Kurzfassung eines Vortrags zu Carl Paul am 15.08.2009 in Lorenzkirch von Michael Hanfstängl, Leipzig
In Afrika begegnete mir das geflügelte Wort: "Zuerst hatten wir das Land
- und die Weißen, die kamen, die Bibel. Jetzt haben wir die Bibel - und
sie das Land." Mission steht unter dem Verdacht, mit den Eroberern und
Schutztruppen in den Kolonien und Kolonialbehörden eng zusammen
gearbeitet zu haben. Manche würden der Mission sogar vorwerfen, die
Menschen geistlich kolonisiert zu haben, indem sie ihnen den Gehorsam
gegenüber der weißen Obrigkeit vermittelt haben. Stimmt die einfache
Gleichsetzung: "Mission und Kolonialismus sind wie zwei Seiten einer
Medaille?" War Mission vor allem ein "koloniales Abenteuer"? Im Blick auf
die Missionsgeschichte aller christlichen Konfessionen gibt es in der
Tat schockierende Ereignisse, die überaus fragwürdig waren. In der
Eroberung Lateinamerikas wurde beispielsweise 1513 das sogenannte "Requerimiento"
des spanischen Kronjuristen Palacios Rubios entwickelt, das wörtlich als
"Aufforderung" oder "Mahnung" zu übersetzen ist, das eine rechtliche
Grundlage für Kriege gegen Indianer schaffte, (der vollständige Wortlaut
ist im Textheft zur Rogate-Aktion 1992 "Unentdecktes Amerika", S. 18-19
veröffentlicht, das von unserem Dachverband, dem Evangelischen
Missionswerk in Deutschland (EMW) herausgegeben wurde.) Bei jedem
Eroberungszug war dieser Text in Anwesenheit eines Notars zu verlesen.
Folgten die Einheimischen den Anweisungen nicht, durften die Eroberer
ihnen den - für "gerecht" gehaltenen - Krieg erklären und die
Kriegsgefangenen zu Sklaven machen. Die Argumentation des Requerimiento
hat folgende Schritte:
Der Papst in Rom ist das Oberhaupt über alle Menschen.
Der Papst hat den Katholischen Königen von Spanien, Don Fernando und
Dona Isabel und ihren Nachfolgern Euer Land geschenkt.
Einige Bewohner dieses neuen Landes hätten sich bereits zu Christen
bekehrt. Gleichermaßen soll auch Ihr es tun!
Unterwerft Euch unter den Papst und den König und lasst Euch von den
"hier anwesenden Ordensbrüdern" das Gesagte erklären.
Androhung von Gewalt gegen Widerspenstige. Wörtlich heißt es:
"Wenn
ihr dies aber nicht tut und böswillig zögert, dann werde ich, das
versichern wir euch, mit Gottes Hilfe gewaltsam gegen euch vorgehen,
euch überall und auf alle nur mögliche Art mit Krieg überziehen,
euch unter das Joch und unter den Gehorsam der Kirche und seiner
Majestät beugen, eure Frauen und Kinder zu Sklaven machen, sie
verkaufen und über sie nach dem Befehl Seiner Majestät verfügen. Wir
werden euch euer Eigentum nehmen, euch schädigen und euch Übles
antun, soviel wir nur können, und euch als Vasallen behandeln, die
Ihrem Herrn nicht gehorsam und ergeben, sondern widerspenstig und
aufsässig sind. Wir bezeugen feierlich, dass das Blutvergießen und
die Schäden, die daraus erwachsen allein euch zur Last fallen, nicht
Seiner Majestät, nicht mir und nicht diesen Rittern, die mit mir
gekommen sind. Alles, was ich euch hier gesagt und gefordert habe,
bitte ich den Notar schriftlich zu beurkunden."
Über die Handhabung des "Requerimiento" beklagte sich der Notar Oviedo
kurz darauf:
"Ich wünschte, es gelänge, ihnen [den Indios] das Requerimiento
zunächst einmal verständlich zu machen, aber man unternimmt nicht
einmal den Versuch, da es als unnötig und überflüssig erachtet wird.
... 1516 fragte ich den Doktor Palacios Rubios, der dieses
Requerimiento angeordnet hatte, persönlich, ob bezüglich des
Requerimiento die Christenheit nun ein ruhiges Gewissen haben
könnte. Er bejahte dies; man müsse sich nur genau an das
Requerimiento halten." (EMW, a.a.O., S. 19)
Vor allem zwei Stellen aus der
Bibel wurden genutzt, um das gewaltsame Vorgehen zu dieser Zeit zu
rechtfertigen: die Kriegsgesetze im 5. Buch Mose Kapitel 20:
"Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie zu kämpfen, so sollst du
ihr zuerst den Frieden anbieten." (V 10) "Will sie aber nicht Frieden
machen mit dir, sondern mit dir Krieg führen, so belagere sie. Und wenn
sie der Herr, dein Gott, dir in die Hand gibt, so sollst du alles, was
männlich darin ist, mit der Schärfe des Schwerts erschlagen." (V12f).
Im
Falle der Städte, die Gott Israel zum Erbe geben will, erreicht es sogar
die Dimension des Völkermords mit der Aufforderung in Vers 16f: "du
sollst nichts leben lassen, was Odem hat, sondern sollst an ihnen den
Bann vollstrecken." Dieser Logik folgt das Requerimiento von 1513:
zuerst den Frieden anbieten, dann losschlagen, um das angeblich
rechtmäßige Erbe anzutreten. Der zweite auslegungsgeschichtlich fatale
Text stammt aus dem neuen Testament, aus dem Lukas-Evangelium im 14. Kapitel.
Das Gleichnis vom großen Abendmahl, bei dem sich die geladenen Gäste
einer nach dem anderen entschuldigen lassen und der Herr schließlich
seinen Knecht beauftragt:
"Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie
hereinzukommen, dass mein Haus voll werde." (V23)
"Nötige", das klingt nicht nur nach einer freundlichen Einladung. Dieser
Text wurde in der Eroberung Lateinamerikas als willkommene Ausrede und
Legitimation genommen, um letztlich mit der Androhung von Gewalt
Menschen zum Religionswechsel zu zwingen. Das passt keinesfalls zur
Lebensweise Jesu. Eine klare Distanzierung von jeglicher Androhung und
Anwendung von Gewalt in der Weitergabe des Evangeliums kann nur im Sinne
Jesu sein, der in der Bergpredigt die "Sanftmütigen" und "Friedfertigen"
selig gepriesen hat.
Die Synode der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) vom 11. November 1999 in Leipzig hat
eine Kundgebung zum missionarischen Auftrag der Kirche verabschiedet, in
der sich auch ein Schuldbekenntnis findet:
"Die Geschichte der Mission war auch eine Geschichte von Schuld
und Scheitern, für die Vergebung zu suchen und aus der zu lernen
ist. Die pauschale Diskreditierung der Geschichte der christlichen
Mission ist aber ungerechtfertigt. Sie wird gerade von den Menschen
in den einstigen Missionsgebieten Afrika oder Asiens selbst
zurückgewiesen; sie erzählen uns von den segensreichen Auswirkungen
der christlichen Mission vergangener Jahrhunderte, die bis heute
spürbar sind. "
Im Rückblick auf die Geschichte
der Leipziger Mission fällt mir auf, wie entschieden
kolonialkritisch gearbeitet wurde. Als erstmalig von unserer Mission
eine Arbeit in einer deutschen Kolonie begonnen wurde, wurde sehr
bewusst in der Generalversammlung 1893 formuliert: "Dient nicht dem
deutschen Kaiserreich, sondern dem Reich Gottes!" Die Leipziger Mission
hat nie eine Niederlassung im damaligen Deutsch-Ostafrika in der Nähe
einer Militärstation gegründet, um für die Sicht der Einheimischen
mögliche Verwechselungen zu vermeiden.
Direktor Carl Paul hielt
- mitten auf der Höhe deutschen Nationalstolzes im Monat vor der
Eröffnung des Völkerschlachtendenkmals - im September 1913 in unserem
Missionshaus eine Grundsatzrede zum Verhältnis zwischen Mission und
Kolonisation in Deutsch-Ostafrika. Er kritisierte in schärfster Weise
das - so wörtlich -"Herrenmenschentum", die rassistische Herabwürdigung
und rücksichtslose Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung. Er
erwartete, dass die Missionare die Rolle als "Verteidiger der
Eingeborenen" übernehmen und sich in dieser Rolle letztlich überflüssig
machen. Denn Direktor Paul traute den Einheimischen zu, dass sie selber
einmal für ihre eigenen Rechte eintreten können, sobald ihre Rechtslage
sichergestellt ist und sie sich über "vertrauenswürdige
Eingeborenen-Kommissare" Gehör verschaffen können. So entgeht er der
Gefahr eines dauerhaften Paternalismus, als ob Afrikaner auf Dauer wie
unmündige Kinder zu behandeln wären und wir wüssten, was für sei gut
ist. Die Leipziger Missionare haben sich konkret für die "Sperrung des
Dschaggalandes gegen den Zuzug weißer Kolonisten" eingesetzt, um deren
Kultur und Menschenrechte besser zu wahren. Direktor Paul hält
abschließend fest: Wenn Mission und Kolonialpolitik sich begegnen,
"geraten sie leicht in eine gewisse Gegnerstellung, zumal wenn die
Kolonisatoren jenen selbstsüchtigen Standpunkt mit aller Schärfe und
Rücksichtslosigkeit geltend machen. Da sieht sich die Mission
unversehens in die Rolle des Anwalts der Eingeborenen gedrängt, die sie
nicht vergewaltigen lassen will. So kommt es zu Gegnerschaft zwischen
beiden. Wir haben diesen Vorgang in den letzten Jahren wiederholt
erlebt."
Diese Leipziger Tradition wird im Kleinen Evangelischen Erwachsenen
Katechismus der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands
(VELKD) von 2004 im Abschnitt "Mission und Kolonialismus" (S. 256)
erwähnt, um deutlich zu machen, dass die Mission "nicht selten in
kritischer Distanz zu den Kolonialregierungen" erfolgt ist. Das Fazit
der VELKD lautet ähnlich wie das der EKD Synode von 1999:
"Trotz nicht zu leugnender Schuld christlicher Missionare haben
viele Menschen Zugang zu Gottes befreiender Liebe in Jesus Christus
gefunden. Sie waren den Missionaren für die Übermittlung dieses
Geschenkes dankbar, zumal nicht selten Bildung, medizinische Hilfe
und Fortschritt sowie die Befreiung aus seelischen und sozialen
Bindungen damit verbunden waren. "
Aus der Geschichte kolonialer Verstrickungen christlicher Mission ist
vor allem die Option für die Gewaltlosigkeit zu lernen. Wenn Gott die
Liebe ist und Mission Gottes immer schon die Initiative ergriffen hat,
um in aller Geduld die Herzen der Menschen zu erreichen und uns Sündern
nachzulaufen, so kann diese Liebe nur in Freiheit angenommen und
beantwortet werden. Missionarische Aktionen dürfen diesen Respekt Gottes
vor unserer Gewissensfreiheit nicht zuwider laufen. Die schon einmal
zitierte Synode der EKD von 1999 formuliert: "Mission behält die
Absicht, andere Menschen zu überzeugen, d.h. mitzunehmen auf einen Weg,
auf dem die Gewissheit des christlichen Glaubens ihre eigene Gewissheit
wird. Aber sie tut dies in Demut und Lernbereitschaft. Eine so
verstandene Mission hat nichts mit Indoktrination oder Überwältigung zu
tun. Sie ist an der gemeinsamen Frage nach der Wahrheit orientiert. Sie
verzichtet aus dem Geist des Evangeliums und der Liebe auf alle massiven
und subtilen Mittel des Zwangs und zielt auf freie Zustimmung. Eine
solche Mission ist geprägt vom Respekt vor den Überzeugungen der anderen
und hat dialogischen Charakter. Der Geist Gottes, von dem Christus
verheißen hat, dass er uns in alle Wahrheit leiten wird (Joh 16,13), ist
auch in der Begegnung und dem Dialog mit anderen Überzeugungen und
Religionen gegenwärtig."
Deklaration zum Umgang mit der deutschen
Kolonialvergangenheit im Gedenken an den 100. Jahrestag des Maji-Maji-Krieges
Die Deklaration wurde u.a. unterzeichnet vom Vorstand des
Leipziger Missionswerks
Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und der
aufrichtige Umgang mit der eigenen, schwierigen Vergangenheit ist eine
Grundvoraussetzung für die Versöhnung mit den Menschen in den Ländern der
ehemaligen deutschen Kolonien.
Im Juli 1905 begann im Süden der Kolonie Deutsch-Ostafrika,
dem heutigen Tanzania, der
Maji-Maji-Aufstand.
Er weitete sich schnell zu einem Krieg im gesamten Süden der Kolonie aus. Dieser
betraf ein Gebiet, das etwa der Größe der Bundesrepublik Deutschland entspricht.
Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Ostafrikas vereinten sich viele
Ethnien in dem gemeinsamen Ziel, die Kolonialherrschaft zu beenden.
In der ersten Phase konnten die afrikanischen Kämpfer Erfolge
erzielen. Schließlich unterdrückte die deutsche Kolonialmacht durch den Einsatz
ihrer technisch überlegenen Waffen und durch die Strategie der verbrannten Erde
den Widerstand. Von deutscher Seite wurde der Aufstand am 18. Februar 1907 als
beendet erklärt. Der Kriegszustand im Nordwesten von Songea wurde erst am 31.
Juli 1907 aufgehoben. Die Kämpfe und die durch die Zerstörung von Dörfern und
Feldern ausgelöste Hungersnot hatten weitreichende Folgen für den Süden
Tanzanias.
Wir teilen die Einschätzung von Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul: „Während der deutschen Kolonialzeit kam es zu schweren
Menschenrechtsverletzungen und entsetzlichen Gräueltaten an der Bevölkerung der
afrikanischen Länder unter deutscher Kolonialhoheit. ... Während des Krieges der
deutschen Kolonialtruppen gegen die Völker des südlichen Tanganyika in der Zeit
von 1905 bis 1907 kamen viele zehntausend - manche Schätzungen sprechen von bis
zu 300.000 -Menschen ums Leben. ... Die Grausamkeit, mit der die deutschen
Kolonialtruppen diesen Aufstand niederschlugen, ist Ausdruck der verblendeten,
menschenverachtenden, brutalen, rassistischen Grundhaltung der damaligen
Kolonialherren" (Grußwort anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag
des Maji-Maji-Krieges am 13. November 2005, Berlin).
Der deutsche Kolonialismus wird öffentlich kaum diskutiert
oder gar aufgearbeitet, obwohl hier gravierende Ursachen für noch heute
bestehende Ungerechtigkeiten zwischen Nord und Süd - zum Beispiel in den
Beziehungen der Weltwirtschaft und der Welthandelspolitik - und für den
alltäglichen Rassismus in der deutschen Gesellschaft bestehen.
Vor diesem Hintergrund fordern wir von der Bundesregierung
und von den im Parlament vertretenen Parteien
ein klares Bekenntnis zur historischen Verantwortung für
die Verbrechen der Kolonialherrschaft und ein deutliches Zeichen des
Bedauerns und der Entschuldigung.
den Einsatz für die Aufarbeitung der deutschen kolonialen
Vergangenheit und die Unterstützung zivilgesellschafdicher Initiativen in
diesem Prozess.
die Reflexion der deutschen kolonialen Vergangenheit und
heutiger Afrikabilder und die aktive Auseinandersetzung mit Rassismus als
verbindlichen Bestandteil des Unterrichts in Schulen und staatlichen
Bildungseinrichtungen.
die Förderung von Beziehungen zwischen den Menschen in
Tanzania und Deutschland z.B. durch die Wiedereröffnung des Goethe-Instituts
in Dar es Salaam.
Die konsequente Unterstützung des Fairen Handels mit
Produkten aus Tanzania.
Wir fordern symbolische Wiedergutmachungen durch
die Umbenennung von Straßen und Plätzen, die
unreflektiert die koloniale Vergangenheit ehren, zugunsten von tanzanischen
Persönlichkeiten,
die Errichtung von Orten des Gedenkens an die Opfer der
deutschen Kolonialherrschaft,
e die öffentlichkeitswirksame Rückführung der in Deutschland aufbewahrten
Gebeine von damals Getöteten nach Tanzania.
Diese Deklaration ist Ergebnis eines vom
Tanzania-Network.de
e.V. initiierten Diskussionsprozesses mit Initiativen in Deutschland und
Tanzania.
Im
Oktober 2007 habe ich in Herrnhut an einer Tagung zum Thema "Pietismus
und Mission" teilgenommen. Dort hielt Prof. J. G. Muthuraj (Bangalore)
einen Vortrag über die Protestantische Mission in Indien am Anfang des
18.Jahrhunderts. Im Zentrum seines Referats stand natürlich das Wirken
von Ziegenbalg und Plütschau in Tranquebar. Ich selbst hatte die Aufgabe
übernommen, die Ausführungen von Prof. Muthuraj zu kommentieren. Für
mich war das eine bewegende Erfahrung, weil ich mich bisher
wissenschaftlich noch nie eingehender mit dem Thema beschäftigt hatte,
andererseits natürlich "Tranquebar" in meiner Familie einen besonderen
Klang hatte, da mein Grossvater
dort als Missionar der Leipziger Mission wirkte, später auch mein
Onkel, und mein
Vater in Tranquebar ziemlich genau zweihundert Jahre nach der
Ankunft von Ziegenbalg
und Plütschau
geboren wurde. Seit meiner frühen Kindheit hörte ich zuhause von den
beiden Glaubenshelden, die indischen Heiden das Evangelium brachten und
in deren Tradition Großvater und Onkel wirkten. Selbstverständlich
lernten wir diese Anfänge nicht anders kennen als in der Deutung der
Leipziger Mission, die naturgemäss das deutsche und lutherische Element
der Mission ins Zentrum rückte. Demgegenüber betonte Prof. Muthuraj den
von Anfang an herrschenden ökumenischen und internationalen Geist der
Tranquebar-Mission. Durch diesen Gegensatz herausgefordert versuchte ich
mir selbst ein wissenschaftlich verantwortetes Bild zu machen. Das
Ergebnis ist die folgende Skizze.
König
Friedrich IV. von Dänemark (König seit 1699) gab persönlich die
Anregung zur Mission in den dänischen Ueberseegebieten. Sein
Hofprediger, der aus Deutschland stammende und vom Halleschen Pietismus
geprägte Lütkens, konnte in Dänemark keine geeigneten Missionskandidaten
finden. Aufgrund seiner Verbindungen nach Deutschland konnten Ziegenbalg
und Plütschau für diese Aufgabe gewonnen werden. Die beiden wurden am
11.November 1705 in Kopenhagen ordiniert. Mit der königlichen
Instruktion vom 17.November desselben Jahres erhielten sie den Auftrag,
Mission in und um die dänische Handelsniederlassung Tranquebar unter den
Einheimischen zu treiben, sie im Worte Gottes und im Augsburger
Bekenntnis zu unterrichten. Zugleich garantierte ihnen der König seinen
Schutz und befahl dem Gouverneur der Niederlassung die Arbeit der
Missionare zu fördern.
