorgaben für die Politik, wenn es über die Klagen Bremens und des Saarlandes entscheidet?

Ja, das ist vorstellbar. Die Fingerzeige in der Entscheidung über Berlin sind versteckt, aber deutlich.

Hessen und Baden-Württemberg haben Prämien für Länderehen ins Spiel gebracht. Für Sie ein Weg zur Entschuldung?

Nein, denn diese beiden Länder sind bestimmt nicht bereit, die Schulden von Ländern, die sich mit anderen zusammentun, mit zu übernehmen. Doch die Äußerungen zeigen - wie auch schon 1992 nun von neuem eine Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts zur Länderneugliederung -, dass es eng wird für die Selbständigkeit unserer Freien Hansestadt. Bremen braucht keine Imagekampagne sondern Argumente und Verbündete - und Beispiele für bürgerschaftliches Engagement, wie sich in diesen Tagen wieder gezeigt hat; noch mehr, möchte ich hinzufügen.

Das Karlsruher Rezept heißt doch ganz grob gesagt Verkauf des Tafelsilbers. Sind auch Lohnsenkungen denkbar, wie Finanzwissenschaftler schon fordern?

Karlsruhe ersetzt nicht Politik. Doch mir fällt auf, dass das Gericht sich auf Sachverstand bezieht, der von der Politik bisher zu wenig beachtet worden ist. Dabei geht es nicht um Lohnsenkungen. Doch auch der Öffentliche Dienst gehört auf den Prüfstand. Nach der Bundesstaatsreform I ist dies Verantwortung des Bundes für sein Personal und Verantwortung der Länder für das ihre, einschließlich das der Gemeinden.

Also doch Sparen, bis es quietscht?

Nein. Als Bremer Vertreter im Bund liegt mir am meisten daran, die anderen davon zu überzeugen, dass die Bremerinnen und Bremer die Verteidigung ihrer Selbständigkeit nicht mit geringeren Leistungsstandards bezahlen müssen, als sie bundeseinheitlich gesetzt sind. Die Devise muss lauten: nicht schlechter als zum Beispiel in Hamburg leben, doch so sparsam und wirtschaftlich wie möglich arbeiten.

Weser Kurier vom 05.11.2006

Berlin allein zu Hause

Das Verfassungsgericht entschied, dass Berlin keinen Anspruch auf Finanzhilfen zur Abtragung des Schuldenberges hat.

Von Klaus Hartung

Der Schock saß tief, als Winfried Hassemer am Donnerstagmorgen in Karlsruhe das Urteil verkündete. Nicht nur die Tatsache, dass das oberste deutsche Gericht die Normenkontrollklage Berlins auf zusätzliche Finanzhilfen ablehnte, schockierte, sondern auch die Art und Weise, wie das Verfassungsgericht (BVG) der Berliner Politik die Leviten las, war niederschmetternd. Das BVG war nicht nur der Meinung, dass Berlin sich nicht auf eine extreme Haushaltsnotlage berufen darf, sondern es zeigte in einer Vielzahl von Vergleichstabellen mit anderen Stadtstaaten, dass Berlin nach wie vor über seine Verhältnisse lebt. Die Verfassungsrichter, die einstimmig urteilten, erlaubten sich sogar, über den Verlierer zu scherzen: Winfried Hassemer zitierte launig den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, wonach Berlin "arm, aber sexy“ sei und setzte fort, Berlin sei wohl eher deswegen so sexy, "weil es gar nicht so arm ist“. Auf das Urteil folgte prompt ein Beifallssturm der Ministerpräsidenten. Sie mussten nicht mehr befürchten, dass sie wegen Berlin zur Kasse gebeten würden.

Die Berliner Politiker hatten durchaus gemischte Erwartungen. Keiner glaubte an einen schnellen Geldsegen vom Bund, aber man hoffte doch, dass das BVG so etwas wie Bedingungen für eine außerordentliche Finanzhilfe formulieren würde. Diese Hoffnung war nicht unbegründet. Der Finanzsenator Thilo Sarazin hatte mit dem ständigen Verweis auf das anstehende BVG-Urteil im rot-roten Senat eine radikale Sparpolitik durchsetzen können, eine Sparpolitik, die jetzt dem Koalitionspartner PDS fast die Hälfte aller Stimmen bei der Abgeordnetenhaus-Wahl in ihren Stammbezirken kostete. Sarazin konnte darauf verweisen, dass der "Primärhaushalt“, d.h., der Haushalt ohne Schulden und Schuldendienst, demnächst ausgeglichen sein würde. Das Urteil lobte zwar Sarazin, aber wendete ausgerechnet eine These des Finanzsenators, wonach Berlin kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem habe, gegen die Klage Berlins. Berlin hatte nicht nur verloren, sondern auch den Spott.

