Bremen
auf Solidarität der Länder angewiesen
444 Millionen Euro hat
Bremen im vergangenen Jahr aus dem Länderfinanzausgleich bekommen. Geld,
das der Stadtstaat braucht. Die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg
und Hessen wollen allerdings gegen das bisherige System klagen. Welche
Folgen eine solche Klage hätte, liegt auf der Hand: Der Versuch Bremens,
bis 2020 die Schuldenbremse zu schaffen, wäre schon heute gescheitert.
Es gibt Ärger um das Geld
aus dem Länderfinanzausgleich.Es fehlt an allen Ecken und Enden. Ein
Beispiel liefert das Straßennetz. Der Sanierungsstau wird auf rund 90
Millionen Euro geschätzt, allein die zusätzlichen Ausgaben durch
Winterschäden liegen in diesem Jahr voraussichtlich im zweistelligen
Millionenbereich. Oder die Sozialhilfe. Als im vergangenen Jahr 50
Millionen Euro zusätzlich an Leistungen gezahlt werden mussten, musste
das Geld als Kredit aufgenommen werden.
Wenn der
Länderfinanzausgleich von heute auf morgen wegbrechen würde, hätte dies
dramatische Auswirkungen auf den Haushalt. Die Kurve, die den
Schuldenstand anzeigt, würde steiler ansteigen. Derzeit rechnet das
Finanzressort von Senatorin Karoline Linnert (Grüne) damit, dass 2018
der Höhepunkt mit 21,8 Milliarden Euro erreicht sein wird. Danach soll
es, in kleinen Schritten, an die Tilgung gehen. Ohne den
Länderfinanzausgleich kämen bis dahin inklusive Zinssteigerungen rund
vier Milliarden Euro hinzu. Der Bremer Schuldenberg würde schneller
ansteigen als in jeder Modellrechnung.
Rein hypothetischer Fall
Damit wären dann auch alle Überlegungen hinfällig, bis 2020 einen
Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Finanzsenatorin Karoline
Linnert (Grüne): "An diese Dimension des Problems hat offensichtlich
niemand gedacht." Sie macht deutlich, dass es sich aus ihrer Sicht um
einen rein hypothetischen Fall handelt.
Ende
Januar hatten sich die Regierungen von Baden-Württemberg, Bayern und
Hessen zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung getroffen. Eigentlich
sollten in diesem Rahmen schon die Rechtswissenschaftler beauftragt
werden, eine Klage gegen den Finanzausgleich vorzubereiten. Das
zumindest wurde aufgeschoben. Stattdessen hieß es, die Nehmerländer
würden ein letztes Mal zu Gesprächen aufgefordert, und im Sommer solle
dann die Klageschrift vorliegen. Es gehe nicht darum, hieß es, den
Länderfinanzausgleich komplett abzuschaffen, sondern es gehe um mehr
Gerechtigkeit. Karoline Linnert antwortet: "Wir können uns über alles
unterhalten, aber nur auf gleicher Augenhöhe."
Bremen hat in den vergangenen Jahren zwischen 179 und 505 Millionen Euro
aus dem Länderfinanzausgleich erhalten. Auch in den Berliner Haushalt
würde ein Riesenloch gerissen, wenn der Ausgleich mit einem Mal
ausbliebe: Knapp 2,9 Milliarden Euro hat die Hauptstadt 2010 erhalten
und ist damit unangefochten Spitzenreiter.
Geber ist neben den drei genannten Ländern nur noch Hamburg. Im
vergangenen Jahr musste Hamburg 62 Millionen einzahlen. Die drei
potenziellen Klage-Länder müssen deutlicher hinlegen. Bayern 3,49
Milliarden, Baden-Württemberg 1,69 Milliarden und Hessen 1,74 Milliarden
Euro.
Wiederholt haben die reichen Länder kritisiert, die Nehmer würden sich
mit dem Geld aus dem Finanzausgleich Dinge leisten, die man sich selbst
nicht zugestehe. Darauf reagiert Linnert erzürnt. "Das Geld hat keine
Bänder", sagt die Finanzsenatorin. Heißt: Die Mittel aus dem
solidarischen Ausgleich sind Teil des allgemeinen Haushalts. Ob sie
jetzt in Kindergärten, neue Schulformen oder den Polizeifunk investiert
werden, lässt sich nicht sagen. Linnert pocht außerdem darauf, dass
niemand dem Parlament in die Haushaltshoheit reinzureden hat. "Wenn die
Bürgerschaft entscheidet, dass künftig ein Kindergartenjahr kostenlos
sein soll, dann geht das Herrn Mappus nichts an. Wenn Baden-Württemberg
sein Geld lieber in Polizeieinsätze gegen Stuttgart-21-Demonstranten
investiert, ist das sein gutes Recht."
Im Grundgesetz verankert
So
leicht ist aber am Länderfinanzausgleich auch nicht zu rütteln. Denn er
ist Teil des Grundgesetzes. In Artikel 107 heißt es: "Durch das Gesetz
ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder
angemessen ausgeglichen wird." Wenn der Finanzausgleich also geändert
werden soll, muss ein entsprechendes Gesetz im Bundestag und im
Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit finden.
Der
Finanzausgleich in seiner jetzigen Form gilt bis 2019. Mitte des
Jahrzehnts, so Linnert, sei der richtige Zeitpunkt, um über künftige
Veränderungen zu sprechen. Den Angriff von Baden-Württemberg, Bayern und
Hessen bezeichnet sie als den Versuch, "mit Entsolidarisierung Stimmen
zu fangen". In Unruhe versetzt sie das nicht: Es sei der zehnte Angriff
auf den Länderfinanzausgleich, seit sie politisch aktiv sei.
Denkbar ist allerdings, dass die sogenannte Stadtstaaten-Veredelung
infrage gestellt wird. Berlin, Hamburg und Bremen erhalten einen
Zuschlag. Jeder Einwohner wird hier mit dem Faktor 1,35 multipliziert.
Das Argument dafür: Die Stadtstaaten hielten eine Reihe von
Einrichtungen vor, die auch von den Menschen im Umland genutzt würden:
Theater, Schwimmbäder, Krankenhäuser. Standpunkt von Karoline Linnert
ist es, dass der Multiplikator mit 1,35 eher zu niedrig angesetzt sei.
Die Kampfansage lautet 1,45.
Hinter der Debatte um die Einwohner-Gewichtung versteckt sich auch eine
erneute Diskussion über die Bremer Selbstständigkeit. Denn: Mit dem
Stadtstaaten-Plus fließt zusätzliches Geld in die Region, von dem auch
das Umland profitiert. Wenn die Regelung kippt, fehlt folglich eines der
Hauptargumente für die Selbstständigkeit. Linnert macht ihre Position
klar: "Es tut dem föderalen Gefüge gut, dass wir die Stadtstaaten
haben." Und: "Wir sind kein Bundesland zweiter Klasse."
Weser Kurier vom 04.02.2011 - Michael Brandt
Streit
um Länderfinanzausgleich - Reich gegen Arm
Die
Südländer wollen weniger abgeben und planen eine Verfassungsklage. Sie
streiten gegen eine Regelung, die sie selbst mit ausgehandelt haben.
Die
reichen Länder wollen für den Länderfinanzausgleich weniger zahlen.
Baden-Württemberg, Bayern und Hessen kündigten eine Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht an. Zuvor soll aber noch einmal mit den
Nehmerländern verhandelt werden.
Es
hat vor allem politische Gründe, dass der Finanzausgleich gerade jetzt
skandalisiert wird. In Baden-Württemberg wird im März gewählt, und die
schwarz-gelbe Koalition von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) liegt
in Umfragen hinten. In Hessen sind ebenfalls im März Kommunalwahlen.
Die
Südländer wollen gegen Gesetze klagen, die sie 2001 selbst mit
ausgehandelt haben- und als Erfolg verkauften. Man habe jetzt "eine
wichtige Korrektur erreicht", sagte im Juni 2001 der damalige
Stuttgarter Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU): "Wenn ein Land
überdurchschnittliche Steuereinnahmen verbucht, dann wird davon in
Zukunft weniger für den Ausgleich abgeschöpft." Hinter der Neuregelung
würden sich "die von uns geforderten strukturellen Veränderungen"
verbergen.
Davon will man in Stuttgart nichts mehr wissen: "Ein System, das
keinerlei Anreiz bietet, den Nehmerstatus zu überwinden, und bei dem
sich Nehmerländer Dinge leisten können, die sich die zahlenden Länder
nicht leisten können, ist für uns schlicht nicht akzeptabel", sagte
Mappus.
Der
Länderfinanzausgleich ist im Grundgesetz vorgesehen und wird auch von
den Geberländern nicht grundsätzlich infrage gestellt. Er läuft in
mehreren Stufen ab. Zunächst wird die Umsatzsteuer auf die Länder
verteilt, wobei finanzschwache Länder überproportional viel bekommen.
Dann findet der eigentliche Finanzausgleich zwischen den Ländern statt,
Volumen rund 7 Milliarden Euro. Anschließend zahlt der Bund noch einmal
12 Milliarden Ergänzungszuweisungen an schwache und überschuldete
Länder.
Die
Südländer klagten schon in den 90er Jahren beim Verfassungsgericht, weil
sie weniger abgeben wollten. 1999 entschied Karlsruhe: Der
Finanzausgleich muss politisch neu ausgehandelt werden. Nach harten
Verhandlungen einigten sich die Länder 2001, weil der Bund höhere
Zahlungen zusagte. Am Ende sahen sich damals alle Länder als Gewinner.
Doch nun zerfleischen sie sich wieder gegenseitig. Mappus beruft sich
auf ein Gutachten des Tübinger Professors Christian Seiler.
"Eigenverantwortung und Solidarität stehen nicht mehr in einem
angemessenen Verhältnis", heißt es dort.
Anhängig sind in Karlsruhe auch noch Klagen von Bremen und dem Saarland,
die höhere Bundeszuweisungen fordern. Eine ähnliche Klage Berlins war
2006 gescheitert. Saarlands scheidender Ministerpräsident Peter Müller
(CDU) drohte, man werde die derzeit ruhende Klage wiederaufnehmen, wenn
die Südländer nach Karlsruhe gehen. Was er nicht erwähnt: Das Saarland,
Bremen und drei andere Länder erhalten ab 2011 vom Bund zusätzliche
Hilfen von insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr. Die Klagen der armen
Länder sind also längst erledigt.
taz vom 24.01.2011 -
Christian Rath
Michael
Brandt über den Bremer Finanzplan
Eine ganze Reihe von
Berufsgruppen versucht sich daran, fundiert in die Zukunft zu blicken.
Meteorologen, Wahrsager, Schriftsteller- und Finanzbeamte. Es ist schon
immer ein menschliches Bedürfnis gewesen, den Schleier zu lüften und zu
erfahren, was das Morgen bringt. Wenn man sich diesem Thema einigermaßen
seriös nähert, geht es darum, anhand der vorüegenden Fakten einen
möglichen Weg in die Zukunft aufzuzeigen. Seht her, so kann es kommen!
Und genau das gibt der Finanzplan für die Jahre 2010 bis 2014 aus dem
Haus von Finanzsenatorin Karoline Linnert wieder: nicht die eine,
sondern nur eine von vielen möglichen Entwicklungen.
Niemand kann ernsthaft
annehmen, schon heute eine Prognose darüber abgeben zu können, dass
Bremen ab 2018 tatsächlich seine Schulden abbauen kann. Dagegen sprechen
allein schon die politischen Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre. Zu
oft ist den Bremerinnen und Bremern von Wirtschafts- oder
Finanzsenatorin bereits verkündet worden, dass man nun endlich die
Bremer Probleme im Griff habe. Es hat sich bisher immer als nicht
zutreffend erwiesen. Man braucht nur einen Blick auf die rasant tickende
Schuldenuhr zu werfen.
Warum eine Vorhersage für die
Finanzentwicklung Bremens seriös nicht machbar ist, hegt auf der Hand.
Auch Karoline Linnert selbst sagt in ihrer Erklärung zum Finanzplan,
konkrete Schritte zu weit im Voraus festzulegen, mache angesichts der
„Planungsunsicherheiten" keinen Sinn. Eine Vielzahl von Unwägbarkeiten
kann der Finanzplan folglich gar nicht berücksichtigen. Wie entwickeln
sich in den kommenden Jahren die Energiepreise? Bleibt die
Weltwirtschaft oder wenigstens das europäische Gefüge stabil? Oder
schlägt die Ökonomie schon in absehbarer Zeit die nächsten Kapriolen?
Müssen wir fortan infolge des Klimawandels immer mit Eiseswintern und
den damit verbundenen hohen Folgekosten rechnen? Ist der demografische
Wandel mit all seinen Auswirkungen wirklich bis ins Detail
durchgerechnet? Das fragile Haushaltsgerüst kann schon morgen in sich
zusammenbrechen - und niemand hat es vorhergesagt.
Die vielen Tabellen im
Finanzplan und die gesetzten Worte im Amtsdeutsch suggerieren dem Leser
ein hohes Maß an Ex-pertentum und Verbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit
kann der Finanzplan nicht haben. Er müsste eigentlich einen deutlich
sichtbaren Aufdruck auf der Titelseite tragen: Alle Angaben ohne Gewähr.
So ist der Finanzplan erstens
nur ein Arbeitsinstrument. Es ist ein Zahlenpaket, an dem sich
diejenigen orientieren können, die Bremens Geldgeschäfte in Händen
haben. Das umfangreiche Papier kann zur Überprüfung herangezogen werden,
ob alles im Fahrplan ist.
Und zweitens ist der
Finanzplan - das ist seine wichtigste Funktion - ein politisches
Werkzeug. Die Zahlen, die Tabellen und Kalkulationen dienen dem Ziel,
eine positive Botschaft zu vermitteln. Sie lautet: Die rot-grüne
Landesregierung, allen voran Finanzsenatorin Linnert, spart nach Kräften
und kann es endlich schaffen, Bremen bis 2020 zu konsolidieren. Gerade
im Wahljahr ist das eine wichtige Botschaft, schließlich ist der
Schuldenberg von momentan 17,8 Milliarden Euro Bremens eigentliches
Problem.
Auf dem Papier ist dieser Weg
nun vorgezeichnet, allein die Realität muss noch folgen. Bisher hat sie
das allerdings bei noch keiner Landesregierung getan.
Weser Kurier vom 02.02.2011
Bremen macht erst 2019 weniger Schulden
Es wird besser – wenigstens zum Ende des
Jahrzehnts. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hat am Dienstag im Senat
den Bremer Finanzplan für die Jahre 2010 bis 2014 vorgelegt. Klar wird anhand
der Zahlen: Die Sparmaßnahmen, die jetzt auf dem Papier festgelegt wurden,
zeigen erst in einigen Jahren Auswirkungen auf den immensen Schuldenstand. Die
Gesamtschulden des Bundeslandes erreichen nach der jetzigen Prognose 2018 ihren
Höhepunkt. Mit 21,8 Milliarden Euro.
Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne).Der
Finanzplan wird von der Behörde regelmäßig vorgelegt. Er zeichnet in groben
Zügen die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben für einen Zeitraum von fünf
Jahren vor. Und er leistet sich in einigen Positionen einen Blick in die noch
entferntere Zukunft. Zum Beispiel in der Frage, wie sich die Bevölkerungszahl
entwickelt. Die Statistiker rechnen mit einem leichten Rückgang.
Diesmal aber kommt dem Gerüst eine besondere
Bedeutung zu, denn es steht am Anfang des sogenannten Konsolidierungspfades.
Heißt: Bremen muss – wie alle anderen Bundesländer – bis 2020 einen Haushalt
ohne Neuverschuldung vorlegen. Karoline Linnert am Dienstag: „Ein steiniger Weg
liegt vor uns.“ Sie sieht die Zahlen als Beleg dafür, dass der arme Stadtstaat
seinen Sparkurs beibehält.
Zinsbelastung wächst weiter
Wie steinig der Weg ist, belegen 24 Tabellen auf
den 58 Seiten den Finanzplanes. Zunächst, ist dem zu entnehmen, steigt der
Schuldenstand deutlich weiter. Der Pegel erreicht in diesem Jahr laut Vorhersage
18,9 Milliarden Euro, im kommenden Jahr dann 19,7 Milliarden. Erst nach 2018
rechnen die Finanzexperten im Haus des Reichs damit, dass die Gegensteuerung
greift und der Schuldenstand sehr langsam sinkt. Erst auf 21,7 Milliarden, dann
auf 21,6 Milliarden, und weiter auf diesem Pfad.
Durch den anwachsenden Schuldenberg steigt auch
die Zinsbelastung weiter an. 2010 musste der Stadtstaat (die beiden Kommunen
Bremen und Bremerhaven und das Land) 690,5 Millionen Euro allein für Zinsen
aufbringen. Im Jahr 2014, also gegen Ende des jetzigen Planungszeitraums, wird
dieser Marker bei 752,6 Millionen Euro liegen. Der Anteil der Zinsen an den
Ausgaben wird immer bestimmender. Wobei der Bund Bremen bis 2020 mit jährlich
300 Millionen Euro unter die Arme greift, sofern sich Bremen strikt an den
Konsolidierungspfad hält.