Im
Sommer 1706 erreichten Ziegenbalg und Plütschau Tranquebar, das seit
1620 ( mit Unterbrechungen) eine Niederlassung der
Dänischen Ostindischen Kompanie bildete, wo deshalb dänische Gesetze
galten. In der ethnisch und religiös pluriformen Gesellschaft
Tranquebars bestand völlige Religionsfreiheit, so dass sich im Prinzip
Hindus und Moslems, Katholiken und Protestanten frei entfalten konnten.
Die beiden Missionare begannen ihre Arbeit unter
portugiesisch-sprachigen Angehörigen der Unterschichte, wandten sich
zudem den Tamilen zu
und predigten ferner in deutscher Sprache den europäischen Bewohnern.
Die Missionstätigkeit hatte Erfolg und bald konnten die Missionare im
Tamilenviertel ein eigenes Kirchengebäude errichten. Anfänglich
herrschte gutes Einvernehmen mit den lokalen dänischen kirchlichen
Autoritäten, doch entzündete sich nach einiger Zeit ein Konflikt über
die Arbeitsfelder und die Arbeitsweise der beiden Missionare. Man warf
ihnen vor, sie würden die durch die königlich-dänische Instruktion
gesetzten Grenzen überschreiten, namentlich durch ihre Sozialarbeit in
der Unterschichte, die Abhaltung von Konventikeln und die
Verkündigungstätigkeit unter Europäern. Die Lage spitzte sich zu, als
der Gouverneur den Missionaren sein Wohlwollen entzog, von Störung des
Religionsfriedens sprach und die Gefahr eines Aufruhrs beschwor. Für
drei Monate liess er Ziegenbalg einsperren.
Für die
beiden Missionare stellte sich nach drei Jahren, im Sommer 1709, die
Lage so dar, dass sie trotz ihrer Missionserfolge in einer rechtlich
prekären Situation verkehrten und zudem wegen der fehlenden
Unterstützung aus Dänemark unter ständigem Geldmangel litten. Sie
setzten ihre Hoffnungen auf den dänischen König und liessen ihm deshalb
im Oktober 1709 einen ausführlichen Bericht über die ihnen zuteil
gewordene, angeblich ungerechte, Behandlung zukommen und baten ihn
zugleich um seine Unterstützung. Der Gouverneur seinerseits blieb ebenso
wenig untätig und reagierte in ähnlicher Weise, indem er nämlich
Beschwerdebriefe nach Dänemark sandte. Beide Seiten erwarteten sich eine
Klärung der Kontroverse durch die Autoritäten in Dänemark.
Diese
Klärung blieb lange Zeit aus. Beim König hatte aus verschiedenen Gründen
das Interesse an der Mission nachgelassen, zudem kam der dänische
Ostindienhandel in diesen Jahren praktisch zum Erliegen, dreieinhalb
Jahre lang lag der Schiffsverkehr zwischen Kopenhagen und Tranquebar
still. Deshalb erhielten die Kontrahenten in Tranquebar erst im Februar
1714 eine Antwort auf ihre Eingaben, also fast viereinhalb Jahre nach
ihren Briefen. Im wesentlichen bekamen die Missionare recht.
Allerdings stand in diesen Jahren die Zeit in Tranquebar nicht still.
Die dänische finanzielle Unterstützung blieb zwar aus, doch sprang ab
1710 die in London beheimatete "Society
For Promoting Christian Knowledge" in die Bresche und machte auf
Jahrzehnte hinaus den Ausfall mehr als wett. Der Briefverkehr mit den
beiden Missionaren erfolgte via das Fort St.George, das spätere Madras.
Für das erfolgreiche Engagement der Londoner Gesellschaft sind mehrere
Faktoren ausschlaggebend: Als erstes unterstützten die englischen
Autoritäten, namentlich die
East
Indian Company, vorbehaltlos die Missionsanstrengungen in Indien.
Zum zweiten hatte es 1709, als sich die Society der südindischen
Missionare anzunehmen begann, schon länger persönliche Beziehungen
zwischen dem pietistischen Zentrum Halle und der Society gegeben. Der
Kopf des Halleschen Pietismus,
August
Hermann Francke, gehörte seit 1700 als korrespondierendes Mitglied
der Society an und der von Halle geprägte Londoner Hofprediger Anton
Wilhelm Böhm konnte als unablässiger Förderer für die Sache der
indischen Mission wirken. Zum dritten fand die Mission in der Society
eine wohlorganisierte und im Fundsraising erfolgreiche Organisation. Da
1712 der Versuch der Society, englische Missionare nach Indien zu
schicken, gescheitert war, griff man in London für Indien gern auf die
in Halle ausgebildeten und aus Deutschland stammenden Missionare zurück.
Bemerkenswerter handelte es sich dabei bis 1825 ausschliesslich um
Lutheraner. Die Society war also durchaus bereit, in konfessioneller
Hinsicht Kompromisse einzugehen, die lutherische Ordination anzuerkennen
und anglikanischen Hardlinern entgegenzutreten. Allerdings dürfte den
Engländern das missionarische Selbstverständnis von Ziegenbalg und
seinen Kollegen entgegengekommen sein. Denn Ziegenbalg ging es nach
seinen eigenen Worten darum, als "Lehrer … rettende Erkenntnis Gottes"
zu vermitteln, um den Heiden Gelegenheit zur Bekehrung zu geben. Diese -
pointiert gesagt - über die wahre Religion aufklärende Predigt
verknüpfte sich mit sozialem Engagement. Damit traf Ziegenbalg präzis
das zentrale Anliegen der Londoner Society. Das ist der Schlüssel zum
Erfolg der
Tranquebar-Mission.
Schon nach wenigen Jahren setzte Ziegenbalg seine ganzen Hoffnungen auf
England. So schrieb er am 4. Oktober 1714 an Böhm: "Es ist insbesondere
die gesegnete englische Nation von Gott dazu erweckt und aufgemuntert,
das Gute und die Werke des Herrn zu befördern". Es liegt auf der Hand,
dass dieser Lobpreis Englands durch Ziegenbalg nach den Ereignissen des
20.Jahrhunderts in der mündlichen Tranquebar-Tradition der Leipziger
Mission keine Rolle mehr spielen konnte…
Die Stellung der britischen Regierung zur Mission in
Indien
Ein
geschichtlicher Überblick
Von Leonhard Johannes Frohnmeyer
Vortrag auf der Niederrheinischen Missions-Konferenz in Düsseldorf am
26. April 1916
Nicht
das Weltmeer hemmt des Krieges Toben," sagt Schiller beim Eintritt in
sein neues Jahrhundert. Und doch, wie langsam zogen damals Bewegungen in
der Heimat ihre Wellenlinien hinaus in die Welt. Es hatte für den
deutschen Bürger nichts zu bedeuten, wenn "hinten in der Türkei" die
Völker aufeinander schlugen. Ahnungslos ist auch die Mission in den
Weltkrieg eingetreten. Man hegte wohl Befürchtungen im Blick auf die
Heimat und die Wirkung des Kriegs mit allen seinen Opfern an Geld und
Blut auf die Missionsarbeit draußen, aber die Missionsfelder hielt man
im ganzen für gesichert, "Was hat die Mission draußen in Kamerun oder in
Indien mit dem Kriege zu tun?" so konnte man sich fragen. Ganz besonders
glaubte man im Blick auf die Mission in den englischen Kolonien sich
beruhigen zu dürfen. Die Mission war in letzter Zeit lieb Kind bei der
englischen Regierung gewesen, und selbst der deutschen Mission hatte es
an Anerkennung nicht gefehlt. Und doch, das Unbegreifliche, es ward
Ereignis! So steht die Mission nicht nur unter einem großen Druck,
sondern auch in recht befremdlicher Dunkelheit. Unser Haupttrost in
dieser Zeit kommt uns zu durch Gottes Wort und Gebet. Gottes Wort
verweist uns aber noch auf einen andern Weg zur Beruhigung. Wir lesen
Psalm 77, 6: "Ich gedenke der alten Zeit, der vorigen Jahre." Die
Geschichte und auch die Missionsgeschichte, kann uns gar manches in
diesen Tagen lehren, was zur Beruhigung dient. Es ist z.B. auffallend
und doch auch wieder tröstlich, wie oft die Mission in Kriegswirren
hineingezogen wurde. Vieles, was uns heute erschüttert und empört, ist
gar nicht so neu. Im Burenkriege haben die Engländer in kleinem Maßstab
schon alles das geleistet, was sie in diesem Weltkrieg der Mission
angetan haben. Schon damals wurden mit den andern Deutschen auch die
Missionsleute interniert, Missionsstationen zerstört und
Missionsgemeinden zersprengt. Schon damals wurden die unglaublichsten
Gerüchte und Verleumdungen über die Deutschen verbreitet, auch die
Parole ausgegeben: "Das deutsche Element muss aus Südafrika
verschwinden!" Vernichtet wurde die Mission jedoch nicht. Viel wurde
zerstört, viel Unheil angerichtet, aber es hat auch nicht an besonderem
Segen gefehlt, und die Mission lebte nach dem Frieden wieder auf.
Alles,
was gegenwärtig in Indien geschieht und was die Mission erduldet, ist
auch nicht völlig neu. Es verlohnt sich, die Geschichte der Mission in
Indien unter diesem Gesichtspunkte an sich vorübergehen zu lassen. Wir
wollen uns dabei hüten, die Leidenschaft und das Gefühl der Enttäuschung
aus dem gegenwärtigen Weltgeschehen in vergangene Tage hineinzutragen.
Es handelt sich für uns um ein objektives Bild von dem Verhältnis der
britischen Regierung zur Mission in Indien.
1. Die
alte Zeit von 1600 - 1832
Die
alte Zeit in der Geschichte der Stellung der Briten zur Mission in
Indien umfasst mehr als zwei Jahrhunderte, in denen das Jahr 1813 einen
bedeutsamen Einschnitt bildet. Erst damals begann die feindselige
Haltung der indischen Kompanie sich zugunsten der Mission allmählich zu
verändern.
1.1
Die Stellung der Ostindischen Kompanie zur religiösen Frage 1600 - 1813
1.1.1 Freundliche Stellung zu den indischen Religionen
Die
Ostindische Kompanie, wie sich die Regierung Indiens bis zum Jahr 1857
nannte, begann ihre Geschäfte Ende 1600. Sie war bis in die Mitte des
18. Jahrhunderts eine einfache Handelsgesellschaft, die um ihre Existenz
ringen musste. Sie hatte in jener Zeit mit Mission überhaupt nichts zu
tun. Eine politische Macht wurde diese Gesellschaft ganz allmählich und
eine Regierung erst durch Lord
Clive seit dem Jahr 1757. Sie blieb aber auch dann in erster Linie
Handelsgesellschaft, die nur die eigene Bereicherung im Auge hatte und
kaum daran dachte, dass man der eingebornen Bevölkerung auch etwas
schuldig sei. Es handelte sich eben um echte Krämerpolitik, bei der
allmählich alle Mitbewerber aus dem Feld geschlagen wurden. Zuerst kamen
die Portugiesen an die Reihe, dann folgten die Dänen, später die
Holländer, und zuletzt kam es zu einem gewaltigen Ringen mit dem
gefährlichsten Konkurrenten, mit den Franzosen. Das Geschick der beiden
Nationen lag auf der Wage. Der bedeutendste General,
Dupleix, war auf
Seiten der Franzosen. Hätte ihn seine Regierung nicht im Stich gelassen,
so wäre Indien heute vielleicht eine französische Kolonie. Schließlich
erwuchs der englischen Nation in Lord Clive noch ein militärischer
Genius, und die Sache war entschieden. Es fehlte nicht an Heroentum in
jenen Entscheidungskämpfen, aber die Ostindische Kompanie schreckte
mitunter auch vor den niedrigsten Mitteln nicht zurück. Als sie anfing,
Land zu annektieren, erwachte sofort die Frage, wie die Religionen des
Landes behandelt werden sollten. Die Frage machte der Regierung damals
nicht viel zu schaffen. Es ging nach dem Wort von
Horaz: "Zuerst für Geld
gesorgt, für bares Geld, dann gibt sich's mit der Tugend wohl von
selbst." Zur Entschuldigung, wenn es eine gibt, kann allerdings geltend
gemacht werden, dass das Auftreten der Ostindischen Kompanie eben der
Reflex des damaligen niederen Standes der Religiosität in der Heimat
war. Auch die Regierungen der Kolonien sind eben im Grunde Projektionen
der heimatlichen Kreise. So kümmerte man sich zunächst um das geistige
Wohl der Inder rein nichts. Das Leben der Beamten war sehr häufig
skandalös. Selbst ein Mann wie der Generalgouverneur
Warren
Hastings, so gut wie sein Rivale, der neidische Philipp Francis,
lebten in offenem Ehebruch.
Jakob Charnock,
der Begründer von Kalkutta und der erste Gouverneur von Bengalen, lebte
zudem auch heidnisch und stand unter dem Einfluss seiner eingebornen
Frau, an die er offenbar sehr anhänglich war; denn nach ihrem Tod
opferte er jedes Jahr einen Hahn auf ihrem Grab. In jenen Tagen kehrten
die Beamten und Offiziere der Kompanie, in der Regel nicht allzu alt,
als reiche "Nabobs" nach Britannien zurück und verpesteten dort die
sittliche Atmosphäre. Wie ein Ruf durch die Nacht klingt die bewegliche
Klage eines offenbar tüchtigen Kaplans, Edward Terri, aus dem Jahr 1615,
der schreibt: "Ich möchte gerne mein Leben für die Völker dieses Landes
hingeben, aber alles ist vergebens angesichts der Kaste und des
schamlosen Beispiels meiner Landsleute."
Es lag
ja ein wirkliches Problem vor. Die Angestellten der Kompanie sollten in
die religiöse Freiheit der Inder nicht eingreifen; andrerseits fühlte
die Kompanie in ihren edelsten Gliedern dann und wann doch ihre
Verantwortung als christliche Macht. Aber, wie gesagt, im 17. und 18.
Jahrhundert machte diese Schwierigkeit der Ostindischen Kompanie kaum
etwas zu schaffen. Es fehlte jede höhere Idee, die über den Geldpunkt
hinausgereicht hätte. Als die Regierung allmählich eine politische Macht
wurde, als sie anfing, Steuern zu erheben, ständige Truppen zu halten
und Kriege zu führen, da konnte sie doch auf die Länge obiger
Schwierigkeit nicht aus dem Wege gehen. Doch war es im ganzen eine
schlimme Wirtschaft, die schließlich in England Bedenken erregen musste.
Im Jahre 1783 wurde ein Kontrollamt eingerichtet, mit einem
Staatsminister an der Spitze. Das bedeutete aber einen sehr schleppenden
Geschäftsgang. In dieser Zeit, wo es noch keine Dampfschiffe und noch
weniger telegraphische Verbindungen mit Indien gab, kam natürlich diese
Kontrollbehörde immer zu spät. Es blieb eigentlich nichts anderes übrig,
als dass die indischen Statthalter oder Gouverneure allmächtig wurden
und sich mitunter niemand verantwortlich fühlten. Waren es tüchtige
Männer, so war diese Einrichtung nicht so übel.
Es muss
auch im Auge behalten werden, dass die Verhältnisse in Indien damals,
wie heute, außerordentlich schwierig waren. Man hatte zu rechnen mit
konservativen Hindu, mit fanatischen Mohammedanern und mit Einrichtungen
wie der indischen Kaste. Was ferner in Indien ein Eingreifen auch der
besten Regierung immer erschweren wird, ist die Tatsache, dass man es
mit einem Volk zu tun hat, bei dem so ziemlich alles eine religiöse
Seite hat. Diese Macht der Religion im öffentlichen Leben scheint etwas
sehr Ideales zu sein; aber wenn es sich um falsche Religion, Karikatur
der Religion und um Priestertrug handelt, so erscheinen eben auch die
wohltätigsten Reformbewegungen einer Regierung als Eingriff in die
religiöse Freiheit. Dazu kam. dass es sich damals um eine sehr kleine
Schar von Engländern handelte, dass sie unter dem entnervenden Einfluss
des Klimas standen (Erholungsstationen gab es auch nicht), und dass sie
zu ihrem Schutz in erster Linie auf die eingeborenen Regimenter der
Sipahi angewiesen waren. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts hatte sich
selbst in England wenig Missionsinteresse oder Missionstrieb gezeigt,
und so war auch nicht zu erwarten, dass die Briten in Indien sich in
dieser Hinsicht verantwortlich fühlten.
Als es
sich schließlich um die Stellung zu den indischen Religionen handelte,
da standen drei Wege offen. Die Regierung hätte es versuchen können, das
Christentum dem Hindu aufzunötigen. Dazu war weder Neigung noch
Fähigkeit noch irgend welche Möglichkeit vorhanden. Ein zweiter Weg wäre
gewesen, den Indern das Beste, was England selbst besaß, ohne Zwang
anzubieten, z. B. für Verbreitung der Bibel zu sorgen, Schulen
einzurichten u. dgl. Bei der religiösen Gleichgültigkeit, die damals
herrschte, war auch das ausgeschlossen. Nicht dass die Besten der Nation
so etwas nie gewünscht oder beabsichtigt hätten, schon 1698 wurde den
Kaplänen, die in den Faktoreien angestellt wurden, die Instruktion
mitgegeben, sie sollten die indischen Sprachen lernen, damit sie die
Diener und Sklaven der Gesellschaft und ihre Agenten in der
protestantischen Religion unterrichten könnten. Diese erste
Gewissensregung der Ostindischen Kompanie wurde zunächst hundert Jahre
beiseite gelegt. Im Jahre 1793 wurde im Parlament beantragt, es möchten
Maßregeln getroffen werden, welche stufenweise zur Verbreitung heilsamer
Kenntnisse und zur Hebung der religiösen und sittlichen Zustände jener
Völker beitragen würden. Bei den Direktoren der Kompanie erregte dieser
Antrag einen Sturm der Entrüstung. Dieser Gedanke sei "verderblich,
unpolitisch, nutzlos, unheilbringend, gefährlich, unfruchtbar,
phantastisch," hieß es. Kapläne waren ausgesendet worden, aber sie waren
nur für ihre Landsleute bestimmt, sie wurden schlecht bezahlt und sahen
sich deshalb auch auf Handelsgeschäfte angewiesen. Offenbar fühlten sich
von diesen Posten sehr ungeistliche Männer angezogen, die rasch auf die
Stufe der übrigen Anglo-Inder herabsanken. Es blieb noch ein dritter Weg
übrig, den seinerzeit die Römer in den unterworfenen Provinzen
eingeschlagen hatten. Man unterwarf die Völker, gestaltete alles nach
Belieben um, ordnete alles nach dem römischen Staatsideal, nur die
Religion wurde nirgends angetastet. Im Gegenteil, man war geneigt,
fremde Götter in das römische Pantheon aufzunehmen. Man heuchelte
Verehrung für die Tiergötter der Ägypter, für die Astarte der Syrer und
die Diana der Epheser. Das war also der Standpunkt der Nützlichkeit, des
äußeren Vorteils. Dieser Weg wurde zunächst von den Briten auch in
Indien eingeschlagen. Die Ähnlichkeit zwischen römischer und britischer
Verwaltung in den Kolonien ist überhaupt auffallend. Die Direktoren
erinnern an den Senat, die Gouverneure an die Prokonsuln, die
Militärverwaltung an die römischen Legionen. Für die Verwaltung stimmt
die Vergleichung mitunter bis auf den Namen hinaus. Während es den
Engländern sonst nicht leicht fällt, sich fremden Völkern gleich zu
stellen, und der Engländer, wo er auch auftritt, zäh an den
Gepflogenheiten seiner Nation festhält, in politischem Interesse machte
er in Indien zuweilen gewaltige, mitunter komische Anstrengungen, der
religiösen Lage gerecht zu werden. Man erzählt von einem "Hindu-Stewart",
der sich in den Hinduismus so hineinlebte, dass er zur Pflege seiner
religiösen Bedürfnisse einen Koffer voll indischer Götzen mit nach Hause
brachte.