Schlimmer hätte es nicht ausfallen können. Das BVG-Urteil weist nicht nur die Normenkontrollklage ohne Wenn und Aber ab; es verzichtet gänzlich darauf, Berlins Ansprüche in irgendeiner Form zu würdigen. Abwägungen über die Grenze zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Politik fehlen. Das BVG stellt die Berliner Not geradezu in Abrede, indem es darauf verweist, dass die Berliner Sozialpolitik besser ausgestattet sei als vergleichbare Bundesländer. Mit anderen Worten: Das Urteil zementiert die politischen Beziehung zwischen der Hauptstadt und dem föderalen Staat. Insofern ist es, trotz aller Beschränkung auf das juridische Argument, vor allem ein eminent politisches Urteil. Es wird auch in Zukunft dem Bund und den reicheren Bundesländern als Munition dienen, wenn Berlin das Hilfebegehren zum politischen Thema machen wird. Die hämische Genugtuung, mit der die Ministerpräsidenten aus den Geberländern das Urteil kommentierten und die rüde Art, wie Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck den Traum einer Ländervereinigung bloß als "ermüdend“ bezeichnete, drückten daher durchaus den Geist des Urteils aus.

Warum hat Karlsruhe so hart geurteilt? Spielte da ein wenig die Angst mit? Schließlich hatten Bayern und Baden-Württemberg mit harten Reaktionen und einem Sturm auf das Verfassungsgericht gedroht. Bundespolitische Verwerfungen waren denkbar. Mit einem gewissen Recht konnten die Verfassungsrichter auch befürchten, dass Finanzhilfen in Berlin wieder die Haushaltsdisziplin im rot-roten Senat aufweichen könnte. Aber da gab es schon Vorschläge, z.B. von der Hertie-School of Governance, wie man dieser Gefahr entgegenarbeiten könnte. (Zug-um-Zug-Verfahren, das heißt Finanzhilfen nur nach Maßgabe entsprechender Sparmaßnahmen). Diese Vorschläge lagen vor in Karlsruhe, wurden aber nicht berücksichtigt.

Das zentrale Argument in Karlsruhe ist von beeindruckender Schlichtheit. Ein extremer Haushaltsnotstand ist dem BVG zufolge dann gegeben, wenn Berlin keine Sparressourcen mehr hat und der Ausstattungsstandard an keiner Stelle den der anderen Stadtstaaten übertrifft. Das Gericht vergleicht dabei Berlin mit anderen Stadtstaaten, insbesondere mit Hamburg im gegenwärtigen Moment, im Jahre 2006.

Dieses Verfahren ähnelt der Aussage eines Betrachters, an dessen Fenster ein Mann vorbeifliegt, und der erklärt, dieser Mann sei vollkommen gesund. In der Urteilsbegründung findet man jedenfalls kaum Hinweise dafür, ob und wieweit die Verfassungsrichter sich damit beschäftigt haben, wie Berlin nach Ausschöpfung aller Sparressourcen aussehen wird und was passieren würde, wenn die Stadt abrupt die Sozialstandards senken wollte. Soll sich Berlin erst dann wieder an das Verfassungsgericht wenden dürfen, wenn - um eine aktuelle Debatte aufzunehmen - die Stadt nachweislich zur Unterschicht-Metropole degenerierte? Soll Berlin sich wieder melden, wenn der öffentliche Dienst in der Stadt streikt, weil das letzte Gehalt nicht ausgezahlt wurde?

Gerade der Vergleich mit Hamburg, das heißt ein Vergleich eines boomenden Wirtschaftsstandortes mit einer abgewirtschafteten Stadt, fällt immer zu Ungunsten von Berlin aus. Gewiss, die Ausstattungsstandards von Berlin sind vielfach besser als in Hamburg: z.B. das Kita-Angebot, die niedrigen Mieten, der Verzicht auf Studiengebühren, der Besitz von städtischen Wohnungen etc. Aber Hamburg ist begehrt und boomt und kann sich Ausstattungs-Defizite leisten. Für Berlin sind jene Vorteile die einzigen Argumente für Gewerbeansiedlungen. Wie wenig sich das BVG mit der tatsächlichen Lage Berlins auseinandersetzt, wird an einem konkreten Beispiel deutlich: Das Gericht fordert implizit mit Blick auf Hamburg die Anhebung der Gewerbesteuern. Täte Berlin das, würde der Rest der Unternehmen sich verdrücken. Vor den Toren Berlins boomt die Wirtschaft, ist ein Zentrum der Auto- und Luftfahrtindustrie entstanden. Der Landkreis Teltow-Fläming steht an erster Stelle in Deutschland als Wachstumsregion. Warum? Der Landkreis hat einerseits die Nähe zur Metropole, bezahlt aber nur die Hälfte des Gewerbesteuerhebesatz an das Land Brandenburg. Mit anderen Worten, Berlin müsste die Steuern senken, um in der Region konkurrenzfähig zu sein.

Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse hat mit seiner Urteilsschelte vollkommen Recht: Tatsächlich ignoriert das BVG alles, was Geschichte und Politik Berlin auferlegt haben; es interessiert sich nicht für die Entindustrialisierung der beiden Stadthälften, nicht für die Vereinigungskosten, nicht für die Schuldenfalle. Auch dieses Desinteresse macht den Karlsruher Richterspruch zu einem politischen Urteil. Es entspricht dem, was die Republik von Berlin hält: Man liebt den morbiden Aufreger Berlin, aber die Frage, wovon die Stadt leben soll, bleibt eine rein Berliner Angelegenheit.

Die Stadt kann zwar durch eine fortgeführte Sparpolitik einen ausgeglichenen "Primärhaushalt“ erreichen, aber die Zinslast von 2,5 Milliarden Euro bei einem Schuldenberg von 60 Milliarden Euro ist auf Dauer selbst bei radikaleren Sparoperationen nicht tragbar. Das ist bekannt, bekannt wie die Zahlen. Wenn nun die Richter Sparressourcen ausloten und definieren, dann gebietet es doch immerhin die Logik und die Pflicht, nun zu ermitteln, ob Berlin durch die gewünschten Sparanstrengungen am Ende der Schuldenfalle entkommt. Aber die Richter verzichteten darauf. Ob sie geahnt haben, dass ihr Richterspruch Berlin kaum eine Chance lässt? Einen einzigen Vorteil hat das Urteil für Berlin: Es macht schlagartig klar, dass die Stadt sich selbst aus dem Sumpf ziehen muss. "Du hast keine Chance, also nutze sie“, hieß die Parole der Kreuzberger Autonomen und die Berliner Politik ist dazu verdammt, genau dies zu tun. Die brüske Lakonie des Richterspruches zerreißt alle Nebel der Illusion. Es zeigt, dass Berlin mit seinen Nöten tatsächlich allein steht. Die Urteilshärte könnte die Berliner dazu zwingen zu begreifen, dass es nicht mehr um das Wohlfühlen im Kiez, sondern um das Überleben des Gemeinwesens geht. Es könnte die Stunde des Stadtbürgers sein, der weiß, dass es gilt, alle Kräfte zu mobilisieren, um Wirtschaftswachstum zu generieren.

Aber die Voraussetzung einer solchen Mentalitätswende sollte die Politik schaffen. Doch es scheint so, als versage die Berliner Politik genau an dieser Stelle: Während der Finanzsenator Sarazin verschärftes Sparen fordert und erklärt, dass es nun keine Tabus mehr geben kann, hält der Regierende Bürgermeister Wowereit gerade an den Tabus fest. In einer Mischung aus Trotz und Wurstigkeit machte er am Wochenende deutlich, dass Berlin nicht daran denkt, auf die Ausgaben zu verzichten, die das Verfassungsgericht moniert hat: also keine Studiengebühren, keine Verkauf des städtischen Wohnungsbestandes und selbstverständlich das gebührenfreie dritte Kita-Jahr. Dieser Widerspruch zwischen dem Regierungschef und seinem Haushälter ist kaum begreiflich. Am Montag werden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und der Linken fortgeführt. Will Wowereit etwa der Linken signalisieren, dass man sich nun in Sachen Sozialpolitik wieder etwas wünschen darf? Heißt das, dass die Regierung nur Haushaltsdisziplin gewahrt hat, um vor dem Urteil des Verfassungsgerichtes gute Stimmung zu machen? Will man den unbequemen Finanzsenator loswerden? Jedenfalls gibt Wowereits Verhalten den Verfassungsrichtern nachträglich Recht. Wirklich schlimm ist aber, dass mit diesen politischen Zweideutigkeiten und Manövern die Chance verspielt werden könnte, den Gemeinsinn der Berliner zu mobilisieren.

Die Zeit vom 23.10.2006

Stratthaus plädiert für "Schuldenbremse" in den Ländern

Über die erfolglose Berlin-Klage freut sich Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Er sieht eine nur noch eingeschränkte Verpflichtung gegenüber hochverschuldeten Ländern - und auch an den Finanzausgleich will der Minister ran.

SPIEGEL ONLINE: Herr Stratthaus, wie glücklich sind Sie jetzt, nach der Niederlage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht?

Stratthaus: Glücklich ist übertrieben, wir stimmen kein Triumphgeheul an. Aber ich bin zufrieden, denn eine andere Entscheidung hätte vielleicht Berlin geholfen, aber zu einer Erosion unseres gesamten Finanzierungssystems geführt. Wenn Berlin Recht bekommen hätte, wären demnächst eine ganze Reihe weiterer Länder auf der Matte gestanden. Unser föderales System wäre ins Wanken geraten.

SPIEGEL ONLINE: Aber Berlin ist Hauptstadt, muss der Bund da nicht helfen?

