Abreise mit Hindernissen
Es war am 30. Juni 1868, als Propst Lirelius, Direktor der
Finnischen Missionsgesellschaft, mit sieben jungen finnländischen Missionaren im
Barmer Missionshaus ankam. Ihr eigentlicher Bestimmungsort war Amboland, wo sie
mit den Sendboten der Rheinischen Mission eine neue Mission beginnen sollten.
Die Anregung dazu hatte Missionar Hugo Hahn gegeben, der zu dem Zwecke im Jahre
1866 eine mehrmonatige Missionsreise durch Amboland bis zum Kunene gemacht und
unter den zahlreichen Ovambostämmen und deren Häuptlingen freundliche Aufnahme
gefunden hatte. Man bat überall um Missionare, wollte Hahn sogar schon gleich
dort behalten. Alle Vorbedingungen für ein erfolgreiches Missionsunternehmen im
Amboland schienen nach Hahns Urteil vorhanden zu sein. Vorläufig sollten sich
die jungen Finnländer solange in Barmen aufhalten, Englisch und Holländisch
lernen und andere nützliche Kenntnisse für ihren Missionsberuf sich anzueignen
suchen, bis die im Missionshaus mitauszusendenden Brüder ihren Kursus vollendet
und ordiniert waren. Es kamen dabei die Zöglinge des ältesten Jahrgangs in
Betracht, Dubiel, Irle und Diehl.
Während man so im allgemeinen Vorbereitungen traf, lief eine
Hiobspost nach der anderen aus
Hereroland ein, die alles wieder in Frage zu stellen schien. Man berichtete:
Die Fehden zwischen den gelben und schwarzen Stämmen seien heftiger als jemals
ausgebrochen. Otjimbingue sei abermals von
Jan Jonker und
seinen Genossen überfallen worden. Den Angriff hätte man diesmal nur mit Mühe
abgeschlagen. Die Missionare seien in höchster Gefahr gewesen, gerade auf sie
hätten es die Feinde abgesehen gehabt. Die Feinde hätten sich nachdem der Küste
zugewandt, hätten Scheppmansdorf ausgeraubt und Missionar Eggert, der dort
zugleich als Agent die Verbindung zwischen Walfishbay und Otjimbingue aufrechterhielt, verjagt, nachdem sie ihn völlig ausgeplündert hatten. Mit Not und unter
größter Lebensgefahr habe er sich nach Sandwichharbor flüchten können, wo er
ein Schiff vorgefunden, das ihn nach dem Kap gebracht. Jan Jonker erklärte
Missionar Eggert, er werde nicht eher ruhen, als bis er alle Weißen aus dem
Lande verjagt habe. Nach Scheppmansdorf überfiel er Walfishbay, zerstörte und
plünderte dort die Warenhäuser, ermordete einen weißen Aufseher, andere entkamen
mit knapper Not dem Schicksal. Die im Inneren wohnenden Missionare waren somit
völlig vom Meer abgeschnitten und die Besorgnis lag nahe, dass die Räuberbande,
da sie nirgends Widerstand fand, sich auch Otjimbingue bemächtigen, unsere
Brüder töten und die Station zerstören möchte.
Diese Schreckensnachrichten schienen alle Aussichten auf
Erfolg für das geplante Vorhaben wieder in Frage zu stellen. Man beriet hin und
her, aber guter Rat war teuer. Die finnischen Brüder blieben inzwischen im
Missionshaus. Der Propst reiste nach vier Wochen nach Finnland zurück mit der
ernstlichen Erwägung, ob er nicht seiner Gesellschaft raten solle, völlig von
Afrika, wenigstens von Damara Amboland abzusehen und etwa auf einer Inselgruppe
des Indischen Ozeans ihre Mission zu beginnen. Im Oktober kam Propst Lirelius
nach Barmen zurück. Er fand die Sachlage wenig verändert. Aber nachdem er sich
mit seinem finnischen Komitee beraten, erklärte er, längeres Warten sei nicht
möglich. Die jungen Männer, die nun schon seit vier Monaten im Missionshaus
gewartet hätten, müssten notwendig weiterziehen, wenigstens bis nach dem Kapland.
Bis sie dort hinkämen, könnten sich im Damaraland die Dinge schon geändert
haben, und im schlimmsten Falle könnten sie vom Kap aus noch nach jedem anderen
Missionsgebiet dirigiert werden. Da nun unter allen Umständen für die finnischen
Missionare die Schiffspassage bestellt werden sollte, so konnten auch die
Rheinischen nicht wohl zurückgehalten werden. Die Instruktion der Deputation
wies ihnen Südafrika als Arbeitsgebiet zu mit dem Zusatz: evtl.
Niederländisch-Indien.
Am
21. Oktober 1868 traten sie zusammen die Reise an. Es waren sieben finnische
Missionare: Björklund, Juvelin, Malmström, Weikolin, Kuvinen, Rautanen, Tolonen
mit drei Kolonisten: Hainanen, Juntunen und Piirainen. drei Rheinische Missionare: Dubiel, Irle und Diehl. Außerdem
drei Bräute, die Braut von Bruder Viehe, Bruder Redecker
und Bruder Schrenk, 16 Personen. Herr Kämpfer aus dem Missionshaus begleitete uns
bis London.
Unsere ausnahmsweise große Zahl von Missionsgeschwistern, die
in diesem Jahre zusammen hinausziehen durften, gab Veranlassung, dass das
Scheiden aus der Heimat bedeutend erleichtert wurde, erweckte aber auch zugleich
Besorgnis in manchem Herzen. Man fühlte, welche Macht ein solcher Haufen
Christenvolk in sich barg, wusste jedoch auch nicht minder, wie wahr die Worte
auch inbezug auf Kinder Gottes sind: Viele Köpfe, viele Sinne. Doch der Herr ist
voll von Geduld und Erbarmung und bekennt sich zu seinen Kindern, trotz ihrer
mannigfachen Gebrechen. Wir erfuhren in Wahrheit bei aller Verschiedenheit, dass
wir eine Macht bildeten, und dämpften deshalb durch Loben und Danken die
etwaigen Töne der Klage. Beim Abschiednehmen von der lieben Missionsgemeinde des
Missionshauses waren wir - wie bekannt - guten Mutes, und es war wenig davon zu
merken, dass unsere Zukunft so sehr dunkel vor uns stand, und wir schieden wohl
auf Nimmerwiedersehen. Nachdem der Zug von Barmen abgefahren, ertönten die
Gesänge der munteren finnischen Brüder und erweckten aufs Neue freudige Stimmung
in den Herzen der Deutschen.

Von Barmen nach London
In Wesel, wo wir nachmittags ankamen, nahmen uns
Missionsfreunde liebevoll auf, veranstalteten für den Abend ein
Abschiedsfestchen, wobei es recht gemütlich herging. Am Schluss überreichte man
jedem von uns eine Bibel als "Kompass" auf der Reise. Reich gesegnet und mit
dankerfülltem Herzen verließen wir am 22. Wesel und bestiegen noch an demselben
Tag ein Schiff in Rotterdam. Es war ein schöner Abend, als wir von dort
abfuhren. Und da die Seefahrt für uns etwas Neues war so sah man alle wohlgemut
ihrem baldigen Schicksal entgegengehen. Die Sonne neigte sich bald, und mit ihr
schien jede Hoffnung auf eine gute Überfahrt zu Grabe getragen zu sein.
Das
Schiff begann in solchen Maße zu schaukeln, dass bald das Essen, Trinken, Stehen
und Gehen beschwerlich wurden. Die lieben Schwestern ließen eine nach der
anderen die Köpfe hängen und wünschten allerlei Mittel, um von ihrem Unwohlsein
loszukommen. Dabei wurden sie von einigen ihrer Brüder herzlich ausgelacht und
auf bessere Zeiten vertröstet. Morgens früh kamen wir an der englischen Küste in Harwich an, und als sämtliche Sachen revidiert waren, fuhren wir mit der Bahn
nach London. Daselbst war in einem deutschen Gasthaus Quartier besorgt, in dem
wir bis zur Abfahrt unseres Schiffes, den 27. Oktober 1868, verweilten.
Da die
Zeit des Aufenthaltes kurz war und man doch etwas von den Großartigkeiten
Londons sehen wollte, so wurde beschlossen, den Tag nach unserer Ankunft im
Krugstall-Palast zuzubringen. Samstag hielten wir uns also dort auf und
bewunderten das Bewundernswerte. Sonntags gingen wir "Engländer" in die St.
Pauls-Kirche und versuchten, wie weit unser Verständnis im Englischen reichte.
Die Deutschen nahmen vorlieb mit deutschem Gottesdienst und standen sich wohl am
besten, obgleich erstere sich rühmten, die St. Pauls Kirche gesehen zu haben.

Die große Seereise beginnt
Des Mittags war der Nebel so stark, dass während des Essens
Gas gebrannt wurde. Montags bereiteten wir uns zur Abreise vor, die am Dienstag
erfolgte. Getrost und freudig begaben wir uns auf den Weg zu unserem Schiff,
"Cape-City" genannt. Die Schwestern sahen zwar was sauer drein und mussten sich
gefallen lassen, dass man ihnen sagte, sie möchten doch warten mit der
Seekrankheit, bis sie auf dem Meere seien. Außer uns fanden sich vier Passagiere
auf der "Cape-City" ein, teils Engländer, teils Holländer, dazu zwei Kinder.
Nachdem alle an Bord waren, bewegte sich die Barke am
Dienstag, den 27. Oktober 1868 langsam aus dem Dogg bis zur
Themse, wo sie von einem Dampfboot in Empfang genommen wurde. Bald waren wir nun
den Augen der Zuschauer entzogen. Unserem lieben Herrn Kämpfer, der uns nach
allen Seiten hin den Verlauf der Reise bis jetzt erleichtert hatte, winkten wir
noch längere Zeit zu. Aber endlich entschwand auch er unseren Augen. Geheime
Wehmut durchzog in diesen Augenblicken die Herzen. Selbst der Mutigste konnte
sich ihrer nicht erwehren. Die mancherlei neuen Gegenstände nahmen jedoch unsere
Aufmerksamkeit in Anspruch und verscheuchten das Nachgrübeln über Vergangenes
und Zukünftiges. Gegen Abend ging der Steamer zurück, und wir blieben an der
Themsemündung vor Anker
liegen.
Da es uns von dem Kapitän erlaubt war, gottesdienstliche Handlungen auf
dem Schiff vorzunehmen, so wagten wir es, an demselben Tage Andacht zu halten
und zwar in der Weise, dass zunächst ein Abschnitt deutsch, dann finnisch,
gelesen und ebenso deutsch und finnisch gebetet wurde. Die erste Nacht war es
recht kühl auf dem Schiff, und weil der größere Teil von uns noch keine Decken
besaß, so wurde sie fast schlaflos zugebracht.

Kreuzfahrten im Kanal
Unter stürmischem Wetter verweilten wir in der Nähe der
englischen Küste, bis sich am 29. Oktober 1868 der Wind günstiger zeigte. Doch
nur eine Weile. Unweit der Küste zwischen Deal und Dover musste abermals Anker
geworfen werden. Das furchtbare Schwanken des Schiffes hatte dazu beigetragen,
dass an diesem Tage schon viele von uns den Speisetisch, nicht aber das Bett
verließen. Doch war unsere Zahl von Gesunden und Halbgesunden am Abend noch so
groß, dass wir Andacht halten konnten. Dieselbe hat von da an ausfallen müssen,
weil fast alle an der Seekrankheit daniederlagen. Von uns 18 Personen waren
einige nur drei bis vier Tage am Tisch, jetzt beginnt es wieder lebendig zu
werden. Die geehrten Schwesterlein stellen sich aber noch recht elend und hüten
meist das Bett.
