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ÖJD Tagungen
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Bruchstücke der Ostertreffen ÖJD zwischen 1958 und 1971

Übersicht über die Tagungen 

Berlin 1958

Christ in der DDR

Von Dietrich Gutsch

Ob am letzten Lagertage die Gemeinschaft eines ökumenischen Aufbaulagers beendet ist? Bleibt mehr als ein vorläufiger, höchstens noch regelmäßiger Briefwechsel untereinander? Vergessen wir einander und die Zeit, in der wir zusammen gelebt und gearbeitet haben? Vergessen wir unsere gemeinsamen Erfahrungen, die wir miteinander vier Wochen lang gemacht haben - oder hat sich unsere Gemeinschaft bewährt und bleiben wir beieinander über die Grenzen unserer Länder und Konfessionen hinweg? Bewährt sich auch nach dem Lager unsere Gemeinschaft als Glieder am Leibe Jesu Christi? Das sind Fragen, die sich jeder Aufbaulagerteilnehmer am Ende eines ökumenischen Aufbaulagers bewusst oder unbewusst stellt. Das haben wir uns auch gefragt nach unseren ökumenischen Aufbaulagern im demokratischen Sektor von Berlin.

Und wir erlebten es: Wir bleiben zusammen! Wir trafen uns in Berlin wieder: 52 Teilnehmer der beiden ökumenischen Aufbaulager, die 1956 und 1957 in Ostberlin stattgefunden haben; sie kamen aus Amerika, Brasilien, Dänemark, England, Finnland, Ghana, Holland, Indien, Island, Italien, der Schweiz und beiden Teilen Deutschlands.

Unser "Tagungsprogramm" hatten wir vor unserem Treffen gemeinsam erarbeitet. Außer unserer Bibelarbeit und der Diskussion über das Büchlein "Christ in der DDR", das jeder von uns vor dem Treffen gelesen hatte, haben wir Gemeinden in Ostberlin besucht und auch dort einen Abendmahlsgottesdienst gestaltet. Wir haben die Stätten unserer "Taten" aufgesucht und unsere Gespräche mit uns bekannten Mitarbeitern des Staates in der DDR fortgesetzt.

In den sieben Tagen ging es uns darum, die einmal begonnene Gemeinschaft zu vertiefen: in unseren persönlichen Gesprächen, im Hören auf die Botschaft der Bibel und im Durchdenken der vielen Fragen und Probleme miteinander und füreinander, die uns als junge Christen in unseren Ländern beschäftigen.

Wir wollen weiterhin beieinander bleiben in der Fürbitte für unsere Länder und Kirchen und in der gegenseitigen Information. Wir wollen uns, wenn irgend möglich, in jedem Jahr für ein paar Tage wieder treffen.

Ob das verwunderlich ist? Gewiss: zumal jeder, der von weither kommt, große persönliche und finanzielle Opfer auf sich nimmt. Um so dankbarer sind wir, dass wir eine solide Gemeinschaft erfahren haben.

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Berlin 1963

Unser Glaube heute

Von Gretchen Röhrs verh. Seiffert für den Hamburger Regionalkreis

Unsere Hamburger Gruppe wurde wieder mit der Aufgabe betraut, für alle die von uns, die diesmal nicht an unserem Ostertreffen teilnehmen konnten, einen Bericht zu machen.

Unser Treffen fand wieder an vier von sechs Tagen in Ostberlin, Stöckerstift, statt. Da wir "Westmenschen" in unserem alten Heim am Wannsee, das eine halbe Stunde Fußweg von der S-Bahn entfernt liegt, untergebracht waren, ging täglich erhebliche Zeit, nämlich fünf bis sechs Stunden, für den Weg hin und zurück nach Ost-Berlin verloren. Jedoch, was die Organisation des Treffens anbetraf, hatten wir aus dem letzten Jahr erheblich dazu gelernt. Trotz dieses täglichen Zeitverlustes hatten wir unsere Ruhe und Zeit für unsere Gespräche in den großen und kleinen Gruppen, für gemeinsames Gebet und für die persönliche Begegnung.

Im Vergleich zum letzten Jahr war es ein großes Treffen. Wir hatten sowohl im Westen als auch im Osten viel mehr Teilnehmer. Zu vielen alten Teilnehmern war erfreulicher Weise eine große Gruppe von neuen Teilnehmern gekommen, die das Leben der Konferenz sehr aktiv mittrug. Es wurde ja auch gerade im letzten Rundbrief betont, wie wichtig es ist, dass unser Kreis wächst. Wir wollen ja mit unserer Konferenz viel mehr, als dass sich gute alte Freunde persönlich wieder begegnen. Es geht vielmehr darum, dass wir uns wichtige gemeinsame sachliche Fragen stellen und uns gegenseitig helfen, diese Fragen zu beantworten und damit in unserer Welt gehorsam zu leben.

Mit unserem Thema "Unser Glaube heute" waren wir eigentlich in der Mitte oder bei der Basis aller Fragen angelangt, die uns bei den vorgehenden Ostertreffen bewegten. Das machte sich auch hier und da in unseren Gesprächen bemerkbar. Wir bekamen von hier wieder einen ganz anderen Ausblick z.B. auf die Frage nach der Struktur der Gemeinde. Das Hauptreferat wurde gehalten von Pfarrer Dr. Cox, Mitarbeiter bei der Gossner-Mission in West-Berlin. Pfarrer Marquardt hielt gegen Ende des Treffens in West-Berlin ein Referat zum Thema "Unser Glaube heute".

Unsere Gespräche fanden auch diesmal zur Hauptsachen kleinen Gruppen statt, so dass eigentlich jeder ganz aktiv an der Arbeit des Gesprächs beteiligt war. Am Ostersonntag feierten wir einen ökumenischen Gottesdienst in einer Ostberliner Gemeinde. Die Predigt über Markus 16, 1-8 wurde von dreien aus unserem Kreis gehalten.

Wir möchten für alle, die nicht dabei waren, wesentliche Punkte unseres Gesprächs herausstellen, um sie so daran teilnehmen zu lassen. Das ist in diesem Bericht aber besonders schwierig. Es ist nach unserer Meinung ganz bezeichnend für dieses Treffen, dass es viel mehr offenen Fragen als Ergebnisse gab. Der Bericht der verschiedenen Arbeitsgruppen am Ende des Treffens zeigte, dass wir oft unter den gleichen Fragen in sehr verschiedene Richtungen gegangen waren. Zudem gab es viele terminologische Schwierigkeiten. Wir wollten uns so wenig wie möglich im Wortschatz unserer kirchlicher Tradition ausdrücken, weil diese Worte oft abgebraucht oder unverständlich oder bedeutungslos für uns sind.

Und doch fielen wir oft im Gespräch auf diese vertrauten Ausdrücke zurück, weil uns doch vieles nicht hinreichend klar war, um es in neuer Sprache zu sagen. Dies ist also nicht mehr als der Versuch eines Berichtes, ein hoffentlich nicht zu subjektiv gefärbter Versuch.

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1. Glaube in unserer religionslosen Welt

Durch den Fortschritt der Wissenschaft, die Entwicklung des Sozialstaats u.a. sind wir "mündiger" geworden, unsere Welt selbst zu bewältigen. Gott als Lückenbüßer in einem noch mangelhaften Erkenntnisbild oder als Garantie gegen zufällige Schicksalsschläge haben wir nicht mehr nötig. Insofern sind wir "gottferner". Doch sind wir dadurch nicht in Wirklichkeit einer Begegnung mit Gott offener geworden, der sich nicht von uns als Lückenbüßer oder als letzte Garantie benutzen lassen sondern der uns mit seinem Versprechen herausfordern will? Vielleicht kann man sagen, dass Religion Suche nach letzter Garantie im Übernatürlichen ist, während Glaube ein Leben im Vertrauen und im Gehorsam gegen ein Versprechen Gottes ist, der uns mitten im Leben begegnen will.

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2. Wer ist Jesus für uns?

Jesus Christus zeigt uns das Menschsein, so wie es eigentlich von Gott gewollt ist, nämlich als Dasein für andere. Jesus Christus zeigt uns, dass Gott für den Menschen ist, der ihn beginnungslos, ob Jude, ob Grieche, ob dem oder jenem Kultus zugehörig, ob diese oder jene Ordnungen und Gesetze befolgend, annimmt und erträgt. Diese unerhörte Botschaft reißt die Mauern der Religionen, Weltanschauungen, Ideologien, die die Menschen immer wieder zwischen sich aufrichten, ein. Doch was haben wir aus dieser Botschaft gemacht? Das Wort "Christ" ist im Laufe der Geschichte zu einem Wort der Abgrenzung geworden. Und fallen wir selbst nicht auch oft in der Versuchung, uns gegenüber z.B. den Humanisten abzugrenzen? Wir fragen ständig, worin unterscheiden wir uns z.B. von den Kommunisten, anstatt dass wir erkennen, wo wir mit den Kommunisten gemeinsames für den Menschen wollen und dieses Gemeinsame dann auch gemeinsam tun.

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3. Was heißt "Gott bekennen?"

In unserem Bibeltext (1. Moses 26, 1-11) ist Bekenntnis eine Einheit von Sprechen und Tun. Das gesprochene Wort begleitet und erklärt das Tun (hier: die Opferhandlung). Im Vergleich dazu erscheint unser sonntägliches Sprechen des Glaubensbekenntnissen im Gottesdienst isoliert vom sonstigen Leben und Tun. Müsste nicht unser ganzes Leben und Handeln ein Bekennen, d.h. ein Anerkennen dessen, dass Gott der Herr unseres Lebens ist, sein? Versuchen wir und die Kirche i.a. nicht viel zu viel und zu einseitig, mit bloßen Worten für Christus zu zeugen. Steht nicht solches Zeugnis oft ganz allein und fehlt ihr die Verbindung zu unseren Taten? Heute ist es wohl so, dass das Bekennen in Worten eigentlich nur dann angebracht ist, wenn unser Handeln uns in solche Situationen bringt, dass wir nach unserem Glauben gefragt werden.

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4. Was will Gott von uns?

Es geht darum, die Not des Mitmenschen zu sehen und da ganz einfach sachlich zu helfen (vergl. Matth, 25, 31ff). Hier werden wir nicht gefragt, ob wir das Evangelium bestimmte bejaht und verkündet haben, sondern ob wir Hungrige ernährt, Nackte bekleidet, Kranke besucht haben. "Es geht nicht darum, die Versöhnung zu predigen, sondern Versöhner zu sein" (Symanowski). Dabei müssen wir alle Schranken der Weltanschauungen, Ideologien, Rassen usw., durchstoßen und solidarisch mit denen, die unsere Hilfe brauchen, werden (vergl. Lukas 10, 25ff). Ein Samariter hilft einem Juden). Es werden von uns keine "christlichen" Aktionen gefordert, sondern einfaches menschliches Handeln (Matth. 25). Darum können und sollen wir auch immer wieder da, wo es die Gelegenheit ergibt, gemeinsam mit Nichtchristen an diese Aufgaben herangehen, oder uns, einfach einreihen in die Arbeit, die in dieser Beziehung schon immer von den anderen getan wird (z.B. Mitarbeit in Friedens- und Abrüstungsbewegungen, keine christlichen Parteien und Gewerkschaften, aber Christen in Parteien und Gewerkschaften, Teilnahme an nichtkirchlichen Aufbaulagern, keine Konfessionsschulen aber christliche Lehrer an Gemeinschaftsschulen).

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5. Welche Rolle spielt die Gemeinde und welche Form müsste sie haben?

Zuerst einmal: Wir brauchen die Gemeinde, damit ist gemeint die Gemeinschaft mit anderen Christen, um überhaupt so verantwortlich leben zu können. Wir brauchen das Gespräch über der Bibel in der Gemeinde. Wir brauchen das Gespräch mit anderen Christe n, die unsere Situation, kennen. Wir brauchen den Gottesdienst und die Gemeinschaft des Abendmahls. Doch wäre es falsch Gottesdienst und Gemeindeleben als den Hauptlebensbezirk zu sehen. Ein ebenso wichtiger Lebensbezirk ist unser Leben und Handeln mitten unter den anderen Menschen und für die anderen Menschen in Beruf, Familie, Politik usw. Auch geht es nicht darum, alle Menschen in die Gemeinde und zum Gottesdienst bringen zu wollen, sondern darum, dass wir durch Gottesdienst, Abendmahl, Gespräch, Gebet gestärkt und bereit aus unserem Gemeindeleben aufbrechen, um mit den und für die anderen dazusein (vergl. hierzu Ruedi Weber: Mündige Gemeinde, das Dietrich uns vor Ostern 60 zuschickte). In dem Predigttext vom Ostersamstag wird den Jüngern gesagt, dass sie nicht am leeren Grab stehen bleiben, sondern nach Galiläa gehen sollten (Markus 16, 17). Nach Galiläa, also dorthin, wo Jesus am Verachtesten war, weit weg von Jerusalem und dem Tempel. Es heißt: "Da werdet ihr ihn sehen".

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6. Und unsere traditionelle Kirche?

Für unsere Zeit ist es kennzeichnend, dass sich viele traditionelle Ordnungen auflösen. Wir sind ständig aufgerufen, in allen Lebensbereichen neue Ordnungs- und Organisationsformen zu bilden, die der sich wandelnden Welt gerecht werden. Dagegen hält die Kirche i.a. noch weithin an traditionellen Formen fest. Oft liegt es daran, dass sie diese traditionellen Ordnungen als ein für allemal gültige Setzungen Gottes versteht. Ist nicht ein solches Verständnis unserer Tradition falsch? Müssen wir nicht unsere überlieferten Ordnungen statt vom 1. Artikel (des Glaubensbekenntnisses) vom 2. Artikel d.h. von Jesus Christus her verstehen, der bereit war, viele der damaligen Ordnungen und Gesetze des jüdischen Glaubens zu verändern (vergleiche u.a. Matth. 6,1ff). Durch Jesus wurde die damalige Tradition so verändert, vertieft und vermenschlicht, dass sie dem Menschen wieder diente. Ist es nicht so, dass unsere kirchliche Tradition uns oft von der Welt trennt und dass wir auch Christus dadurch von der Welt trennen oder ihn für die anderen unverständlich oder missverständlich machen?

Wir blieben besonders bei diesem Punkt beim Fragen stehen, ohne zu gemeinsamen Ergebnissen zu gelangen. Es gab sehr verschiedenartige Meinungen, die meist auch stark von der Kirchenzugehörigkeit des Betreffenden geprägt waren.

Einen großen Raum nahmen wieder die sachlichen Berichte ein, die besonders der gegenseitigen objektiver Information. dienen sollen. Wir hörten folgende Berichte:

  • 6. Parteitag der SED (Käthe DDR)

  • Politische Aktivitäten holländischer Studenten (Bart v. Steenbergen, Niederlande)

  • Dönitz-Affäre (Kurt Stellwag BR)

  • Vorgänge um Pfarrer Dohrmann in Wolfsburg (Walter Hiller BR)

  • Konzil der Röm.-Kath. Kirche (Walter Dalland, Dänemark)

  • Gespräche der Anglikaner und Methodisten in. Großbritannien im Hinblick auf einen Zusammenschluss beider Kirchen (John Arnold, England)

Unser Thema war sehr umfassend und ist innerhalb der kurzen Zeit nicht annähernd erschöpft worden. Beim Abschlussgespräch herrschte folgender Eindruck vor: Unsere Gespräche haben uns von vielen falschen Vorstellungen und falschen Sicherheiten befreit. Es sind viele wichtige Fragen aufgetaucht, die uns beunruhigen und weiter beschäftigen müssen. Viele äußerten den Wunsch, beim nächsten Ostertreffen in gleicher Richtung weiterzuarbeiten.

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Berlin 1964

Christliche Hoffnung

Aus: Christliche Friedenskonferenz Nr. 10, Juni 1964

Auf Einladung der Gossner-Mission in der DDR versammelten sich zu Ostern in Berlin mehr als 100 Teilnehmer zu ihrer schon traditionellen Osterkonferenz. Diese zum Teil ständige Gemeinschaft junger Christen aus einigen europäischen Ländern (in diesem Jahr waren beide deutsche Staaten, Holland, Dänemark, Schweden, England, Finnland, Österreich, Schweiz, Ungarn und CSSR vertreten) befasste sich mit der Frage der Tragfähigkeit und Glaubwürdigkeit der christlichen Hoffnung in heutiger Situation. Die Konferenz hat sich überwiegend auf die Arbeit in den Diskussionsgruppen konzentriert, die sich mit der Frage der Hoffnung in der Beziehung zu den einzelnen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens befasst haben. In der Arbeit der Konferenz bedeuten nämlich zwei Punkte eine große Hilfe: ein außerordentlich enger gegenseitiger Kontakt unter den Teilnehmern, der seit dem ersten Augenblick offene Gespräche ermöglichte, die manchmal bis zu persönlichen Konfessionen führten. Außerdem wurde die Arbeit durch einen beträchtlichen vorläufigen Konsensus gefördert, der sich als Ergebnis der bisherigen Zusammentreffen erwiesen hat.

In der Zeitschrift CFK berichten wir über diese Konferenz nicht nur darum, weil manche von den Teilnehmern Mitglieder der Kommission der CFK "Friedensdienst der Jugend" sind (ich führe den Organisatoren der Osterkonferenz Dietrich Gutsch und den diesjährigen Hauptreferenten Bas Wielenga an), sondern auch darum, weil die ganze Arbeit und Art und Weise der Fragestellung der Zielsetzung der CFK sehr nahe liegt.

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Berlin 1965

Theologisches Verständnis der Weltwirklichkeit und politische Entscheidung

Bert Hanekamp schreibt in Abstimmung mit Dietrich Gutsch in der Einladung:

Anfang Dezember 1964 waren in Berlin wieder mehrere Abgeordnete der Regionalkreise Kopenhagen, Hamburg, Stuttgart und Utrecht beisammen, um mit den DDR-Kreisen Ostern 1965 vorzubereiten. Vorher wurde eine genaue Auseinandersetzung über die Tätigkeiten der Kreise gegeben und es wurde die Themen des nächsten Jahres skizzenhaft behandelt. Während der Gespräche wurde klar, dass besonders die Thematik der Prager Friedenskonferenz und die von Robinsons "Honest to God" vielfach durchgesprochen worden war. Thema fürs nächste Jahr könnte zum Beispiel sein, dass wir nicht emotionell, sondern wohlbegründet über die Schwierigkeiten, denen die beiden Deutschlands sich gegenüber gestellt sehen, urteilen dürfen. Das dies mutatis mutandi auch für das Weltgeschehen, das sich nicht spezifisch auf die Deutschlandfrage richtet, gilt, ist natürlich selbstverständlich.

Unter Leitung von Hans Ruh, bis 1965 Mitarbeiter der Gossner-Mission in Berlin, wurde darauf mit der Besprechung des Osterthemas "Theologisches Verständnis der Weltwirklichkeit und politische Entscheidung" angefangen. Dietrich schreibt uns darüber Folgendes:

"Vortrag und Diskussion sollen hinführen zu vielleicht neuen Einsichten im Blick auf politische Entscheidungen. Wenn wir aber von politischen Entscheidungen reden, dann meinen wir politische Entscheidungen von Christen. Wir werden deshalb zu fragen haben nach der Bezogenheit der christlichen Existenz zur politischen Entscheidung. Das heißt, wir werden fragen müssen nach dem Weltverständnis, dem Verständnis der Weltwirklichkeit, des christlichen Glaubens. Wir werden das tun unter dem Titel "Königsherrschaft Jesu Christi". Christus ist auch Herr der Welt. Dieser Satz ist heute in aller Munde. Wir werden versuchen, ihn in jeder Beziehung ernst zu nehmen Wir werden fragen nach der Welt unter der Herrschaft Christi. Ist diese Welt die Welt wie sie vorfindlich ist? Haben die Christen sich damit einfach in die Ordnungen der Welt zu fügen? Oder ist die Welt unter der Herrschaft Christi eine neue Welt, eine versöhnte Welt, eine Welt mit einem ziel? Ergeben sich von daher neue Möglichkeiten für unsere politischen Entscheidungen? Ein Vortrag soll zuerst die notwendige Bezogenheit von christlichem Glauben und Weltwirklichkeit aufzeigen. Darauf sollen die verschiedenen. Auslegungen der Königsherrschaft Jesu Christi berührt werden.

  • Der katholische Typus

  • Herrschaft Christi und Zwei-Reiche-Lehre

  • Proklamation der Herrschaft Christi

  • Bonhoeffers Konzeption (siehe Ethik von Bonhoeffer)

  • Karl Baths Konzeption

Darauf wird im Anschluss an Bonhoeffer und Karl Barth eine eigene Lösung versucht. These:

  • Die Wirklichkeit der Welt ist die einer neuen, versöhnten Welt. Daraus ergeben sich Folgerungen für politische Entscheidungen. Die Diskussion wird sich vor allem mit der Hauptthese zu befassen haben. Sie soll auch die Phantasie entwickeln aus dem Verständnis der These heraus Beispiele für politische Entscheidungen zu finden."

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Berlin 1966/67

Unsere politischen Ziele und der Dialog Christentum - Marxismus

Von Rita Dogterom

Zwischen Weihnachten und Neujahr kamen etwa 25 Leute aus sechs Ländern zusammen. Die Absicht. war, ausführlicher und fundierter auf einige Fragen einzugehen, die im Laufe der jährlichen Zusammentreffen aufgekommen sind, aber zu Ostern durch die knappe Zeit und wegen der vielen neuen Teilnehmern nicht gut besprochen werden können. Als Land der Zusammenkunft war die CSSR vorgesehen, jedoch die späte Vorbereitung verhinderte dies; als traf man sich - wie gewohnt - in Berlin. Themen des Gesprächs waren

Unsere politischen Ziele

Ausgangspunkt war die Solidarität, die wir in Berlin erleben. Welche Auswirkung hat das nun auf unsere politischen Einsichten? Es geht nicht nur um den Ruf zum Engagement, sondern um die Frage, wie man sich konkret die Gesellschaft zu gestalten gedenkt. Die Holländer versuchten zu zeigen, mit welchen Leitbildern sie sich für ihre Gesellschaft einsetzen möchten. Andere Teilnehmer wurden aufgefordert, aus ihrer Sicht her sich Gedanken zu machen, welche Gesellschaftsentwicklung sie in ihrem Lande sehen möchten, abgesehen von der Möglichkeit, dieses wirklich zu erreichen. Grundthese der Holländer war, dass man ein Gesamtbild für die Gesellschaft braucht, wenn man verantwortliche Teilentscheidungen treffen will. Wir mussten zuerst viele Missverständnisse klären. Dann versuchte ein DDR-Teilnehmer thesenhaft von seiner Sicht aus, eine zu erstrebende Gesellschaftsentwicklung für die DDR aufzuzeigen.

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Der Dialog Christentum - Marxismus

Ein wichtiger Beitrag wurde gegeben durch Julius Tomin, Mitarbeiter an der philosophischen Fakultät in Prag. Es folgten einige Bemerkungen von holländischer Seite. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass der Dialog in der Gefahr steht, das man sich gegenseitig nicht verständigen kann, da man von zu unterschiedlichen Voraussetzungen und von Voreinstellungen über den anderen ausgeht.

Der Dialog ist in vielen Ostländern ist heute von großem Gewicht. Die getrennten Blöcke fangen jetzt an, sich zu öffnen und einander ins Auge zu fassen. Im Westen, wo es auch eine sozialistische Tradition gibt, mit einer weniger abgeschlossenen Entwicklung - ebenso wie der Kirche im Staat - besteht schon seit vielen Jahren eine Diskussion. Dort kann man nicht vom Christentum einerseits und Sozialismus andererseits sprechen, nein, in der Gesellschaft und in der Person selbst sind Einflüsse von beiden integriert.

Das ganze Gespräch während der vier Tage war manchmal mühsam und schwer. Zum Schluss aber wurde folgendes klar: In unserer Aussage über politische Ziele und über den Dialog war ganz deutlich, wie sehr man nicht nur oberflächlich, sondern ganz tief von verschiedenen Situationen aus denkt und redet. Wie nie zuvor wurde uns klar, wie jeder von uns verwurzelt ist in dem Denken und der jeweiligen Geschichte seines eigenen Landes. Das unterschiedliche Gewicht, das man dem Dialog Christentum - Marxismus beimisst, ist von der eigenen historischen Situation her bedingt. Der Ruf nach einer Art Ideologie, der in der verwirrenden politischen Situation des Westens eine Richtschnur geben könnte - im Unterschied zur Hoffnung auf eine Entideologisierung im Osten und Raum für eigene Entscheidung (und wie wird man diese dann nutzen?) - ist auch bedingt durch verschiedene nationale Traditionen und prägt damit das ganze Denken der Einzelnen.

Bei den Treffen in Berlin wurde bis jetzt immer großer Wert darauf gelegt, was wir gemeinsam haben und wie wir miteinander über bestimmte Fragen denken und daran arbeiten. Für das nächste Seminar ist vorgeschlagen, weiter auf unsere Verschiedenheiten einzugehen. Wenn die Solidarität, die wir in Berlin gefunden haben, tief geht, so müsste es möglich sein, auch unser verschiedenartiges Gesellschaftsdenken und -handeln nach vorne zu bringen. "Rechenschaft" könnte das Stichwort sein. Wie bin ich tätig in meinem Beruf, in meiner Gesellschaft? Und wie kann ich das in unserer Gruppe in Berlin verantworten?

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Zusammenfassende Gedanken zu dem Seminar

Von Willibald Jacob
  • Der Alterunterschied , der sich Im Laufe der Jahre bei dem Ostertreffen herausgebildet hat, legt es nahe, zu einem ökumenischen Seminar einzuladen. Zu diesem Treffen wurden ältere ältere Teilnehmer eingeladen.

    Die Tatsache, dass wir im wesentlichen alle die Berufsausbildung hinter uns haben, brachte ein Hineinwachsen in berufliche und öffentliche Verantwortungsbereiche mit sich. Die Übernahme von Verantwortung wird für jeden von uns ständig intensiver.

    Somit sind wir dazu gekommen, die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen wir stehen, ernster zu nehmen. Auch spezielle Fragen unseres jeweiligen Berufes und spezielle Probleme nötigen uns dazu.

    Die meisten von uns haben erkannt, dass das persönliche Engagement im öffentlichen Leben die Zusammenarbeit mit Nichtchristen oder anders denkenden nötig macht, sowie die Entwicklung oder Übernahme von Konzeptionen. Es können also von uns je länger je mehr Ziele unseres Handelns und die Mittel zu ihrer Verwirklichung genannt werden.
     

  • Wir können sagen, dass unsere Treffen in Berlin bisher unter dem ökumenischen Stichwort "Herausforderung" (challange) standen. Wir haben einander herausgefordert durch die Verschiedenheiten, die wir mitbrachten, die Verschiedenheiten unserer Situationen und Urteile. Diese Herausforderung brachte es mit sich, dass wir einerseits zur Selbstbesinnung genötigt waren, andererseits voneinander lernten. Das Seminar ermöglichte erstmals ein intensives gegenseitiges Befragen und Kennen lernen.

    Der Schritt, den wir jetzt zu tun hätten, wurde folgendermaßen definiert:  Wir wollen fortschreiten von der gegenseitigen Herausforderung zu einer freiwilligen Rechenschaftslegung vor denen, mit denen wir in der Ökumene zusammengehören. Gewöhnlich ist die Herausforderung öffentlich, die Rechenschaftslegung aber geschieht im eigenen Haus. dies muss unter uns nicht so sein.

    wir verstanden das Wort Ökumene im ursprünglichem Sinne des Wortes: die ganzen bewohnte Erde. Weil wir diese Erde bewohnbar machen wollen, sind durch Christen und Marxisten einander Rechenschaft schuldig. dies wurde von uns bejaht. Wir bejahen den Dialog als Folge der Solidarität bei gemeinsamen Aufgaben.

  • Das nächste Seminar hätte also die Aufgabe, eine gegenseitige Rechenschaftslegung einzuüben. Die Referate müssten sehr konkret das darlegen, was von den Betreffenden getan und gehofft und gedacht worden ist.

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Berlin 1967

Selig sind die Armen

Gruppe I A: Sozialpolitische Ziele in Ost und West

Wir begannen, unsere Betrachtungen, mit Reflexionen über den Begriff sozialpolitische Ziele in Ost und West. Wir fragten uns was heißt Mensch und was heißt Gesellschaft als sozialpolitische Gegebenheiten. Dieser Anfang war aber zu abstrakt. Im folgenden beschränkten wir uns dabei hauptsächlich auf die jüngere Generation. Es folgten konkrete Besprechungen der sozialpolitischen Phänomene in unseren Gesellschaften, das waren dezentralisierte Demokratie und der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Die Beschäftigung mit Einzelheiten zwang einen gemeinsamen Maßstab zu finden. Die Diskussion konzentrierte sich auf die Probleme, wie kann man die Gesellschaft so bilden und gestalten kann, dass sie jedem Menschen den Raum öffnet für optimale Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung,. Eine Schwierigkeit für diese liegt darin, dass sich in der heutigen Lage der Gesellschaft nur wenige Menschen sich in diesem Sinne bemühen, sondern ihr Verhalten wird, bestimmt durch die Institutionen, die sie während ihrer Lebenszeit durchlaufen. Die Folge davon sind Entmenschlichung, Entfremdung des Menschen gegenüber sich selbst. So kamen wir zur Frage, welche konkreten Wege gibt es, um das Optimum für jeden einzelnen zu erreichen. Es ging um die Gestaltung des Menschen als verantwortliche Persönlichkeit gegenüber der Gesellschaft und gegenüber sich selber. Dieser Prozess darf nicht primär durch die Institution bestimmt werden, sondern durch jeden Menschen selbst. Das setzt konkrete Möglichkeiten zum Suchen und zur Wahl voraus. Das heißt, dass die Gesellschaft das Risiko auf sich nehmen muss, dem Menschen einen konkreten Raum für die Entdeckungsreise durch die Gesellschaft zu schaffen, ohne dass dies in untragbares Risiko für den einzelnen mit sich bringt.

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Gruppe I B: Sozialpolitische Ziele in Ost und West

Wir sprachen über folgende Teilgebiete:

  •  Bildung - Erziehung

  •  Arbeit - Freizeit

  •  Demokratie

Es wurden die Bildungssysteme der DDR und der BRD verglichen. Das in der DDR verbindliche Gesetz über das einheitliche Bildungssystem wurde zunächst informativ erläutert. Es wird eine umfassende Bildung angestrebt, die den Menschen fähig macht, die sozialistische Gesellschaft bewusst mitzugestalten, die Natur zu verändern und zu beherrschen und selbst ein glückliches Leben zu führen. Hervorzuheben ist, dass im Rahmen der Bildungseinrichtungen die Möglichkeit gegeben wird, von jeder erreichten Stufe zur nächsthöheren zu gelangen. Der Westen geht bezüglich des allseitig gebildeten mündigen und verantwortungsbewussten Menschen als Zielstellung konform, dagegen wird eine inhaltlich festgelegte Zielformulierung abgelehnt. Als gemeinsame Voraussetzungen wurden gleiche Bildungs- und Entwicklungschancen für jeden entsprechend seinen Fähigkeiten angesehen.

Aufgrund der verschiedenen sozialen und politischen Strukturen von Ost und West wird das Phänomen "Arbeit" von verschiedenen Positionen her gewertet. Im westlichen Denken verliert die Arbeit als Mittel zum Erwerb materieller Güter und als Maßstab zur Beurteilung des Menschen ihre zentrale Stellung. Die Automation befreit den Menschen zu schöpferischem Tätigkeitssein und gibt ihm die Möglichkeit, zum Beitrag am Wohlbefinden der Mitmenschen. Das Interesse wird sich auf ökonomisch nutzlose Tätigkeit verlagern (homo ludens).

Wenn wir davon ausgehen, dass man diese Entwicklung in drei Etappen unterteilen kann, wobei

  •  die Produktion

  •  die Konsumtion

  •  das Schöpferische

zentral sind, wird im Osten versucht, von der noch vorherrschenden Produktionsphase aus eine Brücke. zum Schöpferischen zu schlagen, um damit die typische Erscheinungen der Konsumtion zu vermeiden.

Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die Freizeitgestaltung. Im Westen zeichnen sich dabei Ansätze des Übergangs von der Konsumtion zum Kreativen ab. Dagegen bestimmt im Osten die Arbeit die Freizeitgestaltung in Form von Reproduktion der Arbeitskraft (Weiterbildung, Erholung) in Verbindung mit dem Kreativen.

Es muss so manchen von uns klar geworden sein, dass es gewisse klassische Probleme gibt, die nicht ohne Weiteres in kurzen Sätzen zu formulieren sind. Damit will nicht gesagt werden, dass eine solche Formulierung überhaupt nie zustande kommen möchte; aber es scheint, dass wir in unserem Denken miteinander nicht so weit gekommen sind, dass wir im Rahmen einer offenen Versammlung oder auch im Rahmen eines kurzen Zusammenfindens der besonders an diesem Punkt Engagierten eine solche Einigung erstreben könnten.

Wir wollen diesen Punkt nicht in einem hilflosen Schweigen verhüllen; erst recht wollen wir nicht so friedlich koexistentiell auseinander gehen, nachdem wir einfach unsere Differenzen zur Kenntnis genommen haben und uns weiterhin gegenseitig in Ruhe lassen.

So möchte ich aus der Diskussion um die Paragraphen im Bericht der Gruppe I B die Bilanz ziehen,

  • dass wir zu den erwähnten Kategorien der Produktion, der Konsumtion und der schöpferischen Tätigkeit uns auch noch zum Verhältnis von Arbeit und Produktion und von Arbeit und Kreativität Gedanken machen müssen;

  • dass wir uns über die Unterschiede von Freizeit und Ruhe klar sein müssen;

  • dass wir berücksichtigen müssen, dass sich das Problem mit keinen thematischen Gegenüber von östlichen und westlichen Ländern kennzeichnen lässt, sondern dass das Problem verschiedener Aspekte von einem einzelnen Land zum anderen und von einer Arbeitslage zur anderen und von einer sozialgeschichtlichen Situation zur anderen aufweist;

  • dass sich die Frage für berufstätige Frauen in einer anderen Form stellt als für Männer;

  • und dass wir um so mehr berufen sind, diese Vielseitigkeit in Betracht zu ziehen, da wir in dieser Gruppe in der Lage sind, Einsichten aus verschiedenen Quellen auszuwerten; um nur einige zu nennen: soziologische Untersuchungen in den einzelnen Ländern, der marxistischen Arbeitsphilosophie und dem theologisch geprägten Sabbatgedanken.

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Gruppe II: Entwicklungsländer Anfrage an unsere Gesellschaftsstrukturen

Hunger in der Welt ist keine Naturkatastrophe, sondern eine Geschichtskatastrophe. Die von uns verwendeten Begriffe "Entwicklungsländer" und "Entwicklungshilfe" werden dem nicht gerecht. Vielmehr erwecken sie den Eindruck, dass die gegenwärtige Situation durch das eigene Verschulden der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas entstanden ist Mit dem Begriff "Entwicklungshilfe" - auch wenn er gedankenlos gewählt wird - prägen wir das Bewusstsein, dass die tüchtigen und darum auch reich gewordenen Völker eine moralische und humane Verpflichtung haben, den weniger fleißigen und deshalb "unterentwickelten" Ländern zu helfen. Genau damit wird verhindert, die ganze Problematik der Situation zu erkennen. Nicht Hilfe sondern internationale ökonomische Gerechtigkeit ist die erste Forderung.

Es ist ohne Frage., dass wir heute Menschen vor dem Verhungern zu bewahren haben mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Entscheidend aber ist die Gestaltung der Zukunft ohne Hunger, die wirkliche Unabhängigkeit der jungen Staaten und die echte Partnerschaft der heute och in arme und reiche Länder geteilten Welt. Damit ist die Frage nach der gesellschaftlichen Entwicklung gestellt.

Die westlichen und die sozialistischen Länder bieten dafür je eigene Konzeptionen an. Alle gewährte Hilfe und Unterstützung hat dies als. Hintergrund oder zum Ziel.

Die heute praktizierte Entwicklungshilfe hat drei verschiedene Arten, die

  • mit überwiegend politischen Zielen und Interessen,

  • mit überwiegend ökonomischen Zielen und Interessen und

  • die mit überwiegend karitativen Zielen und Interessen

durchgeführt wird, wobei die karitative Art der Entwicklungshilfe von internationalen kirchlichen und weltlichen Organisationen übernommen wird, aber im Ausmaß bei weitem ungenügend ist.

Die eigentliche Entwicklungshilfe kann auf Dauer daher nur mit der Entwicklung der Bildungs- und Erziehungseinrichtungen erreicht werden. Diese muss aber durch die Entwicklung der Infrastruktur ergänzt werden. Erziehung ist wichtig, da der jetzige Zustand dieser Länder sie nicht befähigt, ein für sie passendes Staatssystem zu wählen und zu entwickeln. Die Entwicklung der Erziehung ist die Voraussetzung für eine dauernde Partnerschaft in ökonomischer und soziologischer Hinsicht zwischen den jetzigen armen und reichen Völkern.

Die Probleme, wie sie in den weniger entwickelten Ländern heute in diesem gewaltigen Ausmaß bestehen, muss man, um sie in sinnvoller Weise zu lösen, gleichzeitig in den verschiedenen Gebieten aufgreifen, z.B. umfassende technische Entwicklung, und Agrarentwicklung und Geburtenkontrolle. Bei einer einseitigen Förderung eines einzigen Gebietes wird durch die Vernachlässigung der inzwischen angewachsenen Probleme auf den anderen Gebieten durch diese einseitige Förderung unwirksam. Entwicklungshilfe ist nicht eine ökonomische, sondern eine politische Entscheidung. Die Anfrage der weniger entwickelten Länder an uns ist, ob es gerechtfertigt ist, unsere Gesellschaftsstrukturen auf ihre Gesellschaftsformen zu projizieren. Uns darf es nicht nur um den Export unserer Wohlstandsgesellschaft gehen, ohne dabei zu berücksichtigen, ob die, Identität zwischen Wohlstand und Wohlbefinden hergestellt wird oder nicht. Wir haben vielmehr unsere eigenen Gesellschaftsstrukturen zu befragen, ob sie in der Frage der Identität versagt haben, ob überhaupt unsere europäischen Gesellschaftsideologien dem Menschen zu seinem Menschsein verhelfen.

Die entwickelten Nationen sind nicht in der Lage, Patentlösungen anzubieten. Es ist heute unsere Aufgabe, ein viel größeres Verständnis dieser Problematik zu schaffen. Wir sollen eine öffentliche Meinung prägen, die immer wieder die Schuld und die Verantwortung - nicht die Caritas - im Blickpunkt behält und die unsentimentale Solidarität der ganzen Menschheit als ihr Hauptmotiv akzeptiert.

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Gruppe III A: Demokratie

Laut Dahrendorf, einem westdeutschen Soziologen, ist die politische Struktur der DDR formal die demokratischste der Welt. Jedoch werden in der Praxis diese formalen Gegebenheiten unzulänglich genutzt. Die Kanäle, durch die Ideen von unten aus nach oben gehen sollen, sind teils gesperrt und teils nicht genutzt. Die Regierung und die Partei regulieren relativ unabhängig die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Auch im Westen zeigen die Regierungen ähnliche Tendenzen (Establishment) und die offiziellen Ideenkanäle sind ebenfalls undurchlässig. Die Bewegung "Neue Linke" bzw. "Neue Demokraten" versuchen auf neuen Wegen ihren Gedanken gegenüber der Regierung Geltung zu verschaffen. Mit Demonstrationen und Aktivierung von Gruppen, sowie Kommunikationsmittel versucht man die öffentliche Meinung zu mobilisieren und dazu Appelle an die Regierung zu richten.

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Gruppe IV: Die vergessenen Gruppen

Die erste Frage, die zu klären war, hieß: "Was versteht man unter ‚vergessenen Gruppen'?". Um diese Frage zu beantworten, haben wir verschiedene Gruppen aufgezählt, z. B. die Alten (Vereinsamung usw.), die Strafentlassenen (werden trotz abgeschlossener Strafe noch als moralisch verwerflich angesehen), die ledigen Mütter (werden trotz finanzieller Unterstützung gesellschaftlich nicht akzeptiert), die äußerlich abstoßenden Kranken und die Homosexuellen (Tabu-Gruppe).

Daraus ergab sich, dass Vergessensein nicht gleichzusetzen sei mit Unbekanntsein, denn die oben erwähnten Gruppen sind teilweise der Öffentlichkeit bekannt und erhalten vom Staat Hilfe. Gerade dass sie Hilfe vom Staat erhalten bringt es mit sich, dass von der breiten Öffentlichkeit das Problem als erledigt angesehen wird. Es gibt zwei Möglichkeiten, bei diesen Problemen einzusetzen:

  • Auf der einen Seite stehen die schon vorhandenen "Rettungsorgane" und die individuellen Bemühungen, die eben nur als Rettung gemeint sind und darum letzten Endes "patenschaftliche Verhältnisse" weiter bestehen lassen.

  • Auf der anderen Seite müsste vielmehr an vorbeugende Maßnahmen gedacht werden, die unserer Meinung nach die wichtigeren wären. Z.B. Bildung, der öffentlichen Meinung. Dies wäre in der Hauptlinie eine Frage der Erziehung, so dass wir möglichst dazu kommen, den vergessenen Gruppen von vornherein einen gerechten Platz in der Gesellschaft zu gewähren, damit sie als menschlich wertvoll betrachtet werden.

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Gruppe V: Christ sein - arm sein?

Unsere Gruppe bekam die Aufgabe, sich mit. dem Grundthema der Osterkonferenz theologisch zu beschäftigen. Wir suchen Wege zur Bewältigung der Armut. In scheinbarem Gegensatz dazu steht unser Thema: "Selig sind die Armen". Wir wissen, dass diese Seligpreisung oft als Gebot zur Erhaltung der Armut in der Welt verstanden worden ist. Aber es geht hier nicht um eine Verherrlichung oder Erhaltung der Armut. Die Seligpreisungen (auch die erste) sind Offenbarung, Verkündigung, Anspruch Christi. Jesus verheißt seinen Zuhörern den Besitz des Reiches Gottes, wenn sie arm sind. Nicht ihr eigenes Zutun, ihre Macht, ihr Besitz, ihr Sozialprestige, ihre Bildung sind gefragt, sondern extrem das Gegenteil: nämlich arm sein d.h. offen sein für das Angebot, sich ganz auf Gott, nicht auf sich selbst zu verlassen. Das ist also die Haltung: Offen zu sein für den Anspruch Gottes, um freizuwerden für den anderen, für seine Situation - um zu Aktionen zu kommen in der Nachfolge Christi.

Die Seligpreisung ist zunächst eine Aussage über Christus selbst, der als Armer in der Welt lebte.

Sie ist außerdem eine Zusage an die Armen in dieser Welt: Ihr seid von Gott geliebt, auch wenn Euch die Menschen vergessen und verachten. Drittens ist die Seligpreisung ein Anruf an die, die Christus nachfolgen wollen. Es wird nicht gefordert, dass jeder Christ, der in der Nachfolge steht, allen Besitz aufgibt. Aber in der Verbindung mit Christus muss er bereit sein, freiwillig alles aufzugeben, wenn es in einer konkreten Situation nötig ist. Das kann auch dazu .dienen, den Armen die Zusage von Gottes Liebe glaubhaft zu machen.

Mit dem Evangelium ist uns aber kein fertiges Programm für unser Handeln gegeben, sondern es stellt uns die Aufgabe, selbstverantwortlich in konkreten Situationen dieser Welt Wege zur Bewältigung zu suchen, d.h. dass wir alle unsere Fähigkeiten, unseren Besitz, unsere ganze Existenz für diese Aufgabe einsetzen. Angesichts der Seligpreisungen bedeutet arm zu sein auch eine ständige Überprüfung unserer gesellschaftlichen Strukturen, unserer Maßstäbe und Prinzipien und unserer Vorurteile und erfordert oft ein Umdenken.

Wir müssen unsere "Regentenmentalität", unsere Sicherheit und Überheblichkeit gegenüber den anderen aufgeben.

Unsere Hilfe ist oft falsch und wird nicht so aufgenommen, wie wir sie gemeint haben, ja kann sogar als Kränkung verstanden worden, weil wir von unseren Voraussetzungen ausgegangen sind und unser Verständnis den anderen aufzwingen wollten. Unsere Versuche zu helfen, werden überschattet von unserer Kollektivschuld der Vergangenheit, die wir heute noch immer vergrößern.

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Gruppe VI A: Individualethik - Sozialethik

Man kann nicht über Individual- oder Sozialethik sprechen, sondern nur über Ethik.

Ethik ist die Verantwortung in der Entscheidung. Die Ethik ist absolut in dem Sinne, in dem der Mensch einsam vor Gott oder vor sich selbst in der Verantwortung steht. In die Situation sind wir geworfen. Dieses Handeln hat soziale Ursachen und soziale Folgen. Das Moment der Entscheidung soll die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen garantieren (Wenn er nicht in der Einsamkeit entscheiden könnte, wäre der Mensch nicht frei). Das ethische Moment ist gesellschaftlich bedingt, aber nicht bestimmt.

Die Vorbilder das ethischen Handelns wurden durch die Überlieferung gegeben. Aber die Entscheidung ist frei und absolut in dem erwähnten Sinne. Der Mensch ist niemals im Handeln einsam, sondern nur in der Vorantwortung.

Ethik ist nicht die Sammlung bestimmter ethischer Regeln, sondern das permanent ethische Bewusstsein. Dies permanent ethische Bewusstsein ist dauerndes Bezogensein auf den "wahren Menschen", d.h. an einem Beispiel aus Karl Barths "Kirchlicher Dogmatik" erklärt: Der eine wahre und konkrete Mensch ist Jesus Christus. Von daher gesehen ist jeder andere Mensch "bloßer" Mitmensch, der seine wahre menschliche Dimension erst in der Bezogenheit auf Jesus Christus gewinnt. An diesem Punkt wird er zur Person befreit, d.h. er ist nicht mehr verhaftet in die Uneigentlichkeit, in das "man". Diese Grundstruktur, nämlich, dass das permanent ethische Bewusstsein auf den wahren Menschen bezogen sein muss, ist allgemeingültig, ihre inhaltliche Füllung jedoch vom jeweiligen Glauben abhängig.

Jeder Mensch gehört gleichzeitig zu verschiedenen Gruppen, d.h. zu verschiedenen Kreisen, die sich unter bestimmten Umständen überschneiden. Beispiel: Der Christ gehört gleichzeitig sowohl zur christlichen Gemeinde als auch zu sozialen Gruppen. Von daher ergibt sich die Frage, ob seine Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde entscheidende Auswirkungen auf das Verhalten in den sozialen Gruppen hat.

Wenn das Handeln nicht erfolglos sein soll, darf der Einzelne nicht als Einzelner handeln. Er muss sich Gruppen anschließen oder sie ins Loben rufen, die unter Umständen erfolgreicher auf schwierige Situationen einwirken können.

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Gruppe VI B: Individualethik - Sozialethik

Heute haben wir die Erkenntnis, dass Individualethik nicht ausreicht. Sie gibt nur Richtlinien für mein Verhalten dem anderen Menschen gegenüber, sagt aber nichts über die großen Fragen wie Krieg, Hunger, Bevölkerungsexplosion usw. Der Mensch wird in seinem Denken und Handeln im wesentlichen bestimmt durch seine Umgebung, seine soziale Umwelt. Diese soziale Umwelt scheint in unserer industriellen Gesellschaft immer mehr unübersehbar und unbeherrschbar zu sein. Wir haben aber jetzt die Erkenntnis, dass wir doch - aber dann miteinander - diese Strukturen ändern können. Sie werden nicht mehr als von Gott gegeben angesehen, sondern als von Menschen verursacht. Wir sehen es als unsere Aufgabe, uns mit den Spannungen und Fragen zu beschäftigen, die durch diese sozialen Strukturen hervorgerufen worden.

Wir haben uns bemüht, die Begriffe Individualethik und Sozialethik zu definieren und haben dabei festgestellt, dass sie keine selbständigen, ursprünglich getrennten Begriffe sind. Sie sind willkürlich definierte Hilfsbegriffe, termini technici, die wir zur Systematisierung der Ethik, ihrer aktuellen Schwerpunkte und praktischen Tendenzen benutzen sollen.

Mit Individualethik wollen wir das sich isoliert verantwortlich vor stehende Verha1ten des Individuums bezeichnen, das damit den sozialen Gegebenheiten und Forderungen nie gerecht wird.

Den terminus technicus "Sozialethik" wollen wir verstehen als eine Betonung des sozialen Moments der Ethik und der spezifischen Forderungen dieses Moments.

Beide Teile der Ethik konvergieren zueinander.

Ethik heißt also, dass wir uns als Mensch und Mitmensch in gesellschaftlichen Strukturen eingegliedert sehen (also nicht nur als Einzelwesen) und andererseits., dass sich die gesellschaftlichen Fragen auch immer im Leben der einzelnen Personen äußern.

 Zur Gestaltung unserer ethischen Verantwortlichkeit gehört:

  • vielseitige Information, nicht nur durch öffentliche Kommunikationsmittel, sondern auch durch Studien von Fachgebieten. Weil wir erkennen, dass es unmöglich ist, sich auf allen Gebieten gut zu informieren, müssen wir uns in bestimmten Gebieten auf andere Personen verlassen.

  • Für die Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen Meinung sehen wir als wichtige Möglichkeiten: einmal das persönliche Gespräch und zum anderen Äußerungen der Einzelpersonen je nach ihren Möglichkeiten. Man sollte sich dabei bewusst sein, dass Meinung und Gespräch nur Einfluss haben können, wenn sie mit einem entsprechenden Handeln verbunden sind und mit der gegebenen gesellschaftlichen Situation real abgestimmt sind.

  • Gebet, Meditation, ein Sich-offen-stellen für andere Möglichkeiten und Meinungen; diese sind nicht gemeint als Aktivität an sich, sondern als Hintergrund für unser ganzes Handeln.

  • Persönlicher Einsatz: Verhalten nach bestem Wissen und Gewissen und auch den Mut zu diesem Handeln haben. Da wir uns bewusst sind, dass wir allein in Bezug auf Veränderung der Strukturen nichts machen können, müssen wir uns beteiligen in den Gruppen, die Macht dazu haben. Das heißt auch, dass wir die Möglichkeit zum Organisieren kennen und nutzen.

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Gruppe VII: Ich - Sie - Beziehungen

Die Diskussion ging aus von einem Buch: Harvey Cox "The Secular City" (deutscher Titel "Stadt ohne Gott"), in dem Cox nach einer Theologie der verschiedenartigen menschlichen Beziehungen innerhalb der Großstadt sucht.

Die Anonymität der Großstadt gibt die Freiheit zur persönlichen Gestaltung des Lebens, wobei die Ich-Sie-Beziehungen (von denen ich nicht unmittelbar abhängig bin) eine große Rolle spielen.

Ich-Du-Beziehungen sind meistens persönlich gewählte, enge Beziehungen, in denen ein Teil der Persönlichkeit preisgegeben und dem anderen (dem Du) zur Verfügung gestellt wird. Das ist bei Ich-Sie-Beziehungen nicht der Fall. Diese umfassen eine breite Skala von einer teilpersönlichen bis zu einer unpersönlichen, ganz sachlichen Beziehung, wobei die Anrede (Titulatur) keine Rolle spielt. In diesen, Bereich ist man zur Dienstleistung- zur Berufsarbeit usw. bereit und erwartet gleiches von anderen. Ein Ausgleich der Werte ist dabei nicht Voraussetzung.

Anonymität kann durchaus positiv und effektiv sein. Der Mensch sucht mit vollem Recht die Anonymität, um durch Distanz seine Persönlichkeit zu bewahren. Man darf also Beziehungen, die zu intim werden können, ablehnen oder sich aus ihnen zurückziehen. Das kann für uns oder für andere Leiden bedeuten. Leiden kann notwendig sein, damit neues Leben entsteht. (So dürfen z.B. Eltern ihre Kinder nicht vor jedem Leid beschützen, oder: Gott Vater lässt seinen Sohn leiden.) Die Schwierigkeit besteht in der Entscheidung des "die anderen leiden lassen". Es gibt Situationen, wie die Ich-Sie-Beziehungen so spannungsgeladen sind, dass man allein nicht mehr damit fertig werden kann. Dann muss man andere Menschen zu Hilfe nehmen, so dass aus der Ich-Sie-Beziehung eine Wir-Sie-Beziehung wird.

Wenn man die eigene Stärke betont, können die Beziehungen unfruchtbar werden. Man sollte den Menschen nicht in seiner Schwäche ansprechen, sondern seine starke Seite suchen. Eigene Schwächen sollte man in der Beziehung zu anderen nicht immer vertuschen, weil menschliche Schwächen und die eigene suchende Haltung menschlicher machen können. In solcher suchenden Haltung haben wir das Armsein gesehen.

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Berlin 1968

Predigt von Dietrich Gutsch

Der Mensch in der Technokratie

Korreferat von Walter Dalland

Ich gehe davon aus dass:

  • Gott noch nicht ganz tot ist,

  • Die Kirchen eine Berechtigung haben,

  • Es möglich ist eine relevante Stellungnahme als Christ und als kirchliche Gemeinschaft zur technokratischen Gesellschaft zu formulieren.

Dieses Thema hat eine große Rolle gespielt in der Konferenz des Weltkirchenrates über Kirche und Gesellschaft in Genf 1966 und im Zweiten Vatikankonzil.

Die Voraussetzung ist folgende: Nicht nur als christliche Einzelpersonen, sondern auch als kirchliche Gemeinschaften haben wir Verantwortung für die heutige und künftige Gesellschaft. Wir sind auf dem Wege in die postindustrielle Gesellschaft. Das bedeutet:

  • Die Arbeitslosigkeit ist nicht länger das dominierende Problem, sondern das Veralten der Arbeitsmethoden, die Freizeit, das Anteil am Überschuss u.s.w. Die Elite leidet immer mehr an Zeitmangel.

  • Das Wissen wird immer mehr ein Machtwerkzeug. Die Universitäten und Hochschulen sind zentrale Inspirationsquellen für politische Planung und Neuschöpfungen in der Gesellschaft. Nachausbildung wird notwendig.

  • Wirkliche Teilname des Durchschnittsbürgers an komplizierten politischen Beschlüssen wird immer schwerer.

  • Die Gleichberechtigung der Geschlechter stellt die traditionelle Familiestruktur im Frage.

  • Die modernen Massenkommunikationsmittel ermöglichen eine Manipulierung der Gefühle und Gedanke.

  • Die frühere Gruppengemeinschaft verschwindet. Durch Narkotika usw. versucht man Intimität und Gemeinschaft wieder herzuschaffen.

  •  In 20 oder 30 Jahren können wir das Geschlecht der Nachkommen bestimmen, einwirken auf die Intelligenz und Persönlichkeit. Die ärztliche Wissenschaft ermöglicht eine Verbesserung des Korpus (Transplantation) und die Verlängerung der Lebensdauer.

Wie sollen wir diese Entwicklung gebrauchen so dass der Mensch bleibt? Vier Haltungen sind möglich:

  • Willenlos mitzufolgen, weil es kein Zweck hat die Entwicklung zu prägen.

  • Eine rein pragmatische Haltung, so dass die Gesellschaftsprobleme zu bestimmbaren und messbaren Dimensionen reduziert werden, ohne dass man sich Ziel und Richtung bewusst ist.

  • Sich in die Religion hineinflüchten mit dem Trost dass wir hier doch "das Wesentliche" finden.

  • .Die Folge davon ist, dass hier auf Erden Gottes Wille nur durch uns Menschen verwirklicht werden kann.

Die erste Haltung bedeutet unsere Aufgabe als Menschen zu verraten. Nur pragmatisch zu sein bedeutet: der Technik ihre eigene Zielsetzung zu überlassen. Sich in den Trost der Religion zu flüchten ist der Ausweg des frommen Verrates. Die letzte Haltung ist die schwierigste, aber leider müssen wir uns damit beschäftigen.

Das westliche Sprechen von den Rechten des Individuums benützt eine Sprache des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Freiheit des einzelnen wird in diesem Sprechen nur von den entsprechenden Entfaltungsmöglichkeiten der anderen begrenzt. In der oben geschilderten Zukunftsperspektive werden die klassische Auffassung von Eigentumsrecht und Menschenrechten, ebenso wie die Unterschiede zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaft immer mehr eine Illusion.

Die Entscheidungen über Ziele und Perspektive der Entwicklung werden getroffen von den politischen Instanzen, die beeinflusst werden von den verschiedenen Pressionsgruppen. Dort findet die Diskussion statt. Als Christen können wir diese Debatte inspirieren und beeinflussen, weil wir potentiell noch weniger als andere an der Vergangenheit gebunden sind.

Um Klarheit über die Zielsetzung der Gesellschaft zu erreichen ist aber auch eine gewisse Distanz notwendig. Es wird - biblisch gesagt - gefordert in dieser Welt zu leben ohne von dieser Welt zu sein. Hier ist die Dimension Gemeinschaft relevant. Wie die Zuständigkeit und das Engagement des einzelnen eine Voraussetzung der lebhaften Gemeinschaft ist, so ist die Gemeinschaft die Voraussetzung der Verwertung der Einsicht der einzelnen. Unsere und die zukünftige Zeit ist eine hervorragende Möglichkeit die kirchliche Gemeinschaft dazu zu gebrauchen dauernd die Menschheit mit der Frage zu konfrontieren: Wohin. gehst du?

Die Kirchen dürfen nicht ihre Zeit gebrauchen zum Bedauern dieses oder jenes politischen Systems, sie dürfen ihre Inspirationsverpflichtungen von der Furcht vor allen Gefahren der technischen Entwicklung nicht lähmen lassen. Ihre positive Mitarbeit, Wissen und Zuständigkeit sind notwendig. Unsere zentrale Bestrebung muss immer sein dass die Revolution oder die Entwicklung nicht ein Ziel an sich bleibt. Die Errungenschaften der vorgehenden Generation können nur als Basis unserer eigenen Revolution und Entwicklung dienen.

Man kann sich auf diesem Hintergrund verschiedene Fragen stellen. Einige stelle ich hier, und man kann sie dann auch in den Gruppen besprechen, wenn man will.

  • Wenn es richtig ist, dass wir auf dem Wege in die so genannte Freizeitgesellschaft sind - wozu sollen wir dann die Zeit gebrauchen?

  • Wenn es richtig ist, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter eine Realität werden wird - was bedeutet dies für die Aufgaben und Struktur der Familie?

  • Wenn es richtig ist, dass wir immer mehr in einer pluralistischen Gesellschaft leben - wie sollen die kirchlichen Gemeinschaften sich denn mit Zuständigkeit und Relevanz geltend machen?

  • An welche konkrete Probleme können die kirchlichen Gemeinschafen herangehen, die auf lange Sicht zentrale Punkte der Bestrebungen berühren danach, dass der Mensch bleiben kann?

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Der Mensch in der technisch-wissenschaftlichen Revolution.

Korreferat von Denise Tomin

Kennzeichen der technisch-wissenschaftlichen Revolution sind: 

  • Die Naturwissenschaften sind an die Grenze ihrer Erkenntnismöglichkeiten gekommen.

  • Der Produktionsprozess wird weitgehend automatisiert.

  • Das menschliche Denken wird von Maschinen ersetzt.

  • Der Mensch wird manipulierbar (Eindringen in die Genetik) und reparierbar (Transplantation).

  • Die Kumulation der Information macht und korrigiert die Öffentliche Meinung.

Was ist die technisch-wissenschaftliche Revolution eigentlich historisch? "Der Geist der Geschichte" ist nicht mehr vorhanden. Alle Entwicklungsschichten, die es bisher gegeben hat, sind heute neben einander da. Die Zukunft ist nicht mehr konditioniert. Keine bestimmte Ordnung muss kommen. Wenn man glaubt dass etwas kommen muss, so ist das Zukunftslosigkeit. Das ist nur Verwirklichung des im wesentlichen schon Existierenden. Zukunft ist nur Zukunft, wenn sie offen ist zur Gestaltung.

Die Entwicklung des Sozialismus in der Tschechoslowakei ist ein klares Beispiel dafür. Wenn man denkt: Die Sozialisierung der Produktionsmittel führt unbedingt zum Sozialismus, so führt dies zur Unmenschlichkeit, Faulheit u.s.w. Erst nun erfahren wir unsere Lage als schrecklich. Wir brauchen Ruhe zum Nachdenken, aber wir haben keine Zeit dafür.

Es geht darum, die Welt menschlich zu gestalten, aber was heißt menschlich? Was der Mensch ist, ist unabhängig von Ideologien. Was sind die charakteristischen Merkmale des Menschen? Dass der Mensch ein schöpferisches Wesen und Vermenschlichung der Natur ist, wissen wir schon lange. Wie ist er aber Herr der Natur, wenn er sterblich ist? Kann der Mensch von seinem Tode frei werden? Wenn er erwachsen wird, erfahrt der Mensch dass er sterben muss. Damit ist er unfrei. In seinem Tode ist der Mensch allein, er kann ihn nicht mitteilen oder sich vertreten lassen. Von diesem Alleinsein muss der Mensch frei werden. Im Alleinsein erfährt der Mensch seine Unvollständigkeit, das Ich kann nur in der Menschlichkeit, im Wir gelebt werden. (Der Mensch ist Mann oder Frau, das Kind wird aus der Vereinigung beider geboren, aber wiederum in Unvollständigkeit). Der Mensch ist nur Mensch als Mitmensch. Er kann von seinem Alleinsein nur frei werden, wenn er aus seiner Welt herauskommt und anderen sich für ihn öffnen. Der Mensch kann nicht frei sein mit den Unfreien. Wir können aber keinen befreien, der Mensch kann nur sich selbst befreien. Freiheit ist nicht zuerst die Frage des Hungers oder der Armut, Freiheit hängt nicht zusammen mit Eigentum. Beiden Seiten, der Besitzer der Produktionsmittel und der Proletarier, sind im kapitalistischen System unfrei; das ist das Wichtigste was wir von Marx gelernt haben.

Freiheit ist nicht Zustand, sondern Aktivität, sie soll verwirklicht werden. Die Tschechoslowakei zeigt dass es möglich ist eine offene Zukunft zu haben. Die Technik selbst kann nicht schaden - sondern der Gebrauch der Technik durch den Menschen ist die Gefahr.

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Berlin 1971

Wovon lebt der Mensch?

Aus dem Einladungsschreiben von Walter Dalland vom 28.01.71

Was sind die Glücks- und Zielvorstellungen unserer jeweiligen Gesellschaften? Wie versuchen wir sie zu verwirklichen? Welche Spannungen entstehen zwischen den Gesellschaftszielen zu denen wir uns öffentlich bekennen und unseren Bestrebungen nach einem Lebensstil im privaten Bereich und wie sind sie zu überwinden?

So lautet die Kernfrage, die letzten September im Laufe des Vorbereitungstreffens zum diesjährigen Ostertreffen entstanden ist. Sie bezieht sich einerseits auf den Wunsch gesellschaftsbezogene Trennen aufzugreifen und andererseits auf den Vorschlag, dass wir uns miteinander mehr personalen Fragen beschäftigen könnten. Aus dem Zusammenstoss dieser verschieden Interessen, sowie auch die methodologische Diskussion, ob man von einem allgemeinen Begriff (etwa Freiheit, Ideologie) oder von einem begrenzten Sachthema (etwa Rolle der Frau, Dritte Welt, Familienstruktur) ausgehen sollte, entstand die Erkenntnis, dass es eine (häufig unaufgedeckte) Wechselwirkung gibt, zwischen dem aus wir im öffentlichen Bereich bestrebt sind, zu verwirklichen und der tatsächlichen Gesellschaftsorientierung, die sich hinter der Gestaltung unseres persönlichen Lebens verbirgt...

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