„Das Ziel ist nur erreichbar, wenn wir Stellen
abbauen, die Investitionen auf ein vertretbares Maß senken und Steuereinnahmen
auch tatsächlich steigen“, sagt Linnert. Der Reihe nach: Bekanntlich hat der
Senat beschlossen, dass bis 2014 rund 950 Vollzeitstellen eingespart werden.
Dabei hatte die Finanzsenatorin Karoline Linnert schon in der Vergangenheit klar
gemacht, dass nicht jede Stelle, die durch Fluktuation frei wird, auch
eingespart werden könne. Die Personalkosten steigen weiter auf knapp 1,2
Milliarden Euro im Jahr 2014. Wobei sich diese Zahl allerdings auf die
Kernverwaltung bezieht. Mit allen Ausgliederungen, Kliniken und Hochschulen
liegt die Ausgaben-Marke im Personalsektor deutlich höher.
Nichtsdestotrotz: Die Zahl der Beschäftigten in
der Kernverwaltung nimmt ab. Und 2019/2020 sollen dann auch die
Versorgungslasten (Pensionen und sonstige Zahlungen) mit 382 Millionen Euro
ihren Spitzenwert überschreiten.
Zweitens die Investitionen. 2010 hat es bei den
Ausgaben noch eine deutliche Delle nach oben gegeben, Bremen konnte 641
Millionen Euro investieren. Grund dafür war das Konjunkturprogramm das Bundes,
das in Bremen vor allem in energetische Sanierungen gesteckt worden ist.
Grundsätzlich pendeln sich die Investitionen auf ein Niveau von ungefähr 495
Millionen Euro ein.
Finanzressort hofft einen Wandel
Drittens die Steuereinnahmen. Tatsächlich geht
das Finanzressort – fußend auf die bundesweiten Prognosen – nach der Finanz- und
Wirtschaftskrise davon aus, dass es ordentlich bergauf geht. In diesem Jahr
sollen es rund 3,3 Milliarden Euro sein, in vier Jahren sollen 3,7 Milliarden in
die Kasse kommen. Dabei ist der Länderfinanzausgleich, den jetzt die Länder
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen infrage gestellt, eingerechnet. Linnert
warnt davor, beim Länderfinanzausgleich Abstriche zu machen: „Wer Hand an das
Fundament eines Gebäudes legt, der muss mit dessen Einsturz rechnen.“
Um rund 111 Millionen Euro pro Jahr muss das
Bremer Defizit – das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben – in den kommenden
zehn Jahren geschlossen werden. Bemessensgrundlage ist das Haushaltsminus des
vergangenen Jahres: 1,113 Milliarden Euro gilt es in zehn Schritten auf Null zu
fahren. Das Finanzressort zeigt noch einmal auf, dass aus seiner Warte dieser
Schritt für 2011 eingehalten werde und für 2012 „aus aktueller Sicht gute
Aussichten“ bestünden.
Nachbessern müssen die städtischen Haushälter
allerdings in den Jahren 2013 und 2014 teilweise kräftig. Im ersten Jahr müssen
nach den derzeitigen Vorhersagen 73 Millionen Euro extra eingespart werden, im
Jahr später sogar rund 120 Millionen Euro.
Konkret sagen, wie das gehen soll, will
Finanzsenatorin Karoline Linnert heute noch nicht. „Wir gehen Schritt für
Schritt vor.“ Angesichts der vielfältigen Planungsunsicherheiten mache es
allerdings keinen Sinn, so zu tun, als könne man jetzt schon alles im Detail
festlegen. „Wir werden unsere Planungen Jahr für Jahr weiter konkretisieren. Das
braucht langen Atem.“
Weser Kurier vom 02.02.2011 -
Michael Brandt
Bremens Schulden - Ausschuss legt Sparkatalog
vor
Die Schuldenbremse soll in Bremen vorläufig
keinen Verfassungsrang bekommen. Das gehört zu den mehrheitlich getragenen
Vorschlägen des Parlamentsausschusses, der sich mit den finanzpolitischen
Konsequenzen aus der bundesweiten Föderalismuskommission II für Bremen befasst
hat.
Zum Ausklang der rund einjährigen Beratungen
stellt die Vorsitzende des Gremiums, die SPD-Abgeordnete Uta Kummer, einen
Katalog an Empfehlungen vor. Sie hält es unter anderem für verfrüht, das Verbot
der Neuverschuldung, das erst ab 2020 greifen soll, schon jetzt in der
Verfassung zu verankern. Vielmehr sollte es in dieser Übergangszeit in die
Landeshaushaltsordnung einfließen.
Die Schuldenregelung sieht vor, das die Haushalte
der Länder künftig ohne Einnahmen aus Krediten auskommen müssen. Dies gehört zu
den Verabredungen, die in der Föderalismuskommission II auf Bundesebene
getroffen worden waren. Überdies gibt es für besonders finanzschwache Länder,
darunter Bremen, gegen den Nachweis konsequenter Sparpolitik übergangsweise bis
2019 eine jährliche Hilfe in dreistelliger Millionenhöhe. Am 15. Oktober
vergangenen Jahres war in Berlin ein spezielles Gremium ("Evaluationsausschuss")
eingesetzt worden, das die Haushaltslage der notleidenden Länder überprüft und
im Mai dem Stabilitätsrat berichtet.
Hilfen vom Bund, Nachweis eiserner Sparpolitik in
Bremen, die Schuldenbremse als unabweisliche Perspektive - vor diesem
Hintergrund hatte die Bremische Bürgerschaft im Dezember 2009 einen eigenen
themenbezogenen Ausschuss eingesetzt, um die Umsetzung der Vorgaben aus der
Föderalismuskomission II parlamentarisch zu begleiten. Die Opposition hatte
damals dafür geworben, das Problem politisch eine Etage höher anzusiedeln und
eine Enquetekommission einzurichten, um zusätzlichen externen Sachverstand fest
einbeziehen zu können. Sie war aber damit nicht durchgedrungen.
Parlamentarischer Konflikt droht
Nach rund einjähriger Beratungszeit ist jetzt ein
Katalog mit "Empfehlungen des Ausschusses" formuliert worden. Hinter einem
Spiegelstrich heißt es, die Mehrheit der Ausschussmitglieder rate davon ab, die
Landesverfassung "im Vorgriff" auf 2020 zu ändern.
Damit ist ein Konflikt für die Plenums-Beratungen
programmiert, die für Februar angepeilt sind. Der Abgeordnete Wolfgang Schrörs,
der für die CDU-Fraktion in dem Ausschuss mitgearbeitet hat, erklärte, er habe
die Empfehlungen bis Ende dieser Woche noch nicht zugestellt bekommen. Wenn die
rot-grüne Mehrheit aber tatsächlich dagegen sei, die Schuldenbremse in die
bremische Landesverfassung aufzunehmen, dann sei dies geradezu "ein Beweis
dafür, dass die Koalition an ernsthaften Sparbemühungen nicht interessiert" sei.
Der Christdemokrat verweist zudem darauf, dass andere Bundesländer einen anderen
Weg beschreiten wollten und diese Regelung zur Haushaltskontrolle in ihre
Verfassungen aufnehmen wollten.
Die Ausschussvorsitzende Uta Kummer von der
SPD-Regierungsfraktion erklärte zum Abschluss der Ausschussberatungen, in den
Diskussionen und Prüfungen mit auswärtigen Fachleuten habe sich in den
vergangenen Monaten gezeigt, dass sich Bremen mit seinem haushaltspolitischen
Kurs im Vergleich mit anderen Ländern behaupten könne. Bei genauer Betrachtung
habe sich beispielsweise erwiesen, dass ein Anstieg der Sozialausgaben nicht nur
in Bremen, sondern auch anderswo registriert werde und finanzpolitisch Sorgen
bereite. Und es sei auch nachgewiesen worden, dass manche Sparprogramme, die in
anderen Ländern aufgelegt und "mit großem Theaterdonner" als beispielhaft
angesehen worden seien, über längere Sicht dann doch nicht den erwarteten Erfolg
gehabt hätten.
Zu den Empfehlungen, die das Parlament über die
Arbeit des Föderalismus-Ausschusses nun in die bremische Regierungspolitik
einspeist, gehört unter anderem, die Personalkosten der öffentlichen Hand weiter
zu verringern. Es gelte, so ein Vorschlag, "die Kosten für das aktive Personal
konstant zu halten". Und der Anstieg der Versorgungsbezüge für Bedienstete sei
"nicht als unabwendbar hinzunehmen". Zu den Zielen gehöre es, "die
Beamtenversorgung an die Entwicklungen der Rentenversicherung anzugleichen".
In den Empfehlungen wird überdies dafür plädiert,
weitere "Handlungsspielräume" für künftige Reformen und Kostensenkungen auf dem
Personalsektor zu benennen. Es müsse beispielsweise untersucht werden, ob
womöglich Regelungen im Beamten- und Besoldungsrecht im Vergleich zu dem, was
für andere Beschäftigte gilt, "nicht mehr angemessen" oder auch "nicht mehr
zeitgemäß" seien.
Weser Kurier vom 23.01.2011 -
Wigbert Gerling
Bremer Haushalt 2011 - Bürgerschaft beschließt
neue Schulden
Start zum haushaltspolitischen Hindernislauf auf
der Langstrecke im Landtag: Mit den Stimmen der rot-grünen Koalition ist am
Mittwoch der Etat für das kommende Jahr beschlossen worden. Er sieht Einnahmen
von knapp 3,2 und Ausgaben von gut 4,2 Milliarden Euro vor. Das Minus wird
einmal mehr durch neue Schulden ausgeglichen.
Die Zuschauerränge im Haus der Bürgerschaft waren
voll, als am Mittwoch in einer Generaldebatte über den Umgang mit den leeren
Kassen gestritten wurde. Dazu einige Rohdaten, die Grundlage der
parlamentarischen Diskussion waren: Im Haushaltsplan für das kommenden Jahr ist
eingerechnet, dass von den erwarteten knapp 3,2 Milliarden Euro Einnahmen etwa
zwei Milliarden via Steuern kommen. Ein Betrag von fast 590 Millionen Euro, so
der zweite große Plus-Posten, erreicht Bremen über das bundesweite System des
Länderfinanzausgleichs. Hinzu kommt in etwa gleicher Höhe noch Geld
beispielsweise aus der Städtebauförderung, aus Gebühren und aus Töpfen der
Europäischen Union.
Bei den Ausgaben in Höhe von über 4,2 Milliarden
gehören die Personalkosten mit gut 1,1 Milliarden wie üblich zu den größten
Einzelpositionen. Für Investitionen will Bremen 464 Millionen Euro zur Verfügung
stellen, für Sozialleistungen wird mit Ausgaben von 679 Millionen gerechnet -
und ein beinahe ebenso großer Betrag, genau 623 Millionen, muss demnach
ausgegeben werden, um die Zinsen für den Schuldenberg zu bezahlen.
2011 greift erstmals die im Grundgesetz
verankerte Schuldenbremse. Danach dürfen die Bundesländer von 2020 an keine
neuen Kredite aufnehmen. Bis dahin will Bremen die Neuverschuldung schrittweise
um 112 Millionen Euro jährlich abbauen. Im Gegenzug soll der klamme
Zwei-Städte-Staat bis 2019 Konsolidierungshilfen in Höhe von 300 Millionen Euro
jährlich erhalten.
"Bremen gibt jeden sechsten Euro für Zinsen aus"
"Dieser Haushalt ist ein Einstieg in neue
Zeiten", sagte Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne). Mit ihm sei ein erster
Schritt zur Haushaltskonsolidierung getan. "Wir stellen uns der Herausforderung,
mit knappen Ressourcen auszukommen", betonte Linnert. "Brutalstmögliches Sparen"
sei jedoch keine Option, sagte die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion,
Ute Kummer.
Nach Angaben des Bundes der Steuerzahler sitzt
die Hansestadt auf einem Schuldenberg von 17,2 Milliarden Euro, die
Finanzbehörde sprach zuletzt von 16,4 Milliarden Euro. Bis 2014 wird das Defizit
- unter anderem wegen der enormen Zinslast - auf 19,2 Milliarden Euro steigen.
"Bremen
gibt jeden sechsten Euro für Zinsen aus", kritisierte der
CDU-Finanzexperte Wolfgang Schrörs. "Der Senat muss endlich mit dem Sparen
beginnen." Schrörs bezeichnete den Haushaltsentwurf als Bankrotterklärung.
Dieser sei verantwortungslos und unsolide. Auch die FDP und die Linken lehnten
die Finanzpläne ab. (wk/dpa)
Weser Kurier vom 08.12.2010
Schein-Selbstständigkeit
Lars Haider zur
Eigenständigkeit Bremens
In diesen Vorwahlkampfzeiten
ist viel von Bremens Selbstständigkeit die Rede. Parteien, die sich in
Gründung befinden, sprechen darüber, genauso wie Geberländer, die genug
vom Länderfinanzausgleich haben und sich sogar Prozesse dagegen
vorstellen können. Außerdem gibt es den Senat, der sich gegen die einen
wie die anderen wehrt.
Dabei entsteht die Frage, ob
der Begriff geeignet ist, den Zustand des kleinsten Bundeslandes
wahrheitsgetreu zu beschreiben, oder ob man nicht ehrlicherweise von
einer Schein-Selbstständigkeit sprechen müsste. Denn ohne die Hilfe
anderer könnte Bremen unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt nicht
existieren. Was direkt zur nächsten Frage führt: Wer hat das beste
Konzept, um das Land irgendwann einmal in eine Selbstständigkeit zu
führen, die diesen Namen wirklich verdient? Das muss das entscheidende
Wahlkampfthema sein, weil sich ihm alles andere unterordnet.
Grundsätzlich gibt es drei
Möglichkeiten, wie der von allen gewünschte Fortbestand Bremens
gesichert werden konnte. Erstens wie bisher mit einer wie auch immer
gearteten Hilfe von außen. Zweitens, in dem die Art der Besteuerung in
Deutschland grundsätzlich geändert wird: Die Menschen müssten ihre
Steuern nicht mehr dort zahlen, wo sie wohnen, sondern dort, wo sie
arbeiten. Und drittens: Bre-men muss dem Rest der Republik beweisen,
dass es bereit ist, die Selbstständigkeit aus eigenen Stücken zu
bewahren. Das würde extreme, eindrucksvolle Sparanstrengungen und einen
grundsätzlich anderen Umgang mit öffentlichen Geldern bedingen.
Punkt eins scheidet kurz- bis
mittelfristig aus. Einerseits angesichts des wachsenden Widerstandes der
sogenannten Geberländer, andererseits wegen der für 2020 festgelegten
Schuldenbremse. Punkt zwei wäre im Hinblick auf die stärke
innerbremische Wertschöpfung wünschenswert, dürfte aber angesichts der
Machtverhältnisse in Bundestag und Bundesrat niemals durchzusetzen sein.
Das weiß auch der Senat um Bürgermeister Jens Böhrnsen. Bleibt also nur
Punkt drei: Das ist der härteste, aber eben auch der einzige Weg aus der
Krise, in der Bremen steckt.
In der Vergangenheit ist es
keiner Regierung gelungen, im Rest der Republik den Eindruck zu
vermitteln, dass man wirklich alles dafür tun würde, eine echte
Selbstständigkeit zu erlangen. Doch genau darauf kommt es jetzt an: Wie
man von den Spielern einer Fußball-Bundesliga-Mannschaft im
Abstiegskampf erwartet, dass sie wenigstens kämpft, wenn die
spielerischen Mittel begrenzt sind, muss Bremen endlich unbedingten
Sanierungswillen zeigen. Deshalb können und werden Parteien, die vor der
Wahl im Mai allen Ernstes ankündigen, dieses oder jenes würde es künftig
mehr geben, nur verlieren.
In diesem Wahlkampf muss es
darum gehen, das große Ganze - also das eigenständige Land Bremen - zu
erhalten, auch wenn das zuungunsten kleiner oder größerer Gruppen geht.
Es wird keine Versprechen geben können außer jenem, die Finanzen des
Landes zu konsolidieren. Natürlich machen sich dazu passende
Ankündigungen und Slogans auf Wahlplakaten nicht besonders gut. Trotzdem
sind sie so richtig wie alternativlos. Es sei denn, Parteien und
Politiker wollen den Wählerinnen und Wählern etwas versprechen, was sie
nicht halten können. Oder was Bremen von der Schein- am Ende wirklich in
die Unselbstständigkeit führt. Weser Kurier vom
26.01.2011
Länderfinanzausgleich
Mal sind es Geber, dann wieder Nehmer: Klagen
gegen den Finanzausgleich sind die Regel
Die
Klage gegen den Länderfinanzausgleich ist fast so alt wie das System als
solches. 1952 erklärte das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal den
horizontalen Finanzausgleich, also die Zahlungen zwischen den Ländern
zur Angleichung der Lebensverhältnisse, als mit dem Grundgesetz
vereinbar. Schon damals war Baden-Württemberg Kläger gewesen. Es hatte
sich auf den Standpunkt gestellt, nur Bundeszuschüsse seien vom
Grundgesetz gedeckt.
1986 entschieden die Richter
in Karlsruhe, der Länderfinanzausgleich sei nicht verfassungskonform.
Der Grund lautete: Die Finanzkraft der Länder werde unzureichend
bestimmt, weil bergrechtliche Förderabgaben und die Spielbankenabgabe
ebenso wenig berücksichtigt würden wie die Grunderwerbsteuer und die
Feuerschutzsteuer. Hingegen akzeptierten die Richter die sogenannte
Einwohnerveredelung, mit der die Sonderlasten der Küstenländer mit ihren
Häfen und der Stadtstaaten ausgeglichen wird.