Stratthaus: Wo Berlin Hauptstadtfunktionen erfüllt, soll es durchaus eine besondere Behandlung erfahren. Ich meine auch, dass Berlin noch aufholen muss, bis es gleichwertig neben London oder Paris stehen kann. Aber dennoch gibt es Punkte, die mit der Hauptstadtfunktion nichts zu tun haben: Dass Berlin zum Beispiel ungeheuer viele landeseigene Wohnungen hat, die andere Bundesländer und Städte längst schon verkauft haben. Wir erheben Studiengebühren, Berlin nicht. Berlin hat einen wesentlich geringeren Hebesatz bei den Kommunalsteuern als wir. Und so weiter. Berlin kann sich also durchaus selbst helfen. Und für die Hauptstadtbelastungen hat der Bund Berlin Sonderzuweisungen eingeräumt, etwa bei Aufwendungen für die Sicherheit.

SPIEGEL ONLINE: Für den Fall, dass Berlin gewonnen hätte, hatten sie eine eigene Klage gegen den Länderfinanzausgleich angedroht. Nach Berlins Niederlage sind Sie also wieder vollauf zufrieden mit den Finanzbeziehungen der Länder?

Stratthaus: Dem aktuellen Länderfinanzausgleich haben wir nur unter erheblichem Bauchgrimmen zugestimmt. Das Gesetz ist ja erst seit eineinhalb Jahren in Kraft. Und nach dieser kurzen Zeit kann man nicht dagegen klagen. Wir werden aber noch einmal ganz genau nachprüfen, ob das geltende Finanzausgleichsrecht tatsächlich jenen Maßstäben entspricht, die das Verfassungsgericht auch in seinem Berlin-Urteil wieder aufgestellt hat. Und wenn wir nach sehr sorgfältiger Prüfung zu einer anderen Meinung kommen, müssen wir über eine Klage nachdenken.

SPIEGEL ONLINE: In der aktuellen Diskussion fordert Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ein "Frühwarnsystem" sowie eine "Schuldenbremse". Welche Ideen haben Sie?

Stratthaus: Ich würde die Betonung nicht auf das Frühwarnsystem legen, denn die Finanzminister haben sehr wohl eine Vorstellung über die Finanzlage ihrer Länder. Wichtiger scheint mir, frühzeitig gegen eine drohende Schieflage vorgehen zu können. Mein Vorschlag: Ein verfassungswidriger Haushalt sollte durch einen zügigen einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht gestoppt werden können.

SPIEGEL ONLINE: Was heißt das konkret?

Stratthaus: Da gibt es zum Beispiel den Finanzplanungsrat aus Bund, Ländern und Kommunen. Der tagt zwei Mal im Jahr und veranschlagt die Ausgaben und Einnahmen für die nächste Zeit. Diesen Rat müsste man stärken, dann hätte man ein Frühwarnsystem. Der nächste Schritt: Gegen übermäßige Schuldenmacher könnte ich mir eine "Schuldenbremse" in dem Sinne vorstellen, dass alle Länder in ihren Haushaltsordnungen oder Verfassungen ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Verschuldungsverbot verankern. Wir in Baden-Württemberg werden das tun. Wenn ein Land dagegen verstößt, kann die Opposition klagen.

SPIEGEL ONLINE: Einen Eingriff von Bundesseite favorisieren Sie nicht? Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hat einen "Sparkommissar" ins Gespräch gebracht.

Stratthaus: Das wäre staatsrechtlich nicht unproblematisch, wenn ein Land von außen vorgeschrieben bekommt, wie es seine Finanzpolitik zu machen hat. Ein "Sparkommissar" ist wirklich die ultissima ratio. Wobei ich mir Sanktionen wegen verantwortungsloser Finanzpolitik durchaus vorstellen kann.

SPIEGEL ONLINE: Aber was bleibt dann darüber hinaus, um gegen Schuldenmacher vorzugehen?

Stratthaus: Aus dem heutigen Urteil lese ich eindeutig heraus: Die Latte wurde höher gelegt, wann die Länder füreinander einzustehen haben. Und das wird Auswirkungen auf das Rating haben. Das Kredit-Rating der schwachen Länder wird sinken - sie bekämen dann irgendwann am Kapitalmarkt eben kein Geld mehr. Heute hat ja ein total verschuldetes Land wie Berlin noch immer ein hohes Rating, weil die Kreditgeber sagen: Naja, am Ende werden es der Bund und die anderen Länder schon bezahlen.

SPIEGEL ONLINE: Die Sache mit dem Rating erinnert sehr an das so genannte Geheimtreffen der reichen Länder am Tegernsee im Mai. Damals haben Hamburg, NRW, Bayern und Baden-Württemberg den Schuldenstaaten mit Kompetenzentzug und einer möglichen Herabstufung im Rating gedroht, die Sonderabgaben für deren Bürger oder Kürzungen der Sozialleistungen zur Folge haben könnte.

Stratthaus: Richtig. Bei diesem Treffen ist all das besprochen worden - und ich stehe natürlich weiterhin dahinter. Aber als Realist sage ich, der "Sparkommissar" wird nicht so schnell kommen.

SPIEGEL ONLINE: Damals am Tegernsee wurde auch über eine Länderneugliederung nachgedacht.