Wie klein und winzig kommt man sich vor in einer solchen
Nacht, wo man schlaflos auf hoher See von Sturm und Wellen herumgeworfen wird
und eben mit knapper Not einen Hafen erreicht, wie dankbar ist man da für Gottes
gnädige Bewahrung. Vor uns war ein Schiff beim Einlaufen auf Felsen gestoßen und
gestrandet. Es sank vor unseren Augen in die Tiefe. Die See war so unruhig, dass
selbst bei der größten Anstrengung nur wenig für die Schiffsbrüchigen geschehen
konnte. In weiteren verlief die Reise verhältnismäßig schnell und gut. Nur unter
der Linie hatten wir einige Tage lang totale Windstille und wurden von Hitze und
Durst arg gequält und in der Geduld geübt. Das Schiff kam nicht von der Stelle,
schwankte wie ein Betrunkener hin und her, legte sich bald auf die eine, bald
auf die andere Seite, obgleich die Oberfläche des Wassers spiegelglatt war. Aber
das Heer ist ja in seinem Inneren nie ganz ruhig und ohne Wallungen. Und ein
Segelschiff kann nicht dagegen angehen, und wackelt daher bei Windstille hin und
her ohne Halt, wie eine Nussschale auf dem Wasser.
Ich habe auf späteren Reisen von Walfishbay nach Capstadt
zuweilen den Kapitän bei Windstille fuchswild gesehen. Er ging pfeifend nach
'Wind auf Deck auf und ab, fluchte und wetterte nicht am wenigsten über die
Missionsleute, die mitfuhren, denn sie waren an dem allem Schuld. Man vergisst
daher bei Reisen mit Segelschiffen die windstillen Tage fast ebenso wenig wie
die stürmischen, zumal auch dabei die Geduld der Reisenden so sehr in Anspruch
genommen wird.
Aber alle Bemühungen liefen darauf hinaus, dass wir
nach vielem Hin- und Herfahren am 3. November 1868 einen kleinen Hafen zwischen Porthmouth und dem östlichen Teil der Insel Wight aufsuchen
mussten, um vor
Gefahren, die uns durch immer stärker werdende Stürme bevorstanden, gesichert zu
sein, Hier lag das Schiff vor Anker bis zum 6. November 1868, als der Wind besser wurde.
Dann fuhren wir Wight entlang, und wer ein Fernrohr besaß, benutzte es, um die
schöne Insel und die an ihren Ufern gelegenen Städte recht beobachten zu können.
Es wurde empfindlich kalt an diesem Tage. Wer Handschuhe hatte, suchte dieselben
auf. Mit der Kälte stiegen die Wellen und schlugen gewaltig über Deck. Das
Schiff wiederholte sein altes Schaukellied und führte aufs Neue die Seekrankheit
für viele herbei. Dieser üble Gast, dem die Schwestern über drei Wochen ihre
Komplimente machten, sowie überhaupt die öfters am Anfang der Reise eintretenden
Stürme veranlassten, dass alle Tätigkeit auf dem Schiffe der Unregelmäßigkeit
unterlag.
Die Andachten fielen oft aus, ja mussten getrennt werden, weil sie den
finnischen Brüdern nach der bisher gehaltenen Weise nicht zweckmäßig erschienen.
Sie wandten ein, dass unsere gemeinschaftlichen Andachten für manche auf dem
schwankenden Schiffe bei aller Kürze doch zu lange anhielten und dass wir
Deutschen ja doch nicht ihre Sprache verstünden, und sie teilweise nicht die
unsere. Wiewohl diese Gründe etwas für sich hatten, so wünschten wir dessen
ungeachtet, wie bisher fortzufahren. Es lag uns daran, ein Band der Gemeinschaft
zu binden und fester zu binden, und wir meinten, diese Art Andachten könnten ein
Mittel zu diesem Zwecke werden. Es war ja hier Gelegenheit geboten, sich nach
und nach aneinander zu gewöhnen. Auf wiederholtes Bitten gaben wir unsere
Zustimmung zur Trennung. Die finnischen Brüder begannen ihre Andachten und
Gottesdienste in einer ihrer Kabinen zu halten, wo sie ungestört waren. Solche
Abgeschlossenheit lieben sie und ist, wie es mir scheint, einer ihrer Erbfehler.
Die aber nur selten vorkommenden Störungen in Gegenwart der übrigen Passagiere
mögen zu ihrem Entschluss mit beigetragen haben. Ob Konfession auch? Ach wie oft
dachten wir schon an unsere Barmer Schule! Nichts geht über Freiheit, in der man
sich doch gebunden fühlt.
Ich habe schon gedacht, wenn die Missionsfreunde in Praxis
eine solche achttägige Fahrt durch den Kanal machten, sie würden daraus schon
einen kleinen Begriff von den Nötchen und Entbehrungen bekommen, welche denen,
die hinausziehen, auf dem Fuße folgen. Sie würden dankbarer erkennen, was ihnen
in der Heimat geschenkt und mit mehr Wärme derer gedenken, die sich um ihres
Herrn willen den Stürmen und Gefahren allerlei Art preisgeben. Doch ich will
nicht Bemerkungen machen, die wenig Zweck haben bis jetzt und auch ferner
schauen wir vertrauensvoll auf unseren treuen Gott. Er wird alles wohl machen.
Es muss dies erfahren sein, bevor man's recht glauben und beherzigen kann. Für
die eigne Person trägt man den größten Gewinn davon. Man wird in solchen Lagen
recht dankbar für das Kleinste, schmiegt sich seinem Heiland enger an und kommt
durch das Los - werden vom Kreatürlichen immer mehr in seine Gemeinschaft.
In mancher Beziehung haben wir auf unserem Schiff großen
Vorzug. Der Kapitän ist ein Mann voll Charakter, der allzeit, wenn es gilt, am
Platze ist. Und wie er sind die Matrosen. Alles hat Takt, so dass es eine wahre
Freude ist, zuzusehen. Auf sein Kommando gehorcht der Kleinste bis zum Größten.
Gegen unsere Andachten, die nur einige Male gehalten wurden, hat er nichts zu
erwidern. Er sitzt dabei und hört zu, wenn auch mit geringer Aufmerksamkeit. Es
ist schade, dass von uns keiner der englischen Sprache so mächtig ist, um nach
dieser Seite etwas tun zu können. Ich habe ihn, den Kapitän, gebeten, mich
besser englisch zu lehren, ich wollte ihn dafür deutsch lehren. Er hat gelacht
und gemeint, sein Kopf sei dicke genug.
Sonntagsgottesdienst konnte wegen der vielen Kranken noch
nicht gehalten werden. Der vergangene Sonntag hat uns alle deshalb recht an die
Heimat erinnert. Für einen geordneten Stundenplan ist noch nichts Entscheidendes
getan. Es wird gewartet werden müssen, bis wir aus dem Kanal sind. An die
englische Kost hier auf dem Schiff können sich die Brüder, besonders aber die
Schwestern, nur schwer gewöhnen. Der Appetit wird - wie ich hoffe - schon
anbeißen werden. Das Schiff, welches sich in Not befand, ist während dieses
Schreibens versunken. Man sieht nur die Spitzen der Masten noch hervorragen. Im
Ganzen ist also alles bei uns noch in ziemlicher Ordnung. Der Gedanke, dass
vieler Gläubigen Gebete und begleiten, lässt mich auch für die Zukunft das Beste
erhoffen.

Von Meidera zum Äquator
Von uns sind die Andachten und Gottesdienste allezeit im
Salon gehalten worden, wo wir je länger, je weniger gestört wurden. Unser Doktor
versuchte es einige Male des Abends, wenn wir lasen oder beteten, Skizzen zu
entwerfen, aber unsererseits wurden die Augen dabei nicht zugehalten, denn das
hätte ja schlechte Skizzen gegeben; wir dachten vielmehr an Ihren Rat, dass es
nämlich gut sei, beim Beten und dg1. die Augen offen zu haben. Dieses blieb
nicht fruchtlos. Ein klarer, ernster und doch mitleidsvoller Blick während des
Singens, Lesens und Betens schien ihn so zu schlagen, dass er nach zwei Abenden
beschämt seinen Unsinn aufgab und die Sache liegen ließ.
Die Andachten wurden
ähnlich gehalten wie im Missionshaus. Morgens lasen wir die Losung der
Brüdergemeinde und einen Psalm, abends die Apostelgeschichte, Je weiter sich das
Schiff dem Süden zuwandte, desto ruhiger fuhr es dahin. Die Kränklichkeit verlor
sich unter uns. Wir waren imstande, geregelt englisch und holländisch zu
treiben, woran auch die Schwestern Anteil nahmen. Dem Mittelländischen Meer
gegenüber wurde es jedoch nochmals recht stürmisch. Die Nacht vom 13. zum 14.
November 1868 wehte der Wind so stark, dass mehrere Segel zerrissen.
Große Freude machte es uns, ab 16. November 1868 die Insel Madeira
zu sehen. Alles nahm von nun an eine lieblichere Gestalt an. Die Tage wurden
länger, die Kräfte der Patienten mehrten sich. Auch kleine Ungezogenheiten
fingen an, unter dem jungen Volke aufzutauchen. Sie kletterten den Mast hinan
und übten sich im Turnen. Selbst unser kleiner holländischer Israelit, den wir
an Bord hatten, wagte es, den hinteren Mast zu besteigen, stellte sich aber dazu
wie ein Jude an. Kaum war er oben, so kam ein Matrose, stieg ihm schnell mit
einem Strick nach, um ihn an die Luft zu setzten. Aber da hätte man die
Bewegungen sehen sollen, ohne Mütze und Schuhe kam der kleine Mann auf dem
Verdeck an und freute sich wenig seines glücklichen Entkommens.
In der heißen
Zone gab es manches Interessante zu beobachten. Fische, sowohl schwimmende als
fliegende, ließen sich in großer Anzahl sehen. Besonders schön war an gewissen
Abenden der Untergang der Sonne. Am fernen Horizont sah man sie in das wie
Silber glänzende Meer untertauchen und ihre Strahlen auf eine Schicht von Wolken
zurückwerfen, die dann in malerischem Farbenspiel prangten. Dazu kam das
Meeresleuchten. Oft waren wir am Abend an Bord gestanden und haben dieses Wunder
angestaunt. Ob es Elektrizität ist, das sich nur an solchen Stellen zeigt, wo
Bewegung stattfindet, oder ob es kleine leuchtende Tierchen sind, scheint selbst
bei den Gelehrten noch fraglich zu sein« Die Abendstunden wurden meist mit
Unterhaltung und Gesang auf dem Vordeck zugebracht. Manchmal schliefen hier
welche ein und lagen des andern Morgens noch. War Mondschein, dann weckte der
Steuermann die Schlafenden auf, weil er befürchtete, sie möchten einen Mondstich
erhalten. Wir dachten hierbei an die Psalmstelle "dass dich des Tages die Sonne
nicht steche noch der Mond des Nachts".
Am 14. Dezember 1868 passierten wir die Linie (Äquator). Es sollte
hier wie gewöhnlich nach dem Wunsche der Matrosen das Neptunfest gefeiert
werden. Weil nun diesmal keine Passagiere getauft werden durften, außer dem
Juden, welcher sich freiwillig einstellte, so hielten die Matrosen unter sich
das Fest. Zunächst füllten sie alle Eimer mit Wasser und lockten den
schmutzigen Koch hervor, der sich, als er merkte, was geschehen sollte, in einen
Winkel des Schiffes flüchtete und daselbst fast ersäuft wurde. Dann ging's unter
ihnen selbst toll zu.

Weihnachten 1868 auf der "Cape-City"
Kurz vor Weihnachten übten wir in Gemeinschaft der finnischen
Brüder mehrere Lieder ein. Auch für gemischten Chor konnte wegen der Schwestern
etwas getan werden, so dass wir am Weihnachtsabend ein förmliches Programm
aufsetzten und dasselbe der Reihenfolge nach ausführten. Finnen, Deutsche,
Lutheraner, Reformierte und Unierte saßen abends acht Uhr beieinander um zwei
geschmückte Christbäume, lasen biblische Abschnitte alten und neuen Testament,
sangen abwechselnd ihre Lieder im Männer- und gemischten Chor, hielten
Ansprachen und vergaßen bei diesem fröhlichen Zusammensein beinahe, dass sie auf
den Wogen des Meeres waren. Zum Schluss wurden noch kleine Geschenke verteilt,
welche große Freude bereiteten.