1.1.2 Feindliche Stellung zur evangelischen Mission
Am
Anfang des 19. Jahrhunderts setzte die Missionsarbeit auf englischem
Gebiet in Indien ein. Im Süden hatte die
dänisch-hallesche Mission schon ein Jahrhundert vorher begonnen;
ihre Arbeit hatte sich vom dänischen Trankebar aus auch auf das
englische Gebiet in Süd-Indien ausgedehnt. Einer der halleschen
Missionare, Kirnader, war sogar in den Norden gezogen und wurde von Lord
Clive freundlich aufgenommen, denn damals waren nicht einmal englische
Kapläne im Norden übrig geblieben. Kirnader kam aber in seinem langen
Leben nicht zu eigentlicher Missionsarbeit; deshalb ergaben sich auch
keine Schwierigkeiten zwischen ihm und der Ostindischen Kompanie. Anders
gestaltete sich die Sache, als vom Jahre 1793 an die eigentliche
Missionsarbeit begann. Wenn schon die Direktoren zu Hause über diesen
Gedanken erschraken, so kann man sich denken, wie erschütternd der
Missionsgedanke draußen wirkte. Man wusste übrigens, dass die Direktoren
der Mission nicht zustimmen würden. Hatte doch einer geschrieben: "Ich
würde es als das größte Unglück beklagen, welche Indien treffen könnte,
wenn etwa 100.000 Hindu sich zum Christentum bekehren würden." Ein
anderer bezeichnete die Aussendung von Missionaren als das tollste,
extravaganteste, kostspieligste Unterfangen, das je im Kopfe eines
träumerischen Projektenmachers entstehen konnte. Noch 1796 äußert sich
einer von ihnen dahin: "Ich wollte lieber eine Bande von Teufeln in
Indien sehen, als eine Schar von Missionaren."
Dem
entsprechend war auch die Behandlung der ersten Missionare. Am 11.
November 1793 landete
Carey in
Indien. Er wollte auf einem englischen Schiff ausreisen, wurde aber im
letzten Augenblick ans Land gesetzt, weil er keinen Pass der Kompanie
besaß. Ohne Pass der Kompanie konnte selbst ein Engländer nicht nach
Indien gelangen; das war nun eine bequeme Waffe, um die unbequemen
Missionare fernzuhalten. In Missionskreisen hatte man zunächst an keine
Schwierigkeiten gedacht, denn die Kompanie hatte sich in Südindien zu
den dänisch-hallischen Missionaren auf englischem Gebiet im ganzen
freundlich gestellt. Fabricius und Schwartz
wurden geradezu Vertrauensmänner der dortigen Regierung; war doch
Schwartz mit der Verwaltung und Regierung des Fürstentums Tandschaur
betraut worden und wurde zu diplomatischen Verhandlungen mit Haidar Ali
ausersehen. Aber ganz anders war es nun in Nordindien. Ohne Pass, nur
mit der Bibel konnte kein Missionar nach Indien gelangen. Carey reiste
auf einem dänischen Schiff und musste sich sechs Jahre lang als
Indigopflanzer herumschlagen, um nicht ausgewiesen zu werden. Er hatte
auch Kaution zu leisten für gute Aufführung! Unter guter Aufführung
verstand man wohl, dass er den Missionar nie hervorkehre. Endlich fand
er mit andern, die auf dänischen und amerikanischen Schiffen
hinausgelangt waren, Unterschlupf in der dänischen Kolonie Sirampur,
etwa 20 km aufwärts von Kalkutta am Hugli gelegen. Die Kompanie war in
jenen Tagen überhaupt etwas nervös. Sie fürchtete außer den Missionaren
auch französischen und republikanischen Einfluss in Indien. Vor Napoleon
zitterte damals die Welt. Groß war z. B. der Jubel, als man von dem
Geschick der französischen Armee 1812 in Russland hörte. Es war damals
im Blatt der englisch-kirchlichen Mission zu lesen, dass Russland durch
Gottes Fügung der Retter Indiens, auf das es Napoleon abgesehen habe,
geworden sei. Ein englischer Historiker fügt 1899 bei: "Wie wunderbar
klingt das in diesen Tagen: Russland als Befreier!" Wie klingt es heute
in englischen Ohren? Die Angstpolitik der Ostindischen Kompanie machte
es nicht nur Carey
lange Jahre unmöglich, auf britischem Gebiet zu arbeiten; es ging auch
andern nicht besser. Als Chamberlain 1811 von
Sirampur aus sich
nach Agra
begab, um dort Missionsarbeit zu beginnen, wurde er durch heidnische
Sipahi zurückgebracht. Er versuchte es noch einmal als Hauslehrer eines
englischen Offiziers. Aber Lord
Hastings
schickte ihn wiederum weg und erklärte auf eine Vorstellung: "Es ist ja
schon möglich, dass man eine Pistole in ein Pulvermagazin abschießen
kann, ohne dass es eine Explosion gibt, aber für ratsam halte ich es
nicht." Der Schotte Haldane wollte ein ganzes Missionsunternehmen
ausrüsten. Er wurde nicht einmal hinausgelassen. Im Jahr 1812 erschienen
fünf Amerikaner und drei Engländer, und Grauen erfasste die Beamten in
Kalkutta. Die Amerikaner wollte man sofort abschieben. Es gelang einigen
nach Mauritius, zweien nach Bombay zu entrinnen, wo der Gouverneur sie
merkwürdigerweise schützte, als sie steckbrieflich verfolgt wurden. Von
den drei Engländern flüchteten sich zwei nach Sirampur und einer in das
holländische Tschintsurah. Einer der Engländer wurde abgefangen und nach
England zurückgeschickt; man berechnete dann der englisch-kirchlichen
Missionsgesellschaft 10.000 Mark Reisespesen! Der Mann scheint fürstlich
gereist zu sein! Empörend ist es, dass Männer wie Pitt und das Parlament
in seiner Mehrheit diese Politik unterstützten.
1.1.3 Der Sipahi-Aufstand 1806
Recht
bezeichnend für die damaligen Zustände ist die Bewegung, die
hervorgerufen wurde, als es in Vellur in Südindien zu einem kleinen
Aufstand der Sipahi kam. Es geschah das im Jahr 1806. Mit Mission hatte
die Sache durchaus nichts zu tun. Es handelte sich in jener Gegend
überhaupt nicht um Missionsarbeit, und doch sollte nun die Mission
schuld sein an diesen Unruhen. Der damalige Gouverneur von Madras, der
spätere Vizekönig Lord Bentinck, war ein wirklicher Christ und
interessierte sich auch für die Missionsarbeit. Unter seiner Protektion
reiste der bekannte Kaplan Dr. Buchanan in den Süden Indiens zu den
syrischen Christen. Das war der gewöhnlichen Sorte von Anglo-Indern ein
großes Ärgernis, und so wurde der Vellur-Aufstand mit der Missionsarbeit
in Zusammenhang gebracht. In Wirklichkeit hatte der Aufstand seinen
Grund in einer Änderung an der Uniform der Sipahi. Der damalige
Vizekönig, Lord Barlow, war ein Mann, der nicht imstande war, zu
unterscheiden zwischen einem offiziellen Einschreiten der Regierung
zugunsten des Christentums und zwischen dem Bestreben von Beamten in
ihrem Privatleben, den christlichen Glauben zu bekennen. Er war darum
auch geneigt, die Schuld an den Wirren der Mission zur Last zu legen. Es
erinnert das an die alltägliche Erscheinung, dass manche Leute geneigt
sind, einen Schnupfen immer zurückzuführen auf den letzten Kirchgang,
während man sich bei einem Theaterbesuch nie erkältet. Sir Barlow
schickte also sofort drei neu angekommene Missionare nach Hause. Einer
von ihnen wurde durch die Straßen von Kalkutta transportiert und saß
zwei Stunden im Gefängnis der eingebornen Verbrecher. Zu Hause
beantragte sofort ein Mitglied des Parlaments, Twining, dass alle
Missionare aus Indien ausgewiesen und dass keine heiligen Schriften mehr
hinausgesandt werden sollten.
Charles Grant konnte das verhindern. Es kam jedoch zu einer sehr
gehässigen literarischen Polemik gegen die Missionsarbeit. Ein Major
Scott verherrlichte gegenüber der Bibel die
Veden der Hindu. Damals
erschienen die literarisch berühmten Schmähschriften des englischen
Schriftstellers und Geistlichen
Sydney Smith,
gehässig, aber mit sehr viel Witz und Sarkasmus geschrieben. Mit
deutlicher Anspielung auf Carey verhöhnte er die "geweihten
Schuhflicker." Kein Geringerer als
Southey, der
Biograph von Nelson, trat in einer Gegenschrift für die Missionare ein.
Die Zeiten waren doch zu Hause schon andere geworden. Selbst die lauen
Direktoren fingen an, die Verhältnisse in Indien vernünftiger und
gerechter zu beurteilen. Sie sahen ein, dass, wenn man sich gegen
Einmischung in Fragen der Religion aussprach, dieser Grundsatz auch auf
die Arbeit der Missionare ausgedehnt werden müsse. Auch die Wohltaten
des Christentums wurden zuweilen anerkannt. Doch scheute man sich immer
noch sehr, die Vorurteile der Hindu zu erregen, und Missionsarbeit
sollte in keiner Weise ermutigt oder gar unterstützt werden. Die
Regierung draußen hielt nach wie vor an ihrer kalten oder sogar
feindlichen Haltung der Mission gegenüber fest.
1.2
Kämpfe um die Anerkennung der Mission 1813 - 1833
1.2.1 Missionsfreundliche Beamte und Kaplane in Indien
Eine
bessere Zeit für die Mission brach mit dem Jahr 1813 an. Im Grunde war
es ja immer so gewesen, dass es an dem Wohlwollen einzelner
Regierungsbeamten der Mission gegenüber nicht fehlte. In dieser Hinsicht
waren die großen Machtbefugnisse der englischen Gouverneure, wenn sie
gottesfürchtige Männer waren, sehr günstig. Von der freundlichen Haltung
von
Bentinck in Madras haben wir schon gehört. Auch der Marquis of
Wellsley nahm sich des Missionar Carey in wohlwollender Weise an.
Allerdings war das Wohlwollen nicht ganz selbstlos. Er brauchte den
Mann; es lag ihm sehr viel daran, sein Institut in Kalkutta, in dem
Zivilbeamte ausgebildet werden sollten, zur Blüte zu bringen; zum
Unterricht in Sanskrit und Bengali stand ihm keine bessere Kraft zu
Gebot als der gelehrte Baptistenmissionar. Doch begünstigte er auch die
Sirampurer Missionare im allgemeinen, ging auch so weit, dass er sogar
religiöse Disputationen in Regierungsgebäuden zuließ. Damit beunruhigte
er die Bevölkerung, die an so viel Christentum nicht gewöhnt war,
entschieden, und noch mehr die englische Beamtenwelt. Es ist in Indien
infolge des ängstlichen Auftretens der Regierung so geworden, dass man
im Auftreten eines Missionars durchaus nichts Befremdliches findet;
sobald aber die Regierung eine Begünstigung des Christentums sich
erlaubt, kommt eine große Beunruhigung über die Gemüter. Des ungeachtet
gelang es Carey, an Abschaffung von manchem Übelstand die Hand zu legen.
So bewog er z. B. die Regierung gegen die Kinderaussetzung, besonders
die von Mädchen auf der Insel Saga, die eben einfach Kindermord
bedeutet, einzuschreiten. Ein neues Geschlecht von Beamten ging aus dem
Institut des Vizekönigs, in dem Carey einen großen Einfluss gewann,
hervor. Wie nötig war diese Ausbildung von Zivilbeamten gewesen!
Zuweilen waren einfache Schreiber in hohe und verantwortungsvolle
Stellungen eingetreten. Die Kompanie begünstigte die Bemühungen des
Vizekönigs in keiner Weise. Im Gegenteil! Sie errichtete in England ein
Konkurrenz-Institut und suchte die ganze Arbeit des Generalgouverneurs
zu hintertreiben. Doch gelang es in den 30 Jahren, in denen Carey seinen
Einfluss auf die Ausbildung von Beamten ausübte, aus Händlern
Staatsmänner, aus Flibustiern Soldaten und Politiker heranzubilden.
Damals
entstand auch ein neues Geschlecht von Kaplänen. Wir hören von einer
Reihe von wirklichen Gottesmännern, die der Mission den Weg in Indien
bahnten. Neben dem schon genannten Buchanan sind Brown, Corrie, der
erste Bischof von Madras, und besonders der unvergessliche
Henry Martyn zu
nennen. Bezeichnend für diesen Jesus ähnlichen, treuen und demütigen
Jünger des Herrn ist sein Wort: "Selbst wenn ich nie die Bekehrung eines
Hindu erleben sollte, so wird es doch vielleicht Gott gefallen, durch
meine Geduld und Ausdauer in der Arbeit künftigen Missionaren Mut zu
machen." Missionsfreundliche Beamte und selbst Kapläne hatten aber immer
noch einen schweren Kampf zu kämpfen. Sie fühlten wohl die
Verantwortung, aber auch gewissenhaften, frommen Beamten schien es fast
unmöglich, dass der Staat in dieser Richtung etwas tue; sogar
Shore, der spätere Lord Teignmouth, verzweifelte als provisorischer
Vizekönig an dieser Aufgabe. Das System der traditionellen Politik ging
eben doch dahin, dem Heidentum und dem Islam möglichste Rücksicht
entgegenzubringen, dagegen Christentum und Mission unfreundlich zu
behandeln. Und es waren erfreuliche Inkonsequenzen, wenn einzelne Jünger
Jesu sich entschieden auf die Seite der Mission stellten. Es konnte
geschehen, dass ein Oberst selbst eine Mission gründete, dass Offiziere
nicht nur reichlich zum Missionswerke beisteuerten und an
Missionsversammlungen teilnahmen, sondern dass zuweilen auch einer auf
der Kanzel erschien.
1.2.2 Parlamentarische Kämpfe in England
Der
entscheidende Kampf wurde in England geführt. Schon 1793 begannen die
Bemühungen von
Wilberforce,
der 19 Jahre gegen den Sklavenhandel gekämpft hatte. Bereits damals
suchte man einen der Mission günstigen Satz in den Freibrief der
Ostindischen Kompanie einzufügen. Es handelte sich dabei um "Hebung des
sittlich-religiösen Zustandes von Indien, und um die Aussendung
geeigneter Personen." Diese "fromme Klausel" wurde aber entschieden
verworfen. Ein neuer Versuch wurde 1830 gemacht, da alle 20 Jahre der
Freibrief erneuert werden musste. Nun ging es voran, denn die religiöse
Bewegung, die von Clapham ausging und die die neuere Missionsbewegung in
England hervorrief, hatte den Boden bereitet. Man verlangte jetzt einen
englischen Bischof für Indien und eine offene Tür für die Missionare. Es
war besonders Charles Grant, ein Mitglied des Direktoriums, der sich mit
voller Energie in diesen Kampf stürzte. Schon in einer Schrift vom Jahre
1800 war er allen Einwendungen gegen Missionsarbeit in Indien zu Leibe
gegangen und hatte sie auf Furcht und Habgier zurückgeführt. Sie war ad
acta gelegt worden. Wiederum fehlte es nicht an gehässigen Gegnern. Aber
durch den Kampf gegen die Sklaverei war das öffentliche Gewissen in
England geweckt worden, und das Parlament musste wohl oder übel zu einer
Entscheidung kommen. Es lud Zeugen und Sachverständige vor. Der berühmte
und berüchtigte Warren Hastings erschien und drückte sich sehr
vorsichtig aus. Er hielt Missionsarbeit in Indien für nicht opportun. In
ein schweres Kreuzfeuer wurde Lord Teignmouth, der Missionsfreund,
genommen. Er parierte alle Angriffe mit großer Geschicklichkeit. Einer
der Zeugen schilderte den Hinduismus in glühenden Farben. Umsonst! Am
22. Juni 1830, nachts 12 Uhr, erhob sich Wilberforce. Er redete zwei
Stunden, und es erfolgte ein glänzender Sieg. Die Zeit, da Missionare
eingeschmuggelt werden mussten, war zu Ende.
1.2.3 Lord Bentincks Reformen
Noch
blieb viel zu tun übrig. Und viel verdankt Indien und die Mission den
Reformen von Lord
Bentinck,
der 1828 als Vizekönig in Kalkutta ankam. Man zitterte draußen und unter
den Direktoren, als er mit seinen Reformen begann. Damals herrschte das
Prinzip der Nichteinmischung mit Bezug auf die indischen Religionen,
also strikte Neutralität. Wenn dieses Prinzip durchgeführt worden wäre,
hätte es auch der Mission zugute kommen müssen. Aber bald verwandelte
sich Toleranz in Protektion und diese in Begünstigung. Wurden neue
Gebiete Indiens unterworfen, so übernahm man die Verpflichtungen der
früheren Dynastien. Im Hindustaat ist aber Staat und Religion eins. Es
sollten also die Gesetze der Schastra und des Koran aufrechterhalten
werden. Auch Rechte der Familien-Häupter durften nicht angetastet
werden. Es sollte sogar eine Tat, die nach den Gesetzen der Kaste
geschah, nicht als Verbrechen angesehen werden, wenn auch von
christlichem Standpunkt aus ein wirkliches Verbrechen vorlag. Man war
noch einen Schritt weitergegangen. Die Institute der Religion und der
Kaste wurden geradezu begünstigt. Man fing an, den Unterhalt von Tempeln
und Moscheen zu übernehmen, und fand es vorteilhaft, von den Pilgern
eine Taxe hiefür zu verlangen, schämte sich auch nicht, in Puri hierzu
die Erlaubnis der Götter einzuholen. Barow teilte 1806 die Pilger in
Klassen; je mehr sie zahlten, um so näher kamen sie der Gottheit. Der
Reinertrag dieser Pilgertaxe betrug zuweilen 400.000 Mark im Jahr. Man
kann sich die Wirkung dieser Praxis auf die Missionsarbeit denken. Die
Missionare wurden gerne darauf hingewiesen, dass sich der Götzendienst
der Sanktion und Unterstützung der Regierung erfreue. Die Aufschriften
auf öffentlichen Dokumenten enthielten Anrufungen der Götter. Die
Gerichtshöfe entschieden über Fragen des Götzendienstes. Die Zivil- und
Militärbehörden mussten auf Götzenfesten erscheinen, und der Beginn des
Festes wurde durch Kanonensalven angezeigt. An der Speisung von
Brahmanen beteiligte sich die Regierung einmal mit einer Beisteuer von
40.000 Rupie. Selbst Tempeldirnen wurden von der Regierung bezahlt.
Diese Vergünstigung des Heidentums durch die Regierung währte noch bis
zum Jahr 1858. Andrerseits wurde der Sonntag in Kalkutta von den Beamten
so ziemlich ignoriert. Wenn die englischen Behörden am Christtag und
Ostern zur Kirche gingen, lief das Volk staunend zusammen. Dagegen wurde
Varuna, der
Wassergott, auf Befehl der Regierung um Regen angefleht. Wurde man wegen
dieser Dinge bei der Regierung vorstellig, dann verteidigte man die
Sache damit, dass sie im Interesse der öffentlichen Ordnung für
notwendig erklärt wurde.