Das 1987 geänderte Gesetz
landete schon kurz darauf wieder in Karlsruhe. 1992 stufte der Zweite
Senat es als im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar ein. Die
Stadtstaaten Bremen und Hamburg hatten geklagt, weil sie sich einen für
sie günstigeren Einwohnerschlüssel erhofft hatten. Auch
Schleswig-Holstein und das Saarland waren mit ihrem Ansinnen
gescheitert, die (schwache) Finanzkraft ihrer Gemeinden stärker zu
berücksichtigen. Damals äußerten sich Baden-Württemberg und Hessen
zufrieden, weil sie nicht noch mehr zahlen mussten.
1999 gab das
Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf, den Länderfinanzausgleich
in zwei Stufen neu zu regeln. In einem Maßstäbegesetz sollte er
grundlegend klären, wie das Umsatzsteueraufkommen und die
Bundesergänzungszuweisungen verteilt werden sollen, "bevor deren spätere
Wirkungen konkret bekannt werden". Anschließend sollten auf dieser Basis
die Details geklärt werden. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen hatten
geklagt. Doch erwies es sich als eine Illusion, dass die Verhandlungen
unabhängig von den dadurch ausgelösten Umverteilungseffekten möglich
sein sollten. So hat man die rechtlichen Grundlagen zwar geändert, aber
das System aus wenigen Zahlern und vielen Empfängern ist im Wesentlichen
gleich geblieben, (mas.)
F.A.Z vom
25.01.2011
Warum Bremen so hoch
verschuldet ist
Von Michael Brandt
Das kleinste Land, die
größte Schuldenlast. Bremen gibt im Jahr eine Milliarde Euro mehr aus,
als in die Kasse kommt. Die Folge des süßen Lebens: Mehr als 16
Milliarden Euro Schulden und allein 650 Millionen Euro pro Jahr, um bei
den Banken die Kreditzinsen zu zahlen. Wann wurden die Hebel in Bremen
falsch umgelegt?
Wieder und wieder treten die
Regierunsgspitzen in Bremen an die Öffentlichkeit und beteuern: Jetzt
geht es richtig los mit dem Sparen und dem Sanieren des Haushalts, jetzt
wird es ernst. Das hat den Charme einer Dauerwerbesendung in der
Endlosschleife. Die Worte gleichen sich, ob es um die
Koalitionsverhandlungen 2007 geht, die Klage in Karlsruhe, die
Föderalismusverhandlungen 2009 oder die Haushaltsberatungen heute.
Klar aber: Jetzt wird Bremen
der Sparkurs zu einem Gutteil von außen diktiert. Wenn das kleinste
Bundesland ab 1. Januar 2011 jährlich 300 Millionen Euro an
Zinsbeihilfen vom Bund haben will, muss es auch die Kriterien erfüllen.
Welche genau das sind? Das wird sich erst im Laufe des Jahres zeigen.
Vorsorglich hat die
rot-grüne Koalition in den vergangenen Wochen damit begonnen, den
Spar-Haushalt 2011 umzubauen. Der Prozess war angesichts der
Wirtschaftskrise im vergangenen Herbst gestoppt worden. Derzeitiger
Stand: Das Defizit soll 2011 um 46 Millionen Euro mehr schrumpfen, als
bereits verabredet war. Unter dem Strich soll der Spalt zwischen
Einnahmen und Ausgaben um 96 Millionen Euro verringert werden. Die
Senatoren wollen jetzt bis Mitte Mai Hausaufgaben machen, ehe die
nächste Klausurtagung ansteht.
Um zu erklären, wie Bremen
an diesen Punkt gelangt ist, muss man in die Geschichte blicken. Ein
möglicher Anfangspunkt sind die ausgehenden 60er Jahre. Damals wurde das
Steuerwesen in der Bundesrepublik neu geordnet - mit Zustimmung des
Bremer Bürgermeisters Hans Koschnick (SPD). Die Bürger zahlten fortan
ihre Steuern nicht mehr am Arbeits- sondern am Wohnort. Für Bremen ein
Verlustgeschäft, das bis heute nachwirkt.
Zwar sollte der
Länderfinanzausgleich die Ungerechtigkeiten ausbügeln, aber es dauerte
bis 1987, ehe Bremen als eine Art Entschädigung sogenannte
Bundesergänzungszuweisungen bekam. Unverändert ist jedoch noch heute die
vermeintlich ungerechte Finanzverteilung durch das Wohnortprinzip eines
der Hauptargumente Bremer Politik, wenn es darum geht, den Schuldenberg
zu erklären.
Bei der Bürgerschaftswahl
1971 kam die SPD mit Koschnick an der Spitze auf ihr bisher bestes
Ergebnis im Lande, mit mehr als 55 Prozent der Stimmen sicherten sich
die Sozialdemokraten die Alleinregierung. 1973 kam die Ölkrise und damit
für Bremen die wirtschaftliche Stagnation. Während die Bundesrepublik
1975 sogar einen Rückgang der Wirtschaft erlebte, konnte sich die
Wirtschaft in Bremen knapp behaupten. Dennoch: Die Zahl der Arbeitslosen
kletterten erstmals seit Wirtschaftswunderzeiten kontinuierlich,
erreichte 1974 die Marke von 4,5 Prozent, ein Jahr später 5,6 Prozent.
44.000 öffentliche Jobs
Der Senat antwortete mit
einem massiven Einstellungsprogramm für den öffentlichen Dienst. Rund
30.000 Staatsdiener kümmerten sich 1974 um das Gemeinweisen, nur sechs
Jahre später waren es bereits knapp 44.000. Der Beamtenbund forderte
aber auch in dieser Situation noch 'mehr Personal'. Rund 14.000 Personen
arbeiten heute in der Kernverwaltung, dazu kommen noch einmal wenigstens
13.000 Beschäftigte in den Gesellschaften, zum Beispiel in den Kliniken,
und den Eigenbetrieben wie etwa den Museen. Die Personalausgaben liegen
oberhalb der Milliardengrenze - allerdings ohne Versorgungslasten für
die Ehemaligen gerechnet. Die Folgen des Einstellungsbooms wirken bis
auf den heutigen Tag nach.
Bremen hatte es nicht
einfach. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die nicht eben positiv
für die Haushaltsentwicklung waren. So sagen die Fachleute der
Finanzbehörde, es sei ursprünglich nicht absehbar gewesen, dass Bremen
die Kosten für den Uni-Aufbau würde allein bewältigen müssen. 1983 ging
die AG Weser in Konkurs, 1996 war es der Vulkan in Bremen-Nord. Dazu
kommt die Stadtstaaten-Problematik: Die Sozialausgaben steigen und
Bremen hält Leistungen für das Umland vor.
Unter finanziellen Aspekten
wirkte indes eine andere Entwicklung wesentlich schwerer als die
spektakulären Pleiten: Mit Beginn der 90er Jahre nahm der
Einwohnerverlust dramatisch zu. Schon in früheren Jahrzehnten war die
Zahl der Berufspendler stetig angestiegen. 1960 waren es knapp 60.000,
zehn Jahre später schon 70.000, die Zählung von 1987 ergab rund 100.000
Einpendler. Und jeder verlorene Bürger kostet Bremen 3.748 Euro im Jahr.
1992 konnte Bremen unter
SPD-Bürgermeister Klaus Wedemeier erstmals einen Erfolg vor dem
Bundesverfassungsgericht erzielen. Bremens Profit: 9,7 Milliarden
flossen dem Haushalt zu. Die Strategie der ab 1995 rot-schwarzen
Landesregierung: Kräftig investieren, um wirtschaftlich gestärkt die
Schulden zu tilgen. Der Plan schlug fehl, wie die ungebrochene
Entwicklung von Schuldenstand und Pro-Kopf-Verschuldung belegt.
Unrühmlicher Höhepunkt: Die Fehlinvestition in den Space Park.
Explosion der Schulden
1950 lag der Schuldenstand
im Land bei umgerechnet 233 Euro pro Einwohner. Lange Jahre pendelte die
Pro-Kopf-Verschuldung unterhalb von 500 Euro rauf und runter. Ab 1970
ging es steil bergan. Ein Beispiel: von 1973 bis 1974 stieg der
Schuldenstand je Einwohner von 970 auf 1.304 Euro. Heute liegt er bei
24.400 Euro. Bundesweit
ein Rekord.
Parallel dazu hat sich der
Stand der Gesamtschulden entwickelt. 1957 überschritten sie erstmals die
Milliarden-Euro-Grenze. Mittlerweile hat Bremen die Marke von 16,1
Milliarden Euro Schulden überschritten. Die Uhr, die der Bund der
Steuerzahler in der Sandstraße aufgehängt hat, tickt immer schneller.
Derzeit geht das Ressort von Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne)
davon aus, dass 2020 die Schulden bei 23 Milliarden Euro liegen werden.
Weser Kurier vom 14.03.2010
1,69 Billionen: Staatsschulden
auf Rekordstand
Die Staatsschulden in
Deutschland haben wegen der Wirtschaftskrise einen Rekordstand erreicht.
Bund, Länder und Gemeinden standen Ende 2009 mit 1,69 Billionen Euro so
tief in der Kreide wie noch nie.
Der Anstieg im Vergleich zum
Vorjahr betrug 7,1 Prozent oder 112,7 Milliarden Euro, wie das
Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mitteilte. Dies war
der zweitgrößte Schuldenzuwachs seit Bestehen der Bundesrepublik. Eine
höhere absolute Steigerung der öffentlichen Schulden wurde nur 1995 mit
170,7 Milliarden Euro registriert, als es Sondereffekte aus der
Wiedervereinigung gab.
Am stärksten wuchsen im
vergangenen Jahr die Schulden der Länder. Ihr Schuldenstand lag Ende
2009 bei 526,3 Milliarden Euro. Das war ein Zuwachs von 8,5 Prozent
(41,4 Milliarden Euro). Die Verluste der Landesbanken haben den
Schuldenzuwachs maßgeblich beeinflusst - entweder durch die direkte
Belastung der Landeshaushalte oder durch die Neugründung von
Gesellschaften, die zur Risikoabschirmung der Landesbanken dienen.
Die Schuldenlast des Bundes
stieg um 6,9 Prozent (68,1 Milliarden Euro) auf 1,053 Billionen Euro.
Enthalten darin sind die Schulden, die zur Bewältigung der Krise gemacht
wurden. Dazu gehören der Finanzmarktstabilisierungsfonds (36 Milliarden
Euro) sowie der Investitions- und Tilgungsfonds (6,7 Milliarden Euro).
Die Schulden der Kommunen erhöhten sich um 3,0 Prozent (3,2 Milliarden
Euro) auf 112,1 Milliarden Euro.
Insgesamt lagen die
Kreditmarkt-Schulden, die die öffentlichen Haushalte zur Deckung ihrer
Defizite aufnehmen, bei 1,6331 Billionen Euro. Außerdem wurden im Laufe
des vergangenen Jahres kurzfristige Kassenkredite in Höhe von 59,1
Milliarden Euro aufgenommen.
Weser Kurier vom 11.03.2010
Jeder Bremer hat 35.087 Euro Schulden
Ein Etatentwurf der Superlative: Die Bundesregierung hat
gestern den größten Schuldenhaushalt der deutschen Geschichte
beschlossen, Finanzminister Peer Steinbrück stimmt das Land bereits auf
einen harten Sparkurs ab 2011 ein und erwartet "erhebliche
Verteilungskonflikte" bei der Begleichung der Rechnung für die Krise:
Bis 2013 müssen die Ausgaben um insgesamt 37 Milliarden gekürzt werden.
Dazu kommen ab 2013 dauerhaft weitere 18,5 Milliarden, um die neue
Schuldenregel der Verfassung einhalten zu können.
Angesichts der gigantischen Neuverschuldung stehe die kommende
Bundesregierung vor einer "finanzpolitischen Mammutaufgabe", sagte der
Finanzminister. Die neue Regierung werde sich darauf konzentrieren
müssen, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen und zu einem
stabilen Haushalt zurückzukehren, so Steinbrück.
Eine Rosskur mit wenig Spielraum: Die großen Ausgabenblöcke wie der
Rentenzuschuss von 81 Milliarden Euro (25 Prozent des Etats, ein fast
fünfmal so hoher Anteil wie vor einem Vierteljahrhundert), rund 40
Milliarden Euro Schuldzinsen (ein Siebtel des Haushalts) oder ein auf 14
Milliarden Euro steigender Zuschuss an den Gesundheitsfonds und ein
20-Milliarden-Euro-Kredit an die Bundesagentur für Arbeit schränken den
Handlungsspielraum stark ein.
Konkrete Angaben über die in der mittelfristigen Finanzplanung bis
2013 pauschal vorgesehenen Einsparungen wollte der Finanzminister denn
auch nicht machen. Die Schuldenbremse verpflichtet den Bund von 2011 an,
die Neuverschuldung schrittweise zurückzuführen. Von 2016 an darf er
sich in "Normalzeiten" nur mit 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
verschulden, das wären aktuell etwa 8,5 Milliarden Euro.
Auf eine Neuverschuldung von sechs Milliarden Euro wäre Steinbrück im
kommenden Jahr "bei einem normalen Konjunkturverlauf" gekommen, nun aber
muss der Staat 2010 mindestens 86,1 Milliarden Euro, 40 Milliarden mehr
als in diesem Jahr, an neuen Schulden aufnehmen. Bis 2013 sollen es 310
Milliarden Euro sein. Steinbrück nannte die Rekordschuldenaufnahme für
den 327,7-Milliarden-Euro-Etat wegen der tiefen Rezession der deutschen
Wirtschaft "unumgänglich". Mit dem Geld sollen wegbrechende
Steuereinnahmen sowie Mehrkosten für den Arbeitsmarkt, die Sozialkassen
und die Konjunkturpakete ausgeglichen werden.
Der Finanzminister wies zugleich auf weitere Haushaltsrisiken durch
möglicherweise steigende Zinsen hin. Die neuen Schulden für 2010 könnten
am Ende auch über 100 Milliarden Euro liegen, wenn auch noch Kosten aus
Konjunkturpaket und Bankenrettungsfonds SoFFin anfallen sollten. Die
gesamte Staatsverschuldung von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen
nähert sich nunmehr der Rekordmarke von 1600 Milliarden Euro, das macht
laut Bund der Steuerzahler eine um etwas mehr als tausend Euro auf 19.277 Euro steigende Pro-Kopf-Verschuldung. Rechnet man in Bremen die
Schulden von Land und Stadt extra, trägt jeder Bremer Bürger eine
Schuldenlast von 35.087 Euro.
Der Finanzminister räumte ein, dass Deutschland die
Maastricht-Defizitgrenze des Euro-Stabilitätspakts von drei Prozent
deutlich verfehlen wird. Das Defizit dürfte 2009 rund vier Prozent des
Bruttoinlandsprodukts betragen, 2010 knapp sechs Prozent.
Angesichts der dramatischen Haushaltslage warnte Steinbrück erneut
vor "waghalsigen" Steuersenkungsversprechen, schloss aber eine erneute
Erhöhung der Mehrwertsteuer wie nach der Wahl 2005 aus: "Wir sind
gebrannte Kinder." Einen solchen Glaubwürdigkeitsverlust dürfe man sich
nicht noch einmal leisten. In der Union geht der Streit um die
Steuerpolitik dennoch munter weiter. Fraktionschef Volker Kauder (CDU)
wies gestern die Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer zurück, im
Wahlprogramm ein konkretes Datum für geplante Steuersenkungen
festzulegen.
Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) erklärte im
Interview mit dieser Zeitung, für weitere Steuersenkungen oder
staatliche Konjunkturprogramme sei angesichts der schwierigen Zeiten
kein Platz. Er lobte ausdrücklich den Bundesfinanzminister: "Ich wüsste
zurzeit nicht, ob ein anderer sich besser schlagen würde als er."
Weser Kurier vom 25.06.2009
Berlin keilt, Bremen kontert
Schlagabtausch zwischen
Sarrazin und Linnert - Böhrnsen-Brief zur Haushaltslage
Von Michael Brandt und
Wigbert Gerling
Berlin gegen
Bremen - ein Nordduell mit aggressiven Angriffen. In der Sturmspitze:
Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin auf der einen, seine
Amtskollegin Karoline Linnert auf der anderen Seite. Der Berliner
keilte, Bremen habe die Finanzhilfen mit "ungezügelter
Ausgabenwirtschaft verpulvert", Linnert konterte, Berlin sitze "im
Glashaus" und argumentiere "befremdlich" bis "völlig absurd".Rot-grün
ist die Bremer Regierung, rot gegen grün markierte gestern die
Konfliktlinie. Rund zwei Wochen vor der Schaffermahlzeit, bei der der
Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit in Bremen die traditionelle
Mischung aus Stockfisch und Braunkohl einnehmen wird, nahm sich sein
sozialdemokratischer Finanzsenator Sarrazin die Hansestädter zur Brust.
Ausgangspunkt waren
Überlegungen aus Baden-Württemberg, wonach armen Ländern wie Bremen
geholfen werden sollte, wenn es gelte, die Last aufgehäufter Schulden zu
lindern. Das ließ Sarrazin nicht ruhen: "Eine Altschuldenhilfe für die
Länder darf nicht dazu führen, dass fortgesetzte Misswirtschaft
subventioniert wird", legte er per Presseerklärung los. Der Bund habe
Bremen bereits "mit gigantischen Beträgen geholfen" - es seien
Sanierungshilfen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro an die Weser geflossen.