Unserem Kapitän schien die Sache gefallen zu
haben, denn er ließ uns sämtlich am nächsten einladen, traktierte Wein und
allerlei Früchte, wobei wir einige Lieder sangen. Der günstige Wind seit
Sonntag, dem 27. Dezember 1868, rief die Hoffnung wach, Dienstag das Cap zu erreichen.
Aber an bestimmten Tagen stellte sich Gegenwind ein, und alle Hoffnung schien zu
schwinden. Die Wellen schlugen so hoch über Deck wie fast noch nie. Gegen Mittag
jedoch erblickten wir Land, und am Abend waren wir der Küste Afrikas nahe. Der
Wind hatte sich gelegt und der Mond schien hell. Warme afrikanische Luft wehte
schon auf dem Schiffe. Die vor uns sich erhebenden Gebirge sahen kahl und öde
aus, aber über ihnen leuchtete das südliche Kreuz. Nachts zwei Uhr lief die
"Cape-City" im Hafen ein.
Auf der ganzen Reise sind wir recht glücklich gewesen. Wir können nur loben und
danken. Einigen von uns hat es in Hinsicht der Kost nicht recht gefallen wollen.
Aber wer kann es jedem nach seinem Geschmack recht machen! Wird der Finger
gereicht, bald soll's die Hand sein. Das gemeinschaftliche Verhältnis zwischen
uns und den finnischen Brüdern ist während der Reise nicht vermindert worden,
sondern im Gegenteil. Zu dem Studieren der mir wohl unvergesslichen
Abschiedsworte "habt Salz bei euch und habt Friede untereinander" haben die
Nahen mehr Veranlassung gegeben als die Fernen.

Erholung in Stellenbosch
Nach
65-tägiger Fahrt kamen wir am 27. Dezember 1868 wohlbehalten in Capstadt an. Voller Freude begaben wir uns aufs Vordeck, um die Capstadt
zu sehen. An Schlaf war kaum mehr zu denken. Unter Jubel und Gesang standen die
Matrosen an den Rahen und befestigten die Segel, und mit freudestrahlenden Augen
spazierten wir einher. Als der Tag kaum angebrochen, wurde schon vom Cap aus
nach uns gefragt. Ungefähr acht Uhr kam ein stattlicher Mann, von Herrn Voß mit
einem großen Kahn geschickt, um uns ans Ufer zu befördern. Unterwegs begegnete
uns ein Kahn, in dem drei Männer saßen. Der eine redete uns deutsch an, und bald
erkannten einige, dass es Missionar Lückhof war. Er fuhr mit retour und half
unsere Sache ordnen.
Wir erfuhren zu unserer Überraschung und großer Freude, dass sich die Dinge
im Hereroland wesentlich gebessert und unserer Weiterreise nach Walfishbay
nichts im Wege stünde. In Kapstadt hielten wir uns nicht auf, sondern reisten
sofort mit der Bahn nach Stellenbosch.
Herr
Ritter war mit den Brüdern Lückhoff, Terlinden, Alkeit und anderen Freunden am Bahnhof. Sie nahmen uns sehr
liebevoll auf und hatten auch ziemlich gute Botschaft aus dem Norden
mitzuteilen. Im ganzen, so sagte man, sei es ruhiger geworden. Die 70 Mann Rehobother, als Verteidiger von Otjimbingue, hätten wieder zurückgehen können,
indem die Namaqua unter sich selbst im Krieg verwickelt seien. Neu-Barmen soll
verlassen sein. Bruder Brinkers Leute sich mehr nordwärts befinden. Er selbst
glaubt, man sei noch auf Otjimbingue. Bruder Hugo Hahn wird innerhalb 14 Tage am
Cap erwartet. Unser Hinaufziehen nach dem Damaraland wird sich, da noch manches
einzukaufen ist, noch einen Monat hinausschieben. Bruder Daniel kann vielleicht
bald abreisen.
Mit
alten Brüdern und mit Herrn Ritter, dem
Agenten unserer afrikanischen Mission, wurde über unsere Weiterreise beraten.
Nachdem alles eingehend in Erwägung gezogen war, kam man dahin überein, eigens
für den Zweck ein Küstenschiff zu mieten, das uns im Februar nach Walfishbay
bringen sollte, und die Brüder in Otjimbingue davon zu benachrichtigen, dass wir
etwa Mitte Februar mit unserer Karawane in Walfishbay eintreffen würden, man
möge für die Zeit Wagen dahin besorgen, die uns mit unseren Sachen abholten.
Diese unsere Vorhaben und Wünsche wurden den Brüdern brieflich mitgeteilt. Der
erste Fischkutter (kleiner Segler), der im Januar nach dem ca. 60 km südlich von
Walfishbay gelegenen Sandwichhafen zur dortigen Fischerei absegelte, nahm die
Post bis dahin mit. Zugleich ein Schreiben an den Leiter der Fischerei mit dem
Auftrag, unsere Briefe unverzüglich weiter nach Otjimbingue zu befördern, was es
auch kosten möge, wir stünden dafür ein. Es handele sich nur darum, dass wir bei
unserer Ankunft in Sandwichhafen evtl. Walfishbay, etwa Mitte Februar, Antwort
auf unsere Briefe vorfänden.
Damit war alles den Umständen gemäß vorläufig weislich
geplant. Wir ließen es uns nun gerne gefallen, in dem schönen
Stellenbosch bei den
Geschwistern einen Monat der Ruhe zu pflegen. Die lange beschwerliche Seereise,
die wir überstanden hatten, gab uns ein gewisses Recht dazu und die Umstände
geboten es obendrein. In Stellenbosch fehlte es uns an keinem Guten. Der Ort ist
eine Oase in der Wüste. Die Anlagen sind prachtvoll und erfreuen beim Anblick
Herz und Gemüt. An den geraden breiten Straßen entlang stehen regelrecht große
kernige Eichen auf beiden Seiten. Ein kristallklarer Bach fließt daran vorbei,
der, sowie auch die Gänge an den Straßen, von den Eichen überschattet werden.
Selbst in der heißen Mittagszeit lässt es sich hier mit Lust wandern, da von den
frischen grünen Blättern der dichtbelaubten Eichbäume die Strahlen der Sonne
gemildert worden. Diese Anlagen muss man gesehen haben, um sie entsprechend
würdigen zu können. Zwischen und hinter den Häusern sieht man wohlgepflegte
Gärten voll von Obstbäumen, an denen tropische Früchte aller Art im Überfluss
wachsen. Wir haben uns die Zeit über gütlich daran gelabt.
Was aber für einen
aus Deutschland kommenden Missionsfreund Stellenbosch besonders lieb und wert
macht, ist das christliche Gemeinschaftsleben und die sonntäglichen schönen
anregenden Gottesdienste. Wir fühlten uns wie zu Hause. Trotz der
Verschiedenheit der Rassen, die hier miteinander wohnen, gewahrt man keine
Disharmonie. Außer den genannten Brüdern war es die verwitwete Schwester Kähler,
die hier besonders unter dem weiblichen Geschlecht einen guten Einfluss ausübte,
auf Farbige und Weiße, denen sie gleich gern in Liebe und Aufopferung diente.
Während unserem Aufenthalt in Stellenbosch hatten wir auch
Gelegenheit, den von Schepmansdorf mit seiner Familie geflüchteten Missionar
Eggert kennen zu lernen, der uns mancherlei von seinen traurigen Erlebnissen
mitteilte. Er hatte den Mut für Afrika verloren und reiste in der Zeit nach
Amerika.
Alles, was wir bis jetzt gesehen und gehört haben, hat Mut eingeflößt
und den Wunsch wachgerufen: Ach möchte es doch bald überall so werden. In Kirche
und Schule, in Haus und Familie herrscht nicht nur Ordnung und Sittlichkeit,
sondern ist Leben und Gedeihen zu vernehmen. Unsere Brüder sind rechte Theologen
geworden, deren Predigt uns, den schwarzen Gesichtern gegenüber, so lange
unverständlich zu sein schien, bis wir in Schule und Familie einen kleinen
Einblick tun durften. Selbst in die höheren Anstalten,, Gymnasium und
Universität, wurde uns der Zugang gewährt, und aus dem, was wir da vernahmen,
wird uns ein guter Eindruck bleiben. Die Lehrer zeigten sich sehr freundlich,
besuchten uns zum Teil sogar in unseren Wohnungen. Mit einigen der Studenten
machten wir zeitweise im Dorfe bei irgendeinem ihrer Freunde Besuche und ließen
uns in deren Weinbergen die Trauben gut schmecken. Erfreulich ist es
wahrzunehmen, dass die Professoren, reformierte wie lutherische Prediger, in der
Missionskirche Bibelstunden und Predigt halten, ihre Leute nachziehen und somit
allem konfessionellem Wesen die Spitze abbrechen.
Freilich lässt sich auch hier bei all dem Anerkennenswerten
auf die Worte des Herrn hinweisen: "Als aber das Kraut wuchs, wuchs auch das
Unkraut." Jubelnd zieht nicht selten an Abenden die Jugend mit Musik durch die
Straßen und treibt nach europäischer Manier ihr Unwesen. Sogar der Islam hat
sich eingeschlichen und macht gute Fortschritte. Wenn uns daher, als wir
Stellenbosch mit einem Paradiese verglichen, erwidert wurde," ja, aber ein
verloren gegangenes", so wird man das Rechte getroffen haben.
An ein geregeltes Studium der Sprachen war während des
Aufenthaltes hier kaum zu denken, und da wir eigentlich nur auf der Durchreise
sind, ist's auch keinem eingefallen, sich groß Gewissen darüber zu machen. Was
wir im Umgang uns aneignen konnten, ist uns willkommen gewesen. Überhaupt sind
die Gedanken in der ersten Zeit viel mit einem nach Deutschland durchgegangen,
und wer weiß all wohin da. Hoffentlich wird's in diesem Stücke besser werden,
sonst kann's schlimm ausfallen. "Wie stand's vor allem", werden Sie wieder
fragen, "mit der brüderlichen Liebe?" Ja, ja, damit ist es so eine Geschichte,
recht zu urteilen. Der eine wird mit jedem ziemlich fertig und ist dann gleich
bei der Hand zu sagen: es stand gut. Dem anderen geht es nicht so; daher urteilt
er anders. Wer hat nun recht? Vielleicht versteht ersterer nicht zu
unterscheiden die brüderliche Liebe und die allgemeine Liebe, oder letzterer
sieht eine konfessionelle Ansicht, die einem anderen eingeprägt ist und von der
er sich nicht so ohne weiteres trennen kann, als einen Verstoß gegen die
brüderliche Liebe an.
Wenn es zwischen Brüdern auch eine allgemeine Liebe gibt,
dann wäre am besten zu sagen, dass es in Hinsicht der allgemeinen Liebe gut
gestanden habe, aber mit der brüderlichen Liebe hätte es besser stehen können.
Tröstlich ist es, dass bis jetzt kein Bruch geschehen, sondern alles noch so
liegt, dass es was werden kann, wenn weisheitsvolle Hände im Spiel bleiben, Das
afrikanische Klima scheint unserem lieben Bruder Weikolin nicht zuträglich zu
sein. Er kränkelt etwas, liegt sogar zeitweise zu Bett. Die anderen Geschwister
sind noch recht wohl und denken schon stark an die Abreise. Schwester Eick,
deren Bräutigam sich auf Warmbad befindet, wird noch einige Zeit sehnsuchtsvoll
hier verweilen müssen. Schwester Nill ist am 23. nach Eben-Ezer abgereist. Bruder
Rath besuchte uns und ließ einen Blick in die Damarasprache tun. Gestern kam
auch Bruder Zahn an, ein ehrwürdiger Mann, tun uns zu begrüßen. Freitag morgen
werden Bruder Irle und ich nach Weinberg zu Bruder Wegel reisen und Montag mit den
anderen Geschwistern in der Capstadt zusammentreffen, von wo spätestens
Mittwoch, dem 3. Februar, unser Schiff abfahren soll.