Dementsprechend wurde das Christentum immer noch ängstlich von den
Sipahi ferngehalten. Als 1830 ein Kaplan den Sipahi predigen wollte,
stürzte ein Offizier herein und beschwor ihn, so etwas nicht zu tun, man
riskiere einen Aufstand, und heute noch würden alle Europäer ermordet,
Prabhu Din, der zum Christentum übertrat, wurde aus dem Heer
ausgestoßen. Zum Empörendsten, was in dieser Hinsicht geschah, gehört
die Behandlung eines christlichen Sipahi, der desertierte, sich aber
selbst wieder stellte und zu 200 Streichen verurteilt wurde. Und das
geschah, nachdem die Prügelstrafe im Heer abgeschafft worden war! Als
man vorstellig wurde, erklärte die Militärbehörde, die Prügelstrafe sei
nur für Hindu und Mohammedaner abgeschafft. Eingeborne Christen wurden
geflissentlich mit Verachtung behandelt. Kein eingeborner Christ wurde
damals Beamter, während das im Eingebornenstaat
Maisur möglich war.
In
allen diesen Dingen hat Lord Bentinck Wandel geschafft. Die Regierung
war doch schließlich selbst ge» nötigt, ihrem eigenen Prinzip entgegen
Maßregeln zu treffen, die vom Standpunkt des Hindu aus nicht als neutral
angesehen werden konnten. Man bedenke, dass in Indien eben alle
Einrichtungen, auch die grauenvollsten, religiöse Sanktion genießen. Es
war daher in gewissem Sinn ein Eingriff in religiöse Vorurteile der
Hindu, als Lord Bentinck die Witwenverbrennung für ein Verbrechen
erklärte. Ebenso war es ein Eingriff in die Religion, als er dem
Kinderopfer und der Selbstpeinigung zu Leibe ging. In London fühlte man
sich durch diese Reformen sehr beunruhigt, aber Bentinck schritt
unbeirrt weiter. Er setzte es durch, dass die christlichen Eingebornen
nicht mehr als rechtlos behandelt wurden. Wichtig war insbesondere, dass
die beiden Grundsätze: Gleichheit aller Untertanen vor dem Gericht und
Religionsfreiheit in dem Sinne, dass durch Übertritt zu einer andern
Religion kein Vermögensverlust stattfinden dürfe, durchgesetzt wurden.
dass sich die Hindu bei ihrem Familiensystem schwer darein fanden, dass
Protest um Protest bei der Regierung eingesandt wurde, versteht sich von
selbst. Natürlich konnte nur allmählich Wandel geschafft werden, und
mancher Missbrauch fristete noch eine verborgene Existenz bis in die
60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Missionare musste man wohl
hereinlassen ins Land, aber man konnte ihnen noch Hindernisse genug in
den Weg legen. Von den Sipahi wurde das Christentum noch lange ängstlich
ferngehalten, was sich später schwer rächte. Lord Bentinck soll es aber
unvergessen bleiben, dass er sechs Greuel Indiens zum Verbrechen
gestempelt hat: nämlich die Witwenverbrennung, an die schon Lord Ashley
(besser bekannt unter dem Namen Lord Shaftesbury) die Hand legen wollte,
aber vom "Indischen Amt" für verrückt erklärt wurde; ferner den
Elternmord, die Kinderaussetzung, den Selbstmord durch den Götzenwagen,
die Selbstverstümmlung und das Menschenopfer.
2.
Die Übergangszeit von 1833 - 1857
2.1
Die Frage nach der Duldung des Heidentums durch eine christliche
Regierung
Das
Jahr 1833 brachte wieder Bewegung in die Verwaltung Indiens, denn wieder
musste der Freibrief erneuert werden. Diesmal war der Führer im Kampf
Charles Grant jun. Es handelte sich insbesondere um die Frage der
Toleranz. Von den christlichen Kreisen wurde die Stellung der Regierung
zum Götzendienst beanstandet, und man verlangte, dass die zu übende
Toleranz genauer bezeichnet werde, etwa so, dass das Heidentum nur
toleriert werden könnte, soweit es nicht mit Schicklichkeit und
Humanität im Widerspruch stehe. Teilnahme und Unterstützung des
Götzendienstes sollten ausgeschlossen sein, insbesondere Staatseinkünfte
aus den indischen Religionen und die innere Verwaltung der Tempel. Es
gab wieder heftige Kämpfe im Parlament und in der Presse. Man konnte die
gleichen Dinge hören wie bei der Abschaffung der Sklaverei. Damals
schrieb die Times: "Humanität, Menschenliebe u. dgl. sind schöne Dinge
an sich, aber der Preis von zwei Millionen Mark ist zu hoch, um sich so
etwas zu leisten." Ähnlich hieß es nun, man könne sich in Indien nicht
600.000 Mark entgehen lassen, um die Phrasenmacher in Exeter Hall zu
befriedigen. Doch das Gesetz wurde angenommen und - drei Jahre auf die
Seite gelegt. Ja, man ging damit um, es zu widerrufen. Doch das
öffentliche Gewissen war nun ein anderes geworden. Bischof Corrie in
Madras erinnerte seine Negierung an die Durchführung dieses Gesetzes. Er
bekam einen scharfen Verweis und wurde an sein heiliges Amt erinnert,
das mit Politik nichts zu tun habe! Der Richter Nelson, der sich nahe an
der Pensionierung befand, sollte sich wieder an einem Götzenfest
beteiligen: er verweigerte den Gehorsam und verlor eine Pension von
20.000 Mark, schließlich weigerte sich sogar General
Maitland,
dem Götzen militärische Ehren zuteil werden zu lassen. Auch er musste
sein Amt niederlegen und verlor ein Einkommen von 300.000 Mark. Aber
diese Dinge machten Eindruck in England, und es wurde durchgesetzt, und
zwar von 1840 an, dass das Gesetz in Kraft trat. Es wurde zwar noch 1841
vor Götzen salutiert und die Tempelverwaltung ging hier und dort bis in
die 60er Jahre fort. Doch war der Sache der Todesstoß versetzt.
Das
Jahr 1833 war auch sonst noch wichtig für die Mission, denn Indien wurde
nun für alle Nationen geöffnet. Das hatte z. B. die Folge, dass die
Basler Mission
mit ihrer Arbeit in Indien beginnen konnte. Die Ostindische Kompanie
verlor in diesem Jahr auch ihr Handelsmonopol und wandelte sich nun aus
einer Handelsgesellschaft in eine richtige Regierung.
2.2
Wirksamkeit christlicher Beamter
Natürlich war mit der Neutralitätserklärung draußen in Indien noch nicht
alles in Ordnung, das Gesetz wurde mit Widerwillen aufgenommen, in
Regierungskreisen mit dem Entschluss, es möglichst unwirksam zu machen.
Bei den Missionaren war großer Jubel, um so größer war bald darauf die
Enttäuschung. Doch es gab Männer, die diesen Grundsatz strikter
Neutralität in Religion nicht nur anerkannten, sondern auch für die
Durchführung sorgten. So war es
Lord Dalhousie, der als Vizekönig durchsetzte, dass von 1845 an kein
Übertretender sein Erbe verlieren durfte. Das gab einen harten Kampf.
Die Hindu stellten sich auf den Standpunkt, dass beim Antreten eines
Erbes religiöse Zeremonien zu verrichten seien, die ein Christ nicht
beobachten dürfe. Für den Vizekönig war es nicht einleuchtend, dass
diese Zeremonien durchaus nötig wären. Natürlich führte das im einzelnen
Fall zu Prozessen. Die freie Presse nahm sich immer der Verfolger an,
mitunter auch die Richter, so dass 1846 zwei brahmanische Richter von
der Regierung entlassen wurden. Die Missionare gewannen Mut und
erklärten öffentlich: "Übertritte dürfen nicht als eine schlimme Folge
unserer Arbeit angesehen werden; sie sind unsere Absicht. wenn unsere
Arbeit geduldet wird, dann muss auch der Erfolg geduldet werden. Hindu
müssen entweder verhindert werden überzutreten, oder sie müssen
beschützt werden, wenn sie diesen Schritt tun." In mancher Hinsicht
dachten die Eingebornen viel vernünftiger als ängstliche Engländer. So
erklärte 1850 Sivaprasad, ein Schulinspektor: "Die Leute wissen ganz
gut, dass die Regierung eine christliche ist, sie möge dementsprechend
handeln, das wird nur bewundert werden, wir haben nichts dagegen, dass
Missionare und Bibeln ins Land kommen, nur in der Behandlung der Kaste
sollte die Regierung vorsichtig sein." Ähnlich dachte Sir Charles Napier,
wenn er sagte: "Was die Leute fürchten, ist nicht Bekehrung, sondern
Befleckung." Seit 1833 ging es nun auch mit dem Christentum voran.
Männer wie Dr. Duff hatten durch ihre Arbeit weite Kreise in der Heimat
für die Mission erwärmt. Aus diesen Kreisen kamen auch manche als Beamte
nach Indien und begannen dort in aller Stille zu missionieren. Die
Regierung verbot zwar, sich in die Religion der Eingebornen zu mischen,
und kam in eine gewisse Verlegenheit, als sie aufgefordert wurde, die
Sache etwas deutlicher zu umschreiben. Es wurde erklärt, Beamte dürften
zum Missionswerk beisteuern, aber sie sollen keine Gesinnung an den Tag
legen, die die Bevölkerung beunruhigen könnte, so sollen z. B. keine
Missionsversammlungen in Staatsgebäuden abgehalten werden, damit nicht
der Schein erweckt werde, als stehen solche Versammlungen unter
staatlicher Genehmigung. In den Nordwestprovinzen bildete sich
allmählich eine Schule von ausgezeichneten Beamten, die mit dem
Christentum entschieden Ernst machte, Leute wie Nobert Bird, durch
dessen Landesvermessung 20 Millionen Menschen vom Elend errettet wurden,
James Thomasson, von dem ein Eingeborner erklärte: "Wären alle Beamte
wie er, so wäre Indien längst christlich," und allen voran die Brüder
Henry und John Lawrence. Diese Be amten berieten zuweilen miteinander,
wie das christliche Prinzip in der Regierung durchgeführt werden könnte.
Glücklich die Missionare, die unter solchen Beamten zu arbeiten hatten!
Henry Lawrence war ein wirklicher Missionsmann und lud die Kirchliche
Missionsgesellschaft ein, in seinem Bezirk die Missionsarbeit
aufzunehmen, unterstützte auch die Mission durch große Geldbeiträge. Der
energische
John Lawrence, später Vizekönig, erklärte einem Häuptling, der wegen
Fortführung einer heidnischen Unsitte bei ihm anfragte, er werde jeden
aufhängen lassen, der so etwas noch zu tun wage. Die Kaste wurde nun
auch wirklich von der Regierung offiziell nicht mehr anerkannt. Es kam
nicht nur zur Anstellung von Christen, der Kommissär Pratt wandte sich
sogar an die Kirchen-Mission mit der Bitte um Zusendung von Christen,
aus denen er ein Polizeikorps einrichten wollte, behufs Zivilisierung
der Santalen.
Doch
das alte Wesen war in andern Provinzen da und dort noch maßgebend. Im
Jahre 1857 wurde eine Ergebenheitsadresse der unzuverlässigen
Mohammedaner von der Regierung schmeichelhaft beantwortet, während
dieselbe Regierung sich weigerte, eine solche von Christen anzunehmen.
Der Gouverneur
Ellenborough, ein Phrasenheld erster Güte, sagte 1858: "Solange ich
mit der Regierung von Indien etwas zu tun habe, werde ich aufs
strikteste an den Grundsätzen der alten traditionellen Politik absoluter
Neutralität in Sachen der Religionen festhalten."
2.3
Das Schulwesen
In
diese Zeit vor 1857 fällt auch die Auseinandersetzung zwischen Regierung
und Mission auf dem Gebiet der Schule. Die Regierung hatte mit
Einrichtung von Schulen bisher nur Versuche gemacht, aber der Erfolg
erschien sehr bedenklich, schon 1817 war ein College in Kalkutta
eingerichtet worden, in dem das Christentum so ängstlich ausgeschlossen
wurde, dass es einen geradezu antichristlichen Charakter annahm. Mit dem
Christentum wurden die Studenten in keiner Weise bekannt gemacht, aber
das Christentum wurde im Namen der Neutralität bekämpft und verhöhnt.
Über Neutralität haben die Engländer immer merkwürdige Vorstellungen
gehabt. Gegenwärtig heißt neutral so viel als englandfreundlich und
antideutsch. Damals bedeutete neutral freundliche Haltung gegenüber dem
Hinduismus und Islam und Verachtung des Christentums. Sonst bekümmerte
sich die Regierung wenig um Schulen. Am Anfang schwärmte man auch unter
dem Einfluss der Orientalisten für alt-klassische Studien. Einige
machten das Recht der lebenden Sprachen geltend, aber diese Sprachen
erschienen der Regierung als minderwertig. Da tauchte der große
Missionsschulmann Dr. Duff auf. Sein Plan war, das Englische zum Träger
einer neuen Kultur zu machen. Es sollte durch diese Sprache der
Regierung Zugang zu den einflussreichen Kreisen des Landes gewonnen
werden. Daneben hoffte Duff durch die Gebildeten etwas wie eine
christliche Atmosphäre herzustellen, und schließlich wünschte er
natürlich als Missionsmann, dass diese Arbeit auch zu Bekehrungen führen
werde. Die Regierung unter Bentinck billigte diesen Plan. Der bekannte
Ram Mohan Roy,
der Gründer des
Brahmo-Samadsch und ein hervorragender Kämpfer gegen die
Witwenverbrennung arbeitete unter den gebildeten Hindu mit aller Macht,
um Duff's neuen Gedanken populär zu machen. Damit wurde ein mächtiges
Missionsmittel ins Leben gerufen, das dem Regierungsschulwesen gegenüber
wirklich notwendig geworden war. Dort sollte der Unterricht rein
weltlich sein. Die Folge für die Missionsschulen war, dass sie von der
Regierung nicht unterstützt, sondern völlig übersehen wurden. In den
Schulbüchereien der Regierung war sogar die Bibel ausgeschlossen! Die
Einführung in englische Literatur und Wissenschaft wirkte zunächst
schädigend auf den Hinduismus. Was Duff voraussagte, traf ein, nämlich
dass die Jugend auf diesem Weg zu völligem Unglauben fortschreiten und
zu erbitterten Agitatoren werden würde. Die Erkenntnis hiervon führte im
Jahre 1853, als wiederum der Freibrief erneuert werden musste, zu einer
Untersuchungskommission für das Schulwesen. So entstand 1854 jenes
vielgerühmte Schulgesetz, das Meisterstück des Sir
Charles Wood und des Herrn Baring, des späteren Lord Northbrook. Die
Bibel wurde nun als Literatur in den Schulbüchereien zugelassen. Die
Regierung beschränkte sich in der Hauptsache auf Unterstützung von
Privatschulen, also auch von Missionsschulen, natürlich nicht für den
biblischen Unterricht, da der Elementarunterricht besonders ins Auge
gefasst werden sollte. Dalhousie führte das neue Schulgesetz durch.
Leute wie Ellenborough suchten es zu hintertreiben. Es trat nun häufig
die merkwürdige Erscheinung ein, dass die höchsten Beamten dem
Missionsschulwesen großes Wohlwollen entgegenbrachten, während die
Schulverwaltungen sich eifersüchtig und nicht selten unfreundlich
verhielten. Dalhousie sprach das richtige Wort aus: "Nach meiner Ansicht
treiben wir das Prinzip der Neutralität zu weit. Selbst vom politischen
Standpunkt aus ist es verfehlt, die Hilfe unseres eigenen wahren
Glaubens zu ignorieren." Dieser Weg war in der Tat verfehlt, denn er
führte zu einer Katastrophe.
2.4
Der Militäraufstand im Jahre 1857
Wenn
auch noch mancherlei Unklarheit über den Grund des Militäraufstands
besteht, so können doch einige Ursachen angegeben werden. Die nächste
Veranlassung mögen die gefetteten Patronen der Sipahi gewesen sein, in
denen man eine List vermutete, um die Soldaten zu Christen und
Kastenlosen zu machen. In der Armee fehlte es an tüchtigen Offizieren
und an Disziplin. Die Sipahi, 257.000 an der Zahl, fühlten sich den
36.000 englischen Soldaten gegenüber als die Überlegenen und waren
schlecht bezahlt. Das ganze Volk befand sich in einem Zustand der Gärung
durch das neue Schulwesen und durch Reformen, die besonders den
Brahmanen anstößig waren. Man beugte sich nicht mehr so willig unter das
fremde Joch. Besonders aber hatte die Annexion so mancher Provinzen
große Unzufriedenheit erregt, und den Mohammedanern waren die neuen
Gesetze über den Grundbesitz ärgerlich.
Natürlich sollte auch diesmal die Mission die Wirren verursacht haben,
ähnlich wie bei der Revolte in Vellur. Dieser Vorwurf ist unsinnig,
alles spricht im Grunde dagegen. Es sind im
Sipahiaufstand wenige Christen und noch weniger Missionare
umgekommen. Dort, wo das christliche Prinzip durchgeführt wurde, blieb
es ruhig; dagegen brach der Sturm unter den Sipahi los, von denen man
ängstlich alles Christliche ferngehalten hatte. Und doch soll einer der
Direktoren beim Ausbruch des Aufstands ausgerufen haben: "Gottlob, nun
wird man endlich diese verdammten Heiligen los werden!" Aber die
öffentliche Meinung wandte sich bald gegen die Kompanie und klagte sie
wegen ihrer unchristlichen Politik an. Sir Edwards sagte mit Recht: "Der
Aufruhr wurde dadurch veranlasst, dass wir das Christentum dem Volk
vorenthalten haben."