Stratthaus: Ich hab' nichts gegen eine Neugliederung. Aber es sollte keiner glauben, dass dadurch automatisch alle Finanzprobleme gelöst wären. Schauen Sie sich doch mal die Problemländer an: Die liegen alle nebeneinander. Wenn Berlin zu Brandenburg kommt, dann sind zwei Problemkinder zusammen. Oder wenn das Saarland zu Rheinland-Pfalz kommt.

SPIEGEL ONLINE: Unser Vorschlag: Nehmen Sie doch Berlin als Baden-Württemberger Exklave auf, vielleicht aus alter Verbundenheit mit der ehemaligen Hohenzollern-Residenz.

Stratthaus: (lacht) Ich glaube, dass unser Ministerpräsident darauf verzichten würde. Wenn ich die politischen Mehrheitsverhältnisse dort sehe, sind wir nicht unbedingt an einer Aufnahme Berlins interessiert. Wir würden höchstens Bayern nehmen.

Das Interview führte Sebastian Fischer
Spiegel vom 20.10.2006

"Warum nicht Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst?“

Finanzwissenschaftler Lars Feld warnt vor einem Freibrief für Schulden

Berlin ist mit seiner Klage auf Finanzhilfen gescheitert. Ein "bundesstaatlicher Notstand“ liege nicht vor, urteilten die Verfassungsrichter. Berlin müsse die Haushaltsschieflage aus eigener Kraft überwinden. Der Heidelberger Finanzwissenschaftler Lars Feld, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium, ist erleichtert über die Deckelung des bündischen Prinzips. Zur Unterstützung der Sanierung empfiehlt er eine Schuldenbremse, verbunden mit Steuerautonomie der Länder.

Herr Feld, wie soll es nun in Berlin weitergehen? Wie soll sich die Stadt aus ihrer Haushaltsnotlage befreien?

In Berlin ist eine ganze Reihe von Eigenanstrengungen nötig und möglich, um aus dem Tal der Tränen wieder herauszukommen. Die Stadt hat jetzt verschiedene Möglichkeiten; die Richter haben das auch sehr überzeugend deutlich gemacht. Einerseits gilt es auf der Einnahmenseite anzusetzen, das heißt vor allem die Gewerbesteuerhebesätze zu erhöhen und den Wohnungsbestand zu veräußern. Andererseits müssen die Ausgaben sinken.

Berlin ist nicht gerade ein wirtschaftsstarker Standort. Würden höhere Gewerbesteuerhebesätze noch mehr Unternehmen vergraulen?

Die Gewerbesteuerhebesätze in Berlin sind bisher vergleichsweise niedrig, da ist schon noch Spielraum. Die Abwanderung dürfte nicht so gravierend sein.

Und ist ein Verkauf der Wohnungen überhaupt realistisch?

Natürlich sehe ich da Chancen, ganz klar. Das beste Beispiel ist die Stadt Dresden, die ihre Wohnungen einem Finanzinvestor überschrieben hat. Die Wohnungen sind dort auch nicht in besserem Zustand, und Berlin wird in Zukunft eher mehr Zuwanderung erleben als Dresden. Da wird sich schon Interesse wecken lassen. Im übrigen würde sich eine Veräußerung der Wohnungen günstig auf die laufenden Ausgaben der Stadt auswirken. Das ist wichtig, denn Berlin hat im Wohnungswesen bisher erhebliche Mehrausgaben als andere Länder.

Wie steht es sonst um die Ausgaben?

Auf jeden Fall muß Berlin die Personalkosten in den Griff bekommen. Da leidet die Stadt unter einem schweren Versäumnis unmittelbar nach der Wiedervereinigung; damals hätten Entlassungen in großem Stil vorgenommen werden müssen. Heute kann man neben Stellenstreichungen hier aber auch Teilzeit in Erwägung ziehen - oder warum nicht auch einmal Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst Berlins? Auch im Bildungswesen, in der medizinischen Versorgung oder im kulturellen Leben wird man die einzelnen Ausgabenposten durchgehen müssen. Daß Berlin mit der Zahl seiner Opernhäuser und Hochschulen soviel besser dasteht als das wohlhabendere Hamburg, ist schwer hinzunehmen.

Naja - immerhin ist Berlin Hauptstadt und hat dadurch auch eine besondere Aufgabe und Belastung.

Natürlich. Aber in dem Maße, wie die Rolle als Hauptstadt besondere Lasten verursacht, beispielsweise in Hinsicht auf die Ausgaben für öffentliche Sicherheit und Kultur, kann man das spezifisch abgelten. Das geschieht ja jetzt schon. Da muß man unter Umständen noch einmal an den Verhandlungstisch mit dem Bund. Ein neuer Finanzbedarf aber läßt sich daraus nicht ableiten.

Was ist verkehrt am bündischen Prinzip, dem die Karlsruher Richter jetzt eine Grenze gezogen haben? Liegt darin nicht eine Stärke des Föderalismus?