Während mir hier die Sonne Mund und Gesicht schmerzlich
verbrannt hat, verlangt man dort nach ihren erwärmenden Strahlen. Und während
hier alles ganz sachte durch viel Kreuz- und Querwege vorangeht dem Ziele zu,
denkt man sich in Deutschland, wenn nicht in Riesenschritten, dann doch mit
langsamen und gewissen Schritten vorwärts zu dringen. Des Abends plant man,
beschließt es, meint auch weise, dass es des Herrn Wille sei; und siehe, am
anderen Morgen wird nichts daraus. Das ist der Rahmen, welcher sich hier beginnt
zu bilden. Und was wird noch hineinkommen? Drei Tage vor der Abreise von Cap
besuchte ich mit Bruder Irle unseren kränklichen Bruder Wegel. "Meine Kraft ist
aufgerieben, und ich freue mich, dass es im Dienste des Herrn geschehen ist",
sagte er. "Aber wenn ich zurückschaue und frage, was hast du zustande gebracht,
so muss ich schweigen und seufzen. Ich sehe nichts, alles ist dunkel hinter mir."
Oh, was wird es hier noch Gedulds- und Glaubensproben zu
bestehen geben! Möchten sie doch wenigstens für die eigene Seele zum Segen
gereichen! Möchten wir Arbeiter oder angehenden Arbeiter doch rechte Arbeiter
sein und werden, Arbeiter für den Herrn! Sehe ich mich selbst an, richte ich
meine Aufmerksamkeit ein wenig auf meine mitziehenden Geschwister. Achtet man
endlich auf das, was einem von den schon Arbeitenden um die Ohren klingt, dann
staunt man die große Geduld, Nachsicht und Langmut unseres Gottes an, der es
sich gefallen läßt, solche eigennützige und eigenliebige Knechte und Mägde in
seinem Dienst zu dulden. Es klingt hart, aber ich schließe mich nicht aus, habe
auch im tiefsten Grunde die besten Vorsätze, wohl auch viel mit mir.
Man ist hier in der Tat, wie ich jetzt schon fühle, leichter
in Gefahr, in falsche Bahnen zu geraten als sonst irgendwo. Wenige oder keine
Personen sind da, die einen weit überlegenen Eindruck machen, in deren Gegenwart
man sich arm fühlt. Die Sprache in der Überlegenheit vorhanden, macht anderen
gegenüber schüchtern, aber nur eine christliche Geistesüberlegenheit beugt.
Daher bildet man sich leicht etwas ein und ist doch nichts. Bei entscheidenden
Fragen oder Handlungen spielt das eigne Interesse , sei es auch noch so schön
geschmückt, eine leider große Rolle, und der Wille des Herrn wird ach so oft als
Aushelfer unseres Willens gebraucht.
Wie schön wäre es, wenn die Versetzung aus dem kühlen
Deutschland in das warme Afrika eine solche innerliche Vervollkommnung
herbeiführte wie sie bei Bruder Zimmer äußerlich getan; dann würden die
Nachrichten allzeit erfreulich lauten und wir ungehobelten Schüler, denen Sie so
viel Liebe und Geduld erwiesen, würden Ihnen in Ihrem Alter noch Freude
bereiten. Aber es trifft nicht immer zu. Meiner Erfahrung nach kommt man nicht
besser hier an als man dort weggegangen , wenn noch so viele Ecken, die im
Missionshaus nicht abgeschliffen werden konnten, wachsen auf dem Schiff, wo es
recht feucht ist und warme Luft fehlt; sehr leicht werden die
Eigentümlichkeiten, wie ich schon einem unserer Brüder schrieb, zu
Eigensinnigkeiten.
Bei Stellenbosch bestieg ich mit Bruder Irle einen Berg und
sah, wie das Gestein gleich einem im Verfall begriffenen Ziegelofen von der
afrikanischen Sonnenglut verbrannt war. Da dachte ich zu meinem Trost, die
Trübsale Afrikas würden noch manche Ecken mürbe machen. Nun ja, man tröstet sich
und hofft. Was noch aus einem jedem werden wird, muss die Zukunft in etwa
ausweisen. Auf Reisen ist wenig zu urteilen. Vieles bleibt zu wünschen übrig.
Besonders fühlt man, wie gering auf den wichtigen Beruf, in den man gestellt
ist, geachtet wird. Es verflacht sich so leicht alles. Die Form ist da, aber der
Nerv eines durchdringenden Lebens fehlt. Man hat eine Missionsgesellschaft
hinter sich, ja sogar zwei. Mangel drückt nicht, obgleich unsere große Schuld
mich zum Nachdenken und Gebet getrieben. Wenn auch manches entbehrt werden muss,
was die Heimat bot, so ist auch wieder anderes als Ersatz. Und wo das nicht der
Fall ist, da wird bei einer Anzahl junger Leute doch nicht angeschlagen.
Einer heitert den anderen auf, oder man macht ihn insofern
zufrieden, weil er sieht, er teilt das gleiche Los. Wenn man des Nachts mit dem
Kopf zu tief liegt, klappt man seinen Stuhl zusammen und legt ihn unter, schickt
das noch nicht, so legt man die Stiefel noch dazu. Das macht jeder so. Ist's in
der Kajüte so eng, dass der eine zu Bett liegen muß, während sich der andere
aus- oder anzieht, oder ist es so niedrig darinnen, dass man sich den Kopf oft
fast einrennt. Das passiert jedem. Für Bedauern und Klagen hat man hier keine
Worte. Allenfalls wird der, welcher den Schaden hat, wie gewöhnlich ausgelacht.
Dies alles wird freilich anders werden, wenn jeder für sich steht und der Ernst
des Lebens mehr an ihn herantritt.
Ich bin mit den übrigen Geschwistern noch recht wohl. Wir
treiben an der Bai allerlei: einer geigt, ein anderer bläst sein
Blechinstrument, ein dritter gießt Kugeln, ein vierter hat sich eine Scheibe
gemacht und schießt in den Sand, noch ein anderer sucht Muscheln und
Walfischknochen zusammen, liest etwas in der Herero-Grammatik und lässt einen
Eingeborenen, der dabei sitzt, hören, ob er's recht ausspricht usw.
Die Fräuleins stricken etwas, schreiben Briefe und gucken
nach Briefen und Personen. Die gute Minnette ist traurig, dass ihr lieber Viehe
in Sandwichhabour nicht an den Vers dachte: "Ein Geduldiger ist besser, denn ein
Starker". Er sitzt nun an der Tafelbai und sie in der Walfischbai. Beide haben
Zeit zum Nachdenken. Im übrigen lernt man an der lieben Geduld in einem Lande
unter einem Volke, wo von Recht und Unrecht keine Rede ist, sondern von Wollen
und Nichtwollen, wo jeder tut, was ihm gut deucht. Wird ein Bote in Eile
geschickt, so kommt's denselben gar nicht darauf an, wenn er drei Tage auf einen
Fleck bei den Namas liegt und sich um die Welt nicht kümmert.
Von Unruhen hört man wenig. Von rechtem Frieden ebenso wenig.
Ein Eingeborener, welcher getauft, sagte: "Es ist ruhig" und setzte hinzu "doch
man spricht von einem großen Krieg." Geregnet hat es im Lande, aber nicht
genügend; daher ist Kamahero noch nicht auf Otjimbingue. Bruder Hahn schickte Ende
voriger Woche einen Boten mit Briefen und hofft, in nächsten Tagen mit seiner
Frau und mehreren Geschwistern hier zu sein, Wie es weitergehen wird, darüber
später etwas.
Kurz vor der Abreise in Stellenbosch schenkte die liebe Tante
Kähler einigen von uns ein kleines Bildblättchen, auf welchem die verschiedenen
Richtungen der Gedanken Gottes und unserer Gedanken im Bilde eines Kreuzes
dargestellt sind. Keiner von uns hätte damals geglaubt, so bald auf unserem Wege
Erfahrung davon zu machen. War ja doch alles bis dahin nicht nur nach Wunsch
gegangen, sondern hatte unsere Erwartungen übertroffen, wie sollte nicht auch
ferner solches zu hoffen sein. So dachte man, und mit diesem Gedanken plante
man, traf alle möglichen Vorbereitungen und meinte, ziemlich gerade dem Ziele
zueilen zu können. Ein Brief von Herr Ritter, zehn Tage vor unserem Weggang mit der
"Stella" abgegangen, sollte durch einen Boten von Sandwichhabour aus nach
Bruder
Böhm und Hahn geschickt werden, unsere Ankunft zu melden. Und der Berechnung
nach sollten beide Brüder mit uns zu gleicher Zeit in Walfischbai mit ihrem
Wagen zusammentreffen.

Von Stellenbosch nach Sandwichhafen
Anfang Februar fanden wir uns in
Capstadt ein, gaben am
3. Februar 1869 Bruder Dubiel das letzte Geleit auf sein kleines Schifflein, welches auf
eigentümliche Weise aus der Tafelbai gebracht wurde. Es war nämlich ein Kahn
vorgespannt, in dem zwei Matro-sen aus Leibeskräften ruderten. Dabei ging's so
langsam für unseren eifrigen Bruder, dass Herr Voß Bruder Irle und mich mit sicha uf
sein Dach nahm, um von da aus zu beobachten, ob's wirklich vorwärts ging. Die
Sache verhielt sich jedoch so, denn nach einer Stunde war unser Leidenskollege
beinahe unseren Augen entschwunden.
Unser bisheriger Reisegefährte, Bruder Dubiel, war schon
seiner Bestimmung gemäß nach Berseba in Namaland zu Bruder Krönlein abgereist. Die
Braut des als Mechaniker ausgereisten Bruder Schrenk blieb noch und wartete auf
ihren Bräutigam aus Eben Ezer. Zu uns übrigen Finnländern und und Deutschen
gesellten sich noch die zwei Missionarstöchter Kitty Kleinschmidt und Margarita
Hahn sowie Georg Knab aus Stellenbosch, der als Schreiner zu seinem Schwager,
Missionar Brincker, nach Neubarmen gehen sollte, und Missionsagent C. Ritter,
der uns wegen der Unsicherheit bis Walfishbay begleiten sollte; im ganzen wieder
18 Missionsleute, die zusammen die Reise nach Walfishbay und weiter antraten.
Tags darauf ruderten wir in einem Boot mit
großer Begleitung zu unserem Schiff "Flibberty", welches gegen Abend unter
günstigem Winde ausfuhr. Weil die Reise so kurz sein sollte, schienen unsere
Schwestern mit der Seekrankheit nicht lange warten zu wollen. Nach einer halben
Stunde war das Elend da. Dabei schien sie etwas brutal zu sein gegen ihren alten
Freund, der mit bestem Willen und ohne seine Schuld nicht dafür gesorgt hatte,
was sie wünschten.
Das Schiff war nur Frachtschiff und nicht für Passagiere
eingerichtet. Der Kapitän überließ Herrn Ritter seine Kabine, die einzige auf
dem Schiff. Für die Bräute und Missionarstöchter waren provisorische
Lagerstellen an die Wände gezimmert worden, ähnlich Wandschränken. Sie waren so
lang und breit, dass eben jemand zur Not darin liegen konnte. Tagsüber wurden sie
zugeklappt und man merkte sie kaum. Für uns Mannsleute diente der Schiffs- und
Lagerraum, Des Abends wurden zwei große Klappen wie Falltüren auf Deck abgehoben
und auf die Seite gelegt, und wir stiegen auf einer kleinen Leiter hinunter zu
unserem Schlafgemach. Als Bett brauchte jeder seine Seegrasmatratze und breitete
sie sich dahin aus, wo er liegen wollte. Zum Zudecken hatte man ein oder zwei
Baumwolldecken, Kopfkissen hielt man für Luxusartikel. Wer mit dem Kopf erhöht
liegen wollte, konnte sich seiner ausgezogenen Kleider bedienen. Das offene
Verdeck bot Licht und Luft zur Genüge. Nichts hinderte einen, den schönen
Sternenhimmel über sich zu betrachten. Auch der Mond ist in Afrika selten
verdeckt. Aber zu wünschen bleibt immer übrig.