Die
Hauptereignisse des Aufstandes können als bekannt vorausgesetzt werden:
der Beginn in Mirut, Einnahme von Delhi, die Gräueltaten dort, besonders
in Kaunpur, die denkwürdige Belagerung von Lakhnau und der schließliche
Entsatz, die Einnahme von Delhi durch die Engländer, die Entthronung und
Deportation des letzten Großmoguls und bald darauf die Beruhigung der
noch Widerstand leistenden Bevölkerung.
Das
Ergebnis der ganzen Empörung war, dass die
Ostindische Kompanie aufgelöst wurde und die Königin von England
1858 die Regierung Indiens übernahm.
3.
Die neue Zeit: Indien unter Herrschaft der britischen Krone 1858 -
1913.
3.1
Verantwortlichkeitsgefühl der Regierung für das Wohl des Landes
Im
Grunde begann die Regierung durch England nicht erst 1858. Die
Ostindische Kompanie entstand durch einen königlichen Freibrief, und
ihre ganze Macht Vollkommenheit ging auf Krone und Parlament zurück, so
dass die Direktoren tatsächlich nur Beauftragte der heimatlichen
Regierung waren. Und doch ist mit dem Jahr 1858 eine große Wandlung
eingetreten. Sonst handelte es sich nur um Geld, um Anhäufung von
Reichtümern, die oft mit unsaubern Mitteln erworben wurden, und alle
Anstellungen waren im Grunde politische Vergünstigungen. Nun darf doch
gesagt werden, dass mit dem Jahr 1858 die Pflicht und das Wohl des
Landes bei der Regierung in den Vordergrund traten. Man bestrebte sich,
was durchs Schwert gewonnen worden war, wenigstens durch Gerechtigkeit
zu erhalten. Wenn auch noch nicht gesagt werden kann, dass das
christliche Ideal, das Beste zu bieten, das Beherrschende wurde, so kann
der indischen Regierung doch das Verantwortungsgefühl nicht mehr
abgesprochen werden. Dies beseelte ja schon in den Tagen der Kompanie
manche von den Männern, die die Geschicke Indiens leiteten; aber die
Kompanie als solche verdiente ihr Ende, und es war kein rühmliches.
Alles Gute, das sie getan, musste ihr von guten Beamten oder der
öffentlichen Meinung abgerungen werden. Wir haben den stufenmäßigen
Fortschritt im Kampf der Kompanie gegen die Mission gesehen. In den
Augen der Direktoren war jeder, der auf Seite der Mission stand, ein
Verräter, selbst unter den Briten setzte allmählich eine starke
Sehnsucht ein, diese Wirtschaft loszuwerden. In den "Dacca News" konnte
man lesen: "Wie herrlich wird es sein, in Indien einmal singen zu
dürfen: God save the Queen!" Wir wollen zwar nicht vergessen, dass die
Kompanie Missstände abgeschafft, auch für die Mission viele Hindernisse
aus dem Weg geräumt hat; man denke nur an die Verkehrsmittel und an die
Rechtsfrage. Aber es bleibt doch dabei, dass alles nicht um der Mission
willen geschah, sondern dass die Kompanie ohne ihre freudige Zustimmung
der Mission den Weg bereiten musste. Aber wie verhielt sich nun die neue
Regierung zur Mission?
3.2
Förderung der Mission durch die Regierung
Von
christlichen Kreisen in England gingen gewaltige Anstrengungen aus, um
die Regierung aus ihrer starren Neutralität herauszubringen. Besonders
bemühte sich die Kirchen-Mission. Des ungeachtet wurde in der
Proklamation, die die Königin für Indien erlassen musste und in der sie
von ihrer direkten Herrschaft Kunde gab, die Neutralität wieder stark
betont. Die Königin ließ es sich aber nicht nehmen, selbst noch einige
Worte beizufügen, und zwar die besten in der ganzen Proklamation. Sie
lauten: "Wir stützen uns selbst auf die Wahrheit des Christentums und
erkennen dankbar den Trost dieser Religion an." Ein Fortschritt war es
nun doch, dass wenigstens wirkliche Neutralität geübt wurde und dass die
direkte Begünstigung des Heidentums ein Ende nahm. Einige fromme
Staatsmänner und Gouverneure wie John Lawrence fanden natürlich die
richtige Stellung zur Sache. Der letztere sprach sich während der
Neutralitätskontroverse dahin aus: "Christliche Dinge, in christlicher
Weise getan, werden die Heiden nicht aufregen. Nur wenn unchristliche
Dinge in christlicher Weise oder christliche Dinge in unchristlicher
Weise getan werden, dann wird die Sache gefährlich." Es wurde damals die
Frage viel erörtert, ob ein englischer Beamter in vernünftiger und
christlicher Weise die Sache des Evangeliums in Indien fördern dürfe.
Lawrence gab die Antwort: "Wir dürfen uns doch bemühen, die Hindu auf
den rechten weg zu bringen!" Ein anderer hoher Beamter meinte: "Alle
Bewohner Indiens haben das Recht, privatim ihre Religion anzuempfehlen,
weshalb die christlichen Engländer nicht?" Manche gingen wohl etwas zu
weit, wenn sie wie Sir Edwards verlangten, dass die Bibel in den
Regierungsschulen ein» geführt werden müsse. Im allgemeinen wurde aber
das Recht der Beamten, von ihrem Christentum Gebrauch zu machen,
anerkannt. Christliche Beamte nahmen nun teil an Missionsbestrebungen,
legten etwa den Grundstein einer Missionsschule oder einer Kirche, sie
fingen an, öffentlich zu erklären, dass die Regierung der Mission Dank
schulde. Als in London eine Deputation wegen des Bibelunterrichts vor
dem Staatssekretär für Indien, Sir Wood, erschien, erklärte dieser: "Es
kann niemand mehr daran liegen, das Christentum in Indien auszubreiten
als uns. Ganz unabhängig von christlichen Erwägungen wissen wir wohl,
dass jeder weitere Christ das Land, das uns mit Indien verknüpft,
befestigt und das Reich stärkt." Auch Lord
Palmerstone, der Premierminister, versicherte: "Es ist nicht nur
unsere Pflicht, es liegt in unserem Interesse, die Ausbreitung des
Christentums durch die Länge und Breite von Indien zu fördern." Der
Mission kam dieses Wohlwollen selbstverständlich sehr zugute. Die
Missionare wurden oft und gern bei gezogen, wo es sich um
Vertrauensposten handelte, so z. B. zur Verteilung von Geldern in
Hungersnöten, sogar zur Übernahme von Hilfsarbeiten in solchen Zeiten.
Man vertraute der lokalen Kenntnis der Missionare und ihrem Einfluss auf
die Bevölkerung. Am meisten Fühlung ergab sich auf dem Gebiet des
Schulwesens. In ganzen wurde es nun geleitet und betrieben im Sinn von
Lord Bentinck und Dr. Duff. Zur Zeit der ersten Liebe benannte man sogar
gern Missionare als Schulinspektoren. Dann und wann kam es auch zu einer
ganz richtigen Erkenntnis der tiefsten Schäden und des richtigen Weges
zu ihrer Heilung. So erklärte Lord
Curzon in neuerer Zeit: "Kein Unterricht kann den erwünschten Erfolg
haben, wenn er sich nicht auf religiöser Grundlage auferbaut. Obschon es
nicht unsere Aufgabe in Regierungsschulen sein kann, für den Unterricht
in einer fremden Religion zu sorgen, so müssen wir uns doch hiezu an
private Institute wenden. Die sittliche Hebung Indiens bleibt immer ein
Hauptanliegen des Staates, und er darf nur einen Teil davon auf
Privatunternehmungen oder die Mission abladen." Immer und immer wieder
trat die Versuchung an die Regierung heran, in Konkurrenz zum
Missionsschulwesen zu treten, statt es zu unterstützen. Das führte
wiederum im Jahr 1882 unter dem katholischen Vizekönig Lord
Ripon zu einer zweiten Untersuchungskommission. Die Mission fand
dabei große Berücksichtigung. Missionare waren Mitglieder der Kommission
und wurden überall als Zeugen und Sachverständige vernommen. Aufs neue
wurde die Regierung auf Primarschulen zum Selbstbetrieb und auf die
Unterstützung von Privatschulen verwiesen.
3.3
Fortdauernde Missstände
Trotz
der Durchführung des strikten Neutralitätsprinzips darf nicht angenommen
werden, dass alle Übelstände bereits gehoben waren, häufig kam es zu
einer Verwechslung von Neutralität und Toleranz, und der Geist der
leitenden Persönlichkeiten brachte mancherlei Reibungen mit sich. So ist
z. B. das indische Schwingfest noch nicht ausgestorben; man bestrafte
zuweilen den sich schwingenden, aber die dahinterstehenden Brahmanen
schienen unerreichbar zu sein. dass immer noch Fälle von
Witwenverbrennung vorkommen, ist nicht Schuld der Regierung. Es zeigt
nur, dass die Sache innerlich noch nicht überwunden ist. Mancher flucht
den Engländern, dass die Sache nicht mehr erlaubt sein soll, und manche
gequälte Witwe ist derselben Meinung. Mehr als diese Schäden steht der
Missionsarbeit das Überhandnehmen des Alkoholismus im Wege, für Indien
ein neues Laster. Der Trunk und der Fluch des Opiumhandels sind sehr
dunkle Flecken. Wie lange währte der Widerstand gegen den Opiumhandel,
bis er jetzt endlich auf den Aussterbeetat gesetzt wurde. Es wurde
ungerecht Krieg für dieses Verbrechen an einem ganzen Volk geführt.
Selbst christliche Kreise wagten angesichts des Gewinns kein
entschiedenes Wort. Leider machte die Regierung die wachsende Trunksucht
der Inder auch zu einer Quelle für Einkünfte. Keine andere Regierung
ging in dieser Hinsicht so weit. Die Ausrede, dass man mit der
Besteuerung der Getränke das Trinken erschweren wolle, kann nicht ernst
genommen werden. Die Steuer beschwerte den Trinker nicht; die Trunksucht
nahm im Gegenteil nur überhand. Männer wie Kesab Tschandersen
weissagten, die englische Regierung werde einmal eine Armee von Trinkern
in Indien zurücklassen. Die englische Armee hat auch leider in Indien
die Unsittlichkeit in weiten Kreisen verbreitet, was übrigens häufig
durch Kolonialtruppen zu geschehen pflegt.
Wie
schon angedeutet, ist das religionslose Schulwesen auch seit 1858 eine
Gefahr für Indien geblieben, und die Haltung den Missionsschulen
gegenüber war nicht immer einwandfrei. Bald sah man von Missionaren als
Schulinspektoren ab und nahm dafür religiös gleichgültige Engländer oder
Brahmanen. Man kann sich die Lage einer Missionsschule, die von solchen
Beamten abhängig ist, denken. Mehr und mehr trat der Erfolg
religionslosen Unterrichts zutage. Es entstand in der Seele der
studierenden Jugend jenes entsetzliche Vakuum, das den indischen
Studenten zu einer tragischen Erscheinung macht, sein einziges Ziel war
das Examen. Wurde dieses Ziel nicht erreicht, so tat er sich noch etwas
darauf zugute, wenigstens ein durchgefallener "F.A." (First of Arts)
oder "B. A." Baccalaureus Artium) zu sein. Mit der Religion der Väter
fielen auch sittliche Schranken, und schließlich befand er sich, von der
Natur religiös angelegt, in der trostlosen Leere des Atheisten. Dieser
Geist wurde da und dort von englischen Professoren geradezu befördert.
Das Christentum wurde im Unterricht nur erwähnt, um verspottet zu
werden. In einem Lehrbuch für Weltgeschichte wurde das ganze Christentum
mit folgender Notiz erledigt: "Am Anfang des Römischen Reiches im Jahr
Null nach Christus (!) wurde Jesus in Jerusalem (!) geboren und zwar in
der Nähe von Phönizien (!) und im Lauf von 350 Jahren wurde die Religion
Jesu die des Römischen Reiches, ohne Schwert die Leute überzeugend." In
geschmackloser Weise änderte man in der englischen Poesie christlich
klingende Stellen. Daneben wurde indische Literatur mit all ihrer
Unsauberkeit und ihrem Aberglauben im Lehrpensum berücksichtigt. Kein
Wunder, wenn allmählich nicht nur die Missionare, sondern auch die Hindu
sich beunruhigt fühlten. Man hörte Stimmen wie die: "Man zerstört uns
unsere Religion und gibt uns nichts dafür, und wir müssen zum Himmel
rufen: Vater, Vater, gib uns unseren Glauben wieder!" Für manchen jungen
Mann war der Augenblick entsetzlich, wo der Schleier fiel, und er in die
Nacht hinausstarrte. Ein Hindu klagt: "Die gegenwärtige Jugend blickt
auf Religion als Träumerei hysterischer Frauen, und sie glaubt nicht
mehr an die göttliche Quelle der Tugend, sie ist so unehrlich,
ungehorsam und illoyal geworden." Und ein indischer Unterrichtsminister
bekennt: "Wir haben den Grundsatz religiöser Neutralität zu weit
getrieben." Dagegen besaßen die Missionsschulen auch das Vertrauen der
heidnischen Bevölkerung, schließlich wurde selbst der Regierung dieser
Geist bedenklich und vor allem beunruhigte sie die Herde von jungen
Leuten, die nach Regierungsanstellung strebte und nicht befriedigt
werden konnte. Diese Scharen von halbgebildeten Proletariern waren auch
politisch gefährlich. Es wurden schon 1882 und später 1901
Untersuchungskommissionen eingesetzt, die dem Übel abhelfen sollten. In
Missionskreisen insbesondere konnte man es nicht verstehen, dass in
Regierungsschulen jeder Schein von christlicher Gesinnung ausgeschlossen
wurde, während Agnostiker ungestört das Christentum verhöhnen durften.
Bezeichnend ist eine Stimme in der "Bombay Gazette" vom Jahre 1876, die
aus der Feder eines englischen Regierungslehrers zu stammen scheint:
"Leute, die die Bergpredigt für eine erbauliche Betrachtung halten,
erwarten vergeblich, dass gebildete Hindu ihren alten und
zusammenhängenden Glauben für ein Gemisch hebräischen und griechischen
Ursprungs hergeben werden."
3.4
Öffentliche Stellung des Christentums
Auch in
der Behandlung des Christentums und der eingebornen Christen in der
Öffentlichkeit war noch sehr viel zu beanstanden, obwohl Zweifelsohne
die Christen die treusten Untertanen der englischen Regierung in Indien
sind. Beim Jubiläum der Kaiserin reichten 65.000 Christen eine
Huldigungsadresse bei der Regierung ein. Sie wurde kaum beachtet,
während die Brahmanen fortwährend verhätschelt wurden und selbst
Mohammedaner, die stets gegen die Regierung aufreizten - vielleicht eben
deshalb - mit außerordentlicher Rücksicht behandelt wurden. Es wirkte
das ja für die Christen vielleicht sehr wohltätig, aber bei der
Regierung handelte es sich doch um eine unedle Verachtung des schwachen
und um Verleugnung des eigenen Glaubens.
Wie es
mit der Verkündigung des Evangeliums auch in neuerer Zeit gehen konnte,
das zeigte der berühmte Predigtprozess in Kalkutta im Jahr 1881. Der
feingebildete schottische Missionar Macdonald, der zu allem hin auch bei
der Regierung eine ganz außerordentliche Achtung und Aufmerksamkeit
genoss, pflegte sonntags mit einigen Getreuen in Beadon Square
Straßenpredigt zu halten. Sir Harrison, der damals zugleich
Bürgermeister und Polizeikommissar von Kalkutta war, erließ auf einmal
ein Verbot dieses Predigens. Dieses Verbot war ungesetzlich. Um eine
gerichtliche Entscheidung in dieser Sache herbeizuführen, verweigerten
Macdonald und seine Freunde den Gehorsam. Als Bürgermeister war der
englische Beamte entgegenkommend und gab als Grund des Verbotes an, die
Predigt sei gut besucht und störe darum den öffentlichen Verkehr; als
Polizeikommissar verlangte er, dass die Missionare Erlaubnis zum
Predigen einholten. Die Predigt wurde fortgesetzt. Nun erschien die
Polizei, nicht um die Prediger zu verhaften, sondern um die Zuhörer zu
zerstreuen. Bei der Bevölkerung machte die Sache einen komischen
Eindruck. Als ein Polizist einem stattlichen Brahmanen zurief: "Disperse"
(zerstreue dich), entgegnete er lächelnd: "Wie kann ich mich als
einzelner Mann zerstreuen?" Die Missionare wurden schließlich, wie sie
wünschten, wegen Auflehnung gegen die öffentliche Gewalt angeklagt. Der
Prozess, der in glühender Sommerhitze Tage lang währte, erregte
gewaltiges Aufsehen. Als Verteidiger für die Missionare erschienen
bedeutende Advokaten, die verschiedenen Religionen angehörten. Schwierig
war es, Zeugen für die Anklage zu beschaffen, dass die Predigt den
öffentlichen Verkehr gestört habe. Allgemeine Heiterkeit erregte ein
Belastungszeuge, der behauptete, er werde durch die Predigt in seiner
"Ventilation" gestört. Nach zehn Tagen erfolgte ein Freispruch für die
Missionare, und das Verbot des Polizeikommissars wurde für ungesetzlich
erklärt.
Auch
mit der Durchführung des Gesetzes über den Übertritt von Heiden zum
Christentum gab es immer wieder Schwierigkeiten. Wenn die Christen auch
durch das Gesetz geschützt waren, so fehlten ihnen doch sehr häufig die
Mittel, einen Prozess, der in einem Fall zwei Jahre in Anspruch nahm,
durchzuführen. Bezeichnend ist auch das Geschick des Richters Sharp in
Katara, der, von christlicher Liebe gedrungen, einen von ihm zum Tod
verurteilten Verbrecher im Gefängnis besuchte. Als der Mann schließlich
getauft wurde, erfolgte eine Strafversetzung des Richters, wobei er
1.000 Mark an seinem monatlichen Gehalt verlor; außerdem wurde er im
Wiederholungsfall mit Entlassung bedroht.!
Der
Vizekönig Lord Curzon, der sich im gegenwärtigen Ministerium befindet,
versäumte nicht bei seinen öffentlichen Ansprachen aufs wärmste für die
indischen Religionen einzutreten. So ermahnte er 1901 und 1902 die
Brahmanen, den Fürsten von
Dschaipur und die
Mohammedaner, an ihrem alten ehrwürdigen Glauben festzuhalten, denn er
schließe die Bestandteile großen Edelmutes und tiefer Wahrheit in sich.