Würde man dies auf die Bevölkerungszahl von Berlin hochrechnen, hätte
das Land an der Spree einen Anspruch auf über 30 Milliarden. Der
Finanzsenator hob schließlich noch hervor, dass Berlin "seine
Hausaufgabe gemacht" und dabei die Ausgaben "radikal begrenzt" habe.
Der Bremer Kollegin
Karoline Linnert fiel sogleich ein Sprichwort ein: "Wer im Glashaus
sitzt..." Nicht zuletzt angesichts der "milliardenschweren Berliner
Bankenpleite sei die Attacke Sarrazins "äußerst befremdlich".
Finanzsenatorin Linnert: "In vielen Bereichen leistet sich Berlin höhere
Ausgaben als Bremen." In Berlin betreue ein Lehrer rechnerisch 15,1
Schüler, in Bremen 17,3. Sarrazin scheitere mit seinem Versuch, "Berlin
als Musterknaben zu präsentieren".
Wie es um den Bremer
Haushalt bestellt ist, diese Frage ist auch Teil der Senatsberatungen,
die am Dienstag stattfinden. Es soll, so der jetzige Stand der Dinge,
ein dicker Stapel an Unterlagen zur Föderalismuskommission II beraten
werden. Denn: Im Herbst hatte die Kommission die Länder angeschrieben
und sich detailliert nach dem Stand der öffentlichen Verschuldung
erkundigt. Das Antwortschreiben von Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) an
die Kommissionsvorsitzenden Peter Struck (SPD) und Günther Oettinger
(CDU) liegt uns im Entwurf vor. Wenig überraschende Kernaussage: Obwohl
alle Anstrengungen unternommen würden, könne Bremen im Zeitraum bis 2019
den Haushalt objektiv nicht aus eigener Kraft ausgleichen.
Weser Kurier vom
26.01.2008
Schulden wachsen ungebremst
Senat beschließt
Finanzrahmen bis 2011 - Kaum Spielräume für Investitionen
Von Michael Brandt
Trotz
aller Anstrengungen - Bremen rutscht immer tiefer in die Schuldenfalle.
Im nächsten Jahr schiebt der Stadtstaat einen Schuldenberg von 14,4
Milliarden Euro vor sich her, die 16-Milliarden-Grenze wird dann
voraussichtlich 2011 erreicht sein. 2008 wird Bremen allein 626
Millionen Euro ausgeben müssen, um Zinsen zu bezahlen. Gestern hat
Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) den Finanzrahmen bis 2011
präsentiert.
Die
Hansestadt bekommt die wachsende Zinslast nicht in den Griff. Allein um
die Zinsen zu tilgen, müssen neue Kredite aufgenommen werden.
Linnert deshalb: "Das ist die Kernzahl des Bremer Debakels." Auch das
Etappenziel, Eingaben und Ausgaben (ohne Zinsen) ausgewogen zu
gestalten, würde nicht dazu beitragen, die "galoppierende
Staatsverschuldung" in den Griff zu bekommen. 2009 soll der sogenannte
Primärsaldo ausgeglichen sein.
Die
Finanzfachleute gehen dabei einerseits davon aus, dass die Bremer
Einnahmen kontinuierlich ansteigen. Im nächsten Jahr sollen knapp 3,2
Milliarden Euro in die Kasse kommen, im Jahr 2009 dann knapp 3,4
Milliarden. Andererseits werden bei den Ausgaben vor allem die
Investitionen im Vergleich zu vergangenen Jahren reduziert. Der Senat
hat sich gestern dazu auf die groben Investitionszahlen für den
kommenden Doppelhaushalt geeinigt. Generell leiste sich Bremen laut
Linnert im Vergleich zu anderen Großstädten immer noch eine hohe
Investitionsquote.2008 will Bremen demnach 454 Millionen Euro
investieren. Dabei liegen die Anmeldungen der Ressorts rund 130
Millionen Euro über dem Eckwert. Verschärft wird das Problem dadurch,
dass von den 454 Millionen Euro Investitionsmitteln bereits 352
Millionen durch frühere Entscheidungen gebunden sind.
Dennoch
sind laut Karoline Linnert Spielräume vorhaben. "Hier wird nicht alles
kaputt gespart. Das ist nicht so." Als Beispiele nannte sie die
notwendige Sanierung der Justizvollzugsanstalt und den Kunsthallenanbau.
Schließlich hat die grüne Finanzsenatorin gestern den sogenannten "Benchmarking-Bericht"
für 2007 vorgelegt. Darin wird Bremen detailliert mit anderen
Großstädten und Ländern verglichen. Auf 150 Seiten findet sich eine
Fülle von Material. So ist zum Beispiel der Arbeitsplatzabbau von 2001
bis 2006 in Bremen unterdurchschnittlich gewesen. Hingegen arbeiten in
Bremen im Vergleich zu den Stadtstaaten Hamburg und Berlin deutlich mehr
Pendler.
Bei der
Polizeidichte nimmt Bremen Rang fünf von elf Vergleichsstädten ein. Als
kritisch bewertete Karoline Linnert, dass Bremen hingegen bei den
Ausgaben pro Schüler und bei den Kulturausgaben am unteren Ende der
Skala rangiere. Auch bei den Ausgaben pro Studierendem könne man "nicht
weiter kürzen, um die Qualität nicht zu gefährden".
Weser Kurier vom
12.12.2007
"Große Koalition bot Angriffsflächen"
Interview mit
Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) zu den überregionalen Attacken gegen
Bremen
Attacken
erst von anderen Bundesländern, dann auch vom Bund gegen die bremische
Haushaltsführung - das Land Bremen, das vor dem Verfassungsgericht eine
Finanzhilfe erstreiten will, bekommt es derzeit knüppeldick. Nach dem
politische Trommelfeuer sprach unser Redakteur Wigbert Gerling mit
Bürgermeister Jens Böhrnsen.
Frage: Das Land Bremen fordert finanzielle Hilfe von
anderen ein, aber es sieht so aus, als stehe es inzwischen auf
verlorenem Posten, ohne Verbündete?
Jens
Böhrnsen: Bremen hat gute Argumente und auch gute Freunde unter den
anderen Ländern und beim Bund. Niemand darf sich ins Bockshorn jagen
lassen, wenn Stellungnahmen, die nun bei Gericht eingehen, kritisch
ausfallen. Ein solches Verfahren wird nicht mit Samthandschuhen geführt.
Am Ende aber entscheiden die Richter.
Und wo
sind die Bremer Freunde beim Ringen um mehr Geld?
In der
Frage der Kosten für die Seehäfen zum Beispiel stehen die norddeutschen
Länder zusammen, die meinen, der Bund müsse sich mehr beteiligen.
Gemeinsamkeit gibt es auch mit Ländern, deren hohe Wirtschaftskraft sich
- wie in Bremen - nicht in den Steuereinnahmen widerspiegelt. Darüber
sind wir etwa mit Baden-Württemberg im guten Gespräch.
Sorgt es
Sie nicht, dass das Land Berlin gleichwohl in Karlsruhe erst vor wenigen
Monaten richtig untergegangen ist - mit ähnlichem Begehren wie Bremen?
Richtig
ist, dass nach dem Berlin-Urteil die Latte höher liegt. Aber das, was
jetzt gegen die bremische Finanzpolitik vorgebracht wurde - zuletzt vom
Bund -, das war polemisch, milde gesagt. Es ist doch absurd, wenn
gefordert wird, dass Bremen bei einem Etat von etwa vier Milliarden Euro
noch eine Milliarde einsparen könnte. Das nenne ich akademisches
Geschwafel. Ich lade die Kritiker nach Bremen ein. Sollen sie doch hier
in den Stadtteilen konkret überprüfen, ob wir zum Beispiel für Soziales
und Bildung zu viel ausgeben. Bremen liegt bei den konsumtiven
Pro-Kopf-Ausgaben niedriger als der Stadtstaat Hamburg und erst recht
als Berlin.
Wurmt es
Sie, dass Sie immer auch damit zu tun haben, die Finanzpolitik der
vergangenen großen Koalition zu rechtfertigen?
Man muss
ganz klar einräumen, dass die Politik der großen Koalition auch
Angriffsflächen für Kritik geschaffen hat. Es war zwar richtig, viel für
die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur zu tun, aber die frühere
Koalition hat bei den Investitionen an einigen Stellen übertrieben. Wir
haben uns da so manches nicht leisten können und dürfen. So taucht in
jedem Schriftsatz für das Verfassungsgericht der Space Park auf. Er ist
überregional das Negativ-Symbol für bremische Investitionspolitik
geworden, das uns um die Ohren gehauen wird. Und auch die teilweise
mangelnde Transparenz in der Haushaltspolitik der großen Koalition stößt
zu Recht auf Kritik. Aber es geht nicht darum, die Vergangenheit zu
bewältigen - ich schaue in die Zukunft. Wir wollen mit Argumenten
überzeugen. Wir haben für Transparenz im Haushalt gesorgt, da kann man
in jede Ecke hineinleuchten. Unser Haushalt ist jetzt bundesweit
vorzeigbar. Die rot-grüne Regierung hat sich ganz ambitioniert
vorgenommen, dass sie die erste ist, die in den kommenden vier Jahren
weniger ausgibt als die Regierung zuvor. Wir sparen und setzen dennoch
Schwerpunkte - bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, bei Soziales und
Bildung.
Der
Bundestagsabgeordnete Volker Kröning hat nun vorgeschlagen, die Klage in
Karlsruhe mangels Aussicht auf Erfolg lieber schnell zurückzunehmen.
Es gehört
gewiss nicht zu den taktischen Meisterleistungen, wenn man öffentlich
darüber redet, ob man eine Klage aus Ängstlichkeit vor den Argumenten
anderer zurücknimmt. Ich bin von unseren Argumenten zugunsten einer
finanziellen Hilfe für Bremen überzeugt.
Weser Kurier vom
15.08.2007
Nächstes Gutachten, nächster Tiefschlag
Böhrnsen bezeichnet
Kritik des Bundes als "realitätsblind und weltfremd" - Bund verurteilt
Investitionspolitik
Von
Michael Brandt
Im
Tonfall moderat, inhaltlich deshalb nicht weniger happig. Seit gestern
liegt die Stellungnahme des Bundes zur Klage in Karlsruhe vor. Sie lässt
weder ein gutes Haar an der bisherigen Sanierungspolitik des Landes,
noch sieht sie einen Anspruch Bremens auf finanzielle Hilfe der
Ländergemeinschaft. Finanz-Staatsrat Henning Lühr mahnte dennoch
"konzentrierte Gelassenheit" an." Die Strategie, durch höhere
Investitionsausgaben die Steuereinnahmen nachhaltig zu steigern, schlug
fehlt", heißt es in der 70 Seiten umfassenden Stellungnahme des
Prozessbevollmächtigten Christian Waldhoff.
Diese
Strategie sei von Bremen "eigenverantwortlich ins Werk gesetzt" worden.
Bremen hatte sich bisher regelmäßig darauf berufen, dass alle
Sanierungsschritte mit dem Bund abgesprochen gewesen seien.An anderer
Stelle vergleicht das Gutachten die Bremer Ausgaben mit denen des
Stadtstaats Hamburg. Ein Beispiel: Im Jahr 2005 lagen die
Investitionsausgaben pro Einwohner in Bremen bei 1138 Euro, in Hamburg
bei 624 Euro. Schließlich erhebt der Bund den Vorwurf, Bremen würde
nicht nur zu viel Geld ausgeben, sondern habe auch die Anstrengungen
nicht ausreichend dargelegt, die Einnahmen zu erhöhen.
Gemeint
sind damit explizit die Anhebung von Gebühren, Gewerbe- und Grundsteuern
sowie weitere Verkäufe und Privatisierungen. Staatsrat Lühr erteilte
gestern bereits einer Anhebung von Kita-Gebühren eine Absage: "Das führt
zu einer sozialen Schieflage in der Stadt. Das wollen wir nicht. Die
neue Koalition ist mit anderen Zielen angetreten." Er fasste die
Kernaussage des Berichts so zusammen: "Entweder ihr schafft es selbst
oder ihr schließt euch einem anderen Land an." "Der Bund liegt falsch,
wenn er mit solchen oberflächlichen Zahlenspielereien die
Haushaltsnotlage des Landes Bremen beurteilen will."
Mit
diesen Worten bezog gestern außerdem Bürgermeister Jens Böhrnsen
Stellung zu den Waldhoff-Aussagen. So moniert er, dass das Gutachten
zwar die hohen Sozialausgaben Bremens kritisiere, dabei aber nicht
beachte, dass auch die Zahl der Sozialhilfeempfänger hier
überproportional hoch sei. Als "realitätsblind und weltfremd" stufte
Böhrnsen die Kritik der Gutachter daran ein, dass Bremen die laufenden
Kosten bis 2009 lediglich konstant halten wolle. Bremen habe an vielen
Stellen bereits "bis auf den Knochen" gespart.
Für die
Hansestadt ist das Berliner Gutachten bereits der zweite Tiefschlag
innerhalb kürzester Zeit. Anfang August war die Stellungnahme der Länder
Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen
publik geworden. Finanzwissenschaftler kamen darin zu dem Schluss,
Bremen könne den Haushalt aus eigener Kraft konsolidieren. Sie hatten
für Bremen ein weiteres jährliches Einsparpotenzial von einer Milliarde
errechnet. In der Finanzbehörde haben gestern bereits die Fachleute
damit begonnen, eine Entgegnung auszuarbeiten. Lühr: "Bei einer fairen
Betrachtung wird deutlich, dass Bremen erhebliche Eigenanstrengungen
unternimmt, sich aber ohne Hilfe der Länder und des Bundes nicht aus der
Haushaltsnotlage befreien kann."
Weser Kurier vom
10.08.2007
Scharfe Kritik aus Sachsen - wachsender Zorn in Bremen
Streit über Gutachten
zur Haushaltsnotlage geht in die nächste Runde - CDU warnt
Regierungskoalition
Von
Michael Brandt
"So viel
kann gesagt werden: Die angespannte Bremer Haushaltslage ist und bleibt
hausgemacht." So heißt es in einer Erklärung des sächsischen
Finanzministeriums in Dresden angesichts des aktuellen
Gutachter-Streits. Wie berichtet, war in dieser Woche eine Expertise der
Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und
Sachsen publik geworden. Vor dem Hintergrund der Bremer Klage in
Karlsruhe bezweifeln die Länder, dass Bremen in einer Haushaltsnotlage
steckt.Jetzt legt Sachsen ordentlich nach: "Bremen kann aus unserer
Sicht nicht ausreichend darlegen, dass es alle Möglichkeiten zur Lösung
seiner Haushaltsprobleme ausgeschöpft hat." Im Gegenteil: Die Länder
sehen an der Weser "noch erheblichen eigenen Handlungsspielraum." Es sei
lediglich zu erkennen, dass "manche überzogene Ausgabe der
Vergangenheit" inzwischen reduziert würde. In Bremen hat das Gutachten,
das der Prozessbevollmächtigte der genannten Länder, Professor Ulrich
Häde aus Frankfurt, vorgelegt hat, für weitere Reaktionen gesorgt.
CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp nannte das Papier ein
"Gefälligkeitsgutachten" und bescheinigte den Wissenschaftlern ein
"hohes Maß an Ignoranz". Die Schwellenwerte, anhand derer Bremen in dem
Gutachten gemessen werde, seien willkürlich ausgewählt, und die
Eigenanstrengungen Bremens würden nicht berücksichtigt. Der
Oppositionsführer erklärte an die rot-grüne Regierung gerichtet, diese
sei jetzt in der Pflicht, "den selbst verursachten Spagat zwischen
ideologisch bedingten Ausgabenwünschen und der finanzpolitischen
Solidität zu meistern." "Das Gutachten geht in weiten Teilen völlig an
der Realität vorbei", urteilt der FDP-Fraktionsvorsitzende Uwe Woltemath.
Er bleibt aber auch bei der bisherigen Einschätzung der Liberalen:
"Bremens Probleme lassen sich nicht vor Gericht lösen." Woltemath
fordert in diesem Zusammenhang unter anderem die Novellierung des
Personalvertretungsgesetzes und den Verkauf der städtischen
Gewoba-Anteile. Klaus-Rainer Rupp, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken,
schließlich befindet: Eine Einsparung von einer Milliarde Euro, wie im
Gutachten dargestellt, "wäre nur möglich um den Preis der Zerstörung des
sozialen Fundaments dieser Stadt". Wer dies fordere, der wolle eine
andere Gesellschaft ohne sozialen Anspruch. Und die Arbeitnehmerkammer
hält die im Gutachten genannten Einsparpotenziale wie schon tags zuvor
Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) für "absurd". Der Bremer
Haushalt bewege sich bereits jetzt am Rande der gesetzlichen
Möglichkeiten. In einer Erklärung heißt es, im Gutachten würden nicht
nur Äpfel mit Birnen verglichen, zusätzlich werde noch mehrfach in die
falsche Obstkiste gegriffen.