Das Schiff war ein alter Kasten,
in welchem sich mit der Zeit unzählige Ratten einquartiert hatten. Die schienen
es auf uns Neulinge im Schiff besonders abgesehen zu haben und plagten uns wie
und wo sie nur konnten. Dabei besaßen sie eine Dreistigkeit und Frechheit
sondergleichen. Ungeniert liefen sie uns über die Betten hinweg, wobei einem
Gruseln ankam. Nichts von den Sachen, die umherlagen, war vor ihnen sicher. Sie
schleppten davon weg, soviel sie konnten und brachten's womöglich in ihr
Versteck. Da gab es in der Nacht, wenn man diese frechen Gesellen bemerkte, oft
Radau und Aufruhr im Lager. Jeder griff nach etwas, die scheußlichen Tiere damit
zu schlagen und wenn sie davonliefen, hinter ihnen herzuschleudern. Dabei wurde
geschimpft in deutsch und finnisch. Aber die freche Bande kehrte sich wenig
daran. Bald war sie wieder da und trieb das alte Spiel, Am Morgen hörte man dann
gewöhnlich überall Klagen; dem einen fehlte dies, dem anderen das. Besonders
hinter dem Schuhwerk waren sie her, schleppten sie in den entferntesten Winkel.
Fand man sie wieder, dann waren sie zernagt oder durchlöchert und meist nicht
mehr zu gebrauchen, tagsüber hielten wir uns auf Deck auf. Hier wurde auch unter
aufgespanntem Segel gegessen. Nach 9 Tagen erreichten wir Sandwichhafen. Das
Schiff warf Anker.
Bis zum 6. Februar 1869 blieb der Wind günstig, dann trat einige Tage
Windstille und starker Nebel ein. Am 11. Februar 1869, an dem wir eine Sonnenfinsternis
beobachteten, war man der Küste nahe. Die Brandung brauste am Abend gewaltig.
Nebel und Dunkelheit verhinderten das Weiterfahren. Noch spät standen wir auf
dem Verdeck, sahen nach dem Ufer, wo das Meer mit den Felsen kämpfte und seine
Wellen schäumend gegen sie stieß. Fast bedenklich gingen wir zur Ruhe, denn ein
starker Westwind hätte uns leicht ans Ufer treiben können. Folgenden Tags
erreichten wir Sandwichhabour, aber so spät, dass nicht mehr in die Bai gefahren
werden konnte.

Überraschung in Sandwichhabour
Doch freuten wir uns, bis hierher glücklich gelangt zu sein
und in der Ferne Lichter in den Fischerhütten leuchten zu sehen. Hier freut man
sich und fängt an, dankbarer zu werden für das Geringste. Tage, ja wochenlang
kann man die Küste passieren, und das Auge sieht nur Sandberge. Nichts, was die
Natur irgendwie hervorzubringen vermag, ist wahrzunehmen. O ödes Afrika! Sehnsüchtig schauten wir alle nach den Fischerhütten am
Strand. Die Bräute und Missionstöchter schwenkten lebhaft ihre weißen
Taschentücher. Aber da war keine Rede noch Antwort. Alles verhielt sich still.
Nur hin und wieder huschte einer der Fischerleute zwischen den Hütten einher.
Sicher stand jetzt schon fest, dass niemand hier war, der uns erwartete. Aber
vielleicht war ein eingeborener Briefbote da, der Briefe als Antwort von
Otjimbingue für uns gebracht hatte. Um uns davon zu überzeugen, bewogen wir den
Kapitän, einige von uns in einem Boot an Land zu bringen. Drüben angekommen,
erkundigten« wir uns nach diesem und jenem, vor allem auch, wann unsere nach
hier im Januar gesandte Post weiter nach Otjimbingue gegangen und ob noch keine
Nachricht von dort eingetroffen wäre. In afrikanischer Ruhe erklärte uns der
Gefragte, dass unsere Briefe noch bei ihnen lägen. Sie hätten keinen ihrer Leute
bewegen können, sie wegzubringen. Man sei zu bange vor herumstreichenden
Räuberbanden, denen Briefboten leicht in die Hände fallen konnten. Dabei sei es
um sie und die Briefe geschehen. Mit diesen Ausreden wollten sie sich für ihr
lässiges Versäumnis entschuldigen.
Damit waren wir wieder so weit wie vor 1
½ Monaten, nur mit dem Unterschied, dass wir
wenn eine Regel, die für Afrika besonders gilt und uns hier tief eingeprägt
wurde, reicher waren und die da heißt: "Selbst ist der kann." Die gemachte
Erfahrung gleich am Anfang bei diesen Leuten, ist uns für später zugute gekommen
und hat uns bei ähnlichen Enttäuschungen nicht gleich missmutig gemacht. Merkwürdigerweise hörten wir von diesen Fischersleuten, dass
der junge Missionar Viehe mit zwei Jungens vor ca. zehn Tagen von hier mit einem
kleinen Fischkutter nach dem Kap gesegelt sei. Wie wir später erfuhren, hatten
sich die Räuberhorden der Nama nach ihrem Rauben und Plündern an der Küste
wieder zu den Herero gewandt, um bei diesen weiter Beute zu machen. Es hatten
sich ihnen zu diesem Zwecke noch andere Namahäuptlinge angeschlossen. Bei Osona,
unweit Ohahandja, trafen Herero und Nama zusammen. Es kam am 9. November 1868 zu
einem ernstlichen Gefecht, bei dem letztere eine gänzliche Niederlage erlitten
und eilends zu ihren Wohnplätzen im Süden zurückkehrten. Dadurch konnte man sich
auf der Strecke von Otjimbingue und Walfishbay wieder mit Sicherheit bewegen.
Diesen Zeitpunkt nahmen die Brüder in Otjimbingue wahr und schickten den
Missionar Viehe, der der Erholung bedurfte, mit zwei Kleinschmidtschen Jungens,
Ludwig und Willy, die in Stellenbosch auf die Schule sollten, nach Walfishbay
evtl. dem Kap, zugleich in der Hoffnung, daselbst mit uns zusammen zu treffen.
Bruder Viehe, so meinte man, könne auch da seine Braut empfangen. Aber sie
wurden beide schwer enttäuscht, fuhren einander vorbei. Die Hochzeit, die man im
Februar glaubte am Kap feiern zu können, fand durch dies Missgeschick erst Ende
Juni in Otjimbingue statt. Ich wurde dabei erinnert an die Stelle Sprüche 16,32:
"Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker." Bei dem allen konnte der gute
Bruder Viehe noch von Glück sagen, denn um ein Haar wäre er ertrunken, bevor er
das Schiffchen erreichte, das ihn nach dem Kap brachte. In Walfishbay
angekommen, sah er an der Landspitze, die Walfishbay nach Südosten vom Meer
abschließt - Pelikanpoint genannt - ein Schiffchen liegen, das aber keine Miene
machte, nach Walfishbay zu kommen. Er wollte dasselbe um jeden Preis gerne
erreichen.
Um den Weg dahin abzukürzen, entschloss er sich, die Lagune, die sich
von der Bai aus zwischen der Landzunge und der Baifläche hinzieht, zu durchwaten
und an tieferen Stellen, als guter Schwimmer, zu durchschwimmen. Damit hatte er
aber zuviel gewagt. Er hat mit knapper Not sein Leben gerettet, denn während
seinem Durchgang trat Flut ein und das Wasser stieg schnell. Er bekam damit ja
einen Vorsprung; denn als die beiden Jungens, die die Lagune umgingen, nach zwei
Stunden eintrafen, war er längst an der Stelle, wo das Schiffchen sich aufhielt.
Gut, dass sie da waren und er sich vernünftig ankleiden konnte. Er war beinahe
nackt hier angekommen. Um leichter im Wasser sich bewegen zu können, hatte er
sich fast ganz ausgezogen und dem Meer seine Kleider als Tribut zurückgelassen.
Ob sie dann auch mit diesem kleinen Fahrzeug nach dem Kap gefahren sind und in
Sandwichhafen nur im Vorbeigehen vorgesprochen haben, ist wahrscheinlich, mir
jedoch nicht näher bekannt. Wenn das geschehen, dann ist es unbegreiflich, dass
man dort von unserem beabsichtigten Kommen und den Briefen, die wir dahin
geschickt hatten, noch nichts gewusst hat.
Recht traurig und niedergeschlagen
verließen wir die Fischerei und wandten uns wieder dem Schiff zu, wo unsere
Mitteilungen ebenso auf alle wirkten. Eine Weile herrschte tiefes Schweigen.
Keiner mochte ein Wort sagen. Dann hieß es: Was tun? Rückwärts oder vorwärts?
Man entschied sich für letzteres. Den Tag über blieben wir noch in Sandwichhafen
liegen. Einige machten sich zum Zeitvertreib Angeln und fischten von Deck aus.
Andere sahen zu, wenn die schönen, ca. ein Meter langen "Snugs" in die Höhe gezogen,
aufs Deck geschleudert und totgeschlagen wurden. Am Abend waren so viele
gefangen, dass die Matrosen Anstalten auf dem Hinterdeck machten, den größten
Teil zum Trocknen aufzuhängen. Für uns selbst wurden reichlich gebraten, und wir
taten uns gütlich daran.

Warten in Walfishbay
Als am 14. Februar 1869, die Sonne den Nebel
durchbrochen und der Wind sich erhoben hatte, wurden die Segel wieder gehisst und
weiter ging's Walfishbay zu. Nur einige Stunden brauchten wir zur Fahrt dorthin,
wir hatten es hier nicht anders erwartet, als wir es vorfanden. Alles wüst und
leer. Die Lagerhäuser an der Bai zerstört und verlassen, Fenster, soweit noch
etwas vorhanden davon, ohne Scheiben, Türen samt Rahmen waren herausgerissen und
was nicht davon verbrannt war, lag in einzelnen Stücken umher. Weit und breit,
soweit das Auge sehen konnte, sah man kein lebendes Wesen, außer Wasservögel,
die umherkrächzten und nach Fischen ausspähten. Dabei der Gedanke an unsere
Briefe, die uns in Sandwichhafen wieder zurückgegeben worden waren und die
eiligst nach Otjimbingue gebracht werden sollten. Das alles war angetan, uns in
höchst traurige Stimmung zu versetzen. Aber man darf nicht verzagen. Wenn die
Not am größten, ist Gott am nächsten.
Einen Tag lang schauten wir vergeblich von unserem Schiff
nach Menschen aus. Am folgenden Tage kam jemand über die Baifläche bis zu den
Lagerhäusern, hielt sich aber dahinter versteckt. Nur hin und wieder wagte er
es, um eine Ecke zu lugen. Nach einer Weile schob er wieder ab, und wir hatten
das Nachsehen. Dann kamen die nächsten Tage mal zwei, dann neun, aber immer nur
bis zu den Häusern, besahen sich von dort aus alles auf unserem Schiff, so sie
konnten und gingen dann wieder. Auf diese Weise kamen wir uns aber nicht näher.
Und darum handelte es sich doch, dass wir mit diesen Eingeborenen, die sich uns
näherten, bekannt wurden. So beschlossen wir dann, ein Teil von uns, namentlich
die Handwerker, sollten an Land gehen und dort mit der Reparatur der zerstörten
Häuser beginnen. Gedacht, getan! Die nötigen Werkzeuge wurden aus den Kisten
hervorgeholt. Bretter, Nägel, Schlösser etc. ausgesucht. Und nachdem alles in
ein Boot verladen war, setzten wir uns dazu und ruderten an Land. Das Boot blieb
verankert am Strand liegen, damit wir uns im Notfall bald wieder auf unserem
Schiff in Sicherheit bringen konnten.