Schon. Aber das Einstehen füreinander muß seine Grenzen haben, sonst bekommen wir Anreize für Fehlverhalten. Es kann nicht sein, daß ein Land schlicht einen Freibrief für Schulden bekommt.

Das Problem ist aber noch nicht gelöst. Wie könnte eine wirksame Schuldenbremse für die Bundesländer aussehen?

Auf jeden Fall ist die Möglichkeit für die Länder, in Anlehnung an Artikel 115 des Grundgesetzes eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auszurufen, wenn man mit der Neuverschuldung über den Einnahmen liegt, absurd. Die Länder haben gar keine Möglichkeit, konjunkturell wirksam zu sein. Das gehört abgeschafft. Die erfolgreichen Konsolidierungen laufen über die Ausgabenseite, hier muß eine geeignete Schuldenbremse ansetzen. Wenn man - wie unsere Bundesländer - keine Steuerautonomie hat, dann ist das sowieso der einzig mögliche Weg. Man könnte ihnen auferlegen, unter einen festgelegten Schwellenwert der Nettoneuverschuldung zu kommen, indem man Ausgaben reduziert. Zum Einstieg könnte man ihnen aber auch erlauben, zur Lösung ihrer Probleme in einem bestimmten Rahmen Zuschläge zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zu erheben. In der Schweiz sind die erfolgreichsten Schuldenbremsen solche, welche die Kantone zwingen, bei Überschuldung die Steuern zu erhöhen. Das wäre ideal.

Nur haben die deutschen Bundesländer diese Steuerhoheit nicht.

Ja. Aber da muß die Reise mittelfristig hingehen. Verstopft man bei den Länderhaushalten das Ventil der Verschuldung, was ich befürworte, dann muß man ein anderes Ventil auf der Einnahmenseite schaffen, nämlich eine verstärkte Steuerautonomie der Länder. Einen kooperativen Föderalismus wie in Deutschland kann man sich in Gutwetterzeiten leisten. Aber es muß auch klar sein, daß der, der Ausgaben tätigt, auch die unangenehme Aufgabe haben muß, dafür Steuern einzutreiben.

Das Gespräch führte Karen Horn
FAZ vom 20.10.2006

"Das ist eine Ohrfeige für den Regierenden Bürgermeister"

Die Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Franziska Eichstädt- Bohlig, sagt, die Hauptstadt kann noch sparen: in der Verwaltung, in der Wohnungs- wirtschaft, mit höherer Gewerbesteuer. Kürzen bei Kultur und Wissenschaft aber gefährde die Zukunft Berlins.

Frankfurter Rundschau: Was sagen Sie zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Berliner Haushaltsnot?

Franziska Eichstädt-Bohlig: Das ist eine schallende Ohrfeige für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit - auch persönlich -, für den rot-roten Senat und auch für den vorangehenden unter Eberhard Diepgen. Rot-Rot hat nicht hinreichend begründet, warum Berlin, obwohl es ziemlich viel Geld an Ergänzungszuweisungen und an Finanzausgleich erhält, auf Hilfe vom Bund angewiesen ist. Gleichzeitig ist es ein Schock für Berlin.

Sie haben keine Sorge, dass Berlin jetzt zum Jammertal wird?

Jammern hilft nie weiter. Berlin muss jetzt die Konsequenzen aus dem Urteil ziehen. Das wird kein einfacher Weg. Wer das bestreitet, der ist entweder naiv oder zynisch. Aber es ist unerlässlich, damit die Schulden nicht Jahr für Jahr weiter wachsen. Das kann sich Berlin nicht leisten. Es wird eine längere Übergangszeit dauern, bis Berlin keine neuen Schulden mehr machen muss, um die drückende Zinslast zu bedienen. Zur Zeit sind es gut 6,5 Millionen Euro Zinsen am Tag. Das ist ein harter Brocken.

Wo kann Berlin noch sparen?

Berlin muss dafür die schwierigen Themen aufrufen. Das eine ist der Umgang mit den Unternehmensbeteiligungen: Die Berliner Verkehrsgesellschaft darf nicht länger ihr enormes Defizit trotz hoher und ständig steigender Fahrpreise in die Höhe treiben. Da ist mehr Effizienz herauszuholen! Bei der Wohnungswirtschaft, die das Gericht angesprochen hat, habe ich Zweifel, ob man das Kind mit dem Bade ausschütten soll. Unsere Mindestforderung ist, soviel Wohnungen zu verkaufen, dass die städtischen Wohnungsunternehmen kostendeckend wirtschaften können. Ob mehr Wohnungen verkauft werden sollten, lässt sich jetzt nicht sagen. Berlin hat mit 300.000 Arbeitslosen auch eine riesige Verantwortung in der Wohnungspolitik.

Das Karlsruher Gericht hat selbst Anregungen gegeben, was zu tun ist, etwa die Gewerbesteuer zu erhöhen und bei Kultur und Wissenschaft Posten zu streichen. Was sagen Sie dazu?