Weser Kurier vom
03.08.2007
Länder zweifeln an Bremer Notlage
Gutachten: Bremen kann
Haushalt allein in den Griff bekommen - Böhrnsen und Linnert reagieren
empört
Von
Michael Brandt
Bremen
hat noch Einspar-Potenziale von einer Milliarde Euro pro Jahr. Diese
Auffassung vertreten Wirtschaftswissenschaftler in einem Gutachten, das
mehrere Bundesländer in Auftrag gegeben haben. Hintergrund ist die
Bremer Klage auf Finanzhilfe beim Bundesverfassungsgericht.
Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist stocksauer. Er bezeichnete das
Papier gestern als "akademisches Geschwafel". Professor Lars P. Feld von
der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und der
Prozessbevollmächtigte der Gegner-Länder, Professor Ulrich Häde, lassen
kein gutes Haar an den Bemühungen Bremens, die Haushaltsnotlage in den
Griff zu bekommen. Feld hat sich im Auftrag von Baden-Württemberg,
Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen die Situation des
kleinsten Bundeslandes angesehen.
Grob
zusammengefasst vertritt er die These: Bremen geht es überhaupt nicht
schlecht genug, um eine "extreme Haushaltsnotlage" vor Gericht geltend
zu machen. So werfen die Gutachter Bremen zum Beispiel vor, dass die
Sozialausgaben hier zwischen 2000 und 2004 um 16, 2 Prozent gestiegen
seien, während sie in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin stagnierten.
Als "deutlich aufgebläht" bezeichnen die Wissenschaftler beispielsweise
auch den Personalbestand an Hochschule und Universitäten. Alles in allem
lägen die Ausgaben pro Einwohner über denen Hamburgs und Berlins und
weit über denen der Flächenstaaten. Nähme sich Bremen jeweils den
sparsamsten Stadtstaat zum Vorbild, sagt Professor Feld, ließen sich
mehr als 541 Millionen Euro pro Jahr sparen.
Das aber reicht nicht: Wer bundesstaatliche Hilfe einfordere, dürfe sich
nicht am Ausgabenniveau seiner reichen Nachbarn orientieren. Auch die
Bremer Sanierungsstrategie seit 1993 - Stärkung der Wirtschaftskraft
durch öffentliche Investitionen - greifen die Heidelberger an. Das
Gesamturteil des Gutachtens steht den bisherigen Einschätzungen des
Rathauses direkt entgegen. Es könne keine Haushaltsnotlage festgestellt
werden, heißt es. Und: "Bremen kann seinen Haushalt aus eigener Kraft
konsolidieren."
Jens
Böhrnsen nannte allein die Vorstellung abwegig, Bremen könne bei einem
Ausgabenvolumen von vier Milliarden Euro - allein eine Milliarde Euro
für Personal - eine weitere Milliarde einsparen. Dies entlarve die
Gutachter. Die Verfasser hätten offenbar eher die Zielvorgaben ihrer
Auftraggeber befolgt als wissenschaftliche Sorgfalt walten zu lassen.
Böhrnsen lädt die Heidelberger Wissenschaftler ein, ihren Elfenbeinturm
zu verlassen und "vier Wochen Politik in einem Haushaltsnotlageland mit
konkreten sozialen Herausforderungen zu begleiten". Finanzsenatorin
Karoline Linnert (Grüne) stellte gestern die Methode des Feld-Gutachtens
in Frage.
Der reine
Zahlen-Vergleich mit anderen Ländern sei eine "wissenschaftliche
Spielerei" und habe mit der politischen Wirklichkeit nichts gemein. Wenn
man die Einsparungen des Gutachtens in die Wirklichkeit umsetzen würde,
dann ruiniere man Bremen. Nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag: Man
könne ja auch das Bremer Ausgabenniveau für die Bereiche Landwirtschaft
und Forsten als Maßstab für Bayern nehmen. Bremen hat seinen Schriftsatz
zur Klage im März dieses Jahres vervollständigt und abgeschickt.
Die
grundlegenden Argumente liegen zwar schon einige Monate länger in
Karlsruhe, das Rathaus hatte sich aber entschieden, auf 56 Seiten noch
einmal nachzubessern. Grund dafür war, dass Berlin von den Karlsruher
Richtern mit einer ähnlichen Klage eine Abfuhr kassiert hatte. Mit einer
Entscheidung über den "Fall Bremen" wird für 2008 gerechnet.
Weser Kurier vom
02.08.2007
Grüne: Senat muss Stellung zur Finanzpolitik beziehen
Reaktion auf kritische
Gutachten - Forderung nach mehr Ehrlichkeit
Von
Wigbert Gerling
Die
Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karoline Linnert, verlangt vom Senat,
dass er in der nächsten Bürgerschaftssitzung zum Gutachten anderer
Bundesländer über Bremens Finanzpolitik in einer Regierungserklärung
"Stellung bezieht". Die Landesregierung solle dabei auch die weitere
Strategie für die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erläutern.
Linnert: " Nur so kann die Öffentlichkeit beurteilen, ob der Senat
wenigstens jetzt in dieser für Bremen überlebenswichtigen Frage die
richtigen Schritte ergreift." Wie berichtet, ist in Karlsruhe ein
Verfahren anhängig, mit dem Bremen die Grundlage für weitere
Finanzhilfen des Bundes erstreiten will. Vor diesem Hintergrund hatte
Stefan Korioth, Fachmann am Lehrstuhl für öffentliches Recht in München,
mit der Vollmacht von acht Bundesländern die bremische Finanzpolitik der
vergangenen Jahre bewertet und war zu einem geradezu vernichtenden
Urteil gekommen. Das Bundesland habe es "praktisch völlig unterlassen",
die Sanierung des Haushalts auch nur in Angriff zu nehmen. Die
Strategie, über Investitionen zur Schuldentilgung zu kommen, sei "von
Anfang an erkennbar verfehlt" gewesen und auch erfolglos geblieben.
Vielmehr sei Geld "vergeudet" worden. Karoline Linnert bezeichnete das
Korioth-Gutachten als "Kampfschrift gegen Bremen". Der Verfasser habe
"wenig Mühe auf differenziertes Argumentieren verwendet". Die Grünen
blieben dabei: Bremen sei im Wesentlichen unverschuldet in die
Haushaltsnotlage geraten. Allerdings habe die große Koalition aus SPD
und CDU "durch jahrzehntelange Haushaltstrickserei" eine solche
"Kampfschrift" begünstigt. Zinsen und Personalausgaben seien zum Teil
als Investitionen verbucht worden. "Dieses Gebaren - von den Grünen
jahrelang angeprangert - wird nun zur Belastung für Bremen und bedroht
den Erfolg unserer Klage", erklärte gestern Karoline Linnert. Deshalb
müsse der Senat nun unverzüglich mit einer Regierungserklärung die
Position des Landes klarstellen. Die Fraktionschefin kommentierte
überdies ein Gutachten zur rechtlichen Substanz des sogenannten
Kanzlerbriefs, auf dessen Grundlage Bremen über Jahre auf
Millionenzahlungen aus Berlin spekuliert und einen entsprechenden
Betrag, der niemals kam, auch schon in den Haushalt eingestellt hatte.
Es ging um über 500 Millionen Euro im Etat für 2005. Zuvor allerdings
war bereits eine Expertise eingeholt worden, die zu dem Ergebnis
gekommen war, dass der Kanzlerbrief rechtlich auf tönernen Füßen stehe
und nicht zu großen Erwartungen berechtigen könne. Die Grüne Karoline
Linnert erklärte dazu, es sei ein "finanzpolitischer Sündenfall ersten
Ranges gewesen", dass der Senat die via Kanzlerbrief erwarteten gut 500
Millionen Euro bereits in den Haushalt eingestellt habe. Auch dieser
"Geniestreich" der großen Koalition werde "Bremen schaden". Der
FDP-Landesvorsitzende Uwe Woltemath sprach gestern in Bremen mit dem
stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Liberalen, Rainer Brüderle,
über die Finanzlage des kleinsten Bundeslandes. Beide seien sich einig
gewesen, so hieß es anschließend, dass die Selbstständigkeit des Landes
"nicht zur Disposition" stehe. Der Senat aber habe es nicht geschafft,
die Haushaltsdefizite "auch nur annähernd zu beseitigen". SPD und CDU
hätten es zu verantworten, dass Bremen beim Bemühen, die
Selbstständigkeit zu erhalten, heute einen schwereren Stand habe als vor
zwölf Jahren. Woltemath: "Bremen braucht dringend mehr Ehrlichkeit und
eine neue, glaubwürdige Sanierungsstrategie." In den neuen Gang vor das
Verfassungsgericht setze die FDP "wenig Hoffnung".
Weser Kurier vom
15.03.2007
Milliardenschulden drücken
Ein Teil schlummert in
GmbHs - Experte: Bremer Haushalt ist relativ transparent
Von
Bernd Schneider
Die
Kommunen weisen nur gut die Hälfte ihrer Schulden im Kernhaushalt aus.
43 Prozent schlummern in ausgegliederten Betrieben. Das zeigen Studien
der Bertelsmann-Stiftung. Für die Stadtstaaten seien solche Angaben
schwer zu machen, heißt es, die Finanzen von Land und Stadtgemeinden
ließen sich nicht ohne Weiteres trennen. Bremens Finanzressort spricht
von rund 1,4 Milliarden Euro Schulden in öffentlichen Betrieben.13,5
Milliarden Euro Miese hatte Bremen Ende 2006 im Kernhaushalt. Wegen der
200 Gesellschaften sowie diverser Eigenbetriebe - etwa die Kliniken -
kommen nochmals über zehn Prozent oben drauf. Damit landet das Land
Bremen bei einem Minus von etwa 15 Milliarden Euro Ende 2006.Nach der
Bertelsmann-Studie lag der ausgegliederte Anteil an den Schulden sogar
bei 20 Prozent. Gemessen an vergleichbaren Großstädten, sei das
allerdings immer noch relativ wenig, sagt Gerhard Micosatt, Leiter der
Studie. "Dort liegt der Anteil oft bei 40, 50 Prozent." Im Vergleich
dazu seien die Verhältnisse in Bremen "wesentlich transparenter". Wo
Müllabfuhr, Krankenhäuser und Schwimmbäder ausgelagert werden, sei die
Verlockung für die Kommunen groß, in diesen Gesellschaften Schulden zu
verstecken, sagt Micosatt. So werde schon einmal das gesamte Kanalnetz
an eine städtische GmbH verkauft. Die müsse den Deal mit Krediten
finanzieren - und leite damit frisches Geld ins Stadtsäckel. Bremen
dagegen verschuldet sich im Kernhaushalt. Die Verbindlichkeiten in den
Gesellschaften und Eigenbetrieben sinken seit Jahren leicht, der
Schuldenberg im Haushalt dagegen wächst seit Ende des
Sanierungszeitraumes (2004) um eine Milliarde Euro jährlich: von 12,8
Milliarden (2004) auf 13,8 Milliarden (2005) und schließlich 14,8
Milliarden (2006) - die Verbindlichkeiten der Gesellschaften sind mit
eingerechnet. So jedenfalls die Angaben aus dem Finanzressort. Ein
Viertel aller Ausgaben finanziert Bremen folglich über Kredite. Bereits
im November hatte die Bertelsmann-Stiftung vorgerechnet: Wenn das Land
seine Schulden bis 2020 nur stabil halten will, muss es sofort 22
Prozent seiner Ausgaben streichen. "Dies entspräche 62,6 Prozent der
Personalausgaben", heißt es in dem Bertelsmann-Bericht. Dort waren die
Schulden der Gesellschaften noch nicht einmal eingerechnet. Kein
Bundesland müsste nur annähernd so drastisch sparen. Berlin, Rang zwei
unter den Überschuldeten, müsste nur rund 15 Prozent seiner Ausgaben
kürzen. Über solche "finanzwirtschaftlichen Monopoly-Spiele" kann sich
Bremens Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) allerdings nur ärgern.
Bertelsmann solle sich "auf ordentliche Politikberatung" zurückbesinnen.
"Wir brauchen keine abstrakten Ratschläge", so der Senator. "Uns wäre
mit konstruktiven Vorschlägen besser gedient".
Weser Kurier vom
20.02.2007
"Bremen ist ein anderer Fall als Berlin"
Interview mit dem
bayerischen Finanzminister Kurt Faltlhauser und Bremens Finanzsenator
Ulrich Nußbaum
Immer
wieder gab es in der Vergangenheit kritische Töne aus Bayern, wenn es um
Bremen ging. Gestern war, begleitet von Finanzsenator Ulrich Nußbaum,
der Bayerische Staatsminister der Finanzen, Kurt Faltlhauser, zu Gast
beim Schaffermahl. Vorher sprach unser Redakteur Wigbert Gerling mit den
beiden Finanzpolitikern. Faltlhauser wandte sich energisch dagegen, die
Eigenständigkeit Bremens anzutasten
Frage:
Sie bekommen heute zum Schaffermahl in Bremen ein gutes Essen - kann das
kleinste Bundesland erwarten, dass es auch weiterhin etwas von den
Bayern bekommt?
Kurt
Faltlhauser: Bremen erhält regelmäßig so viel von Bayern, dass
eigentlich Dankprozessionen angebracht wären. Unser Land war 2006 mit
einem Beitrag von 2,1 Milliarden Euro mit Hessen der größte Einzahler in
den Länderfinanzausgleich.
Das
könnte man auch als Rückzahlung einstufen, schließlich war Bayern einst
viele Jahre Empfängerland.
Das
stimmt - aber es stimmt auch, dass wir vor Jahrzehnten, umgerechnet in
Euro, 3,4 Milliarden bekommen und inzwischen schon 21 Milliarden
zurückgezahlt haben. Ich stelle derzeit mit Genugtuung fest, dass die
Steuereinnahmen der schwächeren Länder stärker anziehen als die der
wohlhabenderen. Dennoch möchte ich nicht in der Haut Ihres
Finanzsenators Ulrich Nußbaum stecken.
Und
umgekehrt, Herr Nußbaum?
Ulrich
Nußbaum: Ich bleibe lieber Bremer Finanzsenator. Und Herr Faltlhauser
macht das so gut in Bayern, da wäre es unnötig, in seine Rolle zu
schlüpfen . Im übrigen sind unsere Steuereinnahmen um rund zehn Prozent
angestiegen. Damit können wir aber keine Schulden abbauen.
Herr
Faltlhauser, wie erklären Sie sich denn die günstige Entwicklung in
Bremen?
Bremen
hat in der Vergangenheit viele Schulden aufgebaut. In letzter Zeit hat
das Bundesland seinen Haushalt wirklich ordentlich konsolidiert. Respekt
vor dieser Durchsetzungskraft. Das ist das Ergebnis einer guten Arbeit
der großen Koalition. Ohnehin ist Bremens Ruf besser geworden, auch bei
uns in München. Früher wurde zum Beispiel immer mit Verachtung auf die
Bremer Universität geguckt - das ist völlig weg.
Stichwort "weg": Manche Politiker, auch aus Süddeutschland, verschaffen
sich gern einen Medienauftritt, wenn sie fordern, das Bundesland Bremen
gehöre weg.
Ich halte
das für schlichten Unsinn. Wir Bayern sind stolz auf unsere Geschichte,
und genauso sind die Bremer geschichtsbewusst und stolz. Bremen ist mit
Sicherheit kein künstliches Gebilde, und die Forderung nach Abschaffung
dieses Bundeslandes ist einfach absurd, unhistorisch.
Langsam
läuft die Arbeit in der Föderalismuskommission II an, die die
Finanzbeziehungen zwischen den Ländern neu ordnen will. Bremen hofft, am
Ende konkret mehr in der Kasse zu haben. Zu Recht - oder überzogene
Hoffnung?
Ich
schaue mit skeptischer Neugier auf das, was sich in der
Föderalismuskommission II entwickelt. Man wird sich die Finanzverfassung
im Grundgesetz ansehen, man wird sich mit Regeln für die Verschuldung
befassen. Fast alle Länder haben sich das Ziel gesetzt, einen
ausgeglichenen Haushalt zu bekommen. Diese Bemühungen machen natürlich
den Spielraum für Sonderzahlungen an andere Länder geringer. In der
Föderalismuskommission II dürfte es auch um so etwas wie einen
Stabilitätspakt gehen. Es ist doch eigenartig, dass es
Stabilitätskriterien zwar auf der europäischen Ebene gibt, für
Deutschland aber nicht. Und an dieser Stelle wird es dann ganz ernst.
Ich meine den Vorschlag, in diesem Zusammenhang einen "Bereinigungspakt"
zu schließen, nach dem Motto: die Schulden aller Länder kommen in einen
Topf, und gemeinschaftlich sorgen Bund und Länder dafür, dass sie
abgetragen werden. Ich halte dies für nicht wahrscheinlich. Wir haben
das für Bayern einmal genauer geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen,
dass sich damit unsere Finanzausgleichszahlungen verdoppelten. Aber die
richtige Sachdebatte hat ja noch nicht begonnen.
Das
dürfte, Herr Nußbaum, einen Bremer Finanzsenator nicht gerade
zukunftsfroh stimmen.
Ulrich
Nußbaum: Ob das nun "Bereinigungspakt" heißt oder anders etikettiert
wird - ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen. dass die Schulden des
einen Landes einem anderen aufgedrückt werden. Das ist unrealistisch und
kann nicht die Lösung sein, auch nicht, wenn der Ausgleich mit einem
großen Bremer Eigenbeitrag flankiert wird. Aus meiner Sicht brauchen wir
vor allem auch Instrumente, die dafür sorgen, dass wir nicht sofort
wieder abrutschen, wenn es gelungen ist, den Haushalt zu konsolidieren.