So arbeiteten wir am Tage wacker drauf
los. nach Feierabend zogen wir uns auf unser Schiff zurück und brachten die
Nacht in alter Weise zu. Diese Eigenart unseres Verhaltens zog die Leute aus der
Umgebung an. Schon die Neugierde trieb manchen zu kommen und zu sehen, was los
war. Was sie hier sahen und hörten, sagte ihnen mehr oder weniger zu. Wir
merkten bald, dass sie Vertrauen zu uns fassten. Und nach einer Woche
Bekanntschaft war es uns möglich, zwei Männer, zu denen wir am meisten Vertrauen
hatten, zu bewegen, unsere Post nach Otjimbingue zu bringen. Man arbeitete nun
um so freudiger, und an Arbeit fehlte es nicht. Denn auch im Inneren sahen die
Gebäude ebenso zerstört aus wie nach außen. Alle Möbel waren zerschlagen,
teilweise verbrannt. Kein Fußboden war mehr ganz heil. An vielen Stellen, wo die
Banden ihr Feuer gehabt und ihre Mahlzeiten bereitet und verzehrt hatten, waren
größere Flächen in den Böden durchgebrannt. Der Feuchtigkeit an der See war es
zuzuschreiben, dass nicht alles in Flammen aufgegangen war.
Um die Häuser her sah es auch wüste genug aus. Das Meer, das
bei Flut zu gewissen Zeiten hier austritt, überspült eine weite Fläche um die
Bai her. Die Strömung reißt dann gewöhnlich von dem erhöhten Damm, nur einfach
von Wassergras und Sand hergestellt, auf dem die Häuser stehen, bald mehr, bald
weniger weg. In der unruhigen Zeit der letzten Jahre hatte sich niemand um
Ausbesserung gekümmert. Danach sah es auch ringsherum aus. Während nun die
Handwerker vom Fach die Häuser ausbesserten, machte sich die übrige Mannschaft
dadurch nützlich, dass sie nach außen die ausgespülten Stellen ausbesserte. Mit
Schiebkarren wurde Sand angefahren. Um Verbindung herzustellen, bediente man
sich des blättrigen Wassergrases, das in Lachen wächst, wo Seewasser nach der
Flut stehen geblieben ist. Es wurde mit Sand Lage für Lage aufgetragen. Ich
vergesse diese erste an sich recht schwere körperliche Arbeit in Afrika nicht.
Nie habe ich in meinem Leben vorher noch nachher sehr geschwitzt als damals. Das
Beste war, wir blieben gesund dabei.
Unser Leben verlief im übrigen an der Walfishbay recht
eintönig. Die Natur bietet hier sozusagen nichts. Weit und breit ist weder Baum
noch Strauch zu sehen. Von Verkehr war keine Rede. Die wenigen Eingeborenen in
der Umgebung hielten sich fern und kamen nicht zum Vorschein. Nur einzelne
ließen sich sehen, mit denen wir uns jedoch aus Mangel an Sprachkenntnis nur
notdürftig unterkalten konnten. Die einzige Abwechselung bot die Bai durch die
Menge ihrer Fische, namentlich Haifische. Wer sich die Zeit nahm und dem Strand
entlang wanderte, konnte sein Auge weiden an dem regen Getriebe, das sich im Wasser
abspielte. Gerne hätte man sich öfter gebadet, aber die Haie, von denen es
wimmelte, waren zu gefährlich. Etwas entfernt in der Lagune, wo das Wasser
seicht ist und sich größere Haie nicht hinwagen, haben wir hier und da eine
Schwimmtour zu machen versucht. Einen schönen Anblick hatte man täglich, morgens und gegen
Abend, an den vorüberziehenden Flamingos, Flammenreiher, die in Flügen zu
Tausenden von ihrer Lagerstelle - Pelikanpoint - über die Walfishbai auf Weide
irgendwo auszogen und gegen Sonnenuntergang nach ihrem Nachtlager zurückkamen.
Die Züge sahen durch ihr rötliches Gefieder im Vorbeifliegen unter der sie
bestrahlenden Sonne ganz entzückend aus.
Nach zehn Tagen kamen die Briefboten mit Antwort zurück. Die
Nachricht von unserer Ankunft in der Bai hatte in Otjimbingue allgemeine Freude
erweckt. Alle Hebel wollte man in Bewegung setzen, um uns bald nach dort zu
bringen. In ungefähr 14 Tagen sollte schon eine Anzahl Wagen bei uns in der Bai
eintreffen. Missionar Hahn
selbst mit seiner Frau wollte mitkommen, um uns alles weitere durch Hat und Tat
ordnen zu helfen. Da unterdessen der Lagerraum und die damit verbundenen
Wohnzimmer soweit hergerichtet waren, dass man sich wieder darin aufhalten und
sie verschließen konnte, auch keine Gefahr von außen her durch Eingeborene
drohte, so wurde beschlossen, alles was das Schiff für uns an Ladung hatte,
landen zu lassen und in den hergestellten Räumen unterzubringen, damit das für
uns gecharterte Schiff wieder zurückfahren konnte, denn je länger wir das
festhielten, um so kostspieliger wurde es für die Missionskasse. Es wurden nun
die Kisten und Kasten ect. in Booten nach dem Strande gebracht und ausgeladen.
Von da mussten wir dann die Sachen weiter nach dem ca. 300 m entfernten Lagerraum
schaffen, tragen oder was zu schwer war, rollen. Das gab wieder für einige Tage
vollauf Arbeit, bis alles an Ort und Stelle war und unsere Karawane sich
einigermaßen wohnlich eingerichtet hatte.
Sobald unsere Sachen an Land gebracht
waren, segelte das Schiff mit unserem Agenten, Herrn Ritter, wieder nach dem Kap
zurück. Vir waren nun ganz auf uns angewiesen und mussten sehen wie wir fertig
wurden. Für einen so großen Haushalt ist aber mancherlei nötig, nicht am
wenigsten auch Holz und Wasser zum Kochen, Trinken, Waschen ect. Beides fehlte
aber an der Bai. Das salzige Seewasser ist bekanntlich nicht zu gebrauchen. Der
Kapitän hat uns gütigst einige Fässer mit Trinkwasser zurückgelassen. Als wir
jedoch eines Tages eines der Fässer anbohrten, um einen Krahnen einzustecken,
explodierte es. Das Wasser war stinkend geworden und raste nun, als es Öffnung
bekam, in die Luft nach außen und Verbreitete einen so bestialen Geruch im
Lagerraum, dass wir uns schleunigst zu entfernen suchten. Unsere Wasserlage an
der Bai wurde dadurch höchst bedenklich.
Erkundigungen bei den Eingeborenen
ergaben, dass ca. zwei Stunden von der Bai, in Sandfontein, im Flussbett des Kuiseb
Wasser zu graben sei, es sei aber sehr brackig. Der Kuiseb, der alle 15 - 20
Jahre einmal abkommt, läuft dann wohl bis in die Bai. Unweit der Bai sind seinem
Lauf die unzähligen Sanddünen im Wege, durch die er sich nur noch langsam
durchwindet. Das meiste Wasser bleibt tümpelartig zwischen den Dünen stehen und
versickert im Sand. Daher kommt es, dass hier nach Jahren bei tieferem Graben
noch genießbares Trinkwasser zu finden ist. Daher wächst auch hier sehr üppig
die wunderliche Karrasstaude an den Dünen hinan und lässt sie wie grüne Hügel
erscheinen, die zu gewissen Zeiten voller kürbisartiger Früchte hängen und den
hier wohnenden Topnars sowohl durch ihren nahrhaften Saft, wie auch die
wohlschmeckenden Kerne, zur Nahrung dienen. Letztere werden sogar sackweise nach
dem Kap auf den Markt gebracht. Außerdem wächst infolge dieser Feuchtigkeit -
denn Regen fällt in dieser Gegend nur höchst selten - der Tabebusch zwischen den
Dünen, der den Bewohnern das nötige Brennholz liefert.
Um an der Bai nicht in
Wasserverlegenheit zu kommen, zimmerten wir ein Gestell, mit den eins der Fässer
wie eine Walze gerollt werden konnte. Damit begaben sich einige von uns eines
Morgens auf den Weg zu der besagten Wasserstelle. Der Unsicherheit wegen nahmen
wir unsere Gewehre mit. Außerdem Schaufeln, Eimer und Becher. Ein Eingeborener
ging mit, uns die Stelle zu zeigen. Nach ca. zwei Stunden langten wir an. Es sah
aber daselbst so wenig nach 'Wasser aus, dass wir wohl versucht gewesen wären,
erst zu wünscheln, wenn man zu der Zeit das schon gekannt hätte. Aber auf guten
Glauben fingen wir an, den trocknen Flugsand wegzuschaufeln. Wir mussten das in
großem Umfang tun, denn der Sand rieselte immer nach, so dass wir nur langsam
tiefer kamen. Endlich wurde es feucht und endlich, endlich sah man auch
Wasserspuren. Nun wurde das Loch noch erweitert. Es zeigte sich dann bald eine
schlammige, braune Wassermasse. Als sich diese nach einiger Zeit gesetzt hatte,
wurde der obere Teil abgeschöpft und in den Eimer geschüttet. Nachdem es sich
hier wieder etwas gesetzt und geklärt hatte, wurde es becherweise, bis auf den
Satz, ins Fass getrichtert. Als die Sonne zum Untergang neigte, hatten wir unser
Fass wohl voll gefüllt, aber mit einer Sorte Wasser, das wenig danach aussah,
noch weniger danach schmeckte.
Mit Jubel wurden wir an der Bai empfangen.
Besonders von den Bräuten und Missionstöchtern, die nun schon ihre Waschkleider
ins Bali wandern sahen, um sie endlich wieder einmal waschen zu können. Aber wie
enttäuscht sahen sie drein, als unser weit hergebrachtes Wasser so schrecklich
aussah und kaum zu trinken war. Glücklicherweise waren noch mehrere Fässer von
dem Kap'schen Wasser gut geblieben, so dass wir genießbares Trinkwasser
behielten. Das aus Sandfontein, das wir ab und zu holten, wurde meist für Kost,
Kaffee und Tee gebraucht, wie auch zum Spülen der Geschirre. Man gewöhnte sich
allmählich auch an seinen Geschmack. Wir waren dankbar, dass wir es haben
konnten, denn es half uns aus der Verlegenheit, in die wir sonst leicht hätten
geraten können.
Am ersten Sonntag, den wir gemeinsam an Land zubrachten,
gingen wir des Nachmittags zu dem etwa zehn Minuten entfernten Grabe des hier vor
kurzem von den räuberischen Hottentotten ermordeten Herrn Iversen, machten die
Grabstätte etwas in Ordnung, legten einige Kränze drauf, sangen ein passendes
Lied unter Begleitung. des Posaunenchors der finnischen Brüder und schlossen mit
Gebet. Es war eine ernste und bewegte, aber auch gesegnete Stunde für uns alle.
Die zu erwartenden Wagen von Otjimbingue trafen nach 14 Tagen
ein und wurden dankbar und freudig von uns begrüßt. Es war ein stattlicher Zug,
der ankam. Außer den Wagen und dem Wagenpersonal hatte Missionar Hahn an 30
bewaffnete Zwartbooi-Hottentotten zur Bedeckung für den Transport mitgebracht.
Da sich an der Bai weder Wasser noch weniger Weide für die Zugochsen findet,
musste sofort geladen und die Rückfahrt angetreten werden. Die Wagen konnten aber
nicht mal die Hälfte von dem laden, was vorhanden war. Das, was zurückblieb,
musste nun schon so lange bewacht werden, bis die Vagen zum zweiten Male kamen.
Missionar Hahn ordnete an, dass er selbst mit Frau und Tochter und den Bräuten,
sowie den jungen Missionaren zur Bewachung der Sachen an der Bai bleiben wolle,
bis die Wagen zurückkämen. Nur Bruder Irle und die Handwerkerbrüder sollten schon
mit dem ersten Transport abreisen, um sich in Otjimbingue durch allerlei Arbeit
nützlich zu machen.