Immer und immer wieder zeigte sich die Vorstellung, dass die Neutralität
am schönsten zum Ausdruck komme, wenn den Christen etwas weniger Recht
und Schutz zuteil werde als den übrigen. Bezeichnend in dieser Hinsicht
war der Besuch des damaligen
Prinzen von Wales im Jahre 1875. Die Christen von Travankor
begrüßten den Prinzen in Miniatschi. Es wurde ihm offenbar das Herz
warm. In seiner Ansprache erklärte er, dass es ihn sehr freue, seine
indischen Mituntertanen begrüßen zu dürfen, und zwar als solche, welche
die gleiche Wahrheit mit ihm teilen, eine Wahrheit, die die Grundlage
des sozialen und politischen Gebäudes von England bilde und die er und
sie als teuersten Schatz hochhielten. Er verteilte auch zwölf Setzlinge
indischer Bäume, die zur Erinnerung an diese Stunde angepflanzt werden
sollten und die dann "Prinzenbäume" genannt wurden. Diese Szene muss die
indischen Beamten gewaltig erschüttert haben; denn als bald darauf die
Christen in Benares sich zu einer ähnlichen Begrüßung meldeten, wurde
ihnen die Audienz verweigert.
4. Der Weltkrieg und die deutsche Mission in Indien
4.1
Die Vertreibung der deutschen Missionare aus Indien
Beim
Ausbruch des Weltkrieges war der Bestand der deutsch-evangelischen
Mission in Indien ein sehr erfreulicher. Die Leipziger Mission, die das
1706 begonnene Werk der dänisch-halleschen Mission 1840 aufgenommen
hatte, die Basler, Gossnersche, Hermannsburger, Herrnhuter und
Schleswig-Holsteinsche Mission unterhielten nicht weniger als 152
ordinierte Missionare, 18 nichtordinierte Arbeiter (Ärzte, Lehrer etc.),
44 Missionsschwestern, denen 3183 eingeborne besoldete Gehilfen,
darunter 90 ordinierte, zur Seite standen. Auf 113 Haupt- und 947
Nebenstationen waren 160.279 Christen gesammelt. Das ausgedehnte
Schulwesen umfaßte 1.072 Anstalten, in denen 48.699 Zöglinge unterwiesen
wurden.
Das
Verhältnis der Regierung zu den deutschen Missionaren war zu Anfang des
Krieges zunächst recht freundlich. Es blieb so, bis sich eine bestimmte
Haltung herausgebildet hatte, d. h. bis die nötigen Anweisungen von
London eingetroffen waren. Einige Beamte erwiesen den Missionaren ganz
außerordentliche Freundlichkeit. Der Kollektor auf den Blauen Bergen
beruhigte einen Missionar, der ihn wegen einer drohenden Ausweisung
befragte, mit den tröstlichen Worten: "Arbeiten Sie ruhig weiter, wir
sind ja froh, dass Sie hier sind." sogar nach Ausbruch des Krieges
besuchte der fromme Gouverneur von Madras, Lord
Pentland, auch einige Missionsstationen der Basler Mission und
sprach wie immer Worte der Anerkennung.
In
verschiedenen Stufen trat eine allmähliche Änderung der Lage ein. Die
Beschießung von Madras durch die "Emden"
erregte eine geradezu kindische Furcht. Es erfolgte nun eine strenge
Kontrolle der Missionare, die "Parole geben" mussten. Offenbar fürchtete
man den Einfluss der deutschen Missionare auf die Eingebornen; es
stellte sich in betreff der deutschen Missionare jene alte Furcht ein,
die wir längst kennen gelernt haben. Unterdessen setzte auch die
englische und indische Presse mit ihrer planmäßigen Verhetzung und
Verleumdung ein. Es wurde da Unglaubliches geleistet, und manches
erinnert mit leichter Änderung des Sinns an das Wort: "Und lispeln
englisch, wenn sie teuflisch lügen." Die Folge dieser Verhetzung war,
dass nun die Presse auf Internierung der deutschen Missionare drängte.
Bisher wohlwollende Beamte wurden ängstlich, zogen sich von den
Deutschen zurück, und in der Sorge um ihre Verantwortlichkeit lag auch
ihnen daran, die lästigen Missionare los zu werden. Es fehlte nicht an
edlen Bemühungen englischer Missionsfreunde. Besonders nahm ein Organ
der südindischen Missionen, das "Harvest Field", eine ganz entschiedene
Haltung zugunsten der deutschen Missionare ein, bis es schließlich aus
irgend welchen Gründen verstummte. Auch die Vertreter des Missioonary
Educational Council für South India (Missionarische Erziehungskommission
für Süd-Indien), Männer wie Carter und Anderson, bemühten sich um die
Missionare, aber sie waren im ganzen machtlos. Eine weitere Stufe der
Erregung gegen die deutschen Missionare hatte der Untergang der
Lusitania zur Folge. Nun hieß es: "Das Meer will seine Opfer haben."
Ungestüm wurde eine allgemeine Internierung der Missionare verlangt.
Diese hatte schon im November 1914 begonnen. Die Missionen wurden dabei
sehr verschieden behandelt. Am schlimmsten erging es der Basler und
Breklumer Mission, aus Gründen, die vielleicht erst nach dem Kriege
bekannt werden dürften. Die Leipziger und die Gossnerschen Missionare
dagegen waren noch fast ein ganzes Jahr frei. Bei der Abführung ist
übrigens den Missionaren bezeugt worden, dass sie sich loyal benommen
haben, aber um der "schändlichen Regierung und Kriegsführung der
Deutschen willen, müssen nun auch die Missionare leiden." Auch
hinsichtlich der Abführung und der Internierung bestanden große
Verschiedenheiten, während in Kodaikanal von einem Erholungsaufenthalt
geredet werden konnte, war das Los der Missionare in Ahmednagar sehr
schwer. dass diese Behandlung der Missionare militärisch notwendig
gewesen war, ist nicht einzusehen. Sie war nicht einmal politisch klug.
Der
letzte Akt war dann schließlich die sogenannte "Repatriation." Nicht
weniger als 137 Missionsarbeiter, ferner 36 Missionsschwestern, 116
Missionarsfrauen und 177 Kinder wurden aus Indien verwiesen. Zweimal
brachte die "Golkonda" Missionsleute mit andern Deutschen zusammen nach
England, von wo sie an die deutsche Grenze nach Goch befördert wurden.
Das erste Mal wurden zwei Missionare in England zurückbehalten, das
zweite Mal bis auf einen sämtliche Männer, die dann allmählich nach
Deutschland zurückkehren durften. Auf den deutschen Missionsstationen in
Indien blieben nur 25 Missionare nicht deutscher Nationalität zurück, in
den Gefangenenlagern verweilen noch neun nichtordinierte
Missionsarbeiter.
4.2
Die gegenwärtige Lage der deutschen Mission in Indien
Die
deutsche Missionsarbeit in Indien ist nicht zerstört, aber in der
bedenklichsten weise gestört. Besonders schwierig ist die Lage unserer
eingebornen Christen. Sie waren doch fast durchweg Pfleglinge deutscher
Missionare, hatten teilweise ihre Art angenommen und sahen die Leitung
zu Hause als ihre Mutter an. Und nun sind sie hineinversetzt in diese
Atmosphäre glühenden Hasses gegen die Deutschen. Und dieser Haß hat
natürlich auch ihre Mitchristen englischer Missionen erfasst. Eines der
tollsten Presseorgane Indiens ist gegenwärtig der "Christian Patriot",
das Organ der südindischen Christen, das auch auf den deutschen
Missionsfeldern gelesen wird. Fast in jeder Nummer dieses Blattes wird
das deutsche Volk und sein Kaiser beschimpft, von Deutschen wird nur als
von "Hunnen" geredet, und sie werden als der Auswurf der Menschheit
bezeichnet. Das komische Element fehlt dabei nicht. In der einen Nummer
lesen wir, dass der Kaiser stimmlos geworden, von allem Verkehr
abgeschlossen nur noch mit der Kaiserin verkehre; acht Tage später, dass
er mit weithin schallender Stimme eine Ansprache in Nisch hält.
Besonders wird mit "deutschem Unglauben und preußischem Militarismus"
Stimmung gemacht. Die englischen Missionskreise in Indien zeigten wohl
Teilnahme für die Missionare, aber politisch unterschieden sie sich
nicht von den übrigen, sie billigen nun die Maßregeln gegen die
deutschen Missionsleute oder schweigen. Eine traurige Rolle spielten
besonders auch die Bischöfe von Bombay und Madras. Die Arbeit wird von
einer kleinen Schar von Neutralen weitergeführt. Der Gossnerschen
Mission hat sich die hochkirchliche Ausbreitungsgesellschaft angenommen;
eine etwas beängstigende Hilfe! Überall ist Mangel an Missionaren. Wie
blühend ließ sich die Arbeit der Breklumer vor dem Kriege an, und nun
sollen ein oder zwei Missionare nach dem ganzen Gebiet sehen. Das
Schulwesen, das einige Zeit in bedenklicher Weise bedroht schien, ist
nun durch englische Hilfskomitees, die von der Regierung anerkannt sind,
wenigstens vor dem Untergang gesichert. An inneren Schwierigkeiten fehlt
es auch nicht. Es machen sich in solchen Zeiten immer auch die schlimmen
Elemente geltend. Und es bleibt dabei: "Ein furchtbar wütend Schrecknis
ist der Krieg; die Herde schlägt er und den Hirten."
4.3
Rückblick und Ausblick
Blicken
wir noch einmal auf das Ganze, so muss gesagt werden, dass die Lage der
englischen Regierung in Indien immer schwierig war und dass ihr
Verhältnis zu Christentum und Mission große Probleme in sich schließt.
Die Regierung und die indischen Völker gehören eben im Grunde
verschiedenen Welten an. Ein religiöser Zwang war völlig ausgeschlossen,
doch ein Bekenntnis zum christlichen Glauben wäre immer möglich gewesen.
Wir wollen nicht vergessen, dass die Regierung, selbst die Ostindische
Kompanie, bewusst oder unbewusst, mit Willen oder widerwillig, in
mancher Weise der Mission wesentliche Dienste geleistet hat. Aber
manches bleibt doch ein Schandfleck: die Art der Eroberung Indiens, das
Opiummonopol, die Vegünstigung des Götzendienstes u. a. Es handelt sich
da um Dinge, über die der Christ nur ein Urteil haben kann. Es ist
bedauerlich, wenn die Großen einer Nation über solche Gemeinsünden
leicht denken. Denn es zeigt sich mitunter, dass vom Essen der Väter den
Kindern die Zähne stumpf werden. Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen
aber trefflich klein. England wird in diesen Dingen der Rechenschaft
nicht entgehen.
Der
Ausblick in die Zukunft der deutschen Mission in Indien ist recht trübe.
Große Fragen, die uns bewegen, können zunächst überhaupt nicht
beantwortet werden. Die Gefühle eines indischen Missionars sind schwer
zu beschreiben. Es handelt sich um das Land, wo
Fabricius und Schwartz, wo Ribbentrop, Gundert und Hebich gearbeitet
haben. Der müsste ein schlechter indischer Missionar sein, dem nicht weh
ums Herz würde im Gedanken an die indische Mission. Es bleibt uns
zunächst nichts übrig, als Stillesein und Harren. Gott der Herr wird das
Werk nicht liegen lassen. Wie er es weiterführen wird, das ist seine
Sache. Auf freudige und traurige Überraschungen werden wir immerhin
gefasst sein dürfen. Aber eins ist gewiss: auch die deutsche Mission in
Indien bleibt in Gottes Hand. Auch auf den gegenwärtigen Karfreitag wird
ein Ostern folgen; denn Sein ist das Reich und die Kraft und die
Herrlichkeit!
Anmerkung
Fabricius, Johann Philipp, 1711 - 1791,
Deutscher Missionar; Sprachforscher; wirkte in Indien, Nach ihm wurde
eine Schule in Madras benannt, vgl.
Dokumente
Religionsgesetze in Indien
Religionsgesetze in Tamil Nadu 2002
Eine besondere Belastung ist in diesem Jahr das neue Gesetz in Tamil Nadu, das Bekehrungen zu andern Religionen mit Gefängnis bis zu vier Jahren und hohen Geldstrafen belegt, falls diese Bekehrungen durch Zwang, Verlockung oder Betrug zustande gekommen sind. Nun ist ja niemand für Bekehrungen aus solchen Gründen und es sind auch keine derartigen Fälle gemeldet worden. Alle Kirchen, Muslime, Vereinigungen der Kastenlosen und die Oppositionsparteien haben gegen die Einführung dieses Gesetzes mit Diskussionen, Prozessionen und Versammlungen protestiert. Der Grund für den Protest ist, dass die Gesetzeserklärungen so geartet sind, dass sie leicht missbraucht werden können: z.B. kann Sozialarbeit oder Hilfe in der Not als Verlockung ausgelegt werden. Die Situation der Kastenlosen ist immer noch deprimierend und es kam vor, dass Kastenlose Buddhisten, Muslime oder Christen worden sind, um der Verachtung im Hinduismus zu entgehen. Das Gesetz sieht auch vor, dass jeder, der ein Ritual zum Religionswechsel vollzieht (bei den Christen ist es die Taufe) oder Zeuge davon ist, dies dem Magistrat melden muss. Wenn er es nicht tut, kann er mit einem Jahr Gefängnis und Geldbuße bestraft werden. Die indische Verfassung gewährt jedem Bürger das Recht auf freie Religionsausübung und das Recht, die eigene Religion zu verbreiten (propagete). Die Gegner des Gesetzes betonen, dass dies die Rechte, die die Verfassung gibt, beschneidet. Wir haben in Tamil Nadu nie ein solches Gesetz erwartet, da die verschiedenen Religionen hier friedlich nebeneinander leben. Auf Grund des neuen Gesetzes entstehen nun Spannungen. Viele Christen sind verunsichert. Wir sind ja nur eine kleine Minderheit. Unser Evangelist z.B. trug immer weiß und war so erkennbar. Nun hat er zu bunten Hemden umgewechselt. Die Frauenhilfe stellte ihre monatlichen Besuche im Krankenhaus ein. Sie hatte dort für die Kranken gebetet, was immer dankbar aufgenommen wurde. Auch der Gefängnisdienst wurde eingestellt. Das Gesetz hat uns aufgeschreckt und zu intensiverem Beten gebracht. Wir müssen nun abwarten, ob es Leute gibt, die dieses Gesetz nutzen, um andere ins Gefängnis zu bringen. Lobenswert ist die Pressefreiheit hier. Es wurde ausführlich über die Gründe gegen das Gesetz berichtet. Diskussionen fanden in Fernsehen statt, sehr sachlich.
Aus einem Brief von
Eva Maria Johnson vom Dezember 2002
Religionsgesetz im Bundesstaat Gujarat
Kein Grundrecht auf Bekehrung in Indien
Indiens Oberstes Gericht: Kein Grundrecht auf Bekehrung
In einem
Grundsatzurteil hat das Oberste Bundesgericht in Indien entschieden, dass es
kein Grundrecht auf religiöse Bekehrung gibt.
Die
Regierung dürfe im öffentlichen Interesse Konversionsversuchen
Beschränkungen auferlegen, befanden die Richter des Supreme Court in New
Delhi. Das Gericht wies damit eine Klage christlicher Gruppen gegen die
Verschärfung der Religionsgesetze im Bundesstaat Orissa zurück.
Behörde
muss Religionswechsel bestätigen
Der
Vorsitzende der regionalen Bischofskonferenz von Orissa, Erzbischof Raphael
Cheenath, äußerte sich laut "Kathpress" enttäuscht über das Urteil. Die
Bischöfe müssten es jedoch zunächst genau studieren. Nach der jüngsten
Gesetzesnovelle müssen Privatpersonen in Orissa bei den lokalen Behörden
vorstellig werden und erklären, dass sie freiwillig ihr religiöses
Bekenntnis wechseln wollen. Daraufhin müssen die Sicherheitsbehörden die
"Unbedenklichkeit" bescheinigen.
In Orissa
ist der Religionswechsel von Hindus seit langem ein Reizthema. 1999
verbrannten radikale Hindus einen australischen Baptisten-Missionar und
seine zwei Söhne bei lebendigem Leibe, weil sie ihm die Bekehrung von
Glaubensbrüdern vorwarfen.
ORF vom 04.09.2003
Aufhebung der Religionsgesetze in Tamil Nadu 2004
Die Evangelisch-Lutherische
Tamilkirche in Südindien, informierte im Juni 2004 über die Aufhebung der
Religionsgesetze im Bundesstaat Tamil Nadu. Die diskriminierenden
Religionsgesetze beinhalteten, dass niemand von einer Religion zu einer
anderen übertreten darf. Bei Religionsübertritt musste mit einer
Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren und/oder einer Geldstrafe von 50.000,-
indischen Rupien gerechnet werden. Darüber hinaus hatte der "Bekehrte" bei
einer Regierungsstelle anzugeben, wo, wann und wer ihn bekehrt hat. Die
Gesetze sind mit Regierungswechsel aufgehoben worden.
Zum Wesen der Christusbotschaft und christlichen Kirche gehört die ganzheitliche Mission
(1). Die Kirche lebt und wächst von der Mission... In Indien hat die Mission eine fast 2.000jährige Geschichte hinter sich, die durch unterschiedliche Akzente und Folgen gekennzeichnet ist. In diesem Vortrag sollen von meiner persönlichen Perspektive aus wesentliche Grundzüge der Missionsversuche in der Vergangenheit und Gegenwart in Indien beleuchtet werden.
KURZER HISTORISCHER ÜBERBLICK
Bevor Missionare aus dem Westen nach Indien kamen, gab es in Indien eine christliche Missionsaktivität. Nach Überlieferung der Thomas-Christen, die ihr christliches Erbe auf den 'Thomas-Mârga' (den Weg des Thomas) zurück führen, soll Thomas, einer der zwölf Apostel Jesu Christi, in den Jahren 52 bis 72 in Indien gewirkt und Gemeinden gegründet haben. Seit dem 4. Jahrhundert gibt es jedoch historisch nachweisbare Beweise, die das indische Christentum sprachlich, theologisch und politisch mit den Kirchen in Syrien verbanden. Diese orientalische Kirche hatte viele indisch einheimische Merkmale in sich aufgenommen und war in Indien heimisch geworden. Ab Ende des 15. Jahrhunderts lernte Indien das Christentum durch die Portugiesen auf eine neue Weise kennen
(2). Der römisch-katholische Versuch, auf indischem Boden Fuß zu fassen, ist in vielen Bereichen beachtenswert. Heute gibt es in Indien etwa 16 Millionen Katholiken, die zur Katholischen Bischofskonferenz gehören.
Protestantische Missionare waren Spätankömmlinge in Indien
(3). Erst mit dem Aufkommen des Pietismus in Deutschland begann eine organisierte interkontinentale und interkulturelle Mission in Indien... Bartholomäus Ziegenbalg († 1719) und Heinrich Plütschau († 1746), die am 9. Juli 1706 im Auftrag des dänischen Königs Friedrich IV. in Tranquebar (Tamil: Tarangambâdi = Wellendorf) Südindien landeten, wurden zu Begründern der evangelischen Kirche in Indien... Die Tranquebarmissionare konzentrierten ihre Bemühung auf die Entstehung einer einheimsichen Kirche in Indien.(4)
Ihre weiteren Dienste bei Bibelübersetzungen, an Schulkindern, an ihren indischen Mitarbeitern und an Notleidenden stellten die Weichen für künftige Missionsarbeit weltweit ...