Die
Schere zwischen armen und reichen Ländern ist im vergangenen Jahrzehnt
auseinander gegangen. Wo müsste die Kommission ansetzen, um den Trend
umzukehren?
Kurt
Faltlhauser: Wir wollen nicht, dass unter den Ländern die finanzielle
Kluft zu groß wird. Sehen Sie: Herr Nußbaum hat damit zu kämpfen, dass
über 13 Prozent seines Haushalts für Zinszahlungen ausgegeben werden
müssen. Bei uns in Bayern liegt diese Zinsquote unter drei Prozent. Und
diese rund zehn Prozent Unterschied zeigen genau das Grundproblem. Denn
mit dieser Differenz, die wir eben nicht zur Bank bringen müssen, können
wir etwas für Bayern tun, etwas bewegen.
Das Land
Berlin ist vor das Bundesverfassungsgericht gegangen, um Finanzhilfen zu
erstreiten. Das Ergebnis: Eine Abfuhr auf der ganzen Linie. Sehen Sie
das als Präjudiz für den Ausgang der Bremer Klage?
Kurt
Faltlhauser: Ich werde mich hüten, eine Vorhersage zu machen. Die
Karlsruher Richter hatten ja bereits vor Jahren festgestellt, dass
Bremen ein Haushalts-Notlagenland ist. Insoweit ist Bremen ein anderer
Fall als Berlin.
Weser Kurier vom
10.02.2007
Bremen eröffnet Finanzpoker
Mit einem Brief an alle Länderchefs will
Bürgermeister Böhrnsen Blockaden lösen
Von Dietrich Eickmeier
Es ist womöglich die letzte
Chance für Bremen im Überlebenskampf. Denn im nächste Woche beginnenden
Finanzpoker von Bund und Ländern wird sich zeigen, ob der hoch
verschuldete Stadtstaat die Chance für einen Neustart erhält. Konkret:
Es geht beispielsweise darum, wie viele Lehrer, Sozialarbeiter oder
Erzieher Bremen in Zukunft bezahlen - und wie viel Nahverkehr, Kliniken
oder Studenten sich die Hansestadt leisten kann. Im Bremer Rathaus
spricht man schon von einem "historischen Durchbruch", dass es überhaupt
zu den Verhandlungen kommt. Denn danach sah es lange Zeit in Berlin
mangels Interesse der reichen Bundesländer nicht aus. Nun aber werden am
kommenden Mittwoch in einer Ministerpräsidentenkonferenz die Weichen für
eine 32-köpfige Bund-Länder-Kommission unter Vorsitz von
SPD-Fraktionschef Peter Struck und Baden-Württembergs Ministerpräsident
Günther Oettinger (CDU) gestellt, die Bundestag und Bundesrat zwei Tage
später zur Neuregelung der Finanzbeziehungen einsetzen wollen. Um die
Besetzung wird noch gerangelt. Fest steht nur, dass die Minister Peer
Steinbrück (Finanzen), Brigitte Zypries (Justiz), Wolfgang Schäuble
(Innen) und Tho-mas de Maizière (Kanzleramt) gesetzt sind. Und dass
Bürgermeister Jens Böhrnsen nicht allein für Bremen steht. Er erhält
Verstärkung durch Volker Kröning, der als Obmann die
SPD-Bundestagsfraktion vertritt. Man wolle in dieser Legislaturperiode
zu einem Ergebnis kommen, versichert Struck, auch wenn sich dafür noch
kein inhaltliches Konzept abzeichnet. Der Bremer Bürgermeister freilich
sieht darin, "dass wir nach wie vor ganz am Anfang stehen", die Chance,
alte Blockaden zu überwinden. In einem Brief appelliert Böhrnsen an die
Regierungschefs aller Bundesländer daran, die "jeweils seit Jahrzehnten
bekannten Positionen" nicht zu wiederholen und "keine Zeit auf die
Diskussion unrealistischer Positionen zu verschwenden". Er bemüht sich
darum, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem er in seinem Brief eine
Brücke zwischen bremischen und gesamtstaatlichen Interessen zu bauen
versucht. Und dabei anderen Ländern entgegenkommt. Böhrnsen ist bereit,
Verschuldungs-Obergrenzen zu akzeptieren, ebenso ein "Diagnose-,
Frühwarn- und Sanktionssystem", um Haushaltsnotlagen verhindern zu
können. Voraussetzung dafür sei aber, so Böhrnsen, dass zunächst ein
Zustand geschaffen werde, der die Einhaltung solcher Grenzen möglich
mache. Das heißt: gleiche Ausgangsbedingungen für alle. Ansatz für einen
solchen finanziellen Neubeginn könne ein Entschuldungskonzept sein, wie
es von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff ins Gespräch
gebracht worden ist. Dieses Konzept aber müsse ergänzt werden durch
einen Ausgleich für regionale Sonderbelastungen, im Fall Bremens also
für die hohen Sozialhilfekosten und die Hafeninvestitionen. Der Bremer
Bürgermeister weiß aber auch, dass dies die reichen Südländer nur
akzeptieren können, wenn er deren Forderung nach mehr Wettbewerb
zwischen den Ländern berücksichtigt. Und darum schlägt er mehr
Eigenständigkeit der Länder in der Steuerpolitik und eine stärkere
Berücksichtigung der Wirtschafts- und Finanzkraft beim Finanzausgleich
vor. Das könnte in der Tat die Brücke sein, über die am Ende alle gehen
können, hofft SPD-Obmann Kröning. Schließlich, so der Bremer
Abgeordnete, seien auch die Wirtschaftsweisen zu dem Ergebnis gekommen,
dass sich der Finanzausgleich "nicht länger an der Steuerkraft, sondern
am Bruttoinlandsprodukt je Einwohner orientieren muss".
Weser Kurier vom 07.12.2006
"Gesetz gegen Notlagen fällig"
Volker Kröning zu Finanzreform: Mehr Hilfe bei
mehr Verantwortung
Wie geht es nach dem Karlsruher
Urteil zur Berlin-Klage weiter mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen? Über
die Chancen für eine Finanzreform, über die Bund und Länder reden wollen, sprach
unser Berliner Korrespondent Dietrich Eickmeier mit dem SPD-Haushaltsexperten
Volker Kröning. Der Bremer Abgeordnete, bereits bei der Föderalismusreform
Obmann der SPD, bereitet nun im Auftrag seiner Fraktion die zweite Stufe der
Modernisierung des Bundesstaats vor.
Frage: Nachdem das
Bundesverfassungsgericht die Klage Berlins auf Finanzhilfen abgelehnt hat,
spielt sich Merkwürdiges ab: Die reichen Länder wollen Schuldenobergrenzen oder
Schuldenverbot, der Bund einen nationalen Schuldenpakt, was die Länder aber mit
der Begründung, den Bund gehe das nichts an, ablehnen. Was passiert denn nun?
Volker Kröning: Ein Bundesgesetz
gegen Haushaltsnotlagen ist fällig. Mehr als die Hälfte der Länder verhält sich
schon bei der Aufstellung, zumindest aber beim Abschluss ihrer Haushalte
verfassungswidrig. Die so genannte Goldene Regel - Neuverschuldung bis zur Höhe
der Investitionen und sogar darüber hinaus, um vermeintlich das
gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen - muss wieder vom Kopf
auf die Füße gestellt werden. Falls die Länder keine Gesetzesinitiative über den
Bundesrat zustande bringen, wird sie von der Bundesregierung kommen. Eine
Mehrheit im Deutschen Bundestag ist gesichert.
Ist denn der Eindruck richtig,
dass die Debatte erst einmal auf die aktuellen Haushaltskrisen im Bundesstaat
konzentriert und noch lange nicht auf die vor Jahresfrist von Union und SPD
vereinbarte Finanzreform?
Ja, leider. Das Ziel der
finanzwirtschaftlichen Stabilität wird gegenüber dem Ziel des
volkswirtschaftlichen Wachstums überbetont. Es ist absehbar, dass die Politik
der Haushaltsnotlagenprävention, wenn sie sich überhaupt durchsetzt, bald
stecken bleibt. Vorschläge zur Verbesserung der föderalen Bedingungen von
Wachstum und Beschäftigung liegen auf dem Tisch, die Politik muss handeln.
Kanzleramtschef Thomas de
Maizière sagt jetzt, dieses Rad sei wohl auch für die große Koalition zu groß.
Sie auch?
Nein. Die Große Koalition muss
zumindest die Blaupause für eine Bundesstaatsreform II ausarbeiten. Nach meiner
Meinung wären Gesetzesvorschläge innerhalb eines Jahres möglich.
Bislang können sich die Länder
noch nicht einmal auf eine eigene Sondierungsgruppe geschweige denn auf eine
gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Bund einigen. Wer will denn die Finanzreform
überhaupt noch?
Zurzeit sind noch keine Mehrheiten
in Sicht. Ich beobachte täglich, dass noch große Überzeugungsarbeit nötig ist.
Man denkt nur in Verteilungskategorien, sowohl im Länder-Länder- als auch im
Bund-Länder-Verhältnis und umgekehrt. Jede größere Gesetzesänderung wird dazu
instrumentalisiert, sich einen finanziellen Vorteil zu ergattern, zum Beispiel
ganz aktuell bei der finanziellen Bewältigung der Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Stattdessen sollte man sich an einen Tisch setzen
und überlegen, wie man den gemeinsamen Nutzen steigern kann.
Nehmen wir mal an, es kommt doch
noch zu einer Bund-Länder-Kommission, was muss die denn als Minimum erreichen?
Wer bereit ist, mehr Verantwortung
für sich zu übernehmen, sollte Hilfe bei der Entschuldung bekommen. Dies gilt
für politische Gemeinwesen genauso wie für Individuen. Eine nationale
Entschuldungsstrategie, von der zunehmend - in Bremen wie in Niedersachsen -
gesprochen wird, macht nur in dieser Reihenfolge einen Sinn. Vor allem: Nicht am
Finanzausgleich, sondern an der Steuerverteilung muss angesetzt werden. Folgt
sie dem Grundsatz, dass die Steuern dort bleiben, wo sie erarbeitet
beziehungsweise erwirtschaftet werden, kann auch der Ausgleich reduziert und
transparent ausgestaltet werden. Er ist von der horizontalen in die vertikale
Dimension zu verlagern. Zugleich wird es nicht zu vermeiden sein, die Aufgaben
des Gemeinwesens zu begrenzen und ihre Erfüllung effektiver zu gestalten. Wir
müssen lernen, mit weniger Geld Gleiches zu leisten oder mit gleichem Geld mehr.
Stichworte Verantwortung,
Steuerverteilung: Heißt das mehr Steuerautonomie für die Länder und eventuell
auch ein Zurück zum Prinzip, wo die Arbeitsstätte ist, werden auch die Steuern
gezahlt?
Ja, beides. Der erste Schritt der
Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, den wir unternommen haben,
reicht nicht aus, denn er stärkt die Länderhaushalte nur auf der Ausgaben- und
nicht auf der Einnahmenseite. Pikanterweise haben ja sogar die Gemeinden mit
ihrem Hebesatzrecht mehr Steuerautonomie als die Länder. Kommen wir zu einer
Schuldenbegrenzung wird sich das Problem bald zuspitzen: Die Länder müssen dann
entweder eigenständig Standards unter den Durchschnitt senken oder sich auf
andere Weise als über Gemeinschaftssteuern und Kreditaufnahme finanzieren. Nur
über eine stärkere Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverantwortung lässt
sich das Ungleichgewicht im Föderalismus überwinden. Die gegenwärtige
Steuerzerlegung - also bei der Lohnsteuer, wo es Bremen besonders drückt - zu
korrigieren, ist schon mehrfach versucht worden, gesetzgeberisch und
gerichtlich, aber immer wieder gescheitert. Also sollte man versuchen, an dieser
Stelle die Verfassung zu ändern, auch wenn dafür eine Zweidrittel-Mehrheit
gebraucht wird.
Kann die Politik das leisten oder
bleibt am Ende doch nur Druckausübung durch das Bundesverfassungsgericht mit
Vorgaben für die Politik, wenn es über die Klagen Bremens und des Saarlandes
entscheidet?
Ja, das ist vorstellbar. Die
Fingerzeige in der Entscheidung über Berlin sind versteckt, aber deutlich.
Hessen und Baden-Württemberg
haben Prämien für Länderehen ins Spiel gebracht. Für Sie ein Weg zur
Entschuldung?
Nein, denn diese beiden Länder
sind bestimmt nicht bereit, die Schulden von Ländern, die sich mit anderen
zusammentun, mit zu übernehmen. Doch die Äußerungen zeigen - wie auch schon 1992
nun von neuem eine Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts zur
Länderneugliederung -, dass es eng wird für die Selbständigkeit unserer Freien
Hansestadt. Bremen braucht keine Imagekampagne sondern Argumente und Verbündete
- und Beispiele für bürgerschaftliches Engagement, wie sich in diesen Tagen
wieder gezeigt hat; noch mehr, möchte ich hinzufügen.
Das Karlsruher Rezept heißt doch
ganz grob gesagt Verkauf des Tafelsilbers. Sind auch Lohnsenkungen denkbar, wie
Finanzwissenschaftler schon fordern?
Karlsruhe ersetzt nicht Politik.
Doch mir fällt auf, dass das Gericht sich auf Sachverstand bezieht, der von der
Politik bisher zu wenig beachtet worden ist. Dabei geht es nicht um
Lohnsenkungen. Doch auch der Öffentliche Dienst gehört auf den Prüfstand. Nach
der Bundesstaatsreform I ist dies Verantwortung des Bundes für sein Personal und
Verantwortung der Länder für das ihre, einschließlich das der Gemeinden.
Also doch Sparen, bis es
quietscht?
Nein. Als Bremer Vertreter im Bund
liegt mir am meisten daran, die anderen davon zu überzeugen, dass die
Bremerinnen und Bremer die Verteidigung ihrer Selbständigkeit nicht mit
geringeren Leistungsstandards bezahlen müssen, als sie bundeseinheitlich gesetzt
sind. Die Devise muss lauten: nicht schlechter als zum Beispiel in Hamburg
leben, doch so sparsam und wirtschaftlich wie möglich arbeiten.
Weser Kurier vom 05.11.2006
Berlin allein zu Hause
Das Verfassungsgericht entschied, dass Berlin keinen Anspruch auf
Finanzhilfen zur Abtragung des Schuldenberges hat.
Von Klaus Hartung
Der Schock saß tief, als Winfried Hassemer am
Donnerstagmorgen in Karlsruhe das Urteil verkündete. Nicht nur die Tatsache,
dass das oberste deutsche Gericht die Normenkontrollklage Berlins auf
zusätzliche Finanzhilfen ablehnte, schockierte, sondern auch die Art und Weise,
wie das Verfassungsgericht (BVG) der Berliner Politik die Leviten las, war
niederschmetternd. Das BVG war nicht nur der Meinung, dass Berlin sich nicht auf
eine extreme Haushaltsnotlage berufen darf, sondern es zeigte in einer Vielzahl
von Vergleichstabellen mit anderen Stadtstaaten, dass Berlin nach wie vor über
seine Verhältnisse lebt. Die Verfassungsrichter, die einstimmig urteilten,
erlaubten sich sogar, über den Verlierer zu scherzen: Winfried Hassemer zitierte
launig den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, wonach Berlin "arm, aber
sexy“ sei und setzte fort, Berlin sei wohl eher deswegen so sexy, "weil es gar
nicht so arm ist“. Auf das Urteil folgte prompt ein Beifallssturm der
Ministerpräsidenten. Sie mussten nicht mehr befürchten, dass sie wegen Berlin
zur Kasse gebeten würden.
Die Berliner Politiker hatten durchaus gemischte Erwartungen.
Keiner glaubte an einen schnellen Geldsegen vom Bund, aber man hoffte doch, dass
das BVG so etwas wie Bedingungen für eine außerordentliche Finanzhilfe
formulieren würde. Diese Hoffnung war nicht unbegründet. Der Finanzsenator Thilo
Sarazin hatte mit dem ständigen Verweis auf das anstehende BVG-Urteil im
rot-roten Senat eine radikale Sparpolitik durchsetzen können, eine Sparpolitik,
die jetzt dem Koalitionspartner PDS fast die Hälfte aller Stimmen bei der
Abgeordnetenhaus-Wahl in ihren Stammbezirken kostete. Sarazin konnte darauf
verweisen, dass der "Primärhaushalt“, d.h., der Haushalt ohne Schulden und
Schuldendienst, demnächst ausgeglichen sein würde. Das Urteil lobte zwar Sarazin,
aber wendete ausgerechnet eine These des Finanzsenators, wonach Berlin kein
Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem habe, gegen die Klage Berlins.
Berlin hatte nicht nur verloren, sondern auch den Spott.
Schlimmer hätte es nicht ausfallen können. Das BVG-Urteil
weist nicht nur die Normenkontrollklage ohne Wenn und Aber ab; es verzichtet
gänzlich darauf, Berlins Ansprüche in irgendeiner Form zu würdigen. Abwägungen
über die Grenze zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Politik fehlen. Das BVG
stellt die Berliner Not geradezu in Abrede, indem es darauf verweist, dass die
Berliner Sozialpolitik besser ausgestattet sei als vergleichbare Bundesländer.