Die Erhöhung der Gewerbesteuer steht in unserem Programm. Nach diesem harten Urteil muss die Gewerbesteuer von jetzt 410 Hebesatzpunkten auf das Niveau von Potsdam mit 470 angehoben werden. Auch wenn es in Berlin strukturschwache Bereiche gibt, die das erheblich treffen wird. Ein anderer Punkt ist die Verlängerung des Solidarpakts für die öffentliche Verwaltung über das Jahr 2009 hinaus. Das haben wir bereits in den Sondierungsgesprächen mit der SPD nach der Berliner Wahl im September erörtert. Sicher müssen weitere Sparpotenziale aus der Verwaltung kommen. Das sind die wesentlichen Bereiche, in denen überhaupt etwas zu holen ist.

Und was ist mit der Kultur und der Wissenschaft?

Da sehen es Bündnis90/Die Grünen in Berlin deutlich anders als das Gericht. Berlin ist eben nicht Hamburg. Mit Wissenschaft und Kultur ist Berlins gesamtes Zukunftspotential verknüpft, nicht nur das der Wirtschaft und des Tourismus. Berlin wird nie wieder eine Industriestadt werden. Kultur und Wissenschaft haben in der Vergangenheit schon sehr viel sparen müssen. Ich würde es für schlecht halten, jetzt noch einmal mit dem Rasenmäher daran zu gehen und an Dingen kürzen, die für Berlin lebenswichtig sind. Berlin muss seine Zukunft aus dem Konzept entwickeln, eine kreative Stadt zu sein.

Ist die Fusion Berlin und Brandenburg damit erst einmal vom Tisch?

Das sehen die Brandenburger ja nun so. Richtig ist: Erst wenn Berlin ein klares Entschuldungskonzept auf der jetzt harten Grundlage hat, kann man das Thema wieder aufrufen. Vorher ist das illusionär. Dafür wird sich in Brandenburg sonst keine Hand heben. Selbst für Berlin ist das im Augenblick kein Thema mehr.

Interview: Karl-Heinz Baum
FR vom 20.10.2006

Trotzdem: Mehr Gerechtigkeit

Die Folgen sind kaum absehbar - Das Entsetzen ging um, Sarrazin greift in seine Spar-Schublade und die Linke ist uneins

Von Karin Nölte

Die Folgen des Karlsruher Richterspruchs werden nicht nur für Berlin immens sein. Und sie werden sich teils erst in Jahren zeigen.

Das Entsetzen ging um in Berlin an diesem Donnerstag ab 10.10 Uhr. Denn das Hoffen auf zusätzliche Bundesgelder zog sich quer durch alle Parteien, keiner sah einen anderen Ausweg aus der Schuldenfalle. Doch statt Geld wurde Zynismus verteilt. »Sexy, weil nicht so arm«, spöttelte Richter Winfried Hassemer mit dem verfälschten Slogan, mit dem »Berlin sich schmückt«. Beobachter werteten dies als verbale Ohrfeige für Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister, der mit »arm aber sexy« gern für Berlin wirbt. Und das ist auch gut so.

Als »kurzfristige Finanzschwäche« hat der Zweite Senat Berlins Situation charakterisiert. Die »kurze Frist« begann vor etwa 15 Jahren, als Bonn kurzerhand die Finanzhilfen strich und Berlin zur Schuldenaufnahme zwang. Und sie wird noch Jahrzehnte andauern – nach der Verweigerung von Sanierungshilfe vermutlich noch länger als ohnehin befürchtet. Denn Berlin kann mit seinen Einnahmen nicht einmal die Zinszahlungen für die jetzt 61,6 Milliarden Euro Schulden bedienen, geschweige denn den Schuldenberg abbauen. Wowereit kündigte gleich nach dem Urteilsspruch eine mögliche Notwendigkeit neuer Nettokreditaufnahmen an.

Doch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) klang fast erleichtert: Berlin wisse nun wenigstens, dass es sich nur auf die eigenen Kräfte verlassen muss. Dann nur noch schlechte Nachrichten. Der Sparkurs werde verschärft, gab er die Linie vor. Wo sie hinführt, zeigten seine tabulosen »Denkmodelle« in jüngster Zeit. Etwa: 270 000 Wohnungen in Landeseigentum seien nicht vonnöten, Private müssten nicht unsozialer handeln als die öffentliche Hand. Am Montag will er in der nächsten Koalitionsrunde von SPD und Linkspartei Zahlen präsentieren, wie im Landeshaushalt mit rund 21 Milliarden Euro bis 2011 jährlich 1,5 Milliarden Euro Primärüberschuss zu erzielen wären. Sicher ist: Sarrazin hat sich auf den »worst case« vorbereitet.