(5)
Während des Erwachens des indischen Nationalismus sind eigene [indische] Missionsgesellschaften entstanden. 1903 wurde die "Indian Missionary Society" in Palayamkottai / Tamil Nadu gegründet. Zwei Jahre später rief der indische Bischof V. S. Azariah die "National Missionary Society" wiederum in Palayamkottai ins Leben. Ihr Ziel war die Verbreitung der Christusbotschaft in den Gebieten Nordindiens, wo der Name Jesus Christus unbekannt war. Missionare und Finanzen dieser Gesellschaften wurden von den einheimischen Christen getragen.
1960 wurde der "Friends Missionary Prayer Band" gegründet. Er ist aus den Ferienbibelschulen hervorgegangen. Als junge Christen in Südindien erfuhren, dass es in Nordindien sehr wenige Christen gab, waren sie bereit, selbst als Missionare dorthin zu gehen. Heute gehören etwa 700 indische Missionare zu dieser Gesellschaft mit ihrem Sitz in Madras. Sie arbeiten unter den Stammesvölkern Nordindiens. 1965 wurde die zweitgrößte Missionsgesellschaft "Indian Evangelical Mission" mit ihrem Sitz in Bangalore gegründet. Sie arbeitet vorwiegend an Bibelübersetzungen. Dabei muss sie Schriftzeichen für viele Sprachen entwickeln, die nur gesprochen werden. Dann werden die Leute ausgebildet, die Schriften zu lesen.
Nach einer Schätzung gibt es in Indien heute 184 Missionsgesellschaften mit 13.090 Missionarinnen und Missionaren
(6)
Seit 1970 haben drei Bundesstaaten, Madhya Pradesh, Orissa und Arunachel Pradesh, ein besonderes Gesetz für religiöse Freiheit, "Freedom of Religion Bill", das gegen die Christen erlassen wurde. Gemäß dem Grundgesetz darf jeder Christ seinen Glauben bekennen und ausüben. Der Gedanke von der Verbreitung des Glaubens wird so ausgelegt, dass jeder Freiheit habe, zu predigen, aber nicht zu bekehren. Auch wenn einer sich freiwillig für den christlichen Glauben entscheidet, darf er seine Entscheidung nicht äußern und seine bisherige Religionszugehörigkeit nicht wechseln. Sonst kommt er unter ungeheuren Druck.
Die Mehrheit der indischen Christen leben in Südindien und in Nordostindien. Zum Beispiel gehören etwa 1,4 Millionen Christen zum Rat der Baptistengemeinden in Nordostindien und den Presbyterianischen Kirchen in Nordostindien. Etwa 1,6 Millionen Christen gehören zur "Church of South India".
Insgesamt gibt es 29 große Kirchen mit 13 Millionen syrisch-orthodoxen und protestantischen Christen, die zum Nationalen Christenrat Indiens gehören.
KURZER ÜBERBLICK ÜBER DIE GEGENWÄRTIGE MISSION
Indien ist ein Land der Vielfalt mit 1.652 Sprachen, mit etwa 6.000 Kastengruppen, vielen Rassen und Kulturen. Die Mehrheit der Inder gehört zum Hinduismus (84%), der sich als eine Gemeinschaft vieler Religionen versteht. Dazu kommen 12% Muslime, etwa 1% Buddhisten, etwa 2% Sikhs und nur 2,4% Christen aller Konfessionen. In Indien gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Mission.
Das Missionsverständnis der Kirchen, die aus den frühen ausländischen Missionsgesellschaften hervorgegangen sind, kann man folgendermaßen darstellen:
Die großen etablierten Kirchen verstehen sich als die Kirche für die Armen und die Unterprivilegierten. Ein beachtlicher Teil ihrer Mission besteht in der Armutsbekämpfung, Bewusstseinbildung und Befähigung der Entrechteten für ein humanes Leben.
Sie sind bekannt für die Kastastrophenhilfe. Die Wortverkündigung hat ihren Platz auf der Kanzel. Durch die binnenkirchliche Dalit-Bewegung, die die Privilegien nur für die Armen, Marginalisierten und Entrechteten beanspruchen will, sind gewisse Spannungen entstanden. Die Gemeindeglieder, die sich damit nicht einverstanden erklären, behalten ihre Mitgliedschaft in den Kirchen, aber suchen bei den Pfingstgemeinden und Charismatikern um Aufnahme. Manche Christinnen und Christen der Großkirchen sind führende Frauenrechtlerinnen. Sie setzen sich ein für die Gerechtigkeit der Frauen...
Es gibt jedoch zahlreiche freie, von den Kirchen unabhängige Einrichtungen für Missionsarbeit. Manche arbeiten mit den etablierten Kirchen zusammen; die anderen sind ganz unabhängig. Die Bibelgesellschaft ist zuständig für die Verbreitung der Bibel in der Muttersprache. Die ganze Bibel ist in 46 einheimische Sprachen übersetzt; in weiteren 35 Sprachen ist das Neue Testament erhältlich. Darüber hinaus gibt es in 60 weiteren Sprachen einige Bibelteile. Andere Organisationen wie "Operation Mobilisation", "Gospel Literature Service" und "Christian Literature Service" verbreiten verschiedene schriftliche Erklärungen zur Bibel und zur praktischen Theologie. Dann kommen die Bibelfernkurse... Wo die Missionare nicht persönlich hinkommen können, werden die Missionsschriften geschickt. Dort werden sie aktiv gebraucht.
Da fast 45% der Inder Analphabeten sind, hat man in der Radiomission eine geeignete Arbeitsmethode gefunden. Die "Far East Broadcasting Association" und "Transworld Radio" tun gute Dienste. Jeden Tag werden früh und abends mehrere Sendungen gemacht: Evangelisation, Bibelexegese und Seelsorge sind einige wichtige Aspekte, die denen zugute kommen, die ihr Verlangen nach der Bibel und Christus nicht öffentlich bekannt machen dürfen und sollen. Medizinische Einrichtungen wie medizinische Hochschulen (wie "Christian Medical College" in Vellore und in Ludhiana), Krankenhäuser, Rehabilitationszentren für die Leprakranken (etwa 3 Millionen), Augenkliniken (der Christoffel Blinden Mission) leisten hervorragende Dienste für das indische Volk. Christliche Schulen und Internate werden nicht nur von den Christen, sondern auch von Angehörigen anderer Religionen sehr begehrt und geschätzt...
Es gibt viele Christen, die sich ihre Mission ausschließlich im sozialen Bereich vorstellen. Sie setzen sich mit einem stärkeren Maße für das allgemeine Wohl ein. Als Bürger Indiens bemühen sie sich, den Geist der Grundverfassung zu wahren. Sie ermutigen andere Christen, ihren Glauben in der Nächstenliebe zu praktizieren. Sie plädieren für gesellschaftliche Veränderungen, die für alle Völker Gerechtigkeit und Frieden bedeuten kann.
In Indien braucht jede gesellschaftliche Veränderung eine religiöse Bindung. Sie sind entschieden, als Christen die Rolle des Gewissens für das Volk zu spielen, allen Menschen Orientierungspunkte und Hilfestellungen zu geben. Ihre Rolle wird nicht unkritisch aufgenommen.
Es ist wahr, dass die Kirche dafür plädiert, sich um diese Hilfsbedürftigen zu kümmern. Sie kann aber allein diese sozialen Aufgaben nicht bewältigen. Sie braucht die Unterstützung der sozialen Einrichtungen, darauf hinzuweisen, dass sie für die anderen Menschen, insbesondere für die Notleidende da ist. Diese Organisationen haben aber nur eine ergänzende Funktion. Der Helfer Jesus will helfen durch das Wort der Wahrheit und auch durch praktisches Helfen.
In der Mission spielen die Laienchristen eine entscheidende Rolle. Da sie schon in einer religiös pluralistischen Gesellschaft mit Menschen vieler Glaubensrichtungen zusammen leben, werden sie immer wieder angeregt, ihr christliches Leben ohne Kompromisse zu führen. Wenn sie religiöse Feste feiern und die Erfordernisse der Übergangsriten (Geburt, Hochzeit und Beerdigung) erfüllen, bemühen sie sich, sich nach biblischen Maßstäben zu richten. Der Beitrag der Laien zur Missionsarbeit besitzt eine überaus große Bedeutung. Die Laien bilden die Brücke zwischen der Kirche und der Gesellschaft. Sie versuchen, den Missionseifer aufrecht zu erhalten...
Wenn die Phase der Auswahl, Ausbildung und Aufnahme bei einem Gebetskreis vorbei ist, werden die Missionare entweder als Ehepaare oder zu zweit geschickt. In dem zugeteilten Dorf wohnen sie direkt unter den Dorfbewohnern, erlernen ihre Sprache, bzw. ihre Umgangssprache, lernen ihre Sitten und Bräuche kennen und beobachten ihr religiöses Denk- und Verhaltensmuster. Normalerweise vergehen etwa zwei Jahre zu diesem Zweck. Während dieser Zeit versuchen sie, mit einigen Personen Vertrauensbeziehungen aufzubauen und dabei ihnen das Evangelium von Jesus Christi zu vermitteln. Ihr aktiver Dienst fängt erst spät abends an, wenn die Dorfbewohner von ihrer Arbeit zurückgekommen sind und das Abendessen zu sich genommen haben. In der Dorfmitte versammeln sich alle Menschen zum Gespräch und zu ihren Veranstaltungen...
Oft gibt es auch Widerstände von denen, die den christlichen Glauben nicht verstehen und ihn für überflüssig halten. Den Neuchristen wird das Leben erschwert, indem sie keine Arbeit zum Lebensunterhalt und keine Ehepartner finden können. Ihnen wird verboten, vom Dorfbrunnen Wasser zu schöpfen. Ab und zu kommt es vor, dass sie mit Zwang vor den Dorfgott gestellt werden, damit sie ihn verehren. Manchmal wird eine Ziege gemästet; ihr Fleisch wird dem Dorfgott geweiht und allen Bewohnern ausgeteilt. Derjenige, der es nicht annimmt, wird von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Trotzdem bleiben viele Christen in ihrem Glauben an Jesus Christus fest, weil er ihr Erlöser, Befreier und Herr ist.
FOLGEN DER MISSIONSARBEIT
Mission als Befreiung und Befähigung
Wenn man fragen würde, warum einige sich für den christlichen Glauben entschieden haben, bekommt man unterschiedliche Antworten. Die erste Antwort wird sich auf die Bedeutung der Person Jesu Christus konzentrieren. Dass Jesus Christus die Menschen annimmt, so wie sie sind, ihnen die Sünde und Schuld vergibt und ihnen Zukunftsperspektive schenkt, ist eine Tatsache, die anderswo im gleichen Ausmaß nicht zu finden ist
(7). Der Glaube an Jesus Christus wirkt ansteckend und macht einen zum Dienen bereit. Die Freude und Dankbarkeit dafür, dass man von Gott angenommen und immer begleitet wird, verleiht einem einen inneren Halt im Leben.
Das geistliche Leben macht sich in anderen Lebensbereichen bemerkbar. Diejenigen, die Jahrtausende lang kein freies Gewissen, kein ausgewogenes menschliches Image und Selbstvertrauen hatten, halten die Christusbotschaft für die hoch geschätzte Freiheit und Jesus Christus für den Hirten dieser Freiheit. Sie sind frei von den Aspekten ihrer alten Kulturen und Religionen, die ihnen keine Gewissensfreiheit gewährten... Die Kaste (Portugiesische Bezeichnung castra für Rasse)
(8), die eine bestimmte Form der Sozialordnung ist, gilt als 'der Kern' und 'das Herz' indischer Sozialordnung. Sie ist die geheime Psyche der zwischenmenschlichen Beziehung
(9). Diejenigen, die außerhalb der Kasten- und Gesellschaftsordnung sind, gelten als unberührbar und unrein und daher als Un-Menschen
(10). Für diese Menschen, die Jahrtausende lang kulturelle, religiöse und soziale Verachtung und Verwerfung erlebt haben, kommt die Christusbotschaft als eine dynamische Freiheit, die ihr Menschsein bestätigt und ihnen gebührende Würde und Anerkennung schenkt. Jesus Christus ist ihr Befreier und Herr.
Neben den Kastenlosen gibt es eine große Anzahl von Stammesbewohnern in den Bergen (Engl. Schedueled Tribes) und von Ureinwohnern (Sanskrit: âdivasis) Indiens. Seit mehreren Jahrhunderten leben sie in Isolierung von dem Hauptland. Unausweichlich führte dies zur Unterentwicklung. Ihre Angst vor den Geistern und unheilbringenden Wesen hat sie in Fesseln gehalten. Ihre Medizinmänner haben auch das Wenige weggenommen, das sie erübrigen können.
Ohne Bildungs- und Gesundheitswesen sind sie dem Schicksal ausgesetzt. Ihr traditionelles Wissen um Bildung und Gesundheit hat ihnen in den sozialen Umwälzungen neuerer Zeit nicht helfen können.
Zum großen Teil sind sie in der Landwirtschaft und Viehzucht tätig. Natürliche Katastrophen wie Dürre oder Seuchen haben sie verarmt und in der Verarmung festgehalten. Außerdem sind sie billige Arbeitskräfte für die Großgrundbesitzer, die diese Völker als Schuldknechte halten und lange ausbeuten. Sie wissen nicht, welche verfassungsmäßigen Rechte ihnen zustehen. Sie fürchten sich vor den Großgrundbesitzern.
Die Mission ist für sie eine befreiende Kraft, die den entrechteten Menschen ermöglicht, der Wirklichkeit zu begegnen und sie zu bewältigen. Ihre Wissens- und Erfahrungshorizonte werden immer größer und umfangreicher.
Die Mission bringt ihnen die Wichtigkeit und Notwendigkeit von der Menschenwürde, Glaubens- und Meinungsfreiheit bei.
Die Mission hat den Menschen in den unterentwickelten Gegenden wissenschaftlich verträgliche Landwirtschaft (Sortierung und Aufbewahrung des Saatguts, Düngemittel, Schädlingsbekämpfung, usw.) gebracht, durch die sie höhere Erträge erzielen. Wissenschaftliche Betreuung des Viehbestands hat die Milchproduktion erhöht. Es wird ihnen beigebracht, wie sie Geld sparen können, indem sie auf kostenaufwendige Pilgerfahrten, religiöse Zeremonien, Schulden verursachende Riten bei der Geburt, Hochzeit und Beerdigung so viel wie möglich verzichten können. In diesen Missionsgebieten werden die Menschen beraten, wie man das Geldborgen vermeiden und sich auf unerwartete Ausgaben nach Kräften vorbereiten kann. Dadurch wird das Menschsein bejaht und die menschliche Lebensqualität erhöht. In diesem Zusammenhang bedeutet die Mission neben der Wortverkündigung Hilfe bei der Alphabetisierung, Aufklärung, Bewusstseinbildung und Befähigung der Armen zur Selbsthilfe. Mission bringt Leben und zwar Leben in Fülle.
Heute gibt es in Indien etwa 29 Millionen Christen, die eine zweifache Identität besitzen. Als Inder sind sie Bürger Indiens. Mit anderen Indern teilen sie nicht nur den geographischen sondern auch den kulturellen Wohnraum. Juristisch stehen sie unter dem Schutz der indischen Grundverfassung. Als Christen aber haben sie zudem die Aufwertung ihrer Persönlichkeit durch ihre Verbindung mit Jesus Christus, der Bibel und den Mitchristen in ihrem sozialen Umfeld erfahren. Daher verstehen sie sich als indische Christen. Sie wissen sich für das allgemeine Wohl ihres Landes verpflichtet. Wie Ziegenbalg, der erste pietistische Missionar in Indien, formulierte, beinhaltet die Mission einen "Dienst an der Seele" und einen "Dienst am Leib".
Mission im Auge ihrer Gegner
Das Schuldbewusstsein im Westen für den Kolonialismus wird in Indien auf frühe Missionsarbeit angewendet. Diese Betrachtungsweise ist nicht sachgemäß. Es ist zu wünschen, dass Christen im Westen für sich selber und für die anderen ein historisch differenziertes Bild einerseits vom Kolonialismus und andererseits von der Mission entwickeln würden.
Den Christen wird der Verrat an der Nation und eine Zusammenarbeit mit europäischen Kolonialmächten vorgeworfen. Weil man in Indien irrtümlicherweise fest glaubt, dass alle westlichen Länder christlich seien, werden westliche Missionare mit den frühen Kolonialmächten unzertrennlich verbunden. Neuere Erkenntnisse des Kolonialismus und von dessen Auswirkungen
(11) werden allgemein auf christliche Missionare des 19. und 20. Jahrhunderts übertragen.
Tatsächlich kamen während des Kolonialismus viele ausländische Missionare nach Indien. Die Ursache lag aber nicht in dem Kolonialismus, der wesentlich gegen christliche Mission war, sondern in den Erweckungen in Europa. Gerade unter der Kolonialmacht in Indien mussten die Missionare aber viel leiden, weil die Kolonialmacht wegen des erfolgreichen Handels bestehende Religionen und Gesellschaftsstrukturen beschützte. Die Erfahrungsberichte von den frühen Missionaren wie Ziegenbalg in Südindien und W. Carey in Nordostindien wie auch von der späteren Missionarin A. Carmichael in Donavur belegen, dass die ausbeuterische Geldsucht der Kolonialisten gegen die aufklärerische und humanitäre Arbeit der Missionare gerichtet war.
Dass Indien 1947 geteilt wurde, und ein Nachbarland Pakistan entstanden ist, konnten einige Inder nicht akzeptieren. Durch indischen Säkularismus, der alle Religionen gleich behandeln soll, befürchteten manche Inder, vor allem einflussreiche Männer höherer Kastengruppen, den Verlust ihrer Vorherrschaft. Sie missbrauchten ihre Religionszugehörigkeit zu politischen Zwecken. Im Laufe der Zeit wurden hinduistisch-fanatische Gruppen ins Leben gerufen, um in Indien ein Hindu-Reich (Hindutva) zu errichten. Nach ihrer Ansicht gelten nur diejenigen als Inder, die einer Ausdrucksform des Hinduismus angehören. Alle anderen, zum großen Teil Muslime und Christen, werden als Störenfriede aufgefasst. Dabei verachten sie den Geist der Grundverfassung: Der Artikel 25 (i) verspricht jedem das Recht auf Gewissensfreiheit, auf die Möglichkeit, seinen Glauben zu bekennen, auszuüben und auszubreiten. Dabei soll er darauf achten, öffentliche Ordnung, Moral und Gesundheit zu bewahren.