Wir Zurückbleibenden waren für die Zeit des Wartens gerade
in keiner beneidenswerten Lage. Unsere Sachen konnten leicht Räuberhorden der
Umgegend anziehen, und so war ein Überfall nicht ausgeschlossen. Unser alter
erfahrener Bruder Hahn mahnte daher wiederholt zur Vorsicht. Jeder von uns musste
sein Gewehr geladen haben, besonders für die Nacht. Ich erinnere mich, wie er
eines Abends beim Rundgang in unserem Lager auch die Gewehre nachsah und großen
Radau mit uns machte, weil keiner sein Gewehr geladen hatte. Was hätten wir paar
im Schießen ungeschulten Männekens bei einem Überfall auch machen können? Man
musste sich vor allem dem Schutz des Allmächtigen anvertrauen und daran denken:
"Wo der Herr die Stadt nicht behütet, so wachet der Wächter umsonst." (Ps.127,1)

Ochsenwagenfahrt nach Otjimbingue
Nach drei Wochen stellten sich die Wagen wieder ein.
Missionskolonist Bruder Redecker war mitgekommen, seine Braut abzuholen. Er
wurde schnell mit ihr von Bruder Hahn getraut und konnte dann mit dem Zug, den er
als Conducteur leitete, zugleich mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise
machen. Mit traurigem Herzen musste dagegen die Braut von Bruder Viehe allein
abreisen, nachdem sie wochenlang sehnlichst auf ihren Bräutigam am Kap
vergeblich gewartet hatte. In aller Eile wurde nun gepackt und aufgeladen. Als
die Sachen in den Wagen untergebracht waren, suchten wir Junggesellen jeder noch
nach einem Raum zum Unterschlupf in einem Wagen. Viel Auswahl hatte man nicht,
obgleich 12 Wagen da waren, denn die meisten davon waren so genannte Bockwagen
ohne Zelt, die sich nicht für's Reisen eignen. Bis zu dreien krochen wir in
einen Wagen, breiteten so gut es ging auf Kisten und Säcken unsere
Seegrasmatratzen aus zu einer Lagerstelle. Gut, dass wir noch jung waren. Große
Strecken machten wir tagsüber zu Fuß. Aber des Nachts beim Fahren über Stock und
Stein musste man im Wagen auf dem harten unbequemen Lager aushalten und sich die
lästigen Stöße gefallen lassen. Humor und Seufzen wechselten dann ab, wenn
keiner recht schlafen konnte« Ich habe dies erbärmliche Liegen nie vergessen.
Wenn ich daran denke, wollen mir die Knochen noch wehtun.
Eine Reise von
ungefähr einem halben Jahre mit ihren Freuden und Leiden, ihren Ängsten und
Nöten liegt hinter mir. Beschwerden und Freuden zu Wasser und zu Lande, und man
weiß fast nicht recht, nachdem man so eine afrikanische Wüstenreise auf solch
eine Seereise durchgemacht, was man vorziehen sollte. Mich hat die Landreise
zwar mehr interessiert als die Seereise, wiewohl ich ihrer auch zuletzt sehr
satt wurde. Was eintönige Wesen Tag für Tag, meist nichts als Sand und Steine,
Steine und Sand, und dazu das fürchterliche Schütteln auf dem Wagen, wünscht man
nicht leicht immer. So einen Zug Ochsenwagen im Gange zu sehen lässt man sich
schon gefallen und hat mir besonderen Vergnügen gemacht. Wenn ich so auf einer
Anhöhe stand und zusah, wie so elf Wagen - vor jedem 14 - 16 Ochsen gespannt
- angezogen kamen, habe ich wohl mal an preußische Artillerie gedacht.
Es ging
freilich sehr langsam, so dass man etwas Geduld nötig hatte, aber es ging schön.
Der Staub stieg auf wie Wolken, und durch diesen Nebel sah man neben den Wagen
eine kleine Reiterei, mehrere Rehobother auf Ochsen oder Kühen mit senkrecht
stehenden Gewehren daherreiten. Hinter ihnen zog das Schlachtvieh, die
Milchziegen und dgl. her, und unter allem diesem Gewühle dröhnten stets die
Stimmen und Peitschen der Treiber. Und wenn des Nachts Halt gemacht wurde und so
ein Zug Reih und Glied fuhr, dann Wachtfeuer gemacht wurden, war es einem
eigentümlich zumute. Mit halbverschlafenen Augen sah man in stiller dunkler
Nacht, zwischen Ochsen und Wagen, schwarze und weiße Gestalten sich bewegen,
die zum Teil Kaffee, zum Teil Fleisch beim Feuer zubereiteten. Und es wäre
keinem zu verargen gewesen, wenn er auf den ersten Anblick von Gespenstern
gedacht hätte. Wir sind mit unserem Zuge auch nicht bange gewesen vor Jacobus Boois, haben wohl gemeint, wenn er noch einmal kommen wolle, möge er's jetzt nur
versuchen.
Schon in Sandfontein blieben am ersten Abend einige Wagen
stecken, darunter auch der Wagen unseres Conducteurs, was uns jungen Kerlen
großen Spaß machte. Unsere ganze Karawane musste deshalb hier übernachten, denn
man durfte sich der Unsicherheit wegen nicht trennen. Erst am nächsten Morgen
konnten die Wagen, die sich in den Sanddünen festgefahren hatten, mit je zwei Spann
Ochsen herausgezogen werden.
Die zweite Nacht schliefen wir auf der so genannten Fläche, die
einen äußerst trostlosen Eindruck machte. Während 14 Stunden Fahrens mit dem
Ochsenwagen sieht man weder Strauch noch Grashalme, noch lebende Wesen. Nirgends
Wasser. Nur Öde und Leere. Nähert man sich auf Stunden dem Meer, dann hört man
nur in weiter Ferne das gleichmäßige Tosen der Brandung. Die Fahrstraße über die
Fläche ist markiert durch die von der Sonne gebleichten Geweihe, Knochen und
Gerippe der armen Zugochsen, die auf diesem Wege beim Frachtfahren elendiglich
infolge Überanstrengung, Ermattung, Hunger und Durst umgekommen sind. Die Wagen
wurden im Rundkreis aufgefahren. Im Inneren der Wagenburg brannten die Feuer. Um
dieselben ging es rege zu. Es wurde geschlachtet, abgekocht, gegessen und
geschlafen, nachdem allgemeine Andacht gehalten war» Die meisten schliefen unter
dem Wagen. Um sie her lagen die müden Zugochsen und wiederkäuten. Die
bewaffneten Zwartboois hielten Wache. Es waren zuverlässige Leute. Ihr Stamm
hatte sich mit den übrigen Hottentottenstämmen im Kriege entzweit und sich den
Herero angeschlossen. Sie waren den Missionaren wohlwollend gesinnt und standen
ihnen gerne zu Diensten.
An darauf folgenden Tage erreichten wir Haigamchab am
Swakopfluss. Wir spannten stark eine Stunde oberhalb aus. Einige von uns wollten
den Fluss sehen oder hofften doch wenigstens Wasser zu finden, um sich wieder mal
nach drei Tagen waschen zu können. Mit Waschbecken, Seife und Handtuch folgten wir
den Spuren der Ochsen nach dem Fluss. Als wir meinten am Ziel zu sein, aber
nirgends Wasser sahen, fragten wir einen der Viehwächter, wo denn der Fluss wäre.
Er bedeutete uns, wir seien mitten drin. Aber das kann doch nicht sein, hier ist
ja kein Wasser!" O, das muss man erst aufmachen, indem man sich ein Loch in den
Sand macht." Ich habe gedacht: Ihr könnt mir gestohlen werden mit euren
afrikanischen Flüssen, in denen man womöglich erst einen Brunnen graben muss, um
Wasser zu sehen. Den armen Treibern habe ich zugesehen, wie sie die Ochsen
tränkten. Sie gruben einen Teich im Flussbett, ließen nach und nach vier bis
sechs
Ochsen herankommen, die dann, nachdem sie getrunken hatten, nach der anderen
Seite hin wieder weggingen.
Wenigstens erblickte das Auge hier am Flussbett entlang Baumwuchs,
große und kleine Annabäume und andere Holzarten, wie Tabebüsche, wilde
Tabakstauden und andere, auch wildes hochgewachsenes Ried und andere
Futterbüsche als Weide für die hungrigen Zugochsen. Die Ochsen schienen noch
alte Wasserpfützen gefunden zu haben. Diese waren aber Jetzt leer. An den
Stellen sah man noch dicken Modder, in dem die Ochsen gewatet hatten. Wir
entdeckten auch hier das Haus von Missionar Eggert, das er gebaut und eine
Zeitlang mit seiner Familie bewohnt hatte. Es war bereits am Verfallen und
machte durch seine Lage in dieser einsamen Wüste einen wehmütigen Eindruck.
Nach
einem Rasttag, den die müden abgetriebenen Ochsen nötig hatten, ging der Zug
weiter nach Husab und von da nach Dawib, die in gleicher Entfernung vom Fluss
passiert wurden. Wir wanderten auch von diesen Ausspannstellen nach dem
Flussbett
und interessierten uns, wie die Ochsen hier weideten und getränkt wurden. Es war
für die Wagenleute keine geringe Arbeit für über 200 durstige Zugochsen genügend
Wasser in dem sandigen Flussbett zu graben und die Tiere nacheinander zu
tränken. Wild stürzten sie übereinander, um zuerst nach dem Wasser zu kommen.
Erst bei der nächsten Ausspann- und Wasserstelle Riet kamen wir in nahe
Berührung mit dem Fluss. Es war für uns sehr einladend unter dem Schatten großer
Kamel- und Annabäume auszuspannen und ausruhen zu können. Aber für die Zugochsen
hatte es den Nachteil, dass sie nun umso schwerer ziehen mussten, denn die Räder
der schwer beladenen Wagen sanken tief in den feinen Flusssand und kamen nur
langsam und mit Mühe vorwärts. Zwischen Riet und dem nächstliegenden Ort, Salem,
gingen wir jungen Brüder daher lieber wieder zu Fuß den Wagen voraus. Wir
brachen morgens nach dem Frühstück auf und erreichten Salem um die Mittagszeit.
In den Ruinen des alten Missionshauses von Bruder Böhm fanden wir in einem noch
überdachten Raum Schatten zum Ausruhen.
Wir hofften, die Wagen würden bald nach
uns eintreffen, aber da hatten wir uns wieder mal verrechnet. Das Einspannen so
vieler Ochsen erfordert Zeit, und in dem tiefen Sand ging es gar langsam voran.
Bis dahin hatten wir - ausgenommen Sandfontein und Blum - meist harten Weg
gehabt, wo man schneller vorwärts kam. Es wurde Mittag, und die Wagen blieben
aus. Der Appetit stellte sich nach dem langen Spaziergang ein. An Wasser war
kein Mangel. Doch das alleine wollte den hungrigen Mägen nicht genügen. Als wir
uns so verlegen einander ansahen, nahten eingeborene halbnackte Gestalten. Es
waren Klippkaffern, die in der Nähe hausten. Die hatten uns beobachtet und
trauten sich zu uns zu kommen. Sie schienen zu merken, dass wir hungrig waren und
sahen uns eine Weile mitleidig an. Ohne ein Wort zu sprechen, das wir ja auch
nicht verstanden hätten, schlichen sie wieder davon wie sie gekommen waren.
Bald
kam ein Mann zurück und trug einen großen Kürbis. Ein Weib folgte mit einem
großen Topf auf dem Kopfe, eignes Fabrikat. Während die Frau die Feuerstelle
zurecht machte, Holz brachte und Feuer anzündete, holte der Mann Wasser herbei.
Nun setzten sich beide an den Topf, schnitten den Kürbis in längliche würfelige
Stücke und legten sie in den Topf. Als die Stücke nach einer Weile weich gekocht
waren, nahmen sie den Topf vom Feuer, stellten ihn uns Fremdlingen vor und gaben
durch Zeichen zu verstehen, dass die Kost für uns gekocht sei und wir nun essen
sollten. Dann drückten sie sich wieder und setzten sich in einiger Entfernung
nieder. Nun wurden von dem dort gewachsenen Ried kleine Stäbchen geschnitzt, mit
denen wir rund um den Topf sitzend uns die Kürbisstückchen herausspießten und zu
Gemüte führten. Es fehlte wohl Fett und Salz daran, aber es schmeckte doch. Die
guten Leute hatten getan, was sie konnten. Wo das der Fall ist, kommt es nicht
darauf an, was es ist. Dankbar gerührt waren wir über diese edle Tat, und es hat
wohl keiner von uns diese einfache Mahlzeit vergessen, die uns wildfremde
Eingeborene in Afrika bereitet hatten.
