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Reisepläne und Reisen mit Hindernissen 1868/69

Von Philipp Diehl

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Inhalt

Abreise mit Hindernissen

Es war am 30. Juni 1868, als Propst Lirelius, Direktor der Finnischen Missionsgesellschaft, mit sieben jungen finnländischen Missionaren im Barmer Missionshaus ankam. Ihr eigentlicher Bestimmungsort war Amboland, wo sie mit den Sendboten der Rheinischen Mission eine neue Mission beginnen sollten. Die Anregung dazu hatte Missionar Hugo Hahn gegeben, der zu dem Zwecke im Jahre 1866 eine mehrmonatige Missionsreise durch Amboland bis zum Kunene gemacht und unter den zahlreichen Ovambostämmen und deren Häuptlingen freundliche Aufnahme gefunden hatte. Man bat überall um Missionare, wollte Hahn sogar schon gleich dort behalten. Alle Vorbedingungen für ein erfolgreiches Missionsunternehmen im Amboland schienen nach Hahns Urteil vorhanden zu sein. Vorläufig sollten sich die jungen Finnländer solange in Barmen aufhalten, Englisch und Holländisch lernen und andere nützliche Kenntnisse für ihren Missionsberuf sich anzueignen suchen, bis die im Missionshaus mitauszusendenden Brüder ihren Kursus vollendet und ordiniert waren. Es kamen dabei die Zöglinge des ältesten Jahrgangs in Betracht, Dubiel, Irle und Diehl.

Während man so im allgemeinen Vorbereitungen traf, lief eine Hiobspost nach der anderen aus Hereroland ein, die alles wieder in Frage zu stellen schien. Man berichtete: Die Fehden zwischen den gelben und schwarzen Stämmen seien heftiger als jemals ausgebrochen. Otjimbingue sei abermals von Jan Jonker und seinen Genossen überfallen worden. Den Angriff hätte man diesmal nur mit Mühe abgeschlagen. Die Missionare seien in höchster Gefahr gewesen, gerade auf sie hätten es die Feinde abgesehen gehabt. Die Feinde hätten sich nachdem der Küste zugewandt, hätten Scheppmansdorf ausgeraubt und Missionar Eggert, der dort zugleich als Agent die Verbindung zwischen Walfishbay und Otjimbingue aufrechterhielt, verjagt, nachdem sie ihn völlig ausgeplündert hatten. Mit Not und unter größter Lebensgefahr habe er sich nach Sandwichharbor flüchten können, wo er ein Schiff vorgefunden, das ihn nach dem Kap gebracht. Jan Jonker erklärte Missionar Eggert, er werde nicht eher ruhen, als bis er alle Weißen aus dem Lande verjagt habe. Nach Scheppmansdorf überfiel er Walfishbay, zerstörte und plünderte dort die Warenhäuser, ermordete einen weißen Aufseher, andere entkamen mit knapper Not dem Schicksal. Die im Inneren wohnenden Missionare waren somit völlig vom Meer abgeschnitten und die Besorgnis lag nahe, dass die Räuberbande, da sie nirgends Widerstand fand, sich auch Otjimbingue bemächtigen, unsere Brüder töten und die Station zerstören möchte.

Diese Schreckensnachrichten schienen alle Aussichten auf Erfolg für das geplante Vorhaben wieder in Frage zu stellen. Man beriet hin und her, aber guter Rat war teuer. Die finnischen Brüder blieben inzwischen im Missionshaus. Der Propst reiste nach vier Wochen nach Finnland zurück mit der ernstlichen Erwägung, ob er nicht seiner Gesellschaft raten solle, völlig von Afrika, wenigstens von Damara Amboland abzusehen und etwa auf einer Inselgruppe des Indischen Ozeans ihre Mission zu beginnen. Im Oktober kam Propst Lirelius nach Barmen zurück. Er fand die Sachlage wenig verändert. Aber nachdem er sich mit seinem finnischen Komitee beraten, erklärte er, längeres Warten sei nicht möglich. Die jungen Männer, die nun schon seit vier Monaten im Missionshaus gewartet hätten, müssten notwendig weiterziehen, wenigstens bis nach dem Kapland. Bis sie dort hinkämen, könnten sich im Damaraland die Dinge schon geändert haben, und im schlimmsten Falle könnten sie vom Kap aus noch nach jedem anderen Missionsgebiet dirigiert werden. Da nun unter allen Umständen für die finnischen Missionare die Schiffspassage bestellt werden sollte, so konnten auch die Rheinischen nicht wohl zurückgehalten werden. Die Instruktion der Deputation wies ihnen Südafrika als Arbeitsgebiet zu mit dem Zusatz: evtl. Niederländisch-Indien.

Am 21. Oktober 1868 traten sie zusammen die Reise an. Es waren sieben finnische Missionare: Björklund, Juvelin, Malmström, Weikolin, Kuvinen, Rautanen, Tolonen mit drei Kolonisten: Hainanen, Juntunen und Piirainen. drei Rheinische Missionare: Dubiel, Irle und Diehl. Außerdem drei Bräute, die Braut von Bruder Viehe, Bruder Redecker und Bruder Schrenk, 16 Personen. Herr Kämpfer aus dem Missionshaus begleitete uns bis London.

Unsere ausnahmsweise große Zahl von Missionsgeschwistern, die in diesem Jahre zusammen hinausziehen durften, gab Veranlassung, dass das Scheiden aus der Heimat bedeutend erleichtert wurde, erweckte aber auch zugleich Besorgnis in manchem Herzen. Man fühlte, welche Macht ein solcher Haufen Christenvolk in sich barg, wusste jedoch auch nicht minder, wie wahr die Worte auch inbezug auf Kinder Gottes sind: Viele Köpfe, viele Sinne. Doch der Herr ist voll von Geduld und Erbarmung und bekennt sich zu seinen Kindern, trotz ihrer mannigfachen Gebrechen. Wir erfuhren in Wahrheit bei aller Verschiedenheit, dass wir eine Macht bildeten, und dämpften deshalb durch Loben und Danken die etwaigen Töne der Klage. Beim Abschiednehmen von der lieben Missionsgemeinde des Missionshauses waren wir - wie bekannt - guten Mutes, und es war wenig davon zu merken, dass unsere Zukunft so sehr dunkel vor uns stand, und wir schieden wohl auf Nimmerwiedersehen. Nachdem der Zug von Barmen abgefahren, ertönten die Gesänge der munteren finnischen Brüder und erweckten aufs Neue freudige Stimmung in den Herzen der Deutschen.

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Von Barmen nach London

In Wesel, wo wir nachmittags ankamen, nahmen uns Missionsfreunde liebevoll auf, veranstalteten für den Abend ein Abschiedsfestchen, wobei es recht gemütlich herging. Am Schluss überreichte man jedem von uns eine Bibel als "Kompass" auf der Reise. Reich gesegnet und mit dankerfülltem Herzen verließen wir am 22. Wesel und bestiegen noch an demselben Tag ein Schiff in Rotterdam. Es war ein schöner Abend, als wir von dort abfuhren. Und da die Seefahrt für uns etwas Neues war so sah man alle wohlgemut ihrem baldigen Schicksal entgegengehen. Die Sonne neigte sich bald, und mit ihr schien jede Hoffnung auf eine gute Überfahrt zu Grabe getragen zu sein.

Das Schiff begann in solchen Maße zu schaukeln, dass bald das Essen, Trinken, Stehen und Gehen beschwerlich wurden. Die lieben Schwestern ließen eine nach der anderen die Köpfe hängen und wünschten allerlei Mittel, um von ihrem Unwohlsein loszukommen. Dabei wurden sie von einigen ihrer Brüder herzlich ausgelacht und auf bessere Zeiten vertröstet. Morgens früh kamen wir an der englischen Küste in Harwich an, und als sämtliche Sachen revidiert waren, fuhren wir mit der Bahn nach London. Daselbst war in einem deutschen Gasthaus Quartier besorgt, in dem wir bis zur Abfahrt unseres Schiffes, den 27. Oktober 1868, verweilten.

Da die Zeit des Aufenthaltes kurz war und man doch etwas von den Großartigkeiten Londons sehen wollte, so wurde beschlossen, den Tag nach unserer Ankunft im Krugstall-Palast zuzubringen. Samstag hielten wir uns also dort auf und bewunderten das Bewundernswerte. Sonntags gingen wir "Engländer" in die St. Pauls-Kirche und versuchten, wie weit unser Verständnis im Englischen reichte. Die Deutschen nahmen vorlieb mit deutschem Gottesdienst und standen sich wohl am besten, obgleich erstere sich rühmten, die St. Pauls Kirche gesehen zu haben.

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Die große Seereise beginnt

Des Mittags war der Nebel so stark, dass während des Essens Gas gebrannt wurde. Montags bereiteten wir uns zur Abreise vor, die am Dienstag erfolgte. Getrost und freudig begaben wir uns auf den Weg zu unserem Schiff, "Cape-City" genannt. Die Schwestern sahen zwar was sauer drein und mussten sich gefallen lassen, dass man ihnen sagte, sie möchten doch warten mit der Seekrankheit, bis sie auf dem Meere seien. Außer uns fanden sich vier Passagiere auf der "Cape-City" ein, teils Engländer, teils Holländer, dazu zwei Kinder.

Nachdem alle an Bord waren, bewegte sich die Barke am Dienstag, den 27. Oktober 1868 langsam aus dem Dogg bis zur Themse, wo sie von einem Dampfboot in Empfang genommen wurde. Bald waren wir nun den Augen der Zuschauer entzogen. Unserem lieben Herrn Kämpfer, der uns nach allen Seiten hin den Verlauf der Reise bis jetzt erleichtert hatte, winkten wir noch längere Zeit zu. Aber endlich entschwand auch er unseren Augen. Geheime Wehmut durchzog in diesen Augenblicken die Herzen. Selbst der Mutigste konnte sich ihrer nicht erwehren. Die mancherlei neuen Gegenstände nahmen jedoch unsere Aufmerksamkeit in Anspruch und verscheuchten das Nachgrübeln über Vergangenes und Zukünftiges. Gegen Abend ging der Steamer zurück, und wir blieben an der Themsemündung vor Anker liegen.

Da es uns von dem Kapitän erlaubt war, gottesdienstliche Handlungen auf dem Schiff vorzunehmen, so wagten wir es, an demselben Tage Andacht zu halten und zwar in der Weise, dass zunächst ein Abschnitt deutsch, dann finnisch, gelesen und ebenso deutsch und finnisch gebetet wurde. Die erste Nacht war es recht kühl auf dem Schiff, und weil der größere Teil von uns noch keine Decken besaß, so wurde sie fast schlaflos zugebracht.

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Kreuzfahrten im Kanal

Unter stürmischem Wetter verweilten wir in der Nähe der englischen Küste, bis sich am 29. Oktober 1868 der Wind günstiger zeigte. Doch nur eine Weile. Unweit der Küste zwischen Deal und Dover musste abermals Anker geworfen werden. Das furchtbare Schwanken des Schiffes hatte dazu beigetragen, dass an diesem Tage schon viele von uns den Speisetisch, nicht aber das Bett verließen. Doch war unsere Zahl von Gesunden und Halbgesunden am Abend noch so groß, dass wir Andacht halten konnten. Dieselbe hat von da an ausfallen müssen, weil fast alle an der Seekrankheit daniederlagen. Von uns 18 Personen waren einige nur drei bis vier Tage am Tisch, jetzt beginnt es wieder lebendig zu werden. Die geehrten Schwesterlein stellen sich aber noch recht elend und hüten meist das Bett.

Wie klein und winzig kommt man sich vor in einer solchen Nacht, wo man schlaflos auf hoher See von Sturm und Wellen herumgeworfen wird und eben mit knapper Not einen Hafen erreicht, wie dankbar ist man da für Gottes gnädige Bewahrung. Vor uns war ein Schiff beim Einlaufen auf Felsen gestoßen und gestrandet. Es sank vor unseren Augen in die Tiefe. Die See war so unruhig, dass selbst bei der größten Anstrengung nur wenig für die Schiffsbrüchigen geschehen konnte. In weiteren verlief die Reise verhältnismäßig schnell und gut. Nur unter der Linie hatten wir einige Tage lang totale Windstille und wurden von Hitze und Durst arg gequält und in der Geduld geübt. Das Schiff kam nicht von der Stelle, schwankte wie ein Betrunkener hin und her, legte sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite, obgleich die Oberfläche des Wassers spiegelglatt war. Aber das Heer ist ja in seinem Inneren nie ganz ruhig und ohne Wallungen. Und ein Segelschiff kann nicht dagegen angehen, und wackelt daher bei Windstille hin und her ohne Halt, wie eine Nussschale auf dem Wasser.

Ich habe auf späteren Reisen von Walfishbay nach Capstadt zuweilen den Kapitän bei Windstille fuchswild gesehen. Er ging pfeifend nach 'Wind auf Deck auf und ab, fluchte und wetterte nicht am wenigsten über die Missionsleute, die mitfuhren, denn sie waren an dem allem Schuld. Man vergisst daher bei Reisen mit Segelschiffen die windstillen Tage fast ebenso wenig wie die stürmischen, zumal auch dabei die Geduld der Reisenden so sehr in Anspruch genommen wird.

Aber alle Bemühungen liefen darauf hinaus, dass wir nach vielem Hin- und Herfahren am 3. November 1868  einen kleinen Hafen zwischen Porthmouth und dem östlichen Teil der Insel Wight aufsuchen mussten, um vor Gefahren, die uns durch immer stärker werdende Stürme bevorstanden, gesichert zu sein, Hier lag das Schiff vor Anker bis zum 6. November 1868, als der Wind besser wurde. Dann fuhren wir Wight entlang, und wer ein Fernrohr besaß, benutzte es, um die schöne Insel und die an ihren Ufern gelegenen Städte recht beobachten zu können.