Die Gegner der Mission behaupten, dass die praktischen Hilfestellungen der Christen als Köder zum Proselytismus
(12) dienten. Nach ihrer Ansicht gehören hierzu die sozialen Dienste der Mission durch ihre Bildungseinrichtungen, Kranken- und Waisenhäuser und andere Entwicklungsarbeiten. Im Gegensatz dazu glauben die Christen fest, dass Hilfe zur Selbsthilfe die christliche Auffassung der tätigen Nächstenliebe zum Ausdruck bringt, und den Betroffenen hilft, den geistlichen, psychischen, sozialen und ökonomischen Zwängen und Versuchungen zu widerstehen. Die Christen sind für die ganzheitliche Mission.
Seit 1955 wird die Einreise der ausländischen Missionare erschwert und zum großen Teil unmöglich gemacht... Der vermeintliche Verdacht, dass die Missionare nur Bekehrer seien und die Inder von ihrer Kultur entfremdeten, wird als Grund für das Einreiseverbot angegeben. Dabei vergisst man, wie die ausländischen Industrien, der heiß begehrte Tourismus und leicht zugängliche Massenmedien der westlichen Länder Kulturpropaganda betreiben. Jedoch werden alle Entfremdung und Umwälzungen den christlichen Missionaren vorgeworfen!
Die Gegner der Christen behaupten, dass indische Christen keine Patrioten seien. Die neueren Ausschreitungen gegen die Christen belegen diesen Aspekt. Zum Beispiel haben indische Christen gegen die Atombombentests (in Pokhran in 1998) und Agni II - Missile (am 11.4.1999) protestiert. Sie sind dafür, dass das Geld für die Ernährung von 360 Millionen Inder, die unter der Armutsgrenze leben, für Trinkwasserversorgung für 60% der Bevölkerung und zur Ernährung der 64% mangelhaft ernährten Kinder verwendet werden soll. Diese Stellungnahme wird als antinationalistisch aufgefasst.
Obwohl seit fast 2.000 Jahren Christen in Indien ansässig sind, werden sie zunehmend als Fremdkörper betrachtet. Angeregt durch die christliche Arbeit an Armen, Stammesvölkern und Kastenlosen fürchten sich die Angehörigen des Hinduismus vor jeder Vermehrung der Anzahl der Christen. Man nennt dies 'die Angst der Mehrheit'
(13). Normalerweise sind Christen auf ihre Rechte bedacht, die in der indischen Grundverfassung und in ihren Traditionen verankert sind, und auf ihre Verantwortung für das Land und Volk. Dies sehen die Missionsgegner als eine Gefährdung ihres ausbeutenden Mechanismus. Sie suchen nach vielen Einwänden, um gezielt gegen christliche Missionen zu arbeiten.
1998 wurden zum Beispiel im Bundesstaat Gujarath mehrere Kirchen angezündet; Bibeln verbrannt und viele Christen getötet. 120 Angriffe gegen die Christen sind registriert.
Der Mord an dem 58jährigen australischen Missionar Graham Stuart Staines (am 23.1.1999) in dem Dorf Manoharpur in Orissa und an seinen zwei Söhnen Philip und Timothy (10 und 8 Jahre alt) hat in der ganzen Welt für Empörung gesorgt und der Welt gezeigt, wie eine kleine fanatische Gruppe der Ehre einer Nation, die früher für Toleranz und Gewaltlosigkeit bekannt war, geschadet hat...
Seit 30 Jahren arbeitete Stuart unter den Leprakranken. Seine Frau Gladys Staines hat nicht nur den Mördern vergeben, sondern erklärt, dass Indien ihre Heimat sei und sie die Arbeit ihres Mannes fortsetzen wolle. Ihre Haltung ist vom christlichen Geist erfüllt. Die Angriffe gegen die Christen haben viele christliche Gruppen zusammengeführt und eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben.
ZUSAMMENFASSUNG
Mission in Indien ist sowohl Geschichte als auch Gegenwart. Die Missionsgeschichte hat gezeigt, dass jede Generation die Christusbotschaft braucht, die glaubhaft durch Wort und Tat gefestigt und weitergegeben werden soll. Die Gegenwart fordert uns, die Inder, auf, das Evangelium Jesu Christi so zu verkündigen, dass die Hörer und Beobachter es verstehen und sich zu dessen Annahme und Nachfolge eingeladen fühlen. Dabei sind nicht nur die Amtsträger der Kirche und Missionsgesellschaften gefragt. Alle Christen werden ständig ermutigt, das Evangelium von Jesu Christi zuerst zu Hause, in der Nachbarschaft und in ihrem Alltag ernst zu nehmen, zu leben und weiterzugeben. Die Ausschreitungen gegen die Christen haben die Gemeinden, Kirchen, Hauskreise und Missionsgesellschaften bewegt, mehr für Indien und seinen Frieden zu beten. Die Einstellung von der verwitweten Missionarin Staines, dass auch nach Ermordung ihres Mannes Indien ihre Heimat sei und bleibe, dass sie ihre Missionsarbeit weiter tun werde, hat einige indische Christen bewegt. Sie fragen: "Wenn eine ausländische Missionarin unser Land als ihre Heimat bezeichnet, und in der Mission ihr Leben verbringen will, warum sollen wir uns nicht für die Mission in unserem eigenen Land einsetzen?"
Junge christliche Studenten an Hochschulen nehmen ihr Christsein ernst. Sie suchen Aufnahme in den Ausbildungszentren, die in den Gebieten liegen, wo kaum Christen existieren.
Für die Mission in Indien sind wir indischen Christen verantwortlich.
In Indien ist das Christentum fast so alt wie das Christentum selbst. Trotzdem gibt es zahlenmäßig nur 2,4% Christen in der Bevölkerung. Der Erfolg des Glaubens an Jesus Christus lässt sich nicht an Zahlen messen. Er wirkt in der Gesellschaft und verändert sie. Sie hat zur Erhöhung der Lebensqualität vielfach beigetragen. Hier kann man die Funktion der Christusbotschaft als Salz der Gesellschaft wohl bestätigen. Wir indischen Christen sind überzeugt, dass der Mensch seine Rettung, seine Würde und sein Menschsein durch seine Begegnung mit der Christusbotschaft erfährt. Wir wären sehr dankbar, wenn Sie, werte Zuhörer, für unsere Mission und für uns, die Missionsarbeiter, beten würden. Denn Mission ist eine Einladung zum Leben in Jesus Christus!
Anmerkungen
1. Das Wort Mission kommt vom lateinischen Missio, 'Senden'. Dementsprechend gibt es einen Sender, einen Gesandten und eine anvertraute Aufgabe. Im Sinne des Auftraggebers soll der Gesandte die Aufgabe und Botschaft bewerkstelligen. In der Kirchengeschichte hat man entweder den Gott der Bibel oder eine Kirche oder eine Organisation als Sender aufgefasst. Demzufolge hat der Missionsauftrag neue Inhalte und Prioritäten bekommen. Seine Durchführung hat bestimmte Folgen hervorgebracht, die im Rahmen dieses Vortrags nicht eingehend behandelt werden können.
2. Nachdem Papst Alexander 1493 Portugal erlaubte, mit Indien Handel zu treiben, landete der Portugiese Vasco da Gama 1498 in Caranganore (Bundesstaat Kerala in Südwestindien). Allmählich wurden an der Westküste sowohl portugiesische Handelsstützpunkte als auch Kirchenzentren (Goa 1557, Cranganore 1600 und Mylapore 1606) errichtet. Die römisch-katholische Missionsarbeit gedieh durch die Tätigkeit der Missionare des Jesuitenordens (von Ignatius Loyola am 15.8.1534 in Paris gegründet). Franz Xaver (1506-1552) setzte sich für die Bekehrung der zahlreichen Fischer ein und sorgte für Gottesdienste in ihrer Muttersprache. Unter seinen Nachfolgern zeichnen sich zwei Missionare, Thomas Stehens und Robert de Nobili besonders aus, weil sie mit indischen kulturellen Merkmalen ihren Glauben verständlich machen wollten. Seit Oktober 1579 arbeitete der britische Jesuit Thomas Stephens (1547-1619) in der Nähe von Goa. In kurzer Zeit beherrschte er zwei indische Sprachen, Konkani und Marathi, und verfasste ein langes Gedicht mit über 11000 Strophen, Christian Purâna (christliche Erzählung) Vgl. Singh, Brijraj: The First Englishman in India - Thomas Stephens (1547-1619). In: Journal of South Asian Literature. Vol. XXX, Nos. 1 & 2, 1995, S. 147-161. Zitat aus der Seite 154. "The ovi was traditionally favoured by Marathi poets for religious verse. [...] In Stephens' own day his contemporary Marathi poet Eknath had achieved great popularity for his poems in this meter. Thus, in making his choice, Stephens was acknowledging the existence of a rich tradition of Marathi religious poetry and implicitly claiming not only to be within that tradition but also to be putting it to superior use by expounding through it a new and more truthful religion, of which he was a missionary. Die mehrfache Leistung des italienischen Jesuiten Robert de Nobili (1577-1656) bedarf einer kurzen Betrachtung. Er wollte Menschen aus allen Kasten zu seinem Glauben einladen, indem er sich nach der Lebensart eines hinduistischen Priesters aus hoher Kaste orientierte. Er verfaßte viele Werke in drei indischen Sprachen, Sanskrit, Telugu und Tamil. Zur Entwicklung eines christlichen Wortschatzes hat er viel beigetragen. Die von Papst Gregor XV. am 6.1.1622 gegründete Organisation, Propaganda Fide, hat in Indien einige wichtige Beiträge geleistet, die gesondert betrachtet werden sollen. "
3. Abraham Roger († 1649, 1631-1641 in Palaverkâdu bei Madras) und Philipp Baldaeus (1632-1671, seit 1660 in Nagapatnam im Bundesstaat Tamilnadu) zählen zu den ersten holländischen Pfarrern in Indien, die sich die Mühe machten, südindische Religionen und Kulturen in ihrer Eigenart zu verstehen. Ihre Missionsversuche hatten sehr begrenzte Folgen.
4. Ihre praktische Arbeitsprinzipien lauten: Erstens gründeten sie einheimische Gemeinden für die Christen. Dies war der erste Schritt in ihrer Identitätsbildung. Zweitens erforschten sie die Kultur, Religionen, Sitten und Bräuche der Inder, damit sie die Inder verstanden und bei der Verkündigung nützliche Anhaltspunkte finden konnten. Was sie kennenlernten, erlebten und beobachteten, schrieben sie nieder. Diese Werke gelten heute als eine unentbehrliche Quelle zum Verständnis der Südindienkunde, die anderswo nicht zu finden ist. Drittens waren die Missionare darauf bedacht gewesen, das Wort Gottes schnell und gründlich in die Muttersprache zu übersetzen, damit die Inder es lesen und sich ihre eigene Meinung bilden konnten. Die Bibelübersetzungen waren die ersten großen Prosatexte der Tamilsprache. Durch die Bibeldrucke wurden die Orthographie und Interpunktion standardisiert. Diese Beiträge haben unsere Sprachen bereichert und für die Moderne sehr relevant gemacht. Viertens legten die Missionare großen Wert auf die Bildungsarbeit. Ihr bahnbrechender Beitrag bestand darin,
dass die Bildung für die Kinder aller Kasten, insbesondere ab 1710 auch für die Mädchen zugänglich gemacht worden war. Im Laufe der Zeit haben diese Bildungseinrichtungen zur sozialen Entwicklung des Volks und des Landes außerordentliche Beiträge geleistet. Fünftens förderten die Missionare das Wohl der Armen und Entrechteten. Armutsbekämpfung, Verteidigung der menschlichen Würde als gewolltes Geschöpf Gottes, Gesundheitsversorgung, Befähigung zur ökonomischen Selbständigkeit, Bewusstseinsbildung der Menschen auf ihre Rechte und Verantwortung, Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in ihrem Umfeld waren einige Besonderheiten, die die Tranquebarmissionare vollzogen. Für die Auswirkungen der Tranquebarmission auf weltweite protestantische Missionsbewegung siehe Gensichen, Hans-Werner: Fernwirkungen der dänisch-hallischen Mission. In: Lutherisches Missionsjahrbuch, 1956, S. 54-65 und Lehmann, Arno: Prioritäten und Fernwirkungen der Tranquebarmission. In: Evangelische Missionszeitschrift, 1956, S. 37-51.
5. Unter den Tranquebarmissionaren nimmt Christian Friedrich Schwartz (1726-1798, ab 1750 in Südindien) eine besondere Stellung ein. Seine Redlichkeit, Hilfsbereitschaft, Hingabe zu seiner Aufgabe als Missionar, Diplomat und als Pfarrer, seine Sprachkenntnisse haben ihm geholfen, für den Glauben der Christen nicht nur in Indien, sondern auch weit und breit zu wirken. Unter anderem hat seine "Verteidigung der Mission" (1794, gedruckt 1795 bei der Society for Promoting the Christian Knowledge in London, und später 1813, 1815) eine große Rolle gespielt,
dass ab 1833 in Indien mehrere Missionare aus dem Westen (Europa, Nord- Amerika und Kanada) arbeiten konnten. Die Programmschrift von William Carey, "Enquiry into the Obligation of Christians to use means for the conversion of Heathens" (1792) hatte in der englischsprachigen Welt großes Interesse für ausländische Mission ausgelöst.
6. Vgl. Hrankhuma, F.: The Church in India. In: Church in Asia today. Ed. Saphir Athyal. Singapore, The Asia Lousanne Committee for World Evangelism, 1996, S. 417.
7. Weitere Beweggründe zum Glauben an Jesus Christus lauten: Der biblische Zuspruch, daß Jesus Christus die Menschen auf ihrem Lebensweg begleitet und ihnen bei Ängsten und Unsicherheiten einen Ausweg zeigt, hat für viele eine große Anziehungskraft. Die Möglichkeit, dass der Christ sich jederzeit und überall ohne Hilfe eines Mittelsmenschen direkt an Gott wenden darf, gewinnt an Bedeutung. Die alten religiösen Riten, Zaubermänner und Priester verlieren ihre Rolle als Vermittler. Der Christ wird ein mündiger Mensch. Das Wort Gottes ist in der Muttersprache, also nicht in einer unverständlichen Kultsprache, die nur der Klerus kann, vorhanden. Daher braucht man nicht alles zu glauben, was in der religiösen Welt erzählt und verbreitet wird. Die Bibel wird zur Norm des Glaubens und des Lebens. Außerdem wird der Christ in eine neue Gemeinschaft der Gleichgesinnten hinein gestellt. Die Zusammengehörigkeit, die weltweit verbindet, ermöglicht den Christen, gegenseitige Hilfe, Ermunterung und Ermahnung zu erfahren. In der Gemeinschaft hat er praktische Aussicht, zu wachsen und reifen.
8. Andere Bezeichnungen der Kaste folgen: Varna, 'Hautfarbe', Jati, 'Geburt', Kula, 'Familie oder Sippe' und Kothra, 'Generation oder Sippe. Die vier großen Kastengruppen lauten: der Brahmane (Priester), der Ksatriya (Krieger), Vaišya (Bauer und Händler) und Šûdra (der Angehörige der dienenden Kaste). Dann folgen die Parias, die zu den Unberührbaren.
9. Zum Beispiel bestimmt die Kaste tiefgreifend verbindliche Vorschriften für Heiraten innerhalb der Kaste, ererbte Berufe, Speisen, Riten und kultische Reinheit. Kaste ist ein Verband von Großfamilien und Gesellschaften. Die Würde und der soziale Status des Menschen besteht in seiner Kastenzugehörigkeit. Daher hält man es für wichtig, die Kastenvorschriften einzuhalten und dadurch gesellschaftliches Ansehen zu erlangen.
10. Die Bezeichnungen für die Kastenlosen sind unterschiedlich: Panjamâs, 'die Menschen mit der fünften Kaste', Harijans, 'Kinder Gottes' und Dalits, 'zerbrochene Menschen'.
11. Heute haben weltweite Kommunikation, Reise, Völkerwanderungen und internationales Geschäft weite Teile der Erde eng zueinander geführt und westliche Überlegenheit in Frage gestellt. Man versucht, alle Menschen, Kulturen, Religionen, Sitten und Bräuche gleichberechtigt und relativ zu betrachten. Anthropologische Untersuchungen unter den Völkern, die früher als Barbaren galten, haben erwiesen, dass die Menschheit eins sei, aber ihre Zivilisationen aber unterschiedlich seien. Der westliche Kolonialismus wird in Bezug auf die Evolutionstheorie des Charles Darwin, "Origin of Specis" (1859), auf umweltfeindliche Technologie, auf europäischen Ethnozentrismus und auf die zwei großen Weltkriege gesehen. Man bemüht sich, heute den existierenden Neokolonialismus, unter dessen Last sich viele Entwicklungsländer erdrückt fühlen, zu überwinden. In diesem Kontext wird die Aussage der christlichen Mission, daß in Jesus Christus, den die Bibel offenbart, das Heil liegt, wird als kolonialistisch, arrogant und schädlich empfunden. Es wäre besser, wenn man den Kontext, die Methode und das Ziel des Kolonialismus und der christlichen Mission auseinander hält und sie sachgemäß differenziert betrachtet. Es ist auch merkwürdig, daß die Nachkommen der Hindus, die den Kolonialmächten bei ihrer Ankunft, Verbreitung, Konsolidierung, Ausbeutung und Verteidigung geholfen haben, heute den Kolonialismus verwerfen. Historisch betrachtet wurde das englische Kolonialreich zum großen Teil von Indern selbst unterstützt und getragen. Hätten jene Inder (Rechtsgelehrten, Hindu-Priester, Dolmetscher, Soldaten, Schreiber usw.) den Kolonialisten aus dem Westen (Portugiesen, Holländern, Dänen und Engländern) ihre Mitarbeit verweigert, wäre die Geschichte anders verlaufen.
12. Vgl. Kerr, David A.: Christian Understanding of Proselytism. In: International Bulletin of Missionary Research. January 1999, S. 8-14. Kerr stellt fest, dass der hebräische Begriff ger und das griechische Wort prosêlytos einfach 'der Fremde' bedeutet, der nur äußere Zeremonien fremder Religionsgemeinschaften übernommen hat. Im 18. Jahrhundert, insbesondere nach europäischer Aufklärung hat der Begriff Proselytismus negative Inhalte bekommen. Kerr definiert den Gedanken von Proselytismus folgendermaßen: "Proselytism is "the assault by one religious group against the territorial religious group, against the territorial, ecclesiological or faith integrity of another - an unethical way of engaging in interreligous relations, and particularly hurtful in terms of intra-Christian relations." Daher darf die Bekehrung, die freiwillig mit der Umkehr des Gewissen, Umwandlung der Gesinnung und des Lebenswegs unter der Herrschaft Jesu Christ zu tun hat, mit Proselytismus verwechselt werden.
13. 240 Millionen der Dalits, die formell zum Hinduismus gerechnet werden, proklamieren, dass sie als Ureinwohner des Landes keine Hindus seien. Dazu kommen die Stammesvölker, die jegliche Bindung am Hinduismus verleugnen. In diesem Zusammenhang bereitet den Hindus der Zuwachs der Christen eine große Sorge.
Berichte von Deutschen über die Zeit des Ersten Weltkrieges in
Britisch Indien