Die Wagen kamen erst spät am Nachmittag und fuhren an Salem
vorbei. Man wollte noch am selben Abend in der Kühle den schweren Sand im
Flussbett oberhalb Salem passieren. Dann sollte erst ausgespannt werden. Wir
Wanderer mussten uns wohl oder übel dem Zuge anschließen. Auch diese Abendfahrt
ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Die Ruhe der Treiber, das Knallen
ihrer Peitschen auf die Rücken der keuchenden Ochsen durchdröhnte die Nacht.
Schmerzlich wurde ich an das Seufzen, Ängstigen und Sehnen der Kreatur nach der
Freiheit der Kinder Gottes in Römer 8 erinnert. Dabei hüllte der Staub, der sich
bei dem Getriebe entwickelte, die Menschen, Tiere und Wagen derart ein, dass sie
kaum zu erkennen waren. Beim Erklimmen auf die Höhe gab's auf einmal Halt. Einer
der Wagen war an schräger Stelle umgeschlagen. Die Sachen, die er geladen, lagen
durcheinander am Boden. Der Wagen selbst war so beschädigt, dass er erst
repariert werden musste, ehe er weiterfahren konnte. Alles musste ausspannen und
auf den Wagen warten. Es war Samstagabend.
Am Sonntag war gewöhnlich auch auf
der Reise bei uns für Menschen und Tiere Ruhetag, an dem regelrecht Gottesdienst
im Freien gehalten wurde. Die Wagenleute nahmen bis auf die Viehwächter daran
teil, so auch an den Andachten an jedem Abend vor dem Schlafengehen. Das war
schöner alter Brauch» Neuerdings hat man nicht mehr Zeit für dergleichen. Jener
Sonntag konnte jedoch nicht in aller Ruhe gefeiert werden. Not, sagt man, hat
kein Gesetz. Bei Tagesanbruch wurde ein Ochse geschlachtet, dem man die Haut
abzog, sie in vier Finger breite Riemen schnitt und damit die am Wagen
beschädigten Stellen verband. Der so angelegte Verband trocknete den Sonntag
über und schrumpfte bei der afrikanischen Sonnenwärme und Wind so fest zusammen,
dass sich die Bruchstelle nicht rührte. Montag konnte weitergefahren werden. Der
so reparierte Wagen fuhr wieder mit in Reih und Glied ohne Anstand bis
Otjimbingue.
Die erste eigentliche Werft, welche wir erreichten, war Obab.
Samstagabend spät, z.T. Montagmorgen, kamen wir da an. Von Salem dahin gab es
allerlei zu sehen und zu hören. Vor einem Wagen sind die Ochsen ungezogen. Einer
legt sich in den Sand, er wil1 nicht weiter, die Treiber sind am Schlagen und
Stoßen, beißen sogar dem Tier in den Schwanz, wobei es in ein fürchterliches
Gebrülle ausbricht. Ach, wenn man da so in der Abenddämmerung oder Nacht zusieht
und zuhört, hat man wohl besondere Gefühle. Man denkt an das Seufzen der Kreatur
und bildet sich wohl ein, die Ochsen hätten hier schon mehr für die Mission
gearbeitet und gelitten als die Missionare. Und während so vor dem einen Wagen
die Ochsen nicht ziehen, ziehen sie vor dem anderen verkehrt, verfahren ihn mit
all seinen Habseligkeiten. Am andern Tage muss dann einer der Ochsen sein Leben
hergeben, Man zieht ihm die Haut ab, schneidet dieselbe in einen langen Riemen,
verbindet damit die beschädigten Stellen am Wagen, wartet einen Tag, damit das
weiche Band fest trocknet, und fort geht's über Berg und Tal, über Klippen und
Felsen.
Auf Obab ist es schön, und es macht mir Freude, in diesem
Lande mal Menschen wohnhaft zu sehen. Ihre Häuser sind klein, auch nicht sehr
fest gebaut. In der Mitte steht ein krummer oder gerader Pfahl, an dem sich
rundherum schräg stehend mehrere Äste anlehnen, die dann mit Ried und dgl.
verflochten sind. Kommt ein mehr als leiser Wind, so kann man sehen, wie Teile
der Hütte mit ihm gehen. Abends sehen sie am nettesten aus. Es brennt fast in
jeder ein Feuer statt Lampe, das dann seinen Schein durch die vielen Öffnungen
verbreitet und die Wege beleuchtet. Afrikanische Gasbeleuchtung! Auf den Häusern
ist kein Wetterhahn nötig, denn liegend auf ihren Karossen können die Leute am
Rauch und Feuer merken wo der Wind herkommt.
Mit zwei finnischen Brüdern kehrte
ich am Abend in einer Wohnung ein; musste mich bücken und stieß doch noch den
Kopf an. Bin wohl für Afrika noch zu groß. Das Hausmütterchen war sehr
freundlich, ließ immer Holz aufs Feuer legen, damit es hell blieb. Ihre Kinder
und Enkel sammelten sich vor der Hütte und sangen uns Lieder. Überhaupt hatten
wir freundliche Aufnahme hier, wohl besonders wegen der Familie Cloete, die auf
Obab wohnt. Wir hielten einige Mal Gottesdienste auf dem Platz und die Leute
hätten sehr gerne, wenn jemand da wäre, der ihre Kinder unterrichtete. Für einen
Missionar haben sie gerade nicht viel übrig. Frau Cloete sagte mir, der Platz
sei schön und gut, aber zu klein für mehr Leute. Käme ein Missionar zu ihnen, so
gäbe er nicht zu, dass sie ausschließlich nur mit soundso vielen Leuten hier
wohnen sollten. Gar nicht unvorteilhaft gedacht!
Wir hatten von Obab nur noch einige Tagreisen, eigentlich
Nachtreisen, denn am Tage ruht man gewöhnlich. Die Strecke war mühsam zu fahren,
und weil man jetzt weiter vom Flussbett entfernt ist, fehlt es an Weide und
Wasser fürs Vieh. Große Flächen, die sonst mit dürrem oder grünem Gras bewachsen
gewesen, waren jetzt der Wüste gleich. Nur hie und da stand noch ein Grashalm,
der nicht eine Beute der Heuschrecken geworden.
Von Salems Höhe erreichten wir nach ca. zwei Stunden Dieptal.
Den Ort fanden wir bewohnt von einigen Bastardfamilien mit ihren eingeborenen
Dienerschaften und einer Anzahl Bergdamara aus dem Felde. Hier sah ich die
ersten Hütten (Pontoks), wie sie hier zu Lande die Eingeborenen bauen und
bewohnen. Sie machten einen armseligen Eindruck samt den Bewohnern. Man macht
sich zu Hause kaum einen Begriff davon, wie einfach und genügsam diese armen
Leute wohnen und leben. Die meisten gehen fast nackt einher, nähren sich dürftig
von Feldkost und zuweilen etwas Gartenfrüchten. Sie lassen sich damit begnügen
und sind zufrieden, weil sie es nicht besser wissen und kennen.
Von Dieptal aus führen zwei Wege nach Otjimbingue, der
so genannte Flussweg und der obere Weg. Der letztere ist der kürzere und
leichtere, aber recht uneben und klipperig, hat aber nicht den anhaltend
schweren Sand wie der Flussweg. Man zog es vor, den leichteren zu wählen, zumal
die meisten Zugochsen zum zweiten Male den Weg nach der Bai gemacht hatten und
schon recht mager und abgetrieben waren. Zunächst führte der Weg durch ein enges
Tal, in dem noch tiefer Sand das Fortkommen erschwerte. Nachdem die Fläche
erreicht war, ging es wohl leichter für die Ochsen, aber wer beim Fahren im
Wagen bleiben wollte, musste sich manchen unliebsamen Kopf- und Rippenstoß
gefallen lassen. Der eine und andere klagte bei Bruder Hahn über diesen
abscheulichen Weg, Doch er sagte halb ironisch zum Trost: "Wartet nur, es kommt
noch besser", er meinte natürlich schlimmer. Der Schlote, in die jedes Mal der
Wagen hineinschoss, waren unzählige, sie wollten kein Ende nehmen.
Nach einigen
Stunden Fahrens sah man die vordersten Wagen wieder haltmachen. Es war vor der
so genannten Springbank. Hier konnten die Wagen nicht dicht hintereinander weiter
fahren. Jedes Mal, wenn ein Wagen glücklich die Springbank hinuntergesaust war,
mussten die zum Wagen gehörenden Leute zunächst den Teil der Sachen und
Sächelchen, namentlich die Wasserfässer, die bei der Erschütterung des Wagens
herunterpolterten, wieder zusammensuchen und aufladen. Erst dann konnte ein
anderer Wagen folgen und dasselbe Schicksal teilen. Es dauerte somit über eine
Stunde, ehe die Springbank passiert war. Und jeder Treiber schätzte sich
glücklich, wenn er mit seinem Wagen und Ochsen heil davongekommen war. Man kann
es verstehen, dass daher dieser Weg nur höchst selten gefahren wurde.
Die nächste
Ausspannstelle war Tsaobis (später Wilhelmsfeste, jetzt als Farm Kaltenhausen
genannt). Das letzte Ende des Weges fanden wir etwas manierlicher. Tsaobis
selbst ist eng von Felsen eingeschlossen. Die Wagenleute entdeckten bald eine
große Schlange. Mit Vergnügen jagten sie dahinter her, bis sie sich in einen
Felsspalt flüchtete. Der barg sie jedoch nicht ganz. Ein Teil hing vor und blieb
sichtbar. An dieses Ende schlüpften die Leute Ochsenriemen, die vom Felsen her
zum Boden reichten. Und nun wurde sie unter großem Lärm hervorgezogen. Jedes Mal,
wenn ein Stück weiter zum Vorschein kam und sich bewegte, dachte jeder, sie käme
schon heruntergekollert. Und alle rannten davon. Nach mehreren Versuchen hatte
man es erreicht. Sie schlug so lang sie war von der Höhe auf den Boden. Nun war
das Geschrei erst recht groß. Sie kam jedoch nicht wieder. Viele Hunde, sagt
man, sind des Hasen Tod. Auch infolge der Riemen an dem Schwanze konnte sie
nicht schnell genug von der Stelle kommen. So endete sie bald unter Schlägen und
Steinwürfen. Sie maß zwölf Fuß.
Von
hier aus erreichten wir nach fünf Stunden Otjimbingue. Der Platz liegt zwar auch in einer großen weiten Fläche und hat wenig
Reizendes, doch macht das schöne Kirchlein, Schulhaus und andere Gebäude einen
mehr heimatlichen Eindruck. Wir wurden mit Schießen und
Glockengeläut freudig empfangen. Die Reise von Barmen bis Otjimbingue
hatte sechs Monate Zeit für uns in Anspruch genommen, vom 21. Oktober 1868 bis 23.
April 1869. gleich für den Anfang eine reichlich bemessene Geduldsprobe in
unserer Missionslaufbahn.
Bei
all dem Mangel an Weide halten sich noch ziemlich viel Herero hier auf. In der
Kirche sieht man immer eine hübsche Anzahl Zuhörer, ebenso in der Schule.
Gottesdienste sind reichlich am Sonntag, weil sozusagen zwei Gemeinden bestehen und
jede in ihrer Sprache hören soll. Ich kann von der Hereropredigt noch nichts
verstehen, wiewohl ich immer dabei in der Kirche sitze und nicht sehr schlecht
aufpasse. Im Holländischen geht's besser, da verstehe ich schon etwas und suche
mich auch selbst verständlich zu machen. Hoffentlich wir's sich auch im Herero
nach und nach machen. Ich habe ja an Bruder Hahn einen guten Lehrer in dieser
Sprache, der mir mit den finnischen Brüdern wöchentlich vier Stunden gibt und auch
dafür gesorgt hat, dass ich in praktische Übung gekommen bin. |