Das heißt, weniger auszugeben und mehr einzunehmen. Bis wohin macht die Linke mit? Sarrazin ist zuversichtlich: In der letzten Wahlperiode habe er eher mit der eigenen Partei als mit dem Koalitionspartner Streit ausgefochten. Doch in dieser Linken regt sich Widerstand. Bisher waren vier ihrer Abgeordneten im Landtag gegen eine Neuauflage von Rot-Rot. Gregor Gysi warnte gestern aus dem Bundestag, sich nun verführen zu lassen zu sagen, »dann weitere Schulden, höhere Ausgaben, es soll ja irgendwie wurscht sein«. So nicht! »Es darf weder einen Verkauf von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge noch weiteren Sozialabbau, Abbau von Investitionen in Wissenschaft und Kultur oder im Bildungsbereich geben. Im Gegenteil: Die Stadt muss sozial gerechter werden und in Bildung investieren.« 

Der Kurs des rot-roten Senats habe für die Linke zu einem massiven Vertrauensverlust geführt, »mit neoliberalen Spar- und Privatisierungsfanatikern vom Schlage Sarrazin und Co. darf es keine Neuauflage der Koalition geben«, meinten die Europa- und Bundespolitiker der Linkspartei Sahra Wagenknecht, Tobias Pflüger, Nele Hirsch und Ulla Jelpke. »Jetzt unter dem Vorzeichen einer noch schärferen Spar- und Privatisierungspolitik erneut in die Koalition einzutreten, wäre politischer Selbstmord.«

Obwohl der Senat gespart hat, dass es quietschte, monierte das Gericht eine mangelnde Senkung der Ausgaben. Hamburg soll zum Vorbild für Berlin werden, meint Karlsruhe. Historisch überliefert sind drei Opern, zwei Zoos, vier Universitäten. »Alles muss raus«? Es wäre ein Niedergang für Kultur, Wissenschaft und Tourismus-Wirtschaft.

Zum Schaden der Hohn. Nicht nur von den Geber-Ländern im Westen, auch von den ärmeren Ost-Ländern, die das Urteil über Berlin in der Furche abgewartet haben. Magdeburg: »Wer sich mehr leistet als andere, kriegt nichts«, Erfurt: »Gestärkt wird die Länderhoheit«, Schwerin: »Alles andere wäre konterkarierend«. Das hat alles nichts mit der speziellen Situation Berlins zu tun.

Aufhorchen lässt ein Hinweis von Alt-Bundespräsident Roman Herzog: »Die von Kommunen, Ländern und Bund aufgehäuften Gesamtschulden von 1500 Milliarden Euro sind auch ein Resultat der ›organisierten Verantwor-tungslosigkeit‹ unserer derzeitigen Finanzverfassung.« Das hört sich anders an als die bundesweite Schadenfreude: »Berlin ist selber schuld.«

ND vom 20. 10.2006

Aus dem Urteil

»Ein bundesstaatlicher Notstand lässt sich für das Land Berlin derzeit nicht feststellen; es befindet sich nicht in einer extremen Haushaltsnotlage. Aussagekräftige Indikatoren (...) lassen lediglich eine angespannte Haushaltslage für das Land Berlin erkennen, die es mit großer Wahrscheinlichkeit aus eigener Kraft überwinden kann.«

»Das Bundesverfassungsgericht hat eine Überschreitung des Länderdurchschnitts der Zins-Steuer-Quote zumindest um 71,7 v.H. als ein Kriterium zur Feststellung (extremer) Haushaltsnotlagen in zwei konkreten Einzelfällen herangezogen... Die größte negative Abweichung der Zins-Steuer-Quote zum Länderdurchschnitt liegt in der Spitze bei rund 56 v.H. Gemessen an den oben dargelegten Anforderungen kann diese Abweichung erst recht keine übermäßige Belastung Berlins beschreiben.«

»Berlin ist es zwar von 1995 an in keinem Jahr gelungen, einen Primärüberschuss zu erzielen. Indessen zeigen Betrachtungen der Primäreinnahmen und -ausgaben, dass die Berliner Haushaltswirtschaft sich nicht in einer vom Länderdurchschnitt deutlich negativ abweichenden Lage befindet.«

»Abgesehen davon, dass (...) eine extreme Haushaltsnotlage nicht festzustellen ist, bestehen erfolgversprechende Möglichkeiten, aus eigener Kraft die vorhandenen Haushaltsengpässe zu bewältigen. Es ist dem Berliner Senat nicht gelungen, die Alternativlosigkeit von Sanierungshilfen hinreichend plausibel zu begründen.«

»Trotz der guten bis überdurchschnittlichen Höhe der Einnahmen haben etwaige Konsolidierungsbemühungen es jedenfalls in dem Zeitraum zwischen 1995 und 2004 nicht vermocht, die hohen Ausgaben zu reduzieren. Bereits auf Grund dieser globalen Betrachtung sind noch nicht ausgeschöpfte Einsparpotentiale in erheblichem Umfang zu vermuten.«

»Insgesamt kann man daher nicht annehmen, dass das Land Berlin in wenigen Jahren unausweichlich in eine Sondersituation gerät, in der es seine verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.«

ND vom 20. 10.2006 

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