Es wurde empfindlich kalt an diesem Tage. Wer Handschuhe hatte, suchte dieselben auf. Mit der Kälte stiegen die Wellen und schlugen gewaltig über Deck. Das Schiff wiederholte sein altes Schaukellied und führte aufs Neue die Seekrankheit für viele herbei. Dieser üble Gast, dem die Schwestern über drei Wochen ihre Komplimente machten, sowie überhaupt die öfters am Anfang der Reise eintretenden Stürme veranlassten, dass alle Tätigkeit auf dem Schiffe der Unregelmäßigkeit unterlag.

Die Andachten fielen oft aus, ja mussten getrennt werden, weil sie den finnischen Brüdern nach der bisher gehaltenen Weise nicht zweckmäßig erschienen. Sie wandten ein, dass unsere gemeinschaftlichen Andachten für manche auf dem schwankenden Schiffe bei aller Kürze doch zu lange anhielten und dass wir Deutschen ja doch nicht ihre Sprache verstünden, und sie teilweise nicht die unsere. Wiewohl diese Gründe etwas für sich hatten, so wünschten wir dessen ungeachtet, wie bisher fortzufahren. Es lag uns daran, ein Band der Gemeinschaft zu binden und fester zu binden, und wir meinten, diese Art Andachten könnten ein Mittel zu diesem Zwecke werden. Es war ja hier Gelegenheit geboten, sich nach und nach aneinander zu gewöhnen. Auf wiederholtes Bitten gaben wir unsere Zustimmung zur Trennung. Die finnischen Brüder begannen ihre Andachten und Gottesdienste in einer ihrer Kabinen zu halten, wo sie ungestört waren. Solche Abgeschlossenheit lieben sie und ist, wie es mir scheint, einer ihrer Erbfehler. Die aber nur selten vorkommenden Störungen in Gegenwart der übrigen Passagiere mögen zu ihrem Entschluss mit beigetragen haben. Ob Konfession auch? Ach wie oft dachten wir schon an unsere Barmer Schule! Nichts geht über Freiheit, in der man sich doch gebunden fühlt.

Ich habe schon gedacht, wenn die Missionsfreunde in Praxis eine solche achttägige Fahrt durch den Kanal machten, sie würden daraus schon einen kleinen Begriff von den Nötchen und Entbehrungen bekommen, welche denen, die hinausziehen, auf dem Fuße folgen. Sie würden dankbarer erkennen, was ihnen in der Heimat geschenkt und mit mehr Wärme derer gedenken, die sich um ihres Herrn willen den Stürmen und Gefahren allerlei Art preisgeben. Doch ich will nicht Bemerkungen machen, die wenig Zweck haben bis jetzt und auch ferner schauen wir vertrauensvoll auf unseren treuen Gott. Er wird alles wohl machen. Es muss dies erfahren sein, bevor man's recht glauben und beherzigen kann. Für die eigne Person trägt man den größten Gewinn davon. Man wird in solchen Lagen recht dankbar für das Kleinste, schmiegt sich seinem Heiland enger an und kommt durch das Los - werden vom Kreatürlichen immer mehr in seine Gemeinschaft.

In mancher Beziehung haben wir auf unserem Schiff großen Vorzug. Der Kapitän ist ein Mann voll Charakter, der allzeit, wenn es gilt, am Platze ist. Und wie er sind die Matrosen. Alles hat Takt, so dass es eine wahre Freude ist, zuzusehen. Auf sein Kommando gehorcht der Kleinste bis zum Größten. Gegen unsere Andachten, die nur einige Male gehalten wurden, hat er nichts zu erwidern. Er sitzt dabei und hört zu, wenn auch mit geringer Aufmerksamkeit. Es ist schade, dass von uns keiner der englischen Sprache so mächtig ist, um nach dieser Seite etwas tun zu können. Ich habe ihn, den Kapitän, gebeten, mich besser englisch zu lehren, ich wollte ihn dafür deutsch lehren. Er hat gelacht und gemeint, sein Kopf sei dicke genug.

Sonntagsgottesdienst konnte wegen der vielen Kranken noch nicht gehalten werden. Der vergangene Sonntag hat uns alle deshalb recht an die Heimat erinnert. Für einen geordneten Stundenplan ist noch nichts Entscheidendes getan. Es wird gewartet werden müssen, bis wir aus dem Kanal sind. An die englische Kost hier auf dem Schiff können sich die Brüder, besonders aber die Schwestern, nur schwer gewöhnen. Der Appetit wird - wie ich hoffe - schon anbeißen werden. Das Schiff, welches sich in Not befand, ist während dieses Schreibens versunken. Man sieht nur die Spitzen der Masten noch hervorragen. Im Ganzen ist also alles bei uns noch in ziemlicher Ordnung. Der Gedanke, dass vieler Gläubigen Gebete und begleiten, lässt mich auch für die Zukunft das Beste erhoffen.

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Von Meidera zum Äquator

Von uns sind die Andachten und Gottesdienste allezeit im Salon gehalten worden, wo wir je länger, je weniger gestört wurden. Unser Doktor versuchte es einige Male des Abends, wenn wir lasen oder beteten, Skizzen zu entwerfen, aber unsererseits wurden die Augen dabei nicht zugehalten, denn das hätte ja schlechte Skizzen gegeben; wir dachten vielmehr an Ihren Rat, dass es nämlich gut sei, beim Beten und dg1. die Augen offen zu haben. Dieses blieb nicht fruchtlos. Ein klarer, ernster und doch mitleidsvoller Blick während des Singens, Lesens und Betens schien ihn so zu schlagen, dass er nach zwei Abenden beschämt seinen Unsinn aufgab und die Sache liegen ließ.

Die Andachten wurden ähnlich gehalten wie im Missionshaus. Morgens lasen wir die Losung der Brüdergemeinde und einen Psalm, abends die Apostelgeschichte, Je weiter sich das Schiff dem Süden zuwandte, desto ruhiger fuhr es dahin. Die Kränklichkeit verlor sich unter uns. Wir waren imstande, geregelt englisch und holländisch zu treiben, woran auch die Schwestern Anteil nahmen. Dem Mittelländischen Meer gegenüber wurde es jedoch nochmals recht stürmisch. Die Nacht vom 13. zum 14. November 1868 wehte der Wind so stark, dass mehrere Segel zerrissen.

Große Freude machte es uns, ab 16. November 1868 die Insel Madeira zu sehen. Alles nahm von nun an eine lieblichere Gestalt an. Die Tage wurden länger, die Kräfte der Patienten mehrten sich. Auch kleine Ungezogenheiten fingen an, unter dem jungen Volke aufzutauchen. Sie kletterten den Mast hinan und übten sich im Turnen. Selbst unser kleiner holländischer Israelit, den wir an Bord hatten, wagte es, den hinteren Mast zu besteigen, stellte sich aber dazu wie ein Jude an. Kaum war er oben, so kam ein Matrose, stieg ihm schnell mit einem Strick nach, um ihn an die Luft zu setzten. Aber da hätte man die Bewegungen sehen sollen, ohne Mütze und Schuhe kam der kleine Mann auf dem Verdeck an und freute sich wenig seines glücklichen Entkommens.

In der heißen Zone gab es manches Interessante zu beobachten. Fische, sowohl schwimmende als fliegende, ließen sich in großer Anzahl sehen. Besonders schön war an gewissen Abenden der Untergang der Sonne. Am fernen Horizont sah man sie in das wie Silber glänzende Meer untertauchen und ihre Strahlen auf eine Schicht von Wolken zurückwerfen, die dann in malerischem Farbenspiel prangten. Dazu kam das Meeresleuchten. Oft waren wir am Abend an Bord gestanden und haben dieses Wunder angestaunt. Ob es Elektrizität ist, das sich nur an solchen Stellen zeigt, wo Bewegung stattfindet, oder ob es kleine leuchtende Tierchen sind, scheint selbst bei den Gelehrten noch fraglich zu sein« Die Abendstunden wurden meist mit Unterhaltung und Gesang auf dem Vordeck zugebracht. Manchmal schliefen hier welche ein und lagen des andern Morgens noch. War Mondschein, dann weckte der Steuermann die Schlafenden auf, weil er befürchtete, sie möchten einen Mondstich erhalten. Wir dachten hierbei an die Psalmstelle "dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts".

Am 14. Dezember 1868 passierten wir die Linie (Äquator). Es sollte hier wie gewöhnlich nach dem Wunsche der Matrosen das Neptunfest gefeiert werden. Weil nun diesmal keine Passagiere getauft werden durften, außer dem Juden, welcher sich freiwillig einstellte, so hielten die Matrosen unter sich das Fest. Zunächst füllten sie alle Eimer mit Wasser und lockten den schmutzigen Koch hervor, der sich, als er merkte, was geschehen sollte, in einen Winkel des Schiffes flüchtete und daselbst fast ersäuft wurde. Dann ging's unter ihnen selbst toll zu.

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Weihnachten 1868 auf der "Cape-City"

Kurz vor Weihnachten übten wir in Gemeinschaft der finnischen Brüder mehrere Lieder ein. Auch für gemischten Chor konnte wegen der Schwestern etwas getan werden, so dass wir am Weihnachtsabend ein förmliches Programm aufsetzten und dasselbe der Reihenfolge nach ausführten. Finnen, Deutsche, Lutheraner, Reformierte und Unierte saßen abends acht Uhr beieinander um zwei geschmückte Christbäume, lasen biblische Abschnitte alten und neuen Testament, sangen abwechselnd ihre Lieder im Männer- und gemischten Chor, hielten Ansprachen und vergaßen bei diesem fröhlichen Zusammensein beinahe, dass sie auf den Wogen des Meeres waren. Zum Schluss wurden noch kleine Geschenke verteilt, welche große Freude bereiteten.

Unserem Kapitän schien die Sache gefallen zu haben, denn er ließ uns sämtlich am nächsten einladen, traktierte Wein und allerlei Früchte, wobei wir einige Lieder sangen. Der günstige Wind seit Sonntag, dem 27. Dezember 1868, rief die Hoffnung wach, Dienstag das Cap zu erreichen. Aber an bestimmten Tagen stellte sich Gegenwind ein, und alle Hoffnung schien zu schwinden. Die Wellen schlugen so hoch über Deck wie fast noch nie. Gegen Mittag jedoch erblickten wir Land, und am Abend waren wir der Küste Afrikas nahe. Der Wind hatte sich gelegt und der Mond schien hell. Warme afrikanische Luft wehte schon auf dem Schiffe. Die vor uns sich erhebenden Gebirge sahen kahl und öde aus, aber über ihnen leuchtete das südliche Kreuz. Nachts zwei Uhr lief die "Cape-City" im Hafen ein.

Auf der ganzen Reise sind wir recht glücklich gewesen. Wir können nur loben und danken. Einigen von uns hat es in Hinsicht der Kost nicht recht gefallen wollen. Aber wer kann es jedem nach seinem Geschmack recht machen! Wird der Finger gereicht, bald soll's die Hand sein. Das gemeinschaftliche Verhältnis zwischen uns und den finnischen Brüdern ist während der Reise nicht vermindert worden, sondern im Gegenteil. Zu dem Studieren der mir wohl unvergesslichen Abschiedsworte "habt Salz bei euch und habt Friede untereinander" haben die Nahen mehr Veranlassung gegeben als die Fernen.

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Erholung in Stellenbosch

Nach 65-tägiger Fahrt kamen wir am 27. Dezember 1868 wohlbehalten in Capstadt an. Voller Freude begaben wir uns aufs Vordeck, um die Capstadt zu sehen. An Schlaf war kaum mehr zu denken. Unter Jubel und Gesang standen die Matrosen an den Rahen und befestigten die Segel, und mit freudestrahlenden Augen spazierten wir einher. Als der Tag kaum angebrochen, wurde schon vom Cap aus nach uns gefragt. Ungefähr acht Uhr kam ein stattlicher Mann, von Herrn Voß mit einem großen Kahn geschickt, um uns ans Ufer zu befördern. Unterwegs begegnete uns ein Kahn, in dem drei Männer saßen. Der eine redete uns deutsch an, und bald erkannten einige, dass es Missionar Lückhof war. Er fuhr mit retour und half unsere Sache ordnen.

Wir erfuhren zu unserer Überraschung und großer Freude, dass sich die Dinge im Hereroland wesentlich gebessert und unserer Weiterreise nach Walfishbay nichts im Wege stünde. In Kapstadt hielten wir uns nicht auf, sondern reisten sofort mit der Bahn nach Stellenbosch.

Herr Ritter war mit den Brüdern Lückhoff, Terlinden, Alkeit und anderen Freunden am Bahnhof. Sie nahmen uns sehr liebevoll auf und hatten auch ziemlich gute Botschaft aus dem Norden mitzuteilen. Im ganzen, so sagte man, sei es ruhiger geworden. Die 70 Mann Rehobother, als Verteidiger von Otjimbingue, hätten wieder zurückgehen können, indem die Namaqua unter sich selbst im Krieg verwickelt seien. Neu-Barmen soll verlassen sein. Bruder Brinkers Leute sich mehr nordwärts befinden. Er selbst glaubt, man sei noch auf Otjimbingue. Bruder Hugo Hahn wird innerhalb 14 Tage am Cap erwartet. Unser Hinaufziehen nach dem Damaraland wird sich, da noch manches einzukaufen ist, noch einen Monat hinausschieben. Bruder Daniel kann vielleicht bald abreisen.

Mit alten Brüdern und mit Herrn Ritter, dem Agenten unserer afrikanischen Mission, wurde über unsere Weiterreise beraten. Nachdem alles eingehend in Erwägung gezogen war, kam man dahin überein, eigens für den Zweck ein Küstenschiff zu mieten, das uns im Februar nach Walfishbay bringen sollte, und die Brüder in Otjimbingue davon zu benachrichtigen, dass wir etwa Mitte Februar mit unserer Karawane in Walfishbay eintreffen würden, man möge für die Zeit Wagen dahin besorgen, die uns mit unseren Sachen abholten. Diese unsere Vorhaben und Wünsche wurden den Brüdern brieflich mitgeteilt. Der erste Fischkutter (kleiner Segler), der im Januar nach dem ca. 60 km südlich von Walfishbay gelegenen Sandwichhafen zur dortigen Fischerei absegelte, nahm die Post bis dahin mit. Zugleich ein Schreiben an den Leiter der Fischerei mit dem Auftrag, unsere Briefe unverzüglich weiter nach Otjimbingue zu befördern, was es auch kosten möge, wir stünden dafür ein. Es handele sich nur darum, dass wir bei unserer Ankunft in Sandwichhafen evtl. Walfishbay, etwa Mitte Februar, Antwort auf unsere Briefe vorfänden.

Damit war alles den Umständen gemäß vorläufig weislich geplant. Wir ließen es uns nun gerne gefallen, in dem schönen Stellenbosch bei den Geschwistern einen Monat der Ruhe zu pflegen. Die lange beschwerliche Seereise, die wir überstanden hatten, gab uns ein gewisses Recht dazu und die Umstände geboten es obendrein. In Stellenbosch fehlte es uns an keinem Guten. Der Ort ist eine Oase in der Wüste. Die Anlagen sind prachtvoll und erfreuen beim Anblick Herz und Gemüt. An den geraden breiten Straßen entlang stehen regelrecht große kernige Eichen auf beiden Seiten. Ein kristallklarer Bach fließt daran vorbei, der, sowie auch die Gänge an den Straßen, von den Eichen überschattet werden. Selbst in der heißen Mittagszeit lässt es sich hier mit Lust wandern, da von den frischen grünen Blättern der dichtbelaubten Eichbäume die Strahlen der Sonne gemildert worden. Diese Anlagen muss man gesehen haben, um sie entsprechend würdigen zu können. Zwischen und hinter den Häusern sieht man wohlgepflegte Gärten voll von Obstbäumen, an denen tropische Früchte aller Art im Überfluss wachsen. Wir haben uns die Zeit über gütlich daran gelabt.

Was aber für einen aus Deutschland kommenden Missionsfreund Stellenbosch besonders lieb und wert macht, ist das christliche Gemeinschaftsleben und die sonntäglichen schönen anregenden Gottesdienste. Wir fühlten uns wie zu Hause. Trotz der Verschiedenheit der Rassen, die hier miteinander wohnen, gewahrt man keine Disharmonie. Außer den genannten Brüdern war es die verwitwete Schwester Kähler, die hier besonders unter dem weiblichen Geschlecht einen guten Einfluss ausübte, auf Farbige und Weiße, denen sie gleich gern in Liebe und Aufopferung diente.

Während unserem Aufenthalt in Stellenbosch hatten wir auch Gelegenheit, den von Schepmansdorf mit seiner Familie geflüchteten Missionar Eggert kennen zu lernen, der uns mancherlei von seinen traurigen Erlebnissen mitteilte. Er hatte den Mut für Afrika verloren und reiste in der Zeit nach Amerika.

Alles, was wir bis jetzt gesehen und gehört haben, hat Mut eingeflößt und den Wunsch wachgerufen: Ach möchte es doch bald überall so werden. In Kirche und Schule, in Haus und Familie herrscht nicht nur Ordnung und Sittlichkeit, sondern ist Leben und Gedeihen zu vernehmen. Unsere Brüder sind rechte Theologen geworden, deren Predigt uns, den schwarzen Gesichtern gegenüber, so lange unverständlich zu sein schien, bis wir in Schule und Familie einen kleinen Einblick tun durften. Selbst in die höheren Anstalten,, Gymnasium und Universität, wurde uns der Zugang gewährt, und aus dem, was wir da vernahmen, wird uns ein guter Eindruck bleiben. Die Lehrer zeigten sich sehr freundlich, besuchten uns zum Teil sogar in unseren Wohnungen. Mit einigen der Studenten machten wir zeitweise im Dorfe bei irgendeinem ihrer Freunde Besuche und ließen uns in deren Weinbergen die Trauben gut schmecken. Erfreulich ist es wahrzunehmen, dass die Professoren, reformierte wie lutherische Prediger, in der Missionskirche Bibelstunden und Predigt halten, ihre Leute nachziehen und somit allem konfessionellem Wesen die Spitze abbrechen.

Freilich lässt sich auch hier bei all dem Anerkennenswerten auf die Worte des Herrn hinweisen: "Als aber das Kraut wuchs, wuchs auch das Unkraut." Jubelnd zieht nicht selten an Abenden die Jugend mit Musik durch die Straßen und treibt nach europäischer Manier ihr Unwesen. Sogar der Islam hat sich eingeschlichen und macht gute Fortschritte. Wenn uns daher, als wir Stellenbosch mit einem Paradiese verglichen, erwidert wurde," ja, aber ein verloren gegangenes", so wird man das Rechte getroffen haben.

An ein geregeltes Studium der Sprachen war während des Aufenthaltes hier kaum zu denken, und da wir eigentlich nur auf der Durchreise sind, ist's auch keinem eingefallen, sich groß Gewissen darüber zu machen. Was wir im Umgang uns aneignen konnten, ist uns willkommen gewesen. Überhaupt sind die Gedanken in der ersten Zeit viel mit einem nach Deutschland durchgegangen, und wer weiß all wohin da. Hoffentlich wird's in diesem Stücke besser werden, sonst kann's schlimm ausfallen. "Wie stand's vor allem", werden Sie wieder fragen, "mit der brüderlichen Liebe?" Ja, ja, damit ist es so eine Geschichte, recht zu urteilen. Der eine wird mit jedem ziemlich fertig und ist dann gleich bei der Hand zu sagen: es stand gut. Dem anderen geht es nicht so; daher urteilt er anders. Wer hat nun recht? Vielleicht versteht ersterer nicht zu unterscheiden die brüderliche Liebe und die allgemeine Liebe, oder letzterer sieht eine konfessionelle Ansicht, die einem anderen eingeprägt ist und von der er sich nicht so ohne weiteres trennen kann, als einen Verstoß gegen die brüderliche Liebe an.

Wenn es zwischen Brüdern auch eine allgemeine Liebe gibt, dann wäre am besten zu sagen, dass es in Hinsicht der allgemeinen Liebe gut gestanden habe, aber mit der brüderlichen Liebe hätte es besser stehen können. Tröstlich ist es, dass bis jetzt kein Bruch geschehen, sondern alles noch so liegt, dass es was werden kann, wenn weisheitsvolle Hände im Spiel bleiben, Das afrikanische Klima scheint unserem lieben Bruder Weikolin nicht zuträglich zu sein. Er kränkelt etwas, liegt sogar zeitweise zu Bett. Die anderen Geschwister sind noch recht wohl und denken schon stark an die Abreise. Schwester Eick, deren Bräutigam sich auf Warmbad befindet, wird noch einige Zeit sehnsuchtsvoll hier verweilen müssen. Schwester Nill ist am 23. nach Eben-Ezer abgereist. Bruder Rath besuchte uns und ließ einen Blick in die Damarasprache tun. Gestern kam auch Bruder Zahn an, ein ehrwürdiger Mann, tun uns zu begrüßen. Freitag morgen werden Bruder Irle und ich nach Weinberg zu Bruder Wegel reisen und Montag mit den anderen Geschwistern in der Capstadt zusammentreffen, von wo spätestens Mittwoch, dem 3. Februar, unser Schiff abfahren soll.

Während mir hier die Sonne Mund und Gesicht schmerzlich verbrannt hat, verlangt man dort nach ihren erwärmenden Strahlen. Und während hier alles ganz sachte durch viel Kreuz- und Querwege vorangeht dem Ziele zu, denkt man sich in Deutschland, wenn nicht in Riesenschritten, dann doch mit langsamen und gewissen Schritten vorwärts zu dringen. Des Abends plant man, beschließt es, meint auch weise, dass es des Herrn Wille sei; und siehe, am anderen Morgen wird nichts daraus. Das ist der Rahmen, welcher sich hier beginnt zu bilden. Und was wird noch hineinkommen? Drei Tage vor der Abreise von Cap besuchte ich mit Bruder Irle unseren kränklichen Bruder Wegel. "Meine Kraft ist aufgerieben, und ich freue mich, dass es im Dienste des Herrn geschehen ist", sagte er. "Aber wenn ich zurückschaue und frage, was hast du zustande gebracht, so muss ich schweigen und seufzen. Ich sehe nichts, alles ist dunkel hinter mir."

Oh, was wird es hier noch Gedulds- und Glaubensproben zu bestehen geben! Möchten sie doch wenigstens für die eigene Seele zum Segen gereichen! Möchten wir Arbeiter oder angehenden Arbeiter doch rechte Arbeiter sein und werden, Arbeiter für den Herrn! Sehe ich mich selbst an, richte ich meine Aufmerksamkeit ein wenig auf meine mitziehenden Geschwister. Achtet man endlich auf das, was einem von den schon Arbeitenden um die Ohren klingt, dann staunt man die große Geduld, Nachsicht und Langmut unseres Gottes an, der es sich gefallen läßt, solche eigennützige und eigenliebige Knechte und Mägde in seinem Dienst zu dulden. Es klingt hart, aber ich schließe mich nicht aus, habe auch im tiefsten Grunde die besten Vorsätze, wohl auch viel mit mir.

Man ist hier in der Tat, wie ich jetzt schon fühle, leichter in Gefahr, in falsche Bahnen zu geraten als sonst irgendwo. Wenige oder keine Personen sind da, die einen weit überlegenen Eindruck machen, in deren Gegenwart man sich arm fühlt. Die Sprache in der Überlegenheit vorhanden, macht anderen gegenüber schüchtern, aber nur eine christliche Geistesüberlegenheit beugt. Daher bildet man sich leicht etwas ein und ist doch nichts. Bei entscheidenden Fragen oder Handlungen spielt das eigne Interesse , sei es auch noch so schön geschmückt, eine leider große Rolle, und der Wille des Herrn wird ach so oft als Aushelfer unseres Willens gebraucht.

Wie schön wäre es, wenn die Versetzung aus dem kühlen Deutschland in das warme Afrika eine solche innerliche Vervollkommnung herbeiführte wie sie bei Bruder Zimmer äußerlich getan; dann würden die Nachrichten allzeit erfreulich lauten und wir ungehobelten Schüler, denen Sie so viel Liebe und Geduld erwiesen, würden Ihnen in Ihrem Alter noch Freude bereiten. Aber es trifft nicht immer zu. Meiner Erfahrung nach kommt man nicht besser hier an als man dort weggegangen , wenn noch so viele Ecken, die im Missionshaus nicht abgeschliffen werden konnten, wachsen auf dem Schiff, wo es recht feucht ist und warme Luft fehlt; sehr leicht werden die Eigentümlichkeiten, wie ich schon einem unserer Brüder schrieb, zu Eigensinnigkeiten.

Bei Stellenbosch bestieg ich mit Bruder Irle einen Berg und sah, wie das Gestein gleich einem im Verfall begriffenen Ziegelofen von der afrikanischen Sonnenglut verbrannt war. Da dachte ich zu meinem Trost, die Trübsale Afrikas würden noch manche Ecken mürbe machen. Nun ja, man tröstet sich und hofft. Was noch aus einem jedem werden wird, muss die Zukunft in etwa ausweisen. Auf Reisen ist wenig zu urteilen. Vieles bleibt zu wünschen übrig. Besonders fühlt man, wie gering auf den wichtigen Beruf, in den man gestellt ist, geachtet wird. Es verflacht sich so leicht alles. Die Form ist da, aber der Nerv eines durchdringenden Lebens fehlt. Man hat eine Missionsgesellschaft hinter sich, ja sogar zwei. Mangel drückt nicht, obgleich unsere große Schuld mich zum Nachdenken und Gebet getrieben. Wenn auch manches entbehrt werden muss, was die Heimat bot, so ist auch wieder anderes als Ersatz. Und wo das nicht der Fall ist, da wird bei einer Anzahl junger Leute doch nicht angeschlagen.

Einer heitert den anderen auf, oder man macht ihn insofern zufrieden, weil er sieht, er teilt das gleiche Los. Wenn man des Nachts mit dem Kopf zu tief liegt, klappt man seinen Stuhl zusammen und legt ihn unter, schickt das noch nicht, so legt man die Stiefel noch dazu. Das macht jeder so. Ist's in der Kajüte so eng, dass der eine zu Bett liegen muß, während sich der andere aus- oder anzieht, oder ist es so niedrig darinnen, dass man sich den Kopf oft fast einrennt. Das passiert jedem. Für Bedauern und Klagen hat man hier keine Worte. Allenfalls wird der, welcher den Schaden hat, wie gewöhnlich ausgelacht. Dies alles wird freilich anders werden, wenn jeder für sich steht und der Ernst des Lebens mehr an ihn herantritt.

Ich bin mit den übrigen Geschwistern noch recht wohl. Wir treiben an der Bai allerlei: einer geigt, ein anderer bläst sein Blechinstrument, ein dritter gießt Kugeln, ein vierter hat sich eine Scheibe gemacht und schießt in den Sand, noch ein anderer sucht Muscheln und Walfischknochen zusammen, liest etwas in der Herero-Grammatik und lässt einen Eingeborenen, der dabei sitzt, hören, ob er's recht ausspricht usw.

Die Fräuleins stricken etwas, schreiben Briefe und gucken nach Briefen und Personen. Die gute Minnette ist traurig, dass ihr lieber Viehe in Sandwichhabour nicht an den Vers dachte: "Ein Geduldiger ist besser, denn ein Starker". Er sitzt nun an der Tafelbai und sie in der Walfischbai. Beide haben Zeit zum Nachdenken. Im übrigen lernt man an der lieben Geduld in einem Lande unter einem Volke, wo von Recht und Unrecht keine Rede ist, sondern von Wollen und Nichtwollen, wo jeder tut, was ihm gut deucht. Wird ein Bote in Eile geschickt, so kommt's denselben gar nicht darauf an, wenn er drei Tage auf einen Fleck bei den Namas liegt und sich um die Welt nicht kümmert.

Von Unruhen hört man wenig. Von rechtem Frieden ebenso wenig. Ein Eingeborener, welcher getauft, sagte: "Es ist ruhig" und setzte hinzu "doch man spricht von einem großen Krieg." Geregnet hat es im Lande, aber nicht genügend; daher ist Kamahero noch nicht auf Otjimbingue. Bruder Hahn schickte Ende voriger Woche einen Boten mit Briefen und hofft, in nächsten Tagen mit seiner Frau und mehreren Geschwistern hier zu sein, Wie es weitergehen wird, darüber später etwas.

Kurz vor der Abreise in Stellenbosch schenkte die liebe Tante Kähler einigen von uns ein kleines Bildblättchen, auf welchem die verschiedenen Richtungen der Gedanken Gottes und unserer Gedanken im Bilde eines Kreuzes dargestellt sind. Keiner von uns hätte damals geglaubt, so bald auf unserem Wege Erfahrung davon zu machen. War ja doch alles bis dahin nicht nur nach Wunsch gegangen, sondern hatte unsere Erwartungen übertroffen, wie sollte nicht auch ferner solches zu hoffen sein. So dachte man, und mit diesem Gedanken plante man, traf alle möglichen Vorbereitungen und meinte, ziemlich gerade dem Ziele zueilen zu können. Ein Brief von Herr Ritter, zehn Tage vor unserem Weggang mit der "Stella" abgegangen, sollte durch einen Boten von Sandwichhabour aus nach Bruder Böhm und Hahn geschickt werden, unsere Ankunft zu melden. Und der Berechnung nach sollten beide Brüder mit uns zu gleicher Zeit in Walfischbai mit ihrem Wagen zusammentreffen.

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Von Stellenbosch nach Sandwichhafen

Anfang Februar fanden wir uns in Capstadt ein, gaben am 3. Februar 1869 Bruder Dubiel das letzte Geleit auf sein kleines Schifflein, welches auf eigentümliche Weise aus der Tafelbai gebracht wurde. Es war nämlich ein Kahn vorgespannt, in dem zwei Matro-sen aus Leibeskräften ruderten. Dabei ging's so langsam für unseren eifrigen Bruder, dass Herr Voß Bruder Irle und mich mit sicha uf sein Dach nahm, um von da aus zu beobachten, ob's wirklich vorwärts ging. Die Sache verhielt sich jedoch so, denn nach einer Stunde war unser Leidenskollege beinahe unseren Augen entschwunden.

Unser bisheriger Reisegefährte, Bruder Dubiel, war schon seiner Bestimmung gemäß nach Berseba in Namaland zu Bruder Krönlein abgereist. Die Braut des als Mechaniker ausgereisten Bruder Schrenk blieb noch und wartete auf ihren Bräutigam aus Eben Ezer. Zu uns übrigen Finnländern und und Deutschen gesellten sich noch die zwei Missionarstöchter Kitty Kleinschmidt und Margarita Hahn sowie Georg Knab aus Stellenbosch, der als Schreiner zu seinem Schwager, Missionar Brincker, nach Neubarmen gehen sollte, und Missionsagent C. Ritter, der uns wegen der Unsicherheit bis Walfishbay begleiten sollte; im ganzen wieder 18 Missionsleute, die zusammen die Reise nach Walfishbay und weiter antraten.

Tags darauf ruderten wir in einem Boot mit großer Begleitung zu unserem Schiff "Flibberty", welches gegen Abend unter günstigem Winde ausfuhr. Weil die Reise so kurz sein sollte, schienen unsere Schwestern mit der Seekrankheit nicht lange warten zu wollen. Nach einer halben Stunde war das Elend da. Dabei schien sie etwas brutal zu sein gegen ihren alten Freund, der mit bestem Willen und ohne seine Schuld nicht dafür gesorgt hatte, was sie wünschten.

Das Schiff war nur Frachtschiff und nicht für Passagiere eingerichtet. Der Kapitän überließ Herrn Ritter seine Kabine, die einzige auf dem Schiff. Für die Bräute und Missionarstöchter waren provisorische Lagerstellen an die Wände gezimmert worden, ähnlich Wandschränken. Sie waren so lang und breit, dass eben jemand zur Not darin liegen konnte. Tagsüber wurden sie zugeklappt und man merkte sie kaum. Für uns Mannsleute diente der Schiffs- und Lagerraum, Des Abends wurden zwei große Klappen wie Falltüren auf Deck abgehoben und auf die Seite gelegt, und wir stiegen auf einer kleinen Leiter hinunter zu unserem Schlafgemach. Als Bett brauchte jeder seine Seegrasmatratze und breitete sie sich dahin aus, wo er liegen wollte. Zum Zudecken hatte man ein oder zwei Baumwolldecken, Kopfkissen hielt man für Luxusartikel. Wer mit dem Kopf erhöht liegen wollte, konnte sich seiner ausgezogenen Kleider bedienen. Das offene Verdeck bot Licht und Luft zur Genüge. Nichts hinderte einen, den schönen Sternenhimmel über sich zu betrachten. Auch der Mond ist in Afrika selten verdeckt. Aber zu wünschen bleibt immer übrig.

Das Schiff war ein alter Kasten, in welchem sich mit der Zeit unzählige Ratten einquartiert hatten. Die schienen es auf uns Neulinge im Schiff besonders abgesehen zu haben und plagten uns wie und wo sie nur konnten. Dabei besaßen sie eine Dreistigkeit und Frechheit sondergleichen. Ungeniert liefen sie uns über die Betten hinweg, wobei einem Gruseln ankam. Nichts von den Sachen, die umherlagen, war vor ihnen sicher. Sie schleppten davon weg, soviel sie konnten und brachten's womöglich in ihr Versteck. Da gab es in der Nacht, wenn man diese frechen Gesellen bemerkte, oft Radau und Aufruhr im Lager. Jeder griff nach etwas, die scheußlichen Tiere damit zu schlagen und wenn sie davonliefen, hinter ihnen herzuschleudern. Dabei wurde geschimpft in deutsch und finnisch. Aber die freche Bande kehrte sich wenig daran. Bald war sie wieder da und trieb das alte Spiel, Am Morgen hörte man dann gewöhnlich überall Klagen; dem einen fehlte dies, dem anderen das. Besonders hinter dem Schuhwerk waren sie her, schleppten sie in den entferntesten Winkel. Fand man sie wieder, dann waren sie zernagt oder durchlöchert und meist nicht mehr zu gebrauchen, tagsüber hielten wir uns auf Deck auf. Hier wurde auch unter aufgespanntem Segel gegessen. Nach 9 Tagen erreichten wir Sandwichhafen. Das Schiff warf Anker.

Bis zum 6. Februar 1869 blieb der Wind günstig, dann trat einige Tage Windstille und starker Nebel ein. Am 11. Februar 1869, an dem wir eine Sonnenfinsternis beobachteten, war man der Küste nahe. Die Brandung brauste am Abend gewaltig. Nebel und Dunkelheit verhinderten das Weiterfahren. Noch spät standen wir auf dem Verdeck, sahen nach dem Ufer, wo das Meer mit den Felsen kämpfte und seine Wellen schäumend gegen sie stieß. Fast bedenklich gingen wir zur Ruhe, denn ein starker Westwind hätte uns leicht ans Ufer treiben können. Folgenden Tags erreichten wir Sandwichhabour, aber so spät, dass nicht mehr in die Bai gefahren werden konnte.

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Überraschung in Sandwichhabour

Doch freuten wir uns, bis hierher glücklich gelangt zu sein und in der Ferne Lichter in den Fischerhütten leuchten zu sehen. Hier freut man sich und fängt an, dankbarer zu werden für das Geringste. Tage, ja wochenlang kann man die Küste passieren, und das Auge sieht nur Sandberge. Nichts, was die Natur irgendwie hervorzubringen vermag, ist wahrzunehmen. O ödes Afrika! Sehnsüchtig schauten wir alle nach den Fischerhütten am Strand. Die Bräute und Missionstöchter schwenkten lebhaft ihre weißen Taschentücher. Aber da war keine Rede noch Antwort. Alles verhielt sich still. Nur hin und wieder huschte einer der Fischerleute zwischen den Hütten einher. Sicher stand jetzt schon fest, dass niemand hier war, der uns erwartete. Aber vielleicht war ein eingeborener Briefbote da, der Briefe als Antwort von Otjimbingue für uns gebracht hatte. Um uns davon zu überzeugen, bewogen wir den Kapitän, einige von uns in einem Boot an Land zu bringen. Drüben angekommen, erkundigten« wir uns nach diesem und jenem, vor allem auch, wann unsere nach hier im Januar gesandte Post weiter nach Otjimbingue gegangen und ob noch keine Nachricht von dort eingetroffen wäre. In afrikanischer Ruhe erklärte uns der Gefragte, dass unsere Briefe noch bei ihnen lägen. Sie hätten keinen ihrer Leute bewegen können, sie wegzubringen. Man sei zu bange vor herumstreichenden Räuberbanden, denen Briefboten leicht in die Hände fallen konnten. Dabei sei es um sie und die Briefe geschehen. Mit diesen Ausreden wollten sie sich für ihr lässiges Versäumnis entschuldigen.

Damit waren wir wieder so weit wie vor 1 ½ Monaten, nur mit dem Unterschied, dass wir wenn eine Regel, die für Afrika besonders gilt und uns hier tief eingeprägt wurde, reicher waren und die da heißt: "Selbst ist der kann." Die gemachte Erfahrung gleich am Anfang bei diesen Leuten, ist uns für später zugute gekommen und hat uns bei ähnlichen Enttäuschungen nicht gleich missmutig gemacht. Merkwürdigerweise hörten wir von diesen Fischersleuten, dass der junge Missionar Viehe mit zwei Jungens vor ca. zehn Tagen von hier mit einem kleinen Fischkutter nach dem Kap gesegelt sei. Wie wir später erfuhren, hatten sich die Räuberhorden der Nama nach ihrem Rauben und Plündern an der Küste wieder zu den Herero gewandt, um bei diesen weiter Beute zu machen. Es hatten sich ihnen zu diesem Zwecke noch andere Namahäuptlinge angeschlossen. Bei Osona, unweit Ohahandja, trafen Herero und Nama zusammen. Es kam am 9. November 1868 zu einem ernstlichen Gefecht, bei dem letztere eine gänzliche Niederlage erlitten und eilends zu ihren Wohnplätzen im Süden zurückkehrten. Dadurch konnte man sich auf der Strecke von Otjimbingue und Walfishbay wieder mit Sicherheit bewegen. Diesen Zeitpunkt nahmen die Brüder in Otjimbingue wahr und schickten den Missionar Viehe, der der Erholung bedurfte, mit zwei Kleinschmidtschen Jungens, Ludwig und Willy, die in Stellenbosch auf die Schule sollten, nach Walfishbay evtl. dem Kap, zugleich in der Hoffnung, daselbst mit uns zusammen zu treffen.

Bruder Viehe, so meinte man, könne auch da seine Braut empfangen. Aber sie wurden beide schwer enttäuscht, fuhren einander vorbei. Die Hochzeit, die man im Februar glaubte am Kap feiern zu können, fand durch dies Missgeschick erst Ende Juni in Otjimbingue statt. Ich wurde dabei erinnert an die Stelle Sprüche 16,32: "Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker." Bei dem allen konnte der gute Bruder Viehe noch von Glück sagen, denn um ein Haar wäre er ertrunken, bevor er das Schiffchen erreichte, das ihn nach dem Kap brachte. In Walfishbay angekommen, sah er an der Landspitze, die Walfishbay nach Südosten vom Meer abschließt - Pelikanpoint genannt - ein Schiffchen liegen, das aber keine Miene machte, nach Walfishbay zu kommen. Er wollte dasselbe um jeden Preis gerne erreichen.

Um den Weg dahin abzukürzen, entschloss er sich, die Lagune, die sich von der Bai aus zwischen der Landzunge und der Baifläche hinzieht, zu durchwaten und an tieferen Stellen, als guter Schwimmer, zu durchschwimmen. Damit hatte er aber zuviel gewagt. Er hat mit knapper Not sein Leben gerettet, denn während seinem Durchgang trat Flut ein und das Wasser stieg schnell. Er bekam damit ja einen Vorsprung; denn als die beiden Jungens, die die Lagune umgingen, nach zwei Stunden eintrafen, war er längst an der Stelle, wo das Schiffchen sich aufhielt. Gut, dass sie da waren und er sich vernünftig ankleiden konnte. Er war beinahe nackt hier angekommen. Um leichter im Wasser sich bewegen zu können, hatte er sich fast ganz ausgezogen und dem Meer seine Kleider als Tribut zurückgelassen. Ob sie dann auch mit diesem kleinen Fahrzeug nach dem Kap gefahren sind und in Sandwichhafen nur im Vorbeigehen vorgesprochen haben, ist wahrscheinlich, mir jedoch nicht näher bekannt. Wenn das geschehen, dann ist es unbegreiflich, dass man dort von unserem beabsichtigten Kommen und den Briefen, die wir dahin geschickt hatten, noch nichts gewusst hat.

Recht traurig und niedergeschlagen verließen wir die Fischerei und wandten uns wieder dem Schiff zu, wo unsere Mitteilungen ebenso auf alle wirkten. Eine Weile herrschte tiefes Schweigen. Keiner mochte ein Wort sagen. Dann hieß es: Was tun? Rückwärts oder vorwärts? Man entschied sich für letzteres. Den Tag über blieben wir noch in Sandwichhafen liegen. Einige machten sich zum Zeitvertreib Angeln und fischten von Deck aus. Andere sahen zu, wenn die schönen, ca. ein Meter langen "Snugs" in die Höhe gezogen, aufs Deck geschleudert und totgeschlagen wurden. Am Abend waren so viele gefangen, dass die Matrosen Anstalten auf dem Hinterdeck machten, den größten Teil zum Trocknen aufzuhängen. Für uns selbst wurden reichlich gebraten, und wir taten uns gütlich daran.

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Warten in Walfishbay

Als am 14. Februar 1869, die Sonne den Nebel durchbrochen und der Wind sich erhoben hatte, wurden die Segel wieder gehisst und weiter ging's Walfishbay zu. Nur einige Stunden brauchten wir zur Fahrt dorthin, wir hatten es hier nicht anders erwartet, als wir es vorfanden. Alles wüst und leer. Die Lagerhäuser an der Bai zerstört und verlassen, Fenster, soweit noch etwas vorhanden davon, ohne Scheiben, Türen samt Rahmen waren herausgerissen und was nicht davon verbrannt war, lag in einzelnen Stücken umher. Weit und breit, soweit das Auge sehen konnte, sah man kein lebendes Wesen, außer Wasservögel, die umherkrächzten und nach Fischen ausspähten. Dabei der Gedanke an unsere Briefe, die uns in Sandwichhafen wieder zurückgegeben worden waren und die eiligst nach Otjimbingue gebracht werden sollten. Das alles war angetan, uns in höchst traurige Stimmung zu versetzen. Aber man darf nicht verzagen. Wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten.

Einen Tag lang schauten wir vergeblich von unserem Schiff nach Menschen aus. Am folgenden Tage kam jemand über die Baifläche bis zu den Lagerhäusern, hielt sich aber dahinter versteckt. Nur hin und wieder wagte er es, um eine Ecke zu lugen. Nach einer Weile schob er wieder ab, und wir hatten das Nachsehen. Dann kamen die nächsten Tage mal zwei, dann neun, aber immer nur bis zu den Häusern, besahen sich von dort aus alles auf unserem Schiff, so sie konnten und gingen dann wieder. Auf diese Weise kamen wir uns aber nicht näher. Und darum handelte es sich doch, dass wir mit diesen Eingeborenen, die sich uns näherten, bekannt wurden. So beschlossen wir dann, ein Teil von uns, namentlich die Handwerker, sollten an Land gehen und dort mit der Reparatur der zerstörten Häuser beginnen. Gedacht, getan! Die nötigen Werkzeuge wurden aus den Kisten hervorgeholt. Bretter, Nägel, Schlösser etc. ausgesucht. Und nachdem alles in ein Boot verladen war, setzten wir uns dazu und ruderten an Land. Das Boot blieb verankert am Strand liegen, damit wir uns im Notfall bald wieder auf unserem Schiff in Sicherheit bringen konnten.

So arbeiteten wir am Tage wacker drauf los. nach Feierabend zogen wir uns auf unser Schiff zurück und brachten die Nacht in alter Weise zu. Diese Eigenart unseres Verhaltens zog die Leute aus der Umgebung an. Schon die Neugierde trieb manchen zu kommen und zu sehen, was los war. Was sie hier sahen und hörten, sagte ihnen mehr oder weniger zu. Wir merkten bald, dass sie Vertrauen zu uns fassten. Und nach einer Woche Bekanntschaft war es uns möglich, zwei Männer, zu denen wir am meisten Vertrauen hatten, zu bewegen, unsere Post nach Otjimbingue zu bringen. Man arbeitete nun um so freudiger, und an Arbeit fehlte es nicht. Denn auch im Inneren sahen die Gebäude ebenso zerstört aus wie nach außen. Alle Möbel waren zerschlagen, teilweise verbrannt. Kein Fußboden war mehr ganz heil. An vielen Stellen, wo die Banden ihr Feuer gehabt und ihre Mahlzeiten bereitet und verzehrt hatten, waren größere Flächen in den Böden durchgebrannt. Der Feuchtigkeit an der See war es zuzuschreiben, dass nicht alles in Flammen aufgegangen war.

Um die Häuser her sah es auch wüste genug aus. Das Meer, das bei Flut zu gewissen Zeiten hier austritt, überspült eine weite Fläche um die Bai her. Die Strömung reißt dann gewöhnlich von dem erhöhten Damm, nur einfach von Wassergras und Sand hergestellt, auf dem die Häuser stehen, bald mehr, bald weniger weg. In der unruhigen Zeit der letzten Jahre hatte sich niemand um Ausbesserung gekümmert. Danach sah es auch ringsherum aus. Während nun die Handwerker vom Fach die Häuser ausbesserten, machte sich die übrige Mannschaft dadurch nützlich, dass sie nach außen die ausgespülten Stellen ausbesserte. Mit Schiebkarren wurde Sand angefahren. Um Verbindung herzustellen, bediente man sich des blättrigen Wassergrases, das in Lachen wächst, wo Seewasser nach der Flut stehen geblieben ist. Es wurde mit Sand Lage für Lage aufgetragen. Ich vergesse diese erste an sich recht schwere körperliche Arbeit in Afrika nicht. Nie habe ich in meinem Leben vorher noch nachher sehr geschwitzt als damals. Das Beste war, wir blieben gesund dabei.

Unser Leben verlief im übrigen an der Walfishbay recht eintönig. Die Natur bietet hier sozusagen nichts. Weit und breit ist weder Baum noch Strauch zu sehen. Von Verkehr war keine Rede. Die wenigen Eingeborenen in der Umgebung hielten sich fern und kamen nicht zum Vorschein. Nur einzelne ließen sich sehen, mit denen wir uns jedoch aus Mangel an Sprachkenntnis nur notdürftig unterkalten konnten. Die einzige Abwechselung bot die Bai durch die Menge ihrer Fische, namentlich Haifische. Wer sich die Zeit nahm und dem Strand entlang wanderte, konnte sein Auge weiden an dem regen Getriebe, das sich im Wasser abspielte. Gerne hätte man sich öfter gebadet, aber die Haie, von denen es wimmelte, waren zu gefährlich. Etwas entfernt in der Lagune, wo das Wasser seicht ist und sich größere Haie nicht hinwagen, haben wir hier und da eine Schwimmtour zu machen versucht. Einen schönen Anblick hatte man täglich, morgens und gegen Abend, an den vorüberziehenden Flamingos, Flammenreiher, die in Flügen zu Tausenden von ihrer Lagerstelle - Pelikanpoint - über die Walfishbai auf Weide irgendwo auszogen und gegen Sonnenuntergang nach ihrem Nachtlager zurückkamen. Die Züge sahen durch ihr rötliches Gefieder im Vorbeifliegen unter der sie bestrahlenden Sonne ganz entzückend aus.

Nach zehn Tagen kamen die Briefboten mit Antwort zurück. Die Nachricht von unserer Ankunft in der Bai hatte in Otjimbingue allgemeine Freude erweckt. Alle Hebel wollte man in Bewegung setzen, um uns bald nach dort zu bringen. In ungefähr 14 Tagen sollte schon eine Anzahl Wagen bei uns in der Bai eintreffen. Missionar Hahn selbst mit seiner Frau wollte mitkommen, um uns alles weitere durch Hat und Tat ordnen zu helfen. Da unterdessen der Lagerraum und die damit verbundenen Wohnzimmer soweit hergerichtet waren, dass man sich wieder darin aufhalten und sie verschließen konnte, auch keine Gefahr von außen her durch Eingeborene drohte, so wurde beschlossen, alles was das Schiff für uns an Ladung hatte, landen zu lassen und in den hergestellten Räumen unterzubringen, damit das für uns gecharterte Schiff wieder zurückfahren konnte, denn je länger wir das festhielten, um so kostspieliger wurde es für die Missionskasse. Es wurden nun die Kisten und Kasten ect. in Booten nach dem Strande gebracht und ausgeladen. Von da mussten wir dann die Sachen weiter nach dem ca. 300 m entfernten Lagerraum schaffen, tragen oder was zu schwer war, rollen. Das gab wieder für einige Tage vollauf Arbeit, bis alles an Ort und Stelle war und unsere Karawane sich einigermaßen wohnlich eingerichtet hatte.

Sobald unsere Sachen an Land gebracht waren, segelte das Schiff mit unserem Agenten, Herrn Ritter, wieder nach dem Kap zurück. Vir waren nun ganz auf uns angewiesen und mussten sehen wie wir fertig wurden. Für einen so großen Haushalt ist aber mancherlei nötig, nicht am wenigsten auch Holz und Wasser zum Kochen, Trinken, Waschen ect. Beides fehlte aber an der Bai. Das salzige Seewasser ist bekanntlich nicht zu gebrauchen. Der Kapitän hat uns gütigst einige Fässer mit Trinkwasser zurückgelassen. Als wir jedoch eines Tages eines der Fässer anbohrten, um einen Krahnen einzustecken, explodierte es. Das Wasser war stinkend geworden und raste nun, als es Öffnung bekam, in die Luft nach außen und Verbreitete einen so bestialen Geruch im Lagerraum, dass wir uns schleunigst zu entfernen suchten. Unsere Wasserlage an der Bai wurde dadurch höchst bedenklich.

Erkundigungen bei den Eingeborenen ergaben, dass ca. zwei Stunden von der Bai, in Sandfontein, im Flussbett des Kuiseb Wasser zu graben sei, es sei aber sehr brackig. Der Kuiseb, der alle 15 - 20 Jahre einmal abkommt, läuft dann wohl bis in die Bai. Unweit der Bai sind seinem Lauf die unzähligen Sanddünen im Wege, durch die er sich nur noch langsam durchwindet. Das meiste Wasser bleibt tümpelartig zwischen den Dünen stehen und versickert im Sand. Daher kommt es, dass hier nach Jahren bei tieferem Graben noch genießbares Trinkwasser zu finden ist. Daher wächst auch hier sehr üppig die wunderliche Karrasstaude an den Dünen hinan und lässt sie wie grüne Hügel erscheinen, die zu gewissen Zeiten voller kürbisartiger Früchte hängen und den hier wohnenden Topnars sowohl durch ihren nahrhaften Saft, wie auch die wohlschmeckenden Kerne, zur Nahrung dienen. Letztere werden sogar sackweise nach dem Kap auf den Markt gebracht. Außerdem wächst infolge dieser Feuchtigkeit - denn Regen fällt in dieser Gegend nur höchst selten - der Tabebusch zwischen den Dünen, der den Bewohnern das nötige Brennholz liefert.

Um an der Bai nicht in Wasserverlegenheit zu kommen, zimmerten wir ein Gestell, mit den eins der Fässer wie eine Walze gerollt werden konnte. Damit begaben sich einige von uns eines Morgens auf den Weg zu der besagten Wasserstelle. Der Unsicherheit wegen nahmen wir unsere Gewehre mit. Außerdem Schaufeln, Eimer und Becher. Ein Eingeborener ging mit, uns die Stelle zu zeigen. Nach ca. zwei Stunden langten wir an. Es sah aber daselbst so wenig nach 'Wasser aus, dass wir wohl versucht gewesen wären, erst zu wünscheln, wenn man zu der Zeit das schon gekannt hätte. Aber auf guten Glauben fingen wir an, den trocknen Flugsand wegzuschaufeln. Wir mussten das in großem Umfang tun, denn der Sand rieselte immer nach, so dass wir nur langsam tiefer kamen. Endlich wurde es feucht und endlich, endlich sah man auch Wasserspuren. Nun wurde das Loch noch erweitert. Es zeigte sich dann bald eine schlammige, braune Wassermasse. Als sich diese nach einiger Zeit gesetzt hatte, wurde der obere Teil abgeschöpft und in den Eimer geschüttet. Nachdem es sich hier wieder etwas gesetzt und geklärt hatte, wurde es becherweise, bis auf den Satz, ins Fass getrichtert. Als die Sonne zum Untergang neigte, hatten wir unser Fass wohl voll gefüllt, aber mit einer Sorte Wasser, das wenig danach aussah, noch weniger danach schmeckte.

Mit Jubel wurden wir an der Bai empfangen. Besonders von den Bräuten und Missionstöchtern, die nun schon ihre Waschkleider ins Bali wandern sahen, um sie endlich wieder einmal waschen zu können. Aber wie enttäuscht sahen sie drein, als unser weit hergebrachtes Wasser so schrecklich aussah und kaum zu trinken war. Glücklicherweise waren noch mehrere Fässer von dem Kap'schen Wasser gut geblieben, so dass wir genießbares Trinkwasser behielten. Das aus Sandfontein, das wir ab und zu holten, wurde meist für Kost, Kaffee und Tee gebraucht, wie auch zum Spülen der Geschirre. Man gewöhnte sich allmählich auch an seinen Geschmack. Wir waren dankbar, dass wir es haben konnten, denn es half uns aus der Verlegenheit, in die wir sonst leicht hätten geraten können.

Am ersten Sonntag, den wir gemeinsam an Land zubrachten, gingen wir des Nachmittags zu dem etwa zehn Minuten entfernten Grabe des hier vor kurzem von den räuberischen Hottentotten ermordeten Herrn Iversen, machten die Grabstätte etwas in Ordnung, legten einige Kränze drauf, sangen ein passendes Lied unter Begleitung. des Posaunenchors der finnischen Brüder und schlossen mit Gebet. Es war eine ernste und bewegte, aber auch gesegnete Stunde für uns alle.

Die zu erwartenden Wagen von Otjimbingue trafen nach 14 Tagen ein und wurden dankbar und freudig von uns begrüßt. Es war ein stattlicher Zug, der ankam. Außer den Wagen und dem Wagenpersonal hatte Missionar Hahn an 30 bewaffnete Zwartbooi-Hottentotten zur Bedeckung für den Transport mitgebracht. Da sich an der Bai weder Wasser noch weniger Weide für die Zugochsen findet, musste sofort geladen und die Rückfahrt angetreten werden. Die Wagen konnten aber nicht mal die Hälfte von dem laden, was vorhanden war. Das, was zurückblieb, musste nun schon so lange bewacht werden, bis die Vagen zum zweiten Male kamen. Missionar Hahn ordnete an, dass er selbst mit Frau und Tochter und den Bräuten, sowie den jungen Missionaren zur Bewachung der Sachen an der Bai bleiben wolle, bis die Wagen zurückkämen. Nur Bruder Irle und die Handwerkerbrüder sollten schon mit dem ersten Transport abreisen, um sich in Otjimbingue durch allerlei Arbeit nützlich zu machen.

Wir Zurückbleibenden waren für die Zeit des Wartens gerade in keiner beneidenswerten Lage. Unsere Sachen konnten leicht Räuberhorden der Umgegend anziehen, und so war ein Überfall nicht ausgeschlossen. Unser alter erfahrener Bruder Hahn mahnte daher wiederholt zur Vorsicht. Jeder von uns musste sein Gewehr geladen haben, besonders für die Nacht. Ich erinnere mich, wie er eines Abends beim Rundgang in unserem Lager auch die Gewehre nachsah und großen Radau mit uns machte, weil keiner sein Gewehr geladen hatte. Was hätten wir paar im Schießen ungeschulten Männekens bei einem Überfall auch machen können? Man musste sich vor allem dem Schutz des Allmächtigen anvertrauen und daran denken: "Wo der Herr die Stadt nicht behütet, so wachet der Wächter umsonst." (Ps.127,1)

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Ochsenwagenfahrt nach Otjimbingue

Nach drei Wochen stellten sich die Wagen wieder ein. Missionskolonist Bruder Redecker war mitgekommen, seine Braut abzuholen. Er wurde schnell mit ihr von Bruder Hahn getraut und konnte dann mit dem Zug, den er als Conducteur leitete, zugleich mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise machen. Mit traurigem Herzen musste dagegen die Braut von Bruder Viehe allein abreisen, nachdem sie wochenlang sehnlichst auf ihren Bräutigam am Kap vergeblich gewartet hatte. In aller Eile wurde nun gepackt und aufgeladen. Als die Sachen in den Wagen untergebracht waren, suchten wir Junggesellen jeder noch nach einem Raum zum Unterschlupf in einem Wagen. Viel Auswahl hatte man nicht, obgleich 12 Wagen da waren, denn die meisten davon waren so genannte Bockwagen ohne Zelt, die sich nicht für's Reisen eignen. Bis zu dreien krochen wir in einen Wagen, breiteten so gut es ging auf Kisten und Säcken unsere Seegrasmatratzen aus zu einer Lagerstelle. Gut, dass wir noch jung waren. Große Strecken machten wir tagsüber zu Fuß. Aber des Nachts beim Fahren über Stock und Stein musste man im Wagen auf dem harten unbequemen Lager aushalten und sich die lästigen Stöße gefallen lassen. Humor und Seufzen wechselten dann ab, wenn keiner recht schlafen konnte« Ich habe dies erbärmliche Liegen nie vergessen. Wenn ich daran denke, wollen mir die Knochen noch wehtun.

Eine Reise von ungefähr einem halben Jahre mit ihren Freuden und Leiden, ihren Ängsten und Nöten liegt hinter mir. Beschwerden und Freuden zu Wasser und zu Lande, und man weiß fast nicht recht, nachdem man so eine afrikanische Wüstenreise auf solch eine Seereise durchgemacht, was man vorziehen sollte. Mich hat die Landreise zwar mehr interessiert als die Seereise, wiewohl ich ihrer auch zuletzt sehr satt wurde. Was eintönige Wesen Tag für Tag, meist nichts als Sand und Steine, Steine und Sand, und dazu das fürchterliche Schütteln auf dem Wagen, wünscht man nicht leicht immer. So einen Zug Ochsenwagen im Gange zu sehen lässt man sich schon gefallen und hat mir besonderen Vergnügen gemacht. Wenn ich so auf einer Anhöhe stand und zusah, wie so elf Wagen - vor jedem 14 - 16 Ochsen gespannt - angezogen kamen, habe ich wohl mal an preußische Artillerie gedacht.

Es ging freilich sehr langsam, so dass man etwas Geduld nötig hatte, aber es ging schön. Der Staub stieg auf wie Wolken, und durch diesen Nebel sah man neben den Wagen eine kleine Reiterei, mehrere Rehobother auf Ochsen oder Kühen mit senkrecht stehenden Gewehren daherreiten. Hinter ihnen zog das Schlachtvieh, die Milchziegen und dgl. her, und unter allem diesem Gewühle dröhnten stets die Stimmen und Peitschen der Treiber. Und wenn des Nachts Halt gemacht wurde und so ein Zug Reih und Glied fuhr, dann Wachtfeuer gemacht wurden, war es einem eigentümlich zumute. Mit halbverschlafenen Augen sah man in stiller dunkler Nacht, zwischen Ochsen und Wagen, schwarze und weiße Gestalten sich bewegen, die zum Teil Kaffee, zum Teil Fleisch beim Feuer zubereiteten. Und es wäre keinem zu verargen gewesen, wenn er auf den ersten Anblick von Gespenstern gedacht hätte. Wir sind mit unserem Zuge auch nicht bange gewesen vor Jacobus Boois, haben wohl gemeint, wenn er noch einmal kommen wolle, möge er's jetzt nur versuchen.

Schon in Sandfontein blieben am ersten Abend einige Wagen stecken, darunter auch der Wagen unseres Conducteurs, was uns jungen Kerlen großen Spaß machte. Unsere ganze Karawane musste deshalb hier übernachten, denn man durfte sich der Unsicherheit wegen nicht trennen. Erst am nächsten Morgen konnten die Wagen, die sich in den Sanddünen festgefahren hatten, mit je zwei Spann Ochsen herausgezogen werden.

Die zweite Nacht schliefen wir auf der so genannten Fläche, die einen äußerst trostlosen Eindruck machte. Während 14 Stunden Fahrens mit dem Ochsenwagen sieht man weder Strauch noch Grashalme, noch lebende Wesen. Nirgends Wasser. Nur Öde und Leere. Nähert man sich auf Stunden dem Meer, dann hört man nur in weiter Ferne das gleichmäßige Tosen der Brandung. Die Fahrstraße über die Fläche ist markiert durch die von der Sonne gebleichten Geweihe, Knochen und Gerippe der armen Zugochsen, die auf diesem Wege beim Frachtfahren elendiglich infolge Überanstrengung, Ermattung, Hunger und Durst umgekommen sind. Die Wagen wurden im Rundkreis aufgefahren. Im Inneren der Wagenburg brannten die Feuer. Um dieselben ging es rege zu. Es wurde geschlachtet, abgekocht, gegessen und geschlafen, nachdem allgemeine Andacht gehalten war» Die meisten schliefen unter dem Wagen. Um sie her lagen die müden Zugochsen und wiederkäuten. Die bewaffneten Zwartboois hielten Wache. Es waren zuverlässige Leute. Ihr Stamm hatte sich mit den übrigen Hottentottenstämmen im Kriege entzweit und sich den Herero angeschlossen. Sie waren den Missionaren wohlwollend gesinnt und standen ihnen gerne zu Diensten.

An darauf folgenden Tage erreichten wir Haigamchab am Swakopfluss. Wir spannten stark eine Stunde oberhalb aus. Einige von uns wollten den Fluss sehen oder hofften doch wenigstens Wasser zu finden, um sich wieder mal nach drei Tagen waschen zu können. Mit Waschbecken, Seife und Handtuch folgten wir den Spuren der Ochsen nach dem Fluss. Als wir meinten am Ziel zu sein, aber nirgends Wasser sahen, fragten wir einen der Viehwächter, wo denn der Fluss wäre. Er bedeutete uns, wir seien mitten drin. Aber das kann doch nicht sein, hier ist ja kein Wasser!" O, das muss man erst aufmachen, indem man sich ein Loch in den Sand macht." Ich habe gedacht: Ihr könnt mir gestohlen werden mit euren afrikanischen Flüssen, in denen man womöglich erst einen Brunnen graben muss, um Wasser zu sehen. Den armen Treibern habe ich zugesehen, wie sie die Ochsen tränkten. Sie gruben einen Teich im Flussbett, ließen nach und nach vier bis sechs Ochsen herankommen, die dann, nachdem sie getrunken hatten, nach der anderen Seite hin wieder weggingen.

Wenigstens erblickte das Auge hier am Flussbett entlang Baumwuchs, große und kleine Annabäume und andere Holzarten, wie Tabebüsche, wilde Tabakstauden und andere, auch wildes hochgewachsenes Ried und andere Futterbüsche als Weide für die hungrigen Zugochsen. Die Ochsen schienen noch alte Wasserpfützen gefunden zu haben. Diese waren aber Jetzt leer. An den Stellen sah man noch dicken Modder, in dem die Ochsen gewatet hatten. Wir entdeckten auch hier das Haus von Missionar Eggert, das er gebaut und eine Zeitlang mit seiner Familie bewohnt hatte. Es war bereits am Verfallen und machte durch seine Lage in dieser einsamen Wüste einen wehmütigen Eindruck.

Nach einem Rasttag, den die müden abgetriebenen Ochsen nötig hatten, ging der Zug weiter nach Husab und von da nach Dawib, die in gleicher Entfernung vom Fluss passiert wurden. Wir wanderten auch von diesen Ausspannstellen nach dem Flussbett und interessierten uns, wie die Ochsen hier weideten und getränkt wurden. Es war für die Wagenleute keine geringe Arbeit für über 200 durstige Zugochsen genügend Wasser in dem sandigen Flussbett zu graben und die Tiere nacheinander zu tränken. Wild stürzten sie übereinander, um zuerst nach dem Wasser zu kommen. Erst bei der nächsten Ausspann- und Wasserstelle Riet kamen wir in nahe Berührung mit dem Fluss. Es war für uns sehr einladend unter dem Schatten großer Kamel- und Annabäume auszuspannen und ausruhen zu können. Aber für die Zugochsen hatte es den Nachteil, dass sie nun umso schwerer ziehen mussten, denn die Räder der schwer beladenen Wagen sanken tief in den feinen Flusssand und kamen nur langsam und mit Mühe vorwärts. Zwischen Riet und dem nächstliegenden Ort, Salem, gingen wir jungen Brüder daher lieber wieder zu Fuß den Wagen voraus. Wir brachen morgens nach dem Frühstück auf und erreichten Salem um die Mittagszeit. In den Ruinen des alten Missionshauses von Bruder Böhm fanden wir in einem noch überdachten Raum Schatten zum Ausruhen.

Wir hofften, die Wagen würden bald nach uns eintreffen, aber da hatten wir uns wieder mal verrechnet. Das Einspannen so vieler Ochsen erfordert Zeit, und in dem tiefen Sand ging es gar langsam voran. Bis dahin hatten wir - ausgenommen Sandfontein und Blum - meist harten Weg gehabt, wo man schneller vorwärts kam. Es wurde Mittag, und die Wagen blieben aus. Der Appetit stellte sich nach dem langen Spaziergang ein. An Wasser war kein Mangel. Doch das alleine wollte den hungrigen Mägen nicht genügen. Als wir uns so verlegen einander ansahen, nahten eingeborene halbnackte Gestalten. Es waren Klippkaffern, die in der Nähe hausten. Die hatten uns beobachtet und trauten sich zu uns zu kommen. Sie schienen zu merken, dass wir hungrig waren und sahen uns eine Weile mitleidig an. Ohne ein Wort zu sprechen, das wir ja auch nicht verstanden hätten, schlichen sie wieder davon wie sie gekommen waren.

Bald kam ein Mann zurück und trug einen großen Kürbis. Ein Weib folgte mit einem großen Topf auf dem Kopfe, eignes Fabrikat. Während die Frau die Feuerstelle zurecht machte, Holz brachte und Feuer anzündete, holte der Mann Wasser herbei. Nun setzten sich beide an den Topf, schnitten den Kürbis in längliche würfelige Stücke und legten sie in den Topf. Als die Stücke nach einer Weile weich gekocht waren, nahmen sie den Topf vom Feuer, stellten ihn uns Fremdlingen vor und gaben durch Zeichen zu verstehen, dass die Kost für uns gekocht sei und wir nun essen sollten. Dann drückten sie sich wieder und setzten sich in einiger Entfernung nieder. Nun wurden von dem dort gewachsenen Ried kleine Stäbchen geschnitzt, mit denen wir rund um den Topf sitzend uns die Kürbisstückchen herausspießten und zu Gemüte führten. Es fehlte wohl Fett und Salz daran, aber es schmeckte doch. Die guten Leute hatten getan, was sie konnten. Wo das der Fall ist, kommt es nicht darauf an, was es ist. Dankbar gerührt waren wir über diese edle Tat, und es hat wohl keiner von uns diese einfache Mahlzeit vergessen, die uns wildfremde Eingeborene in Afrika bereitet hatten.

Die Wagen kamen erst spät am Nachmittag und fuhren an Salem vorbei. Man wollte noch am selben Abend in der Kühle den schweren Sand im Flussbett oberhalb Salem passieren. Dann sollte erst ausgespannt werden. Wir Wanderer mussten uns wohl oder übel dem Zuge anschließen. Auch diese Abendfahrt ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Die Ruhe der Treiber, das Knallen ihrer Peitschen auf die Rücken der keuchenden Ochsen durchdröhnte die Nacht. Schmerzlich wurde ich an das Seufzen, Ängstigen und Sehnen der Kreatur nach der Freiheit der Kinder Gottes in Römer 8 erinnert. Dabei hüllte der Staub, der sich bei dem Getriebe entwickelte, die Menschen, Tiere und Wagen derart ein, dass sie kaum zu erkennen waren. Beim Erklimmen auf die Höhe gab's auf einmal Halt. Einer der Wagen war an schräger Stelle umgeschlagen. Die Sachen, die er geladen, lagen durcheinander am Boden. Der Wagen selbst war so beschädigt, dass er erst repariert werden musste, ehe er weiterfahren konnte. Alles musste ausspannen und auf den Wagen warten. Es war Samstagabend.

Am Sonntag war gewöhnlich auch auf der Reise bei uns für Menschen und Tiere Ruhetag, an dem regelrecht Gottesdienst im Freien gehalten wurde. Die Wagenleute nahmen bis auf die Viehwächter daran teil, so auch an den Andachten an jedem Abend vor dem Schlafengehen. Das war schöner alter Brauch» Neuerdings hat man nicht mehr Zeit für dergleichen. Jener Sonntag konnte jedoch nicht in aller Ruhe gefeiert werden. Not, sagt man, hat kein Gesetz. Bei Tagesanbruch wurde ein Ochse geschlachtet, dem man die Haut abzog, sie in vier Finger breite Riemen schnitt und damit die am Wagen beschädigten Stellen verband. Der so angelegte Verband trocknete den Sonntag über und schrumpfte bei der afrikanischen Sonnenwärme und Wind so fest zusammen, dass sich die Bruchstelle nicht rührte. Montag konnte weitergefahren werden. Der so reparierte Wagen fuhr wieder mit in Reih und Glied ohne Anstand bis Otjimbingue.

Die erste eigentliche Werft, welche wir erreichten, war Obab. Samstagabend spät, z.T. Montagmorgen, kamen wir da an. Von Salem dahin gab es allerlei zu sehen und zu hören. Vor einem Wagen sind die Ochsen ungezogen. Einer legt sich in den Sand, er wil1 nicht weiter, die Treiber sind am Schlagen und Stoßen, beißen sogar dem Tier in den Schwanz, wobei es in ein fürchterliches Gebrülle ausbricht. Ach, wenn man da so in der Abenddämmerung oder Nacht zusieht und zuhört, hat man wohl besondere Gefühle. Man denkt an das Seufzen der Kreatur und bildet sich wohl ein, die Ochsen hätten hier schon mehr für die Mission gearbeitet und gelitten als die Missionare. Und während so vor dem einen Wagen die Ochsen nicht ziehen, ziehen sie vor dem anderen verkehrt, verfahren ihn mit all seinen Habseligkeiten. Am andern Tage muss dann einer der Ochsen sein Leben hergeben, Man zieht ihm die Haut ab, schneidet dieselbe in einen langen Riemen, verbindet damit die beschädigten Stellen am Wagen, wartet einen Tag, damit das weiche Band fest trocknet, und fort geht's über Berg und Tal, über Klippen und Felsen.

Auf Obab ist es schön, und es macht mir Freude, in diesem Lande mal Menschen wohnhaft zu sehen. Ihre Häuser sind klein, auch nicht sehr fest gebaut. In der Mitte steht ein krummer oder gerader Pfahl, an dem sich rundherum schräg stehend mehrere Äste anlehnen, die dann mit Ried und dgl. verflochten sind. Kommt ein mehr als leiser Wind, so kann man sehen, wie Teile der Hütte mit ihm gehen. Abends sehen sie am nettesten aus. Es brennt fast in jeder ein Feuer statt Lampe, das dann seinen Schein durch die vielen Öffnungen verbreitet und die Wege beleuchtet. Afrikanische Gasbeleuchtung! Auf den Häusern ist kein Wetterhahn nötig, denn liegend auf ihren Karossen können die Leute am Rauch und Feuer merken wo der Wind herkommt.

Mit zwei finnischen Brüdern kehrte ich am Abend in einer Wohnung ein; musste mich bücken und stieß doch noch den Kopf an. Bin wohl für Afrika noch zu groß. Das Hausmütterchen war sehr freundlich, ließ immer Holz aufs Feuer legen, damit es hell blieb. Ihre Kinder und Enkel sammelten sich vor der Hütte und sangen uns Lieder. Überhaupt hatten wir freundliche Aufnahme hier, wohl besonders wegen der Familie Cloete, die auf Obab wohnt. Wir hielten einige Mal Gottesdienste auf dem Platz und die Leute hätten sehr gerne, wenn jemand da wäre, der ihre Kinder unterrichtete. Für einen Missionar haben sie gerade nicht viel übrig. Frau Cloete sagte mir, der Platz sei schön und gut, aber zu klein für mehr Leute. Käme ein Missionar zu ihnen, so gäbe er nicht zu, dass sie ausschließlich nur mit soundso vielen Leuten hier wohnen sollten. Gar nicht unvorteilhaft gedacht!

Wir hatten von Obab nur noch einige Tagreisen, eigentlich Nachtreisen, denn am Tage ruht man gewöhnlich. Die Strecke war mühsam zu fahren, und weil man jetzt weiter vom Flussbett entfernt ist, fehlt es an Weide und Wasser fürs Vieh. Große Flächen, die sonst mit dürrem oder grünem Gras bewachsen gewesen, waren jetzt der Wüste gleich. Nur hie und da stand noch ein Grashalm, der nicht eine Beute der Heuschrecken geworden.

Von Salems Höhe erreichten wir nach ca. zwei Stunden Dieptal. Den Ort fanden wir bewohnt von einigen Bastardfamilien mit ihren eingeborenen Dienerschaften und einer Anzahl Bergdamara aus dem Felde. Hier sah ich die ersten Hütten (Pontoks), wie sie hier zu Lande die Eingeborenen bauen und bewohnen. Sie machten einen armseligen Eindruck samt den Bewohnern. Man macht sich zu Hause kaum einen Begriff davon, wie einfach und genügsam diese armen Leute wohnen und leben. Die meisten gehen fast nackt einher, nähren sich dürftig von Feldkost und zuweilen etwas Gartenfrüchten. Sie lassen sich damit begnügen und sind zufrieden, weil sie es nicht besser wissen und kennen.

Von Dieptal aus führen zwei Wege nach Otjimbingue, der so genannte Flussweg und der obere Weg. Der letztere ist der kürzere und leichtere, aber recht uneben und klipperig, hat aber nicht den anhaltend schweren Sand wie der Flussweg. Man zog es vor, den leichteren zu wählen, zumal die meisten Zugochsen zum zweiten Male den Weg nach der Bai gemacht hatten und schon recht mager und abgetrieben waren. Zunächst führte der Weg durch ein enges Tal, in dem noch tiefer Sand das Fortkommen erschwerte. Nachdem die Fläche erreicht war, ging es wohl leichter für die Ochsen, aber wer beim Fahren im Wagen bleiben wollte, musste sich manchen unliebsamen Kopf- und Rippenstoß gefallen lassen. Der eine und andere klagte bei Bruder Hahn über diesen abscheulichen Weg, Doch er sagte halb ironisch zum Trost: "Wartet nur, es kommt noch besser", er meinte natürlich schlimmer. Der Schlote, in die jedes Mal der Wagen hineinschoss, waren unzählige, sie wollten kein Ende nehmen.

Nach einigen Stunden Fahrens sah man die vordersten Wagen wieder haltmachen. Es war vor der so genannten Springbank. Hier konnten die Wagen nicht dicht hintereinander weiter fahren. Jedes Mal, wenn ein Wagen glücklich die Springbank hinuntergesaust war, mussten die zum Wagen gehörenden Leute zunächst den Teil der Sachen und Sächelchen, namentlich die Wasserfässer, die bei der Erschütterung des Wagens herunterpolterten, wieder zusammensuchen und aufladen. Erst dann konnte ein anderer Wagen folgen und dasselbe Schicksal teilen. Es dauerte somit über eine Stunde, ehe die Springbank passiert war. Und jeder Treiber schätzte sich glücklich, wenn er mit seinem Wagen und Ochsen heil davongekommen war. Man kann es verstehen, dass daher dieser Weg nur höchst selten gefahren wurde.

Die nächste Ausspannstelle war Tsaobis (später Wilhelmsfeste, jetzt als Farm Kaltenhausen genannt). Das letzte Ende des Weges fanden wir etwas manierlicher. Tsaobis selbst ist eng von Felsen eingeschlossen. Die Wagenleute entdeckten bald eine große Schlange. Mit Vergnügen jagten sie dahinter her, bis sie sich in einen Felsspalt flüchtete. Der barg sie jedoch nicht ganz. Ein Teil hing vor und blieb sichtbar. An dieses Ende schlüpften die Leute Ochsenriemen, die vom Felsen her zum Boden reichten. Und nun wurde sie unter großem Lärm hervorgezogen. Jedes Mal, wenn ein Stück weiter zum Vorschein kam und sich bewegte, dachte jeder, sie käme schon heruntergekollert. Und alle rannten davon. Nach mehreren Versuchen hatte man es erreicht. Sie schlug so lang sie war von der Höhe auf den Boden. Nun war das Geschrei erst recht groß. Sie kam jedoch nicht wieder. Viele Hunde, sagt man, sind des Hasen Tod. Auch infolge der Riemen an dem Schwanze konnte sie nicht schnell genug von der Stelle kommen. So endete sie bald unter Schlägen und Steinwürfen. Sie maß zwölf Fuß.

Von hier aus erreichten wir nach fünf Stunden Otjimbingue. Der Platz liegt zwar auch in einer großen weiten Fläche und hat wenig Reizendes, doch macht das schöne Kirchlein, Schulhaus und andere Gebäude einen mehr heimatlichen Eindruck. Wir wurden mit Schießen und Glockengeläut freudig empfangen. Die Reise von Barmen bis Otjimbingue hatte sechs Monate Zeit für uns in Anspruch genommen, vom 21. Oktober 1868 bis 23. April 1869. gleich für den Anfang eine reichlich bemessene Geduldsprobe in unserer Missionslaufbahn.

Bei all dem Mangel an Weide halten sich noch ziemlich viel Herero hier auf. In der Kirche sieht man immer eine hübsche Anzahl Zuhörer, ebenso in der Schule. Gottesdienste sind reichlich am Sonntag, weil sozusagen zwei Gemeinden bestehen und jede in ihrer Sprache hören soll. Ich kann von der Hereropredigt noch nichts verstehen, wiewohl ich immer dabei in der Kirche sitze und nicht sehr schlecht aufpasse. Im Holländischen geht's besser, da verstehe ich schon etwas und suche mich auch selbst verständlich zu machen. Hoffentlich wir's sich auch im Herero nach und nach machen. Ich habe ja an Bruder Hahn einen guten Lehrer in dieser Sprache, der mir mit den finnischen Brüdern wöchentlich vier Stunden gibt und auch dafür gesorgt hat, dass ich in praktische Übung gekommen bin.

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Lebenslauf des jungen Philipp Johannes Diehl

Philipp Johannes Diehl wurde zu Ehringshausen, einem ansehnlichen Dorf im Kreise Wetzlar, als Sohn des Konrad Diehl und seiner Ehefrau Marie Katharine, geborene Huttel, am 18. Mai 1837 geboren. Mein Vater war ein charaktervoller, strenger Mann. Die Mutter hingegen das Gegenteil. Deshalb trug sich im häuslichen Kreise manches Unangenehme zu. Doch der treue Gott machte dem etwas missglückten Ehebunde bald ein Ende. Die Mutter starb, nachdem ich das 7. Lebensjahr erreicht hatte (am 13.10.1844) und hinterließ außer mir noch zwei Kinder, von denen das jüngste, ein Knabe von 2 Jahren, sogar taubstumm war. Obwohl nun die Großmutter das Hauswesen versah und im ganzen mehr Frieden herrschte, so hielt dies doch nicht lange an, weil auch sie bald heimging (16.11.1845). Die Ermangelung aller weiblichen Hilfe veranlasste dem Vater allerlei Beschwerden und brachte ihn zu dem Entschluss, sich aufs neue zu verheiraten. Hiermit änderte sich aber das Familienkreuz wenig; besonders wurde die Lage für uns Kinder unter dem Regiment einer Stiefmutter eine bedeutend schwerere. Unter solchen Verhältnissen verstrichen meine Kinderjahre. Kurz nach der Konfirmation suchte mein Vater eine Lehrlingsstelle für mich in einem Schreinergeschäft. Da ich aber die Strenge des Meisters fürchtete, so konnte man mich auf keine Weise bewegen, diese Stelle anzunehmen. Es blieb daher kein anderer Rat, da ich einmal Holzarbeiter werden sollte, als mich das Küferhandwerk erlernen zu lassen. Nach Verlauf der Lehrzeit erbot sich im Geschäft meines Meisters noch einige Zeit Arbeit. Und da dieselbe nach dessen Tode lahm gelegt wurde, riet mein Vater, selbständig weiterzuarbeiten. Dies geschah.

Wie in geschäftlichen Sachen, so war auch in sittlicher und religiöser Beziehung mein Leben bis jetzt noch ein unentwickeltes. Die Sünde hatte vielfach Wurzel in mir geschlagen, auch wohl schon angefangen, sich auszubilden, aber sie hatte dennoch keine vollständige Herrschaft gewonnen. Furcht und Abscheu machten sich wiederholt nach vollbrachten Vergehungen geltend. An irdischen Ergötzlichkeiten konnte sich mein Herz nie völlig freuen. Mir fehlte etwas; wo es aber zu finden sei, wusste ich nicht. Zwar bestand schon längere Zeit eine christliche Versammlung in unserer Gemeinde, aber da meine Eltern und Jugendgenossen- sehr gut verstanden, die Schattenseiten der Mitglieder dieser Gemeinschaft hervorzukehren, so blieb eine gewisse Abneigung gegen dieselbe« Bei dem allen seufzte ich doch hie und da zu Gott, er möge mich zu diesen Leuten führen, wenn ihre Sache rechter Art wäre. Diese Seufzer sind nicht unerhört geblieben. Mein liebster Spielgenosse und zugleich größter Gegner dieser Sache gab, nachdem er durch einen großen Unfall gedemütigt worden war, selbst Veranlassung, einer solchen Versammlung beizuwohnen. Was ich in derselben gehört, ist mir entschwunden, nur weiß ich, dass der Vorgang im ganzen einen Eindruck hinterließ, der mich antrieb, in "Arndts Christentum", das mir bisher als Bilderbuch gedient hatte, Trost zu suchen.

Bei erwachtem Gewissen ging nun mein Bestreben vielfach darauf hinaus, soviel als möglich durch eigne Kraft mich den Sündenketten zu entreißen und geschehene Taten wieder gut zu machen. Aber ach! wie habe ich mein Unvermögen einsehen müssen. Ich blieb bei aller Wirksamkeit ein Sklave der Sünde, besonders der Lieblingssünde. Und da ihr Druck mit der Zeit minderempfindlich wurde, drohte mir Gefahr, ein Isaschar zu werden, der auf der Grenze liegen bleibt. Doch der Herr läßt es denen, die gerne selig werden wollen, noch immerdar gelingen. Will zu diesem Zwecke der Weg der Güte nicht fruchten, so gebraucht er als ein weiser Vater die Rute. Um aber die eigne Kraft gänzlich zu zermalmen, bedarf es oft gewaltiger Schläge. Dieselben blieben nicht lange aus. Mein Vater erkrankte plötzlich und starb nach kurzer Zeit (am 10.12.1858). Die noch einzige Stütze für mein irdisches Leben war nun dahin; denn da von der Stiefmutter her manches zu erdulden war, so hing das Herz besonders an seiner Persönlichkeit. Kaum waren zwei Monate verflossen, so erkrankte die Mutter und drei unserer Geschwister, von denen zwei auch bald heimgingen. Hatte ich in den Tagen unbeschränkter Gesundheit unter dem Druck der Sünde noch auszuhalten vermocht, ja sogar geglaubt, eines guten Teils derselben mich entledigt zu haben, so wollte dieselbe im Anblick des Todes unerträglich werden. Wie Wellen türmte sie sich vor mir auf und drohte mich in den Abgrund zu stürzen. Aber im Moment des Versinkens erklangen die Worte in meinem Herzen: "Mein Blut das schreit Barmherzigkeit!" Von dieser Stunde an fühlte ich Frieden im Herzen und Gewissen. Nachdem meine Gesundheit, sowie die der Mutter, wiederhergestellt war, begann ich aufs neue die Arbeit. Insonderheit sah ich es nun als Pflicht an, der Stiefmutter den Verlust des Vaters, soviel als möglich, zu ersetzen. Und da ich mich als Kind eines höheren Vaters erkannte, lebte ich glücklicher als je. Wohl machte sich die Sünde hie und da lockend an das Herz heran, aber es war nun eine Widerstandskraft vorhanden, welche sie nicht zu tätigem Eingreifen kommen ließ.

So verstrich geraume Zeit, bis es plötzlich wie ein Ruf meine Seele durchdrang, den Heiden das Evangelium verkünden zu sollen. Da mich dieses sehr befremdete, ja mir unglaublich erschien, so suchte ich mich des Eindrucks bald zu befreien. Dieses ging jedoch nicht so leicht als ich mir vorgestellt hatte. Eine gewisse Scham hielt mich jedoch zurück, ungefähr zwei Jahre, andern gegenüber davon Mitteilung zu machen. Endlich wagte ich es, fand aber bei einem alten Christen wenig Gehör. Doch der Kampf wurde brennender, und um innerlichen Frieden zu haben, musste es irgendwie zur Entscheidung kommen. Unter ernstlichem Ringen im Gebet gelangte ich zu der Klarheit, dem Zuge Folge zu leisten und auf des Herrn Wort diesen Schritt zu wagen.


Philipp Diehl
1837 - 1920

An einem Aufschub war nun nichts mehr zu ändern. Inbetreff des irdischen Berufs band mich in diesem Augenblicke wenig. Der Mutter, der ich überall hilfreich zur Seite gestanden, war es angenehmer, eine Veränderung des bisherigen Lebens zu sehen, um wieder heiraten zu können. Dazu war kein Grund vorhanden, solange ihr meinerseits alles nach Wunsch verwaltet wurde.

Meine Meldung zum Missionsdienst geschah deshalb noch an demselben Tage und nachdem mein Lebenslauf eingereicht war, hat man mir erlaubt zu kommen. Der Empfang war wie er gewöhnlich sein wird, sehr abkühlend. (Besonders mag dazu beigetragen haben, dass mir das Los zuteil wurde, mit Herrn Inspektor von Rohden in Berührung zu kommen, welcher, wie bekannt, gegen uns Ankömmlinge anfangs wenig Mitleid bezeugt.) Die Zeit der Aufnahme brachte ich bei einem Böttchermeister in Barmen zu. Unter manchen Schwierigkeiten nach innen und außen ging sie vorüber. Oft habe ich gedacht, wer in seinem Christenstande eine gründliche Demütigung durchzumachen wünscht, kann sich hier als Missionsaspirant vorstellen. Hin und wieder will es fast zuviel werden. Aber was ist zu machen? Auf und davonlaufen geht nicht gut, obgleich es einem hie und da vorkommt, dem geehrten Herrn sei dies das Angenehmste. Unter völliger Ergebung in den Willen des Herrn und der Gewissheit, nicht eignen Interesses halber diesen Weg eingeschlagen zu haben, lässt es sich dann doch zur Not aushalten. Im geistlichen Leben macht man in dieser Wartezeit keine Rückschritte. Mir wenigstens wird sie unvergesslich bleiben. "Wenn du mich demütigst, machst du mich groß", dieses Wort des Psalmisten habe ich in jenen Tagen reichlich erfahren dürfen.

Der Herbst nahte endlich, in welchem die Aufnahme erfolgen sollte, aber wegen geringer Elementarkenntnisse einstweilen provisorisch. Mit einem Herzen voll dunkler Vorgefühle, mit ungeordneten Gedanken, ungelenker Zunge, etwas steifen, obgleich festen Fingern, begann die Arbeit. Ich hatte bei all meinem Elend noch immer gedacht, du kannst noch ziemlich gut etwas behalten, und dies schien auch in den ersten Wochen wirklich der Fall zu sein. Aber da die Zahl der Namen, besonders in der Geographie, kein Ende nehmen wollte, fing es an, mir schwindelig zu werden. Selbst der teure Lehrer schien unzufrieden zu sein; wenigstens merkte ich, dass er unter seiner Arbeit seufzte. Dieses bereitete mir großen Kummer, ja, ich muß gestehen, erweckte zweifelsvolle Gedanken in meinem Herzen. Nur das Gebet hielt mich aufrecht, welches auch der Herr in Gnaden erhörte und mir so viel Weisheit schenkte, um forthin zur Zufriedenheit des lieben Hausvaters Busch meine Aufgaben vollbringen zu können. Beim Eintritt ins Missionshaus trug man in Hinsicht der Sprachenerlernung in so fortgeschrittenem Alter wieder Bedenken. Durch Fleiß und Mühe, wozu der Herr Freudigkeit schenkte, ist es jedoch meiner Meinung nach gelungen; wenigstens weiß ich, dass ich weiterlernen kann, wenn ich will und es auch tun muss, wenns etwas Ganzes werden soll. Und wie es in diesem Fache ist, so ist es auch in anderem. Das Feld ist hier zu groß geworden. Am Schluss meines Aufenthaltes in der Vorschule meinte ich, viel gelernt zu haben; aber nach vierjährigem Kursus im Missionshause habe ich den Eindruck, überhaupt nur einen rechten Anfang im Lernen gemacht zu haben. Mein Wunsch ist aber, dass der Herr sowohl das, was er mir aus Gnaden durch meine teueren Lehrer geschenkt hat, und was ich keineswegs verkenne, als auch das, was er noch schenken wird, dazu benutzt, dass ich es zu seiner Ehre verwerte.

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Schiffsreisen im 19. Jahrhundert

Auszug aus Wiebke Hoffmann "Auswandern und Zurückkehren", Waxmann, 2009, Seite 64 - 66, 69

Im 19. Jahrhundert ist das Reisen abenteuerlich und mit vielen Gefahren verbunden. Reisen in ferne Länder bleiben in der Regel Männern (Forschern, Kaufleuten, Regierungsbeamten) vorbehalten. Für Frauen ist es außergewöhnlich und ein Privileg. Die Missionsbräute (Missionsfrauen) reisen "im Namen Gottes" im Auftrag einer Missionsgesellschaft. Will man in unerforschte Gebiete, muss man mit dem Segelschiff über die Meere fahren und sich anschließend auf anstrengende Fußmärsche einlassen.

Verschiedene Reedereien fahren im Auftrag der Norddeutschen Missionsgesellschaft. Die Reederei Woermann aus Hamburg befördert in deren Auftrag Güter und Angehörige. Namentlich sind mehrere Schiffe aufgeführt. Da das Archiv der Woermann Linie durch den Krieg vollständig zerstört wurde, kann ich über die Beschaffenheit und Ausstattung der Segelschiffe keine näheren Angaben machen. Ein besonderes Verhältnis hat die Missionsgesellschaft zu der Kaufmanns- und Reederfamilie Friedrich M. Vietor & Söhne in Bremen. Nicht nur der Standort Bremen verbindet die Norddeutsche Mission mit der Familie Vietor, sondern auch die geschäftlichen Interessen, insbesondere die Beförderung von Missionsangehörigen nach und von Afrika. Die Firma Vietor besitzt in Accra eine Geschäftsniederlassung. Da der Warenhandel sich gut entwickelt, gründet das Familienunternehmen, um unabhängig von anderen Schifffahrtslinien zu sein, die Reederei. Die "gute" Zusammenarbeit zwischen den Firmeninhabern und der Missionsgesellschaft besteht darin, dass über Jahrzehnte Angehörige der Familie Vietor im Missionsvorstand sind. Einige der Vorstandsmitglieder sind als Planer in einer Gemeinde tätig. So gibt der christliche Gedanke das Bindeglied zu einer guten "Geschäftsverbindung". Die beiden Briggs der Reederei Vietor, "Dahomey" und "Emma" tätigen vorzugsweise die Aufträge der Norddeutschen Missionsgesellschaft. Die Schiffe segeln ausschließlich zwischen Bremerhaven und der afrikanischen Westküste. Ab 1862 fährt auch die "Volta" für den Westafrika-Dienst. Die Segelschiffe sind in erster Linie zur Beförderung von Frachtgut gebaut. Daher sind nur wenige Kabinen für Passagiere vorhanden.

Offenbar wurden die damals noch recht neuen Dampfschiffe eher selten von der Mission eingesetzt. Jedenfalls beziehen sich die mir vorliegenden Reiseberichte der Mission (1847 bis 1889) bis auf Ausnahmen auf Fahrten mit einem Segelschiff. Die Entwicklung der Dampfschiffe begann Ende des 18. Jahrhunderts in Nordamerika und England. Wahrscheinlich waren die Investitionen für deutsche Schiffseigner nicht profitabel genug, um auch noch für eine "arme Mission" .Sonderangebote zu machen, weshalb die Missionsgesellschaften ihre Angehörigen mit den langsameren Segelschiffen und weniger Komfort fahren lassen.

Das erste Schiff für die Basler Handelsgesellschaft ist die "Palme". 1866 segelt sie zum ersten Mal nach Westafrika... Von den Schiffen, welche die Gesellschaft im Laufe der Jahre besitzt, ist die "Palme" dem Rauminhalt nach mit 240 BRT das kleinste. Es sind "kleine handliche Fahrzeuge mit zwei Masten"... Die „Schiffe waren aus Eichen- und Buchenholz erbaut und zum Schutz gegen Seebohrwürmer und Muschelansatz solid gekupfert. Für die Fahrt der "Palme" werden acht Mann für die Besatzung angeheuert. Bei allen Fahrten gehört auch ein Koch zur Mannschaft. Da für die Mission nicht nur Fracht, sondern auch Personen befördert werden, sucht man einen "braven Kapitän - eigentlich christlich gläubige sind schwer zu finden." Die Reisedauer von Bremerhaven zur Goldküste und zurück wird mit acht bis neun Monaten angegeben...

Eine Einschiffung für Missionsangehörige findet aber nicht nur in Bremerhaven statt, sondern auch in Hamburg oder Bremen (Reederei Woermann). Die Brigg "Dahomey" (Bremer Firma Friedrich M. Vietor Söhne) fährt für die Basler Mission, und auch die Norddeutsche Mission nutzt dieses Schiff. Das Segelschiff ist 120 m lang und etwa 36 m breit und hat Platz für vier Passagiere...

Carl und Margarethe Oßwald beschreiben 1889 eine ... stürmische Überfahrt... Eine Nacht vergessen sie nie mehr. Es war vom 19. auf den 20. August: „Wir waren im Golf von Biscaya. (...) mit großem Getöse stürzten die Wellen über Bord und richteten viel Unheil an. (...) Von dem Geflügel, das auf dem Dampfer war, kam fast keines mit dem Leben davon, es wurde von den hereinstürzenden Wellen ertränkt. (...) Wir wurden in jener Nacht ganz fürchterlich hin- und hergeworfen und zwar in den Betten, das eine Mal standen wir auf dem Kopf dann wieder auf den Füßen und die Folge war, daß wir uns beständig erbrechen mußten. In unserer Cajüte tanzte alles hin und her, da rollten die Gläser und Flaschen, Faden und Scheren, Kleider und Hüte und noch eine Menge anderer Kleinigkeiten immer von einem Ort zum anderen und wir waren ordentlich um unser Eigentheil, vor allem aber auch um unser Leben besorgt. Doch wir wußten uns in guter Hut und glaubten uns gewiß, daß ohne des Herrn Wille kein Haar auf unserem Haupte dürfte gekrümmt werden."

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