Mit anderen Worten: Das Urteil zementiert die politischen Beziehung zwischen der
Hauptstadt und dem föderalen Staat. Insofern ist es, trotz aller Beschränkung
auf das juridische Argument, vor allem ein eminent politisches Urteil. Es wird
auch in Zukunft dem Bund und den reicheren Bundesländern als Munition dienen,
wenn Berlin das Hilfebegehren zum politischen Thema machen wird. Die hämische
Genugtuung, mit der die Ministerpräsidenten aus den Geberländern das Urteil
kommentierten und die rüde Art, wie Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck den
Traum einer Ländervereinigung bloß als "ermüdend“ bezeichnete, drückten daher
durchaus den Geist des Urteils aus.
Warum hat Karlsruhe so hart geurteilt? Spielte da ein wenig
die Angst mit? Schließlich hatten Bayern und Baden-Württemberg mit harten
Reaktionen und einem Sturm auf das Verfassungsgericht gedroht. Bundespolitische
Verwerfungen waren denkbar. Mit einem gewissen Recht konnten die
Verfassungsrichter auch befürchten, dass Finanzhilfen in Berlin wieder die
Haushaltsdisziplin im rot-roten Senat aufweichen könnte. Aber da gab es schon
Vorschläge, z.B. von der Hertie-School of Governance, wie man dieser Gefahr
entgegenarbeiten könnte. (Zug-um-Zug-Verfahren, das heißt Finanzhilfen nur nach
Maßgabe entsprechender Sparmaßnahmen). Diese Vorschläge lagen vor in Karlsruhe,
wurden aber nicht berücksichtigt.
Das zentrale Argument in Karlsruhe ist von beeindruckender Schlichtheit. Ein
extremer Haushaltsnotstand ist dem BVG zufolge dann gegeben, wenn Berlin keine
Sparressourcen mehr hat und der Ausstattungsstandard an keiner Stelle den der
anderen Stadtstaaten übertrifft. Das Gericht vergleicht dabei Berlin mit anderen
Stadtstaaten, insbesondere mit Hamburg im gegenwärtigen Moment, im Jahre 2006.
Dieses Verfahren ähnelt der Aussage eines Betrachters, an
dessen Fenster ein Mann vorbeifliegt, und der erklärt, dieser Mann sei
vollkommen gesund. In der Urteilsbegründung findet man jedenfalls kaum Hinweise
dafür, ob und wieweit die Verfassungsrichter sich damit beschäftigt haben, wie
Berlin nach Ausschöpfung aller Sparressourcen aussehen wird und was passieren
würde, wenn die Stadt abrupt die Sozialstandards senken wollte. Soll sich Berlin
erst dann wieder an das Verfassungsgericht wenden dürfen, wenn - um eine
aktuelle Debatte aufzunehmen - die Stadt nachweislich zur Unterschicht-Metropole
degenerierte? Soll Berlin sich wieder melden, wenn der öffentliche Dienst in der
Stadt streikt, weil das letzte Gehalt nicht ausgezahlt wurde?
Gerade der Vergleich mit Hamburg, das heißt ein Vergleich
eines boomenden Wirtschaftsstandortes mit einer abgewirtschafteten Stadt, fällt
immer zu Ungunsten von Berlin aus. Gewiss, die Ausstattungsstandards von Berlin
sind vielfach besser als in Hamburg: z.B. das Kita-Angebot, die niedrigen
Mieten, der Verzicht auf Studiengebühren, der Besitz von städtischen Wohnungen
etc. Aber Hamburg ist begehrt und boomt und kann sich Ausstattungs-Defizite
leisten. Für Berlin sind jene Vorteile die einzigen Argumente für
Gewerbeansiedlungen. Wie wenig sich das BVG mit der tatsächlichen Lage Berlins
auseinandersetzt, wird an einem konkreten Beispiel deutlich: Das Gericht fordert
implizit mit Blick auf Hamburg die Anhebung der Gewerbesteuern. Täte Berlin das,
würde der Rest der Unternehmen sich verdrücken. Vor den Toren Berlins boomt die
Wirtschaft, ist ein Zentrum der Auto- und Luftfahrtindustrie entstanden. Der
Landkreis Teltow-Fläming steht an erster Stelle in Deutschland als
Wachstumsregion. Warum? Der Landkreis hat einerseits die Nähe zur Metropole,
bezahlt aber nur die Hälfte des Gewerbesteuerhebesatz an das Land Brandenburg.
Mit anderen Worten, Berlin müsste die Steuern senken, um in der Region
konkurrenzfähig zu sein.
Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse hat mit seiner
Urteilsschelte vollkommen Recht: Tatsächlich ignoriert das BVG alles, was
Geschichte und Politik Berlin auferlegt haben; es interessiert sich nicht für
die Entindustrialisierung der beiden Stadthälften, nicht für die
Vereinigungskosten, nicht für die Schuldenfalle. Auch dieses Desinteresse macht
den Karlsruher Richterspruch zu einem politischen Urteil. Es entspricht dem, was
die Republik von Berlin hält: Man liebt den morbiden Aufreger Berlin, aber die
Frage, wovon die Stadt leben soll, bleibt eine rein Berliner Angelegenheit.
Die Stadt kann zwar durch eine fortgeführte Sparpolitik einen
ausgeglichenen "Primärhaushalt“ erreichen, aber die Zinslast von 2,5 Milliarden
Euro bei einem Schuldenberg von 60 Milliarden Euro ist auf Dauer selbst bei
radikaleren Sparoperationen nicht tragbar. Das ist bekannt, bekannt wie die
Zahlen. Wenn nun die Richter Sparressourcen ausloten und definieren, dann
gebietet es doch immerhin die Logik und die Pflicht, nun zu ermitteln, ob Berlin
durch die gewünschten Sparanstrengungen am Ende der Schuldenfalle entkommt. Aber
die Richter verzichteten darauf. Ob sie geahnt haben, dass ihr Richterspruch
Berlin kaum eine Chance lässt? Einen einzigen Vorteil hat das Urteil für Berlin:
Es macht schlagartig klar, dass die Stadt sich selbst aus dem Sumpf ziehen muss.
"Du hast keine Chance, also nutze sie“, hieß die Parole der Kreuzberger
Autonomen und die Berliner Politik ist dazu verdammt, genau dies zu tun. Die
brüske Lakonie des Richterspruches zerreißt alle Nebel der Illusion. Es zeigt,
dass Berlin mit seinen Nöten tatsächlich allein steht. Die Urteilshärte könnte
die Berliner dazu zwingen zu begreifen, dass es nicht mehr um das Wohlfühlen im
Kiez, sondern um das Überleben des Gemeinwesens geht. Es könnte die Stunde des
Stadtbürgers sein, der weiß, dass es gilt, alle Kräfte zu mobilisieren, um
Wirtschaftswachstum zu generieren.
Aber die Voraussetzung einer solchen Mentalitätswende sollte
die Politik schaffen. Doch es scheint so, als versage die Berliner Politik genau
an dieser Stelle: Während der Finanzsenator Sarazin verschärftes Sparen fordert
und erklärt, dass es nun keine Tabus mehr geben kann, hält der Regierende
Bürgermeister Wowereit gerade an den Tabus fest. In einer Mischung aus Trotz und
Wurstigkeit machte er am Wochenende deutlich, dass Berlin nicht daran denkt, auf
die Ausgaben zu verzichten, die das Verfassungsgericht moniert hat: also keine
Studiengebühren, keine Verkauf des städtischen Wohnungsbestandes und
selbstverständlich das gebührenfreie dritte Kita-Jahr. Dieser Widerspruch
zwischen dem Regierungschef und seinem Haushälter ist kaum begreiflich. Am
Montag werden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und der Linken fortgeführt.
Will Wowereit etwa der Linken signalisieren, dass man sich nun in Sachen
Sozialpolitik wieder etwas wünschen darf? Heißt das, dass die Regierung nur
Haushaltsdisziplin gewahrt hat, um vor dem Urteil des Verfassungsgerichtes gute
Stimmung zu machen? Will man den unbequemen Finanzsenator loswerden? Jedenfalls
gibt Wowereits Verhalten den Verfassungsrichtern nachträglich Recht. Wirklich
schlimm ist aber, dass mit diesen politischen Zweideutigkeiten und Manövern die
Chance verspielt werden könnte, den Gemeinsinn der Berliner zu mobilisieren.
Die Zeit vom 23.10.2006
Stratthaus plädiert für "Schuldenbremse" in den Ländern
Über die erfolglose Berlin-Klage freut sich
Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) im Gespräch mit
SPIEGEL ONLINE. Er sieht eine nur noch eingeschränkte Verpflichtung gegenüber
hochverschuldeten Ländern - und auch an den Finanzausgleich will der Minister
ran.
SPIEGEL ONLINE: Herr Stratthaus, wie glücklich sind Sie
jetzt, nach der Niederlage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht?
Stratthaus: Glücklich ist übertrieben, wir stimmen kein
Triumphgeheul an. Aber ich bin zufrieden, denn eine andere Entscheidung hätte
vielleicht Berlin geholfen, aber zu einer Erosion unseres gesamten
Finanzierungssystems geführt. Wenn Berlin Recht bekommen hätte, wären demnächst
eine ganze Reihe weiterer Länder auf der Matte gestanden. Unser föderales System
wäre ins Wanken geraten.
SPIEGEL ONLINE: Aber Berlin ist Hauptstadt, muss der Bund da
nicht helfen?
Stratthaus: Wo Berlin Hauptstadtfunktionen erfüllt, soll es
durchaus eine besondere Behandlung erfahren. Ich meine auch, dass Berlin noch
aufholen muss, bis es gleichwertig neben London oder Paris stehen kann. Aber
dennoch gibt es Punkte, die mit der Hauptstadtfunktion nichts zu tun haben: Dass
Berlin zum Beispiel ungeheuer viele landeseigene Wohnungen hat, die andere
Bundesländer und Städte längst schon verkauft haben. Wir erheben
Studiengebühren, Berlin nicht. Berlin hat einen wesentlich geringeren Hebesatz
bei den Kommunalsteuern als wir. Und so weiter. Berlin kann sich also durchaus
selbst helfen. Und für die Hauptstadtbelastungen hat der Bund Berlin
Sonderzuweisungen eingeräumt, etwa bei Aufwendungen für die Sicherheit.
SPIEGEL ONLINE: Für den Fall, dass Berlin gewonnen hätte,
hatten sie eine eigene Klage gegen den Länderfinanzausgleich angedroht. Nach
Berlins Niederlage sind Sie also wieder vollauf zufrieden mit den
Finanzbeziehungen der Länder?
Stratthaus: Dem aktuellen Länderfinanzausgleich haben wir nur
unter erheblichem Bauchgrimmen zugestimmt. Das Gesetz ist ja erst seit
eineinhalb Jahren in Kraft. Und nach dieser kurzen Zeit kann man nicht dagegen
klagen. Wir werden aber noch einmal ganz genau nachprüfen, ob das geltende
Finanzausgleichsrecht tatsächlich jenen Maßstäben entspricht, die das
Verfassungsgericht auch in seinem Berlin-Urteil wieder aufgestellt hat. Und wenn
wir nach sehr sorgfältiger Prüfung zu einer anderen Meinung kommen, müssen wir
über eine Klage nachdenken.
SPIEGEL ONLINE: In der aktuellen Diskussion fordert
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ein
"Frühwarnsystem" sowie eine "Schuldenbremse". Welche Ideen haben Sie?
Stratthaus: Ich würde die Betonung nicht auf das
Frühwarnsystem legen, denn die Finanzminister haben sehr wohl eine Vorstellung
über die Finanzlage ihrer Länder. Wichtiger scheint mir, frühzeitig gegen eine
drohende Schieflage vorgehen zu können. Mein Vorschlag: Ein verfassungswidriger
Haushalt sollte durch einen zügigen einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht
gestoppt werden können.
SPIEGEL ONLINE: Was heißt das konkret?
Stratthaus: Da gibt es zum Beispiel den Finanzplanungsrat aus
Bund, Ländern und Kommunen. Der tagt zwei Mal im Jahr und veranschlagt die
Ausgaben und Einnahmen für die nächste Zeit. Diesen Rat müsste man stärken, dann
hätte man ein Frühwarnsystem. Der nächste Schritt: Gegen übermäßige
Schuldenmacher könnte ich mir eine "Schuldenbremse" in dem Sinne vorstellen,
dass alle Länder in ihren Haushaltsordnungen oder Verfassungen ab einem
bestimmten Zeitpunkt ein Verschuldungsverbot verankern. Wir in Baden-Württemberg
werden das tun. Wenn ein Land dagegen verstößt, kann die Opposition klagen.
SPIEGEL ONLINE: Einen Eingriff von Bundesseite favorisieren
Sie nicht? Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hat einen
"Sparkommissar" ins Gespräch gebracht.
Stratthaus: Das wäre staatsrechtlich nicht unproblematisch,
wenn ein Land von außen vorgeschrieben bekommt, wie es seine Finanzpolitik zu
machen hat. Ein "Sparkommissar" ist wirklich die ultissima ratio. Wobei ich mir
Sanktionen wegen verantwortungsloser Finanzpolitik durchaus vorstellen kann.
SPIEGEL ONLINE: Aber was bleibt dann darüber hinaus, um
gegen Schuldenmacher vorzugehen?
Stratthaus: Aus dem heutigen Urteil lese ich eindeutig
heraus: Die Latte wurde höher gelegt, wann die Länder füreinander einzustehen
haben. Und das wird Auswirkungen auf das Rating haben. Das Kredit-Rating der
schwachen Länder wird sinken - sie bekämen dann irgendwann am Kapitalmarkt eben
kein Geld mehr. Heute hat ja ein total verschuldetes Land wie Berlin noch immer
ein hohes Rating, weil die Kreditgeber sagen: Naja, am Ende werden es der Bund
und die anderen Länder schon bezahlen.
SPIEGEL ONLINE: Die Sache mit dem Rating erinnert sehr an
das so genannte Geheimtreffen der reichen Länder am Tegernsee im Mai. Damals
haben Hamburg, NRW, Bayern und Baden-Württemberg den Schuldenstaaten mit
Kompetenzentzug und einer möglichen Herabstufung im Rating gedroht, die
Sonderabgaben für deren Bürger oder Kürzungen der Sozialleistungen zur Folge
haben könnte.
Stratthaus: Richtig. Bei diesem Treffen ist all das
besprochen worden - und ich stehe natürlich weiterhin dahinter. Aber als Realist
sage ich, der "Sparkommissar" wird nicht so schnell kommen.
SPIEGEL ONLINE: Damals am Tegernsee wurde auch über eine
Länderneugliederung nachgedacht.
Stratthaus: Ich hab' nichts gegen eine Neugliederung. Aber es
sollte keiner glauben, dass dadurch automatisch alle Finanzprobleme gelöst
wären. Schauen Sie sich doch mal die Problemländer an: Die liegen alle
nebeneinander. Wenn Berlin zu Brandenburg kommt, dann sind zwei Problemkinder
zusammen. Oder wenn das Saarland zu Rheinland-Pfalz kommt.
SPIEGEL ONLINE: Unser Vorschlag: Nehmen Sie doch Berlin als
Baden-Württemberger Exklave auf, vielleicht aus alter Verbundenheit mit der
ehemaligen Hohenzollern-Residenz.
Stratthaus: (lacht) Ich glaube, dass unser Ministerpräsident
darauf verzichten würde. Wenn ich die politischen Mehrheitsverhältnisse dort
sehe, sind wir nicht unbedingt an einer Aufnahme Berlins interessiert. Wir
würden höchstens Bayern nehmen.
Das Interview führte Sebastian Fischer
Spiegel vom 20.10.2006
"Warum nicht Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst?“
Finanzwissenschaftler Lars Feld warnt vor einem Freibrief für Schulden
Berlin ist mit seiner Klage auf Finanzhilfen gescheitert. Ein
"bundesstaatlicher Notstand“ liege nicht vor, urteilten die Verfassungsrichter.
Berlin müsse die Haushaltsschieflage aus eigener Kraft überwinden. Der
Heidelberger Finanzwissenschaftler Lars Feld, Mitglied im Wissenschaftlichen
Beirat beim Bundesfinanzministerium, ist erleichtert über die Deckelung des
bündischen Prinzips. Zur Unterstützung der Sanierung empfiehlt er eine
Schuldenbremse, verbunden mit Steuerautonomie der Länder.
Herr Feld, wie soll es nun in Berlin weitergehen? Wie soll
sich die Stadt aus ihrer Haushaltsnotlage befreien?
In Berlin ist eine ganze Reihe von Eigenanstrengungen nötig
und möglich, um aus dem Tal der Tränen wieder herauszukommen. Die Stadt hat
jetzt verschiedene Möglichkeiten; die Richter haben das auch sehr überzeugend
deutlich gemacht. Einerseits gilt es auf der Einnahmenseite anzusetzen, das
heißt vor allem die Gewerbesteuerhebesätze zu erhöhen und den Wohnungsbestand zu
veräußern. Andererseits müssen die Ausgaben sinken.
Berlin ist nicht gerade ein wirtschaftsstarker Standort.
Würden höhere Gewerbesteuerhebesätze noch mehr Unternehmen vergraulen?
Die Gewerbesteuerhebesätze in Berlin sind bisher
vergleichsweise niedrig, da ist schon noch Spielraum. Die Abwanderung dürfte
nicht so gravierend sein.
Und ist ein Verkauf der Wohnungen überhaupt realistisch?
Natürlich sehe ich da Chancen, ganz klar. Das beste Beispiel
ist die Stadt Dresden, die ihre Wohnungen einem Finanzinvestor überschrieben
hat. Die Wohnungen sind dort auch nicht in besserem Zustand, und Berlin wird in
Zukunft eher mehr Zuwanderung erleben als Dresden. Da wird sich schon Interesse
wecken lassen. Im übrigen würde sich eine Veräußerung der Wohnungen günstig auf
die laufenden Ausgaben der Stadt auswirken. Das ist wichtig, denn Berlin hat im
Wohnungswesen bisher erhebliche Mehrausgaben als andere Länder.
Wie steht es sonst um die Ausgaben?
Auf jeden Fall muß Berlin die Personalkosten in den Griff
bekommen. Da leidet die Stadt unter einem schweren Versäumnis unmittelbar nach
der Wiedervereinigung; damals hätten Entlassungen in großem Stil vorgenommen
werden müssen. Heute kann man neben Stellenstreichungen hier aber auch Teilzeit
in Erwägung ziehen - oder warum nicht auch einmal Lohnsenkungen im öffentlichen
Dienst Berlins? Auch im Bildungswesen, in der medizinischen Versorgung oder im
kulturellen Leben wird man die einzelnen Ausgabenposten durchgehen müssen. Daß
Berlin mit der Zahl seiner Opernhäuser und Hochschulen soviel besser dasteht als
das wohlhabendere Hamburg, ist schwer hinzunehmen.
Naja - immerhin ist Berlin Hauptstadt und hat dadurch auch
eine besondere Aufgabe und Belastung.
Natürlich. Aber in dem Maße, wie die Rolle als Hauptstadt
besondere Lasten verursacht, beispielsweise in Hinsicht auf die Ausgaben für
öffentliche Sicherheit und Kultur, kann man das spezifisch abgelten. Das
geschieht ja jetzt schon. Da muß man unter Umständen noch einmal an den
Verhandlungstisch mit dem Bund. Ein neuer Finanzbedarf aber läßt sich daraus
nicht ableiten.
Was ist verkehrt am bündischen Prinzip, dem die Karlsruher
Richter jetzt eine Grenze gezogen haben? Liegt darin nicht eine Stärke des
Föderalismus?
Schon. Aber das Einstehen füreinander muß seine Grenzen
haben, sonst bekommen wir Anreize für Fehlverhalten. Es kann nicht sein, daß ein
Land schlicht einen Freibrief für Schulden bekommt.
Das Problem ist aber noch nicht gelöst. Wie könnte eine
wirksame Schuldenbremse für die Bundesländer aussehen?
Auf jeden Fall ist die Möglichkeit für die Länder, in
Anlehnung an Artikel 115 des Grundgesetzes eine Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auszurufen, wenn man mit der
Neuverschuldung über den Einnahmen liegt, absurd. Die Länder haben gar keine
Möglichkeit, konjunkturell wirksam zu sein. Das gehört abgeschafft. Die
erfolgreichen Konsolidierungen laufen über die Ausgabenseite, hier muß eine
geeignete Schuldenbremse ansetzen. Wenn man - wie unsere Bundesländer - keine
Steuerautonomie hat, dann ist das sowieso der einzig mögliche Weg. Man könnte
ihnen auferlegen, unter einen festgelegten Schwellenwert der
Nettoneuverschuldung zu kommen, indem man Ausgaben reduziert. Zum Einstieg
könnte man ihnen aber auch erlauben, zur Lösung ihrer Probleme in einem
bestimmten Rahmen Zuschläge zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zu erheben. In
der Schweiz sind die erfolgreichsten Schuldenbremsen solche, welche die Kantone
zwingen, bei Überschuldung die Steuern zu erhöhen. Das wäre ideal.
Nur haben die deutschen Bundesländer diese Steuerhoheit
nicht.
Ja. Aber da muß die Reise mittelfristig hingehen. Verstopft
man bei den Länderhaushalten das Ventil der Verschuldung, was ich befürworte,
dann muß man ein anderes Ventil auf der Einnahmenseite schaffen, nämlich eine
verstärkte Steuerautonomie der Länder. Einen kooperativen Föderalismus wie in
Deutschland kann man sich in Gutwetterzeiten leisten. Aber es muß auch klar
sein, daß der, der Ausgaben tätigt, auch die unangenehme Aufgabe haben muß,
dafür Steuern einzutreiben.
Das Gespräch führte Karen Horn
FAZ vom 20.10.2006
"Das ist eine Ohrfeige für den Regierenden Bürgermeister"
Die Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Bündnisgrünen im
Abgeordnetenhaus, Franziska Eichstädt- Bohlig, sagt, die Hauptstadt kann noch
sparen: in der Verwaltung, in der Wohnungs- wirtschaft, mit höherer
Gewerbesteuer. Kürzen bei Kultur und Wissenschaft aber gefährde die Zukunft
Berlins.
Frankfurter Rundschau: Was sagen Sie zum Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Berliner Haushaltsnot?
Franziska Eichstädt-Bohlig: Das ist eine schallende Ohrfeige
für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit - auch persönlich -, für den
rot-roten Senat und auch für den vorangehenden unter Eberhard Diepgen. Rot-Rot
hat nicht hinreichend begründet, warum Berlin, obwohl es ziemlich viel Geld an
Ergänzungszuweisungen und an Finanzausgleich erhält, auf Hilfe vom Bund
angewiesen ist. Gleichzeitig ist es ein Schock für Berlin.
Sie haben keine Sorge, dass Berlin jetzt zum Jammertal wird?
Jammern hilft nie weiter. Berlin muss jetzt die Konsequenzen
aus dem Urteil ziehen. Das wird kein einfacher Weg. Wer das bestreitet, der ist
entweder naiv oder zynisch. Aber es ist unerlässlich, damit die Schulden nicht
Jahr für Jahr weiter wachsen. Das kann sich Berlin nicht leisten. Es wird eine
längere Übergangszeit dauern, bis Berlin keine neuen Schulden mehr machen muss,
um die drückende Zinslast zu bedienen. Zur Zeit sind es gut 6,5 Millionen Euro
Zinsen am Tag. Das ist ein harter Brocken.
Wo kann Berlin noch sparen?
Berlin muss dafür die schwierigen Themen aufrufen. Das eine
ist der Umgang mit den Unternehmensbeteiligungen: Die Berliner
Verkehrsgesellschaft darf nicht länger ihr enormes Defizit trotz hoher und
ständig steigender Fahrpreise in die Höhe treiben. Da ist mehr Effizienz
herauszuholen! Bei der Wohnungswirtschaft, die das Gericht angesprochen hat,
habe ich Zweifel, ob man das Kind mit dem Bade ausschütten soll. Unsere
Mindestforderung ist, soviel Wohnungen zu verkaufen, dass die städtischen
Wohnungsunternehmen kostendeckend wirtschaften können. Ob mehr Wohnungen
verkauft werden sollten, lässt sich jetzt nicht sagen. Berlin hat mit 300.000
Arbeitslosen auch eine riesige Verantwortung in der Wohnungspolitik.
Das Karlsruher Gericht hat selbst Anregungen gegeben, was zu
tun ist, etwa die Gewerbesteuer zu erhöhen und bei Kultur und Wissenschaft
Posten zu streichen. Was sagen Sie dazu?
Die Erhöhung der Gewerbesteuer steht in unserem Programm.
Nach diesem harten Urteil muss die Gewerbesteuer von jetzt 410 Hebesatzpunkten
auf das Niveau von Potsdam mit 470 angehoben werden. Auch wenn es in Berlin
strukturschwache Bereiche gibt, die das erheblich treffen wird. Ein anderer
Punkt ist die Verlängerung des Solidarpakts für die öffentliche Verwaltung über
das Jahr 2009 hinaus. Das haben wir bereits in den Sondierungsgesprächen mit der
SPD nach der Berliner Wahl im September erörtert. Sicher müssen weitere
Sparpotenziale aus der Verwaltung kommen. Das sind die wesentlichen Bereiche, in
denen überhaupt etwas zu holen ist.
Und was ist mit der Kultur und der Wissenschaft?
Da sehen es Bündnis90/Die Grünen in Berlin deutlich anders
als das Gericht. Berlin ist eben nicht Hamburg. Mit Wissenschaft und Kultur ist
Berlins gesamtes Zukunftspotential verknüpft, nicht nur das der Wirtschaft und
des Tourismus. Berlin wird nie wieder eine Industriestadt werden. Kultur und
Wissenschaft haben in der Vergangenheit schon sehr viel sparen müssen. Ich würde
es für schlecht halten, jetzt noch einmal mit dem Rasenmäher daran zu gehen und
an Dingen kürzen, die für Berlin lebenswichtig sind. Berlin muss seine Zukunft
aus dem Konzept entwickeln, eine kreative Stadt zu sein.
Ist die Fusion Berlin und Brandenburg damit erst einmal vom
Tisch?
Das sehen die Brandenburger ja nun so. Richtig ist: Erst wenn
Berlin ein klares Entschuldungskonzept auf der jetzt harten Grundlage hat, kann
man das Thema wieder aufrufen. Vorher ist das illusionär. Dafür wird sich in
Brandenburg sonst keine Hand heben. Selbst für Berlin ist das im Augenblick kein
Thema mehr.
Interview: Karl-Heinz Baum
FR vom 20.10.2006
Trotzdem: Mehr Gerechtigkeit
Die Folgen sind kaum absehbar - Das Entsetzen ging um, Sarrazin greift in
seine Spar-Schublade und die Linke ist uneins
Von Karin Nölte
Die Folgen des Karlsruher Richterspruchs werden nicht nur für Berlin immens
sein. Und sie werden sich teils erst in Jahren zeigen.
Das Entsetzen ging um in Berlin an diesem Donnerstag ab 10.10
Uhr. Denn das Hoffen auf zusätzliche Bundesgelder zog sich quer durch alle
Parteien, keiner sah einen anderen Ausweg aus der Schuldenfalle. Doch statt Geld
wurde Zynismus verteilt. »Sexy, weil nicht so arm«, spöttelte Richter Winfried
Hassemer mit dem verfälschten Slogan, mit dem »Berlin sich schmückt«. Beobachter
werteten dies als verbale Ohrfeige für Klaus Wowereit (SPD), Regierender
Bürgermeister, der mit »arm aber sexy« gern für Berlin wirbt. Und das ist auch
gut so.
Als »kurzfristige Finanzschwäche« hat der Zweite Senat
Berlins Situation charakterisiert. Die »kurze Frist« begann vor etwa 15 Jahren,
als Bonn kurzerhand die Finanzhilfen strich und Berlin zur Schuldenaufnahme
zwang. Und sie wird noch Jahrzehnte andauern – nach der Verweigerung von
Sanierungshilfe vermutlich noch länger als ohnehin befürchtet. Denn Berlin kann
mit seinen Einnahmen nicht einmal die Zinszahlungen für die jetzt 61,6
Milliarden Euro Schulden bedienen, geschweige denn den Schuldenberg abbauen.
Wowereit kündigte gleich nach dem Urteilsspruch eine mögliche Notwendigkeit
neuer Nettokreditaufnahmen an.
Doch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) klang fast
erleichtert: Berlin wisse nun wenigstens, dass es sich nur auf die eigenen
Kräfte verlassen muss. Dann nur noch schlechte Nachrichten. Der Sparkurs werde
verschärft, gab er die Linie vor. Wo sie hinführt, zeigten seine tabulosen
»Denkmodelle« in jüngster Zeit. Etwa: 270 000 Wohnungen in Landeseigentum seien
nicht vonnöten, Private müssten nicht unsozialer handeln als die öffentliche
Hand. Am Montag will er in der nächsten Koalitionsrunde von SPD und Linkspartei
Zahlen präsentieren, wie im Landeshaushalt mit rund 21 Milliarden Euro bis 2011
jährlich 1,5 Milliarden Euro Primärüberschuss zu erzielen wären. Sicher ist:
Sarrazin hat sich auf den »worst case« vorbereitet.
Das heißt, weniger auszugeben und mehr einzunehmen. Bis wohin
macht die Linke mit? Sarrazin ist zuversichtlich: In der letzten Wahlperiode
habe er eher mit der eigenen Partei als mit dem Koalitionspartner Streit
ausgefochten. Doch in dieser Linken regt sich Widerstand. Bisher waren vier
ihrer Abgeordneten im Landtag gegen eine Neuauflage von Rot-Rot. Gregor Gysi
warnte gestern aus dem Bundestag, sich nun verführen zu lassen zu sagen, »dann
weitere Schulden, höhere Ausgaben, es soll ja irgendwie wurscht sein«. So nicht!
»Es darf weder einen Verkauf von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge
noch weiteren Sozialabbau, Abbau von Investitionen in Wissenschaft und Kultur
oder im Bildungsbereich geben. Im Gegenteil: Die Stadt muss sozial gerechter
werden und in Bildung investieren.«
Der Kurs des rot-roten Senats habe für die Linke zu einem
massiven Vertrauensverlust geführt, »mit neoliberalen Spar- und
Privatisierungsfanatikern vom Schlage Sarrazin und Co. darf es keine Neuauflage
der Koalition geben«, meinten die Europa- und Bundespolitiker der Linkspartei
Sahra Wagenknecht, Tobias Pflüger, Nele Hirsch und Ulla Jelpke. »Jetzt unter dem
Vorzeichen einer noch schärferen Spar- und Privatisierungspolitik erneut in die
Koalition einzutreten, wäre politischer Selbstmord.«
Obwohl der Senat gespart hat, dass es quietschte, monierte
das Gericht eine mangelnde Senkung der Ausgaben. Hamburg soll zum Vorbild für
Berlin werden, meint Karlsruhe. Historisch überliefert sind drei Opern, zwei
Zoos, vier Universitäten. »Alles muss raus«? Es wäre ein Niedergang für Kultur,
Wissenschaft und Tourismus-Wirtschaft.
Zum Schaden der Hohn. Nicht nur von den Geber-Ländern im
Westen, auch von den ärmeren Ost-Ländern, die das Urteil über Berlin in der
Furche abgewartet haben. Magdeburg: »Wer sich mehr leistet als andere, kriegt
nichts«, Erfurt: »Gestärkt wird die Länderhoheit«, Schwerin: »Alles andere wäre
konterkarierend«. Das hat alles nichts mit der speziellen Situation Berlins zu
tun.
Aufhorchen lässt ein Hinweis von Alt-Bundespräsident Roman
Herzog: »Die von Kommunen, Ländern und Bund aufgehäuften Gesamtschulden von 1500
Milliarden Euro sind auch ein Resultat der ›organisierten
Verantwor-tungslosigkeit‹ unserer derzeitigen Finanzverfassung.« Das hört sich
anders an als die bundesweite Schadenfreude: »Berlin ist selber schuld.«
ND vom 20. 10.2006
Aus dem Urteil
»Ein bundesstaatlicher Notstand lässt sich für das Land
Berlin derzeit nicht feststellen; es befindet sich nicht in einer extremen
Haushaltsnotlage. Aussagekräftige Indikatoren (...) lassen lediglich eine
angespannte Haushaltslage für das Land Berlin erkennen, die es mit großer
Wahrscheinlichkeit aus eigener Kraft überwinden kann.«
»Das Bundesverfassungsgericht hat eine Überschreitung des
Länderdurchschnitts der Zins-Steuer-Quote zumindest um 71,7 v.H. als ein
Kriterium zur Feststellung (extremer) Haushaltsnotlagen in zwei konkreten
Einzelfällen herangezogen... Die größte negative Abweichung der
Zins-Steuer-Quote zum Länderdurchschnitt liegt in der Spitze bei rund 56 v.H.
Gemessen an den oben dargelegten Anforderungen kann diese Abweichung erst recht
keine übermäßige Belastung Berlins beschreiben.«
»Berlin ist es zwar von 1995 an in keinem Jahr gelungen,
einen Primärüberschuss zu erzielen. Indessen zeigen Betrachtungen der
Primäreinnahmen und -ausgaben, dass die Berliner Haushaltswirtschaft sich nicht
in einer vom Länderdurchschnitt deutlich negativ abweichenden Lage befindet.«
»Abgesehen davon, dass (...) eine extreme Haushaltsnotlage
nicht festzustellen ist, bestehen erfolgversprechende Möglichkeiten, aus eigener
Kraft die vorhandenen Haushaltsengpässe zu bewältigen. Es ist dem Berliner Senat
nicht gelungen, die Alternativlosigkeit von Sanierungshilfen hinreichend
plausibel zu begründen.«
»Trotz der guten bis überdurchschnittlichen Höhe der
Einnahmen haben etwaige Konsolidierungsbemühungen es jedenfalls in dem Zeitraum
zwischen 1995 und 2004 nicht vermocht, die hohen Ausgaben zu reduzieren. Bereits
auf Grund dieser globalen Betrachtung sind noch nicht ausgeschöpfte
Einsparpotentiale in erheblichem Umfang zu vermuten.«
»Insgesamt kann man daher nicht annehmen, dass das Land
Berlin in wenigen Jahren unausweichlich in eine Sondersituation gerät, in der es
seine verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.«
ND vom 20. 10.2006 |