In diesem Büchlein habe ich einige Gedanken und Bilder
niedergelegt, die ich als Frucht meiner Innerung1 empfangen habe. Ich bin weder
Philosoph noch Theologe, sondern ein demütiger Diener des Herrn. Und meine hohe
Freude ist es, der Liebe Gottes und den großen Wundern Seiner Schöpfung
nachzusinnen. Es ist mir unmöglich, alles zu beschreiben, was ich durch meine
inneren Sinne in Innerung1 und Gebet über die Wirklichkeit2 erkannt habe und
fühle. Worte können all die tiefen Wahrheiten, die in diesen feierlichen
Augenblicken die Seele empfindet, nicht ausdrücken. Aber wenn solche Wahrheiten
auch unausgesprochen bleiben, so werden empfängliche Gemüter sie doch
bereitwillig und leicht verstehen. Wörter können in der Tat mehr zu
Missverstehen als zu wirklichem Verstehen führen.
Ich vermag nicht - ich wiederhole es - alle meine tiefen Gefühle und Gedanken
auszudrücken; aber ich werde versuchen, wenigstens einige, so gut wie ich kann,
niederzuschreiben. Sollte dieser Versuch den Lesern wenigstens eine kleine Hilfe
sein, so will ich später versuchen, auch meine anderen Gedanken und Erfahrungen
darzulegen. Gegenwärtig zögere ich noch, aus verschiedenen Gründen, sie einem
weiteren Leserkreis zu übergeben.
Subathu, Simla Hills, September 1923

1 DER ZWECK DER SCHÖPFUNG
"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott
war das Wort. .. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist
nichts gemacht, was gemacht ist" (Joh. 1, 1-3).
Das Ewige Wort (Logos) war vor aller Zeit und vor der Erschaffung des Weltalls.
Durch Ihn wurde Alles geschaffen, das Beseelte und das Unbeseelte. Leblosen
Dingen ist es unmöglich, dass sie aus sich selbst heraus entstehen oder
lebendige Wesen erzeugen; denn Leben allein schafft Leben, und die Quelle allen
Lebens ist Gott. Durch Seine Schöpfermacht schuf Gott alle unbeseelten Dinge.
Denen flößte Er Leben ein, und dem Menschen als dem höchsten unter den
geschaffenen Wesen "blies Er ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also
ward der Mensch eine lebendige Seele". "Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde,
zum Bilde Gottes schuf Er ihn und gab ihm Herrschaft über die ganze Erde."
-
Gott hat die Schöpfung nicht unternommen, um irgendeinen
Mangel in Seinem Wesen auszufüllen, denn Er ist in Sich selbst vollkommen;
sondern Er erschafft, weil es in Seinem Wesen liegt zu erschaffen. Er gibt
Leben, denn Leben zu verleihen gehört zum ureigenen Wesen Seiner
lebenspendenden Macht und Wirksamkeit. Und die Menschen durch Seine
Schöpfung glücklich zu machen und ihnen durch Seine lebenspendende Gegenwart
wirkliche Freude zu geben, gehört zum ureigenen Wesen Seiner Liebe. Aber die
Glückseligkeit, die wir aus der Schöpfung gewinnen, hat ihre Grenzen. Denn
Gott allein kann den Mangel der Menschenherzen ausfüllen und ihnen
vollkommene Zufriedenheit schenken. Wenn Menschen ohne diese Freude leben,
dann kommt das daher, dass sie unwissend oder ungehorsam sind und sich
auflehnen gegen Gott.
-
Die Schar der Wesen in den sichtbaren wie unsichtbaren
Welten ist nicht zu zählen. Durch diese zahllosen Arten werden Gottes
zahllose Eigenschaften offenbart. Jede Art spiegelt, so weit ihre Fähigkeit
reicht, irgendeine Seite von Gottes Wesen wider. Sogar durch Sünder wird
Seine väterliche Liebe offenbart, denn Er gibt ihnen Gelegenheit, zu bereuen
und in Ihm das ewige Leben des Friedens und der Freude zu haben.

2 DIE MENSCHWERDUNG
-
Ein Kind mag das Wort
"Gott" bloß als ein Wort lesen,
ohne dass es irgend etwas von der Wahrheit3 erfasst, die dahinter steht. Wenn
aber sein Geist heranreift, fängt es an nachzudenken und wenigstens etwas
von dem zu verstehen, was jenes Wort bedeutet. Ebenso ergeht es dem Anfänger
im geistlichen Leben: wie gelehrt er auch sein mag, zuerst wird er Christus,
das Mensch-gewordene Wort, nur für einen großen Mann oder vielleicht sogar
für einen Propheten halten; doch weiter kommt er in seiner Würdigung nicht.
Wenn aber seine geistliche Erfahrung wächst und er sich Seiner Gegenwart
erfreut, beginnt er einzusehen, Christus ist tatsächlich Gott in
Menschengestalt, in dem "die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" wohnt
(Kol. 2, 9).
"In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der
Menschen" (Joh. 1,4).
-
Ein Mensch kann seine Persönlichkeit durch Worte nicht
hinreichend aussprechen, auch wenn er gelegentlich sogar neue Wörter prägt,
um seine Gedanken auszudrücken. Auch Zeichen und Bilder helfen letztlich
nicht. Und auch der Leib vermag nicht, alle die Eigenschaften und Kräfte der
Seele, die mit zur Persönlichkeit gehören, darzustellen. Mit anderen Worten:
solange ein Mensch in dieser Welt ist, bleibt vieles in seiner
Persönlichkeit verborgen, und nur ein Teil wird offenbar. Ein Geisteswesen
kann sich nur in einer Geisteswelt vollkommen aussprechen, wenn alle
Bedingungen, die äußeren wie die inneren, sein Verlangen befriedigen und ihm
helfen fortzuschreiten.
Wenn das schon von einem menschlichen Geist gilt, wie unmöglich ist es dann,
dass das ewige Wort Seine Gottheit durch einen Leib hinreichend offenbare!
Er offenbarte sich selbst soweit, wie es möglich und zu des Menschen Heil
nötig war. Aber Seine wirkliche Herrlichkeit wird in ihrer Fülle erst im
Himmel offenbar.
-
Da mag sich die Frage erheben: Wie können wir an die
Wirklichkeit2 glauben, ohne dass wir sie sehen und vollkommen erkennen? Dazu
möchte ich hier sagen: Wenn wir an die Wirklichkeit2 glauben sollen, dann
brauchen wir dazu keine volle Erkenntnis der Wirklichkeit2. So bleiben
beispielsweise einige Organe unseres Leibes, von denen unser Leben gar sehr
abhängt, vor unseren Augen verborgen. Noch niemand hat sein eigenes Hirn
oder Herz gesehen, und dennoch leugnet keiner, dass er sie hat. Wenn wir
also nicht einmal unser eigenes Hirn und Herz sehen können, von denen unser
Leben weithin abhängt, wie viel schwieriger muss es da sein, den Schöpfer
unseres Hirns und Herzens zu sehen, von dem unser ganzes Leben abhängt!

3 GEBET
-
Es gibt einige Pflanzen, deren Blätter und Blüten
schließen sich, wenn die Sonne sinkt, und öffnen sich wieder, wenn das Licht
der Sonne sie am Morgen sanft berührt. Auf diese Weise nehmen sie Wärme und
Leben der Sonne in sich auf, die für ihr Wachsen und Gedeihen so nötig sind.
Genau so öffnen sich unsere Herzen im Gebet der Sonne der Gerechtigkeit, und
wir sind vor den Gefahren und Nöten der Finsternis geborgen und wachsen in
die Fülle Christi hinein.
-
Durch das Gebet können wir, wie manche Leute zu denken
scheinen, Gottes Pläne nicht ändern. Aber der Beter selbst wird verändert.
Die Fähigkeiten der Seele, die in diesem unvollkommenen Leben selber
unvollkommen sind, wachsen täglich der Vollkommenheit entgegen.
Ein Vogel sitzt brütend auf seinen Eiern. Zunächst ist in den Eiern nur eine
Art Flüssigkeit ohne Gestalt. Aber indem die Mutter immer weiter auf ihnen
sitzt, wird die ungeformte Masse in den Eiern in die Gestalt der Mutter
verwandelt. Die Verwandlung geschieht nicht in der Mutter, sondern in den
Eiern. Ebenso ist es, wenn wir beten: nicht Gott wird verändert, sondern wir
werden in Sein herrliches Ebenbild und Gleichnis verwandelt.
-
Der Dunst, von der Sonnenhitze erzeugt, steigt von der
Erde empor. Als wolle er dem Gesetz der Schwere widersprechen, erhebt er
sich in die Lüfte, fällt dann wieder als Regen herab und macht die Erde
fruchtbar. Ebenso verhält es sich mit unseren wirklichen Gebeten: vom Feuer
des Heiligen Geistes entzündet, überwinden sie Sünde und Übel, steigen zu
Gott empor und kehren, Seiner Segnungen voll, zur Erde zurück.
-
Die Rippenquallen sind so außerordentlich zart, dass ein
leichter Wellenschlag sie in kleine Stücke zerreißt. Wenn sie nur ein
kleines Zeichen dafür wahrnehmen, dass ein Sturm naht, versinken sie tief
ins Meer, so dass Sturm und Wellen sie nicht mehr erreichen können. Ebenso
handelt der betende Mensch: wenn er in der Welt spürt, Satan will ihn
angreifen und Sünde und Leid ihn bestürmen, dann taucht er sogleich tief in
das Meer der Gottesliebe ein, wo ewiger Friede und Stille ist.
-
Ein Philosoph besuchte einen Mystiker. Sie saßen einige
Zeit schweigend beisammen. Dann sagte der Mystiker zu dem Philosophen, als
dieser wieder gehen wollte: "Ich fühle alles, was du denkst." Und der
Philosoph sagte: "Aber ich kann nicht einmal all das denken, was du fühlst."
Es ist klar, irdische Weisheit kann die Wirklichkeit2 nicht erfühlen noch
verstehen. Nur wer mit Gott Gemeinschaft hat im Gebet, kann wirklich die
Wirklichkeit2 erkennen.
-
Der wunderbare Friede, den der Beter während des Gebets
empfindet, entsteigt nicht seiner eigenen Einbildung oder Kraft des Denkens,
sondern kommt daher, dass Gott in der Seele gegenwärtig ist. Der Dunst, der
von einem kleinen Teich aufsteigt, kann nicht zu großen Wolken werden und
wieder als Regen herunterfallen. Nur aus dem mächtigen Ozean können sich so
große Wolken erheben und den Regen spenden, der die durstige Erde tränkt und
fruchtbar macht. Nicht aus unserem Unterbewusstsein, sondern aus dem
grenzenlosen Meer der Gottesliebe kommt der Friede, und mit diesem Meer sind
wir verbunden im Gebet.
-
Wenn die Erde sich nicht drehte, so würde die Sonne
immerwährende Mittagshitze glühen. Der Wechsel von Tag und Nacht und der
Gang der Jahreszeiten haben ihre Ursache nicht in der Sonne, sondern in der
Erdumdrehung. Ebenso steht es mit der Sonne der Gerechtigkeit: sie ist
dieselbe "gestern und heute und auch in Ewigkeit" (Hebr. 13, 8). Wenn uns
Freude erhebt oder wir in Trübsinn versinken, so kommt das von unserer
Stellung zu ihr. Wenn wir unsere Herzen der Sonne der Gerechtigkeit öffnen
in Innerung1 und Gebet, dann werden ihre Strahlen die Wunden unserer Sünden
heilen und uns vollkommene Gesundheit schenken (Mal. 4, 2).
-
Gott hat die Naturgesetze zu Werkzeugen bestimmt, mit
denen Er im Menschen wie in anderen Geschöpfen zu ihrem Fortschritt und
Nutzen wirkt. Wunder stehen den Naturgesetzen nicht entgegen. Denn es gibt
noch höhere Naturgesetze, die wir für gewöhnlich nicht kennen. Die Wunder
stehen im Einklang mit jenen höheren Gesetzen. Im Gebet kommen wir dahin,
dass wir jene höheren Gesetze allmählich erkennen.
Das höchste Wunder ist, wenn Friede und Freude unsere Seelen erfüllt. Wir
mögen denken, solcher Friede sei in einer Welt der Sünde und des Leidens
unmöglich. Aber das Unmögliche wird möglich! Äpfel wachsen nicht in heißen
Ländern, noch Mangos in Ländern, wo Schnee fällt. Wenn sie dennoch dort
wüchsen, so dürften wir von solch einem Ereignis als einem Wunder sprechen.
Dennoch können tropische Pflanzen auch in kalten Ländern wachsen, wenn ihnen
alles geboten wird, was sie zum Leben brauchen.
-
Wenn alle Menschen den empfänglichen Geist und das offene
Ohr hätten und Gottes Stimme hören könnten, wie sie zu ihnen spricht, dann
wäre es gar nicht nötig, dass Evangelisten und Propheten umherzögen und den
Willen Gottes verkündigten. Aber nicht alle Menschen sind so empfänglich.
Daher sind Prediger des Wortes nötig. Doch mitunter kann durch Beten mehr
Gutes gewirkt werden als durch Predigen. Ein Mann, der in einer Höhle
hingegeben betet, kann anderen Menschen durch sein Gebet gar sehr helfen.
Von ihm gehen Wirkungen aus und verbreiten sich, wenn auch schweigend, so
doch spürbar in der Runde, gerade so wie der Rundfunk auf unsichtbare Weise
Botschaften sendet und die Worte, die wir sprechen, durch geheimnisvolle
Schwingungen anderen übermittelt werden.
-
Manchmal findet man grüne und fruchtbare Bäume in
trockener Erde stehen, wo es nicht viel Regen gibt. Wenn man sie aber
sorgsam untersucht, so entdeckt man: diese Bäume sind deswegen so frisch und
grün und fruchtbar, weil ihre verborgenen Wurzeln verborgene Wasserläufe
berühren, die in der Erde fließen. Wir mögen überrascht sein, wenn wir
Gebetsmenschen sehen, wie sie mitten in dem Elend und der Sünde der Welt
voller Frieden sind, vor Freude strahlen und ein fruchtbares Leben führen.
Das kommt daher: die verborgenen Wurzeln ihres Glaubens erreichen im Gebet
die Quelle des Lebendigen Wassers und ziehen aus ihr Kraft und Leben und
bringen Früchte zum ewigen Leben (Ps. 1,3).
-
Die Enden der Baumwurzeln sind so empfindsam, dass sie -
sozusagen aus eigenem Antrieb - sich von den Stellen abwenden, wo sie keine
Nahrung finden, und sich dorthin ausbreiten, wo sie Saft und Leben sammeln
können. Gebetsmenschen haben auch diese Kraft der Unterscheidung.
Untrügliche Einsicht hilft ihnen, dass sie sich von Trug und Täuschung
abwenden und die Wirklichkeit2 finden, von der alles Leben abhängt.
-
Menschen, die nicht im Gebet Umgang haben mit Gott, sind
nicht wert, dass sie Menschen genannt werden. Sie gleichen abgerichteten
Tieren, die bestimmte Dinge auf bestimmte Weise zu bestimmten Zeiten tun
können. Manchmal sind sie noch schlimmer als Tiere, weil sie weder einsehen,
wie nichtig sie in sich selber sind, noch ihr Verhältnis zu Gott sowie ihre
Pflichten gegen Gott und Mensch erkennen. Aber die Gebetsmenschen erlangen
das Recht, Söhne Gottes zu werden, und werden von Ihm nach Seinem Bild und
Gleichnis umgestaltet.

4 INNERUNG
-
Das Gehirn ist ein sehr zartes und empfindsames Werkzeug:
es ist mit vielen feinen Sinnen ausgestattet; diese empfangen in der
Innerung1 Botschaften aus der unsichtbaren Welt und rufen Gedanken hervor,
die das durchschnittliche menschliche Denken weit überragen. Das Gehirn
erzeugt diese Gedanken nicht, sondern empfängt sie aus der unsichtbaren
oberen Geisteswelt und gibt sie in Ausdrücken des menschlichen Lebens
wieder, die den Menschen vertraut sind. Manche Menschen empfangen solche
Botschaften in Träumen, andere in Gesichten und wieder andere in wachen
Stunden während der Innerung1. Das Gebet befähigt uns zu unterscheiden,
welche dieser Botschaften von Nutzen sind und welche nicht; denn im
wirklichen Gebet strömt Licht aus von Gott und erleuchtet den allerinnersten
empfindsamen Teil der Seele: das Gewissen oder den sittlichen Sinn. Reiche
Farben, feine Musik und andere wundervolle Gesichte und Klänge aus der
unsichtbaren Welt spiegeln sich im Innern des Gehirns wider. Dichter und
Maler versuchen, in ihren Gedichten und Gemälden diese unsichtbaren
Wirklichkeiten, die auf sie eindringen, zu deuten, verstehen aber oftmals
ihre wirkliche Quelle nicht. Doch der Mensch der Innerung1 berührt,
sozusagen, das Herz dieser Wirklichkeiten und genießt ihre Seligkeit, denn
seine Seele und die Geisteswelt, woher sie kommen, sind einander nahe
verwandt.
-
Manchmal, wenn wir neue Orte besuchen, ist es uns, als
seien wir schon einmal dort gewesen, oder als hätten wir irgendeine
unbekannte Verbindung mit ihnen. Diese Tatsache lässt sich auf dreifache
Weise erklären. Erstens kann ein anderer, der die Orte besucht hat, über sie
nachgedacht und, ohne unser Wissen, uns seine Gedanken auf geheimnisvolle
Weise mitgeteilt haben. Zweitens können wir andere ähnliche Orte gesehen
haben, und die Erinnerung an die Ähnlichkeit kann uns auf neue Weise
erschienen sein. Oder drittens könnte ein Abglanz der unsichtbaren Welt in
unser Gemüt gefallen sein, denn unsere Seelen sind mit jener Welt verbunden,
und oft wirken auf uns, ohne dass wir es wissen, Eindrücke aus jener Welt
ein. Diese Welt ist der unsichtbaren Welt nachgebildet oder, mit anderen
Worten, die Offenbarung der Geisteswelt in stofflicher Gestalt. Die
Ähnlichkeit zwischen den beiden Welten bewegt unsere Gedanken immerfort.
Wenn wir genug Zeit in der Innerung1 verbringen, wird dieser Zusammenhang
zwischen den beiden Welten immer deutlicher und klarer.
-
In der Innerung1 wird der wirkliche Zustand unserer Seelen
offenbart. In der Innerung1 geben wir gewissermaßen Gott eine Gelegenheit,
dass Er zu uns spricht und uns mit Seinen reichsten Segnungen beschenkt.
Was auch immer wir vermuten, von unseren Gedanken, Worten oder Taten wird
niemals etwas ausgelöscht. Vielmehr ist es unserer Seele eingeprägt - mit
anderen Worten: im "Buch des Lebens" eingetragen. Die Innerung1 macht uns
fähig, dass wir alles in der Furcht und Liebe Gottes tun und die Einträge in
das Buch des Lebens rein erhalten; denn davon hängt unsere zukünftige
Seligkeit oder Qual ab.
-
Gott ist unendlich, und wir sind endlich. Wir können
wirklich den unendlichen Gott nicht vollkommen verstehen, aber Er hat in uns
einen Sinn geschaffen, der uns befähigt, uns Seiner zu erfreuen. Der Ozean
ist unermesslich, und wir können seine ungeheure Ausdehnung nicht
überblicken, noch alle seine großen Schätze kennenlernen. Doch mit unserer
Zungenspitze können wir sofort schmecken, der Ozean ist salzig. Wir wissen
noch nicht alles, was der Ozean an Wissenswertem birgt, aber wir haben durch
unseren Geschmack eine höchst wichtige Tatsache über die Art seines Wassers
herausgefunden.
-
In Furcht, Zorn oder Wahnsinn tun Menschen
außergewöhnliche Dinge, da zerbrechen sie sogar eiserne Ketten. Diese Kraft
wohnt offenbar dem Menschen inne; doch sie kommt nur zum Ausdruck, wenn sich
seine gesamte Tatkraft auf ein einziges Ziel richtet. Gleicherweise kann des
Menschen Kraft, durch göttliche Macht verstärkt, in der Innerung1 die
Sündenknechtschaft zerbrechen und große und nützliche Arbeit verrichten.
Doch zu gleicher Zeit kann diese von Gott gegebene Kraft, wenn sie auf
falsche Weise gebraucht wird, sich als gefährlich erweisen. Bomben,
Maschinengewehre, Kanonen - wie mächtig sind sie und dennoch, wie zerstörend
und gefährlich!
-
Wenn wir in Gedanken versunken sind, beachten wir,
obgleich bei vollem Bewusstsein, weder den Wohlgeruch der Blumen noch den
Zauber der Musik oder die Schönheit der Natur. Sie scheinen für uns nicht
vorhanden zu sein. Ebenso ergeht es den Leuten, die in weltliche Dinge
versunken sind: geistliche Wirklichkeiten scheinen für sie nicht vorhanden
zu sein. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren
hören sie nicht
(Matth. 13,13).
-
Eines Tages sah ich eine Blume und begann, über ihren
Wohlgeruch und ihre Schönheit nachzusinnen. Als ich mehr in die Tiefe drang,
schaute ich den Schöpfer hinter Seiner Schöpfung, obwohl Er meinem Blick
verborgen war. Das erfüllte mich mit Freude. Doch meine Freude wurde noch
größer, als ich entdeckte, wie Er auch in meiner Seele wirkt. Da trieb es
mich auszurufen: "Oh, wie bist Du wunderbar! Von Deiner Schöpfung getrennt,
erfüllst du sie dennoch mit Deiner herrlichen Gegenwart."
-
Christus schrieb nichts, noch hieß Er Seine Apostel,
Seine Lehre niederzuschreiben. Das geschah erstens deshalb, weil Seine Worte
Geist und Leben sind. Er weiß, Leben lässt sich nur Lebendigem einflößen,
nicht aber den Seiten eines Buches. Zweitens ist zu sagen: andere Lehrer
hinterließen Bücher, denn sie schieden von ihren Schülern und wollten ihnen
durch ihre Bücher, die an die Stelle ihrer lebendigen Stimme traten, in
Zeiten der Not helfen. Unser Herr dagegen hat Seine Nachfolger niemals
verlassen. Er ist immer bei uns, und Seine lebendige Stimme und Gegenwart
gibt uns immer Rat. Nach Seiner Himmelfahrt begeistete derselbe in ihnen
wohnende Geist die Jünger, so dass sie die Evangelien schrieben.
-
Wenn wir immer wieder denselben Gedanken, dasselbe Wort
oder dieselbe Tat wiederholen, so wird es uns zur Gewohnheit, und Gewohnheit
bildet den Charakter. Deshalb müssen wir bei allem, was immer wir denken,
sagen oder tun, sorgfältig bedenken, wie die Folgen sein werden, ob gut oder
schlecht. Wir sollen im Wohl tun nicht gleichgültig werden, sonst laufen wir
Gefahr, dass wir die Fähigkeit zum Wohl tun verlieren. Eine Sache gut zu
tun, ist schwierig; etwas Falsches ungeschehen zu machen und wieder
zurechtzubringen, ist noch schwieriger; aber etwas zu verderben, das ist
sehr leicht. Viel Zeit und Mühe ist nötig, um einen Baum aufzuziehen; aber
ihn zu fällen, das ist so leicht. Wenn er dürr und tot ist, dann ist es
unmöglich, ihn wieder ins Leben zurückzubringen.

5 DAS ZUKÜNFTIGE LEBEN
-
Bei allen Völkern findet sich zu allen Zeiten der Glaube
an ein zukünftiges Leben. Wo ein Verlangen ist, da muss auch Erfüllung
möglich sein. So setzt Durst Wasser voraus und Hunger Nahrung. So beweist
auch das Verlangen nach ewigem Leben, dass es gestillt werden kann.
-
Zum andern haben wir ein höheres, edleres Verlangen des
Geistes, das in dieser Welt unmöglich erfüllt werden kann. Deshalb muss es
noch eine andere Geisteswelt geben, in der dieses Verlangen gestillt werden
kann. Diese Körperwelt kann keineswegs dieses Sehnen unseres Geistes
befriedigen.
-
Das wirkliche Verlangen der Seele kann nur Gott erfüllen;
denn Er hat die Seele erschaffen und in sie das Verlangen nach Ihm
hineingelegt. Gott hat den Menschen nach Seinem Ebenbild geschaffen; deshalb
hat der Mensch etwas von der göttlichen Art in sich, die nach Gemeinschaft
verlangt mit Ihm. Gleiches verlangt nach Gleichem, das ist ein Gesetz des
Seins. Und wenn wir im Ewigen Wesen eingewurzelt sind, dann werden wir nicht
nur volles Genüge, sondern auch ewiges Leben haben in Ihm.

6 DIE NEUE GEBURT
-
Es ist eine anerkannte Tatsache, Kinder erben weitgehend
den Charakter ihrer Eltern. Auch ihre Umgebung wirkt auf sie ein, z. B. die
Gewohnheiten ihrer Eltern und anderer, mit denen sie ständig Berührung
haben. Kinder schlechter Eltern werden, wenn sie in einer schlechten
Umgebung leben, sicherlich auch schlecht. Die Lebensbedingungen machen es
ihnen unmöglich, gut zu werden. Wenn solche Kinder dennoch gut werden, ist
es ein großes Wunder. Wir wissen, solche Wunder haben sich mehr oder weniger
überall ereignet. Diese Wunder beweisen: da ist eine große verborgene Macht,
die zerbricht Fesseln, befreit Menschen aus der Knechtschaft der Sünde und
verwandelt Sünder in neue Kreaturen. Das ist die neue Geburt. Die große
verborgene Macht ist der Heilige Geist. Der wirkt zum Heil derer, die
bereuen und an Christus glauben.
-
Es hat viele Verbrecher gegeben, die, obwohl ihre
Regierung sie streng gestraft hatte, sich doch kein bisschen geändert haben.
Noch haben die Liebe und Ermahnungen ihrer Angehörigen und Freunde
irgendeine Wirkung auf sie ausgeübt. Alle möglichen Mittel sind versucht
worden, um sie zu bessern, aber alles ohne Erfolg. Doch mitunter, wenn sie
zu Christus geführt wurden, sind sie in einem Augenblick völlig verwandelt
und neue Menschen geworden. Dann wurde das Leben derer, die selbstsüchtig
waren und in Sünde lebten, neu, und sie begannen, anderen zu helfen und
ihnen zu dienen. Früher verfolgten und töteten sie andere; jetzt sind sie
selber bereit, um anderer willen Verfolgung und Tod zu erleiden. Das heißt:
wiedergeboren sein. Ist das noch nicht Beweis genug für die Tatsache:
Christus ist der Heiland der Menschen, Er ist der Große Arzt, der die
Krankheiten der Menschen richtig erkennt und sie heilt? Wer kann denn sonst
das zerbrochene Herz heilen als Er, der des Herzens Schöpfer ist? Wer sonst
als Er kann Sünder in Heilige verwandeln?

7 LIEBE
-
Gott ist die Quelle der Liebe. Die Anziehungskraft, die
im Raum die Welten in ihrer Ordnung erhält, offenbart sozusagen in der
Körperwelt jene geistige Anziehungskraft der Liebe, deren Quelle Gott ist.
Ein Magnet zieht Stahl an, nicht weil Stahl ein wertvolles Metall ist,
sondern weil Stahl die Fähigkeit hat, sich anziehen zu lassen. Gold zieht er
nicht an. Gold mag kostbarer sein, aber es lässt sich nicht anziehen. In
gleicher Weise zieht Gott Sünder an, wie sündig sie auch sein mögen, wenn
sie nur bereuen und Ihm antworten. Aber andere, die selbstgerecht sind und
sich der Macht Seiner Liebe nicht hingeben, zieht Er nicht zu sich.
-
Ein Kuss ist das äußere Zeichen dafür, dass eine Mutter
ihr Kind liebt. Wenn das Kind eine ansteckende Krankheit hat, mag die Mutter
sich enthalten, es zu küssen, aber sie wird ihr leidendes Kind deshalb nicht
weniger, sondern nur noch mehr lieben, denn es braucht ihre Liebe und
Fürsorge um so mehr. Genau so mag es nach außen hin scheinen, als habe Gott
die Menschen, die der Seuche der Sünde zum Opfer gefallen sind, verlassen;
jedoch Seine Liebe zu ihnen ist unendlich größer als einer Mutter Liebe zu
ihren Kindern (Jes. 49,15). Gleich Seinen anderen Eigenschaften ist auch
Seine Geduld unendlich. Menschen, kleinen Kesseln ähnlich, kochen beim
geringsten Unrecht gar schnell vor Wut. Wie anders dagegen Gott! Wenn Gott
Sich ebenso erzürnte, dann wäre die Welt schon längst ein Trümmerhaufen
geworden.
-
Wenn zwei Menschen dieselbe Person lieben, werden sie
Nebenbuhler und aufeinander eifersüchtig. So ergeht es aber nicht mit des
Menschen Liebe zu Gott. Wer Gott liebt, ist nicht eifersüchtig auf andere,
wenn auch sie Gott lieben. Er ist vielmehr betrübt, wenn sie Ihn nicht
lieben. Des Menschen Liebe zum Menschen unterscheidet sich von seiner Liebe
zu Gott deshalb, weil Gottes Liebe unendlich ist. Ein Mensch kann nicht mit
gleicher Zuneigung alle, die ihn lieben, wieder lieben, denn seine
Liebesfähigkeit ist begrenzt. Aber Gottes Fähigkeit zu lieben ist unbegrenzt
und reicht deshalb für alle aus.
-
Wenn Christus in uns lebt, wird unser ganzes Leben dem
Seinen ähnlich11. Wenn man Salz im Wasser auflöst, so mag es verschwinden,
aber es hört nicht auf, da zu sein. Wir können seiner Gegenwart gewiß
werden, indem wir das Wasser schmecken. Genau so steht es mit dem Christus
in uns: obwohl Er nicht zu sehen ist, nehmen die anderen Ihn in der Liebe
wahr, die Er uns verleiht.

8 GEDANKE UND SINN
-
Gedanken sind nicht nur die Eindrücke, welche außer uns
liegende Dinge auf unsere Sinne machen, sondern auch die Antworten, die
unser Verstand auf die Eindrücke gibt, die durch unsere Sinne zu uns kommen.
Somit hängen Wachstum und Fortschritt des Verstandes zur Vollkommenheit von
äußeren wie inneren Bedingungen ab. Ein Baum mag Leben in sich selber haben;
aber damit seine Blätter sich entfalten, seine Blüten blühen und seine
Früchte reifen können, braucht er Luft und Licht und Wärme. Somit hängen
Wachstum und Reife des Baumes von gewissen äußeren wie inneren Bedingungen
ab.
-
Durch die äußeren Sinne lernen wir die äußere Welt kennen
und durch die inneren Sinne die innere Geisteswelt. Wenn im Verstand ein
Gedanke über etwas auftaucht, so ist damit nicht nur bewiesen, dass ein
denkender Verstand da ist, sondern auch, dass jenes Ding vorhanden ist. Mit
anderen Worten: wir können sagen, in jenem Gedanken spiegelt sich jenes Ding
in unserem Verstand wider. Gelegentlich werden wir, ohne dass wir es wollen,
dazu gebracht, dass wir denken; das heißt, etwas außerhalb spiegelt sich in
unserem Verstand. Wo ein Wohlgeruch ist, da müssen auch Blumen sein. Gestalt
oder Farbe dieser Blumen können unseren Augen verborgen sein, aber der Duft
verrät uns die Blumen. So setzen auch Gedanken Gegenstände voraus. Der
Verstand gleicht einem Spiegel. Wenn der Spiegel Bilder zeigt, so bedeutet
dies, dass sich vor dem Spiegel Gegenstände befinden. Ob es dem Spiegel
gefällt oder nicht - sie spiegeln sich in ihm. Andererseits ist zu beachten:
der Spiegel hat kein Leben, wohl aber der Verstand. Der Spiegel kann keine
Bilder schaffen, er kann sie nur widerspiegeln. Der Verstand dagegen hat
auch angeborene Gedanken. Sonst aber gleicht der Verstand einem Spiegel,
denn in seinen Gedanken spiegeln sich äußere Dinge, mitunter sogar ohne dass
der Verstand selber an dieser Widerspiegelung teilhat. Abstrakte Gedanken
sind die Funken, die dem Feuer der Wirklichkeit2 entspringen.
-
Was unser Verstand widerspiegelt, entspricht nicht immer
der Wirklichkeit. Verschiedenen Menschen mag es verschieden erscheinen, je
nach ihrer besonderen Fähigkeit.
Unsere Gedanken über Gott sind jetzt noch unvollkommen. Aber wenn wir
beständig in Seiner Gegenwart leben, werden wir Sein Wesen wirklich
verstehen lernen.

9 PHILOSOPHIE UND EINGEBUNG
-
Man muss zugeben, die Philosophie hat Jahrhunderte
hindurch keinen Fortschritt gemacht. Dieselben alten Fragen und Lösungen
werden wiederholt, wenn auch in neuer Gestalt und Sprache. In Indien trottet
ein Ochse mit verbundenen Augen den ganzen Tag hindurch im Kreise um eine
Ölpresse. Wenn am Abend seine Augen geöffnet werden, entdeckt er, dass er
nicht weit gewandert, sondern nur im Kreise gelaufen ist; doch immerhin hat
er etwas Öl ausgepresst. Obgleich die Philosophen schon Jahrhunderte
hindurch unterwegs sind, haben sie ihr Ziel noch immer nicht erreicht. Zwar
haben sie hier und dort allerlei gesammelt und daraus auch etwas Öl
gepresst, und das haben sie uns in ihren Büchern hinterlassen. Doch dieses
Öl genügt nicht, um die Dürre der menschlichen Nöte zu beseitigen. Darüber
hinaus fortzuschreiten, ist das Werk des Glaubens und der Eingebung, nicht
der Philosophie. Wie riesig unser Wissen auch sein mag, so hat es
schließlich doch seine Grenzen.
-
Einige Philosophen nahmen, als ihr Durst nach Erkenntnis
nicht gelöscht wurde, sich selbst das Leben.
Empedokles stürzte sich in den
Krater des Ätna: er wollte seinen Durst nach Erkenntnis stillen, indem er,
ohne eines natürlichen Todes zu sterben, die Gemeinschaft mit den Göttern
gewann. Einem Astronomen gelang es nicht, die sonderbaren Bewegungen von
Ebbe und Flut zu erklären; deshalb stürzte er sich voll Verzweiflung in die
Wellen und suchte im Wasser sein Grab. Solche Männer fanden den Schöpfer in
Seiner Schöpfung nicht und kamen deshalb nicht zum Frieden; vielmehr
verloren sie den Schöpfer sowie sich selbst in Seiner Schöpfung. Darin sehen
wir: obgleich die Philosophie darauf ausgeht, die Wirklichkeit zu begreifen,
gelingt es ihr doch nicht; denn niemand kann die Wirklichkeit2 mit dem
Verstand begreifen. Wenn irgend jemand meint, er könne die Wirklichkeit2 mit
seiner Erkenntnis erfassen, so irrt er sich. Denn wer ein Ding von Grund auf
erkennen wollte, der müsste das All erkennen, denn ein jedes Ding steht zu
jedem anderen in Beziehung. Und wer alles wissen wollte, der müsste alle
seine Beziehungen kennen. Hier müssen wir uns vor der Wirklichkeit2 beugen
und im Glauben weiterschreiten.
-
Die Eingebung ist so empfindsam wie die Fingerspitze: sie
lässt uns, wenn sie uns berührt, sogleich die Gegenwart der Wirklichkeit2
fühlen. Die Eingebung gibt uns zwar keine logischen Beweise, aber sie
urteilt so: ich bin völlig zufrieden - solcher Friede kann nur aus der
Wirklichkeit2 kommen - deshalb habe ich die
Wirklichkeit2 gefunden. Das Herz
hat Gründe, von denen der Kopf nichts weiß. Wer viel von einer Blume wissen
will, braucht viel Zeit. Aber nur ein Augenblick ist nötig, um sich ihres
Duftes zu erfreuen. So wirkt auch die Eingebung.

10 VOLLKOMMENHEIT
-
Die Naturgesetze schreiben vor: wer Vollkommenheit
erreichen will, der muss allmählich, stufenweise, wachsen. Auf diese Weise
allein können wir uns auf die Bestimmung vorbereiten, für die wir geschaffen
worden sind. Plötzlicher oder übereilter Fortschritt macht uns nur schwach
und unvollkommen. Der Hafer, der in Lappland in wenigen Wochen wächst, hat
nicht denselben Nährwert wie der Weizen, der sechs Monate zum Reifen
braucht. Der Bambus wächst täglich drei Fuß und schießt 120 Fuß hoch empor,
aber er bleibt innen leer und hohl. Zur Vollkommenheit können wir deshalb
nur langsam und allmählich fortschreiten.
-
Es ist wahr, Vollkommenheit können wir nur in einer
vollkommenen Umgebung erreichen. Bevor wir aber in eine vollkommene Umgebung
eintreten, müssen wir eine unvollkommene durchschreiten, wo wir uns abmühen
und kämpfen müssen. Dieser Kampf stärkt uns und bereitet uns auf die
vollkommene Umgebung vor. Das ist ganz ähnlich wie bei der Seidenraupe: sie
muss sich im Kokon abmühen und entschlüpft ihm deshalb als schöner
Schmetterling. Wenn wir den vollkommenen Zustand erreichen, werden wir
sehen, wie diese Dinge, die zuerst als Hindernis erschienen, uns in
Wirklichkeit - wenn auch auf geheimnisvolle Weise - geholfen haben, die
Vollkommenheit zu erreichen.
-
Der Mensch trägt in sich die Keime zahlloser Fähigkeiten;
aber er kann sie in dieser Welt nicht entwickeln, weil hier die Hilfen
fehlen, die ihr Wachstum und ihre Entwicklung zur Vollkommenheit fördern. In
der künftigen Welt werden sie die Umgebung finden, die sie brauchen, um
Vollkommenheit zu erlangen. Doch zu wachsen beginnen müssen sie schon hier.
Es ist jedoch noch zu früh, als dass wir schon im Einzelnen sagen könnten,
was wir sein werden, wenn wir die Vollkommenheit erreichen. Aber wir werden
vollkommen sein, gleich wie unser Vater im Himmel vollkommen ist (Matth. 5,
48).
-
In dieser Welt gibt es keinen wirklichen Frieden. Der
Friede in dieser Welt ist wegen der Sünde vernichtet. Wirklicher und
dauerhafter Friede ist nur im "Friedefürsten" zu finden. Wasser fließt von
den Höhen hernieder oder spritzt aus den Tiefen empor, denn es sucht
Gleichgewicht und Ruhe. Ebenso muss der Mensch von den Höhen seines Stolzes
herabsteigen und sich aus den Tiefen seiner Sünde erheben, damit er sein
Gleichgewicht findet und in Frieden und Stille verweilen kann.
-
Obgleich die Jünger noch nicht die Vollkommenheit
erreicht hatten, erfreuten sie sich auf dem Berg der Verklärung doch so sehr
der Nähe unseres Herrn sowie Elias und Moses, dass sie drei Hütten errichten
und dort wohnen bleiben wollten (Matth. 17, 3-4). Wie viel mehr werden wir,
wenn wir vollkommen sind, uns der Gemeinschaft unseres Herrn und Seiner
Heiligen und Engel im Himmel auf ewig erfreuen!

11 WIRKLICHER FORTSCHRITT UND ERFOLG
-
Wenn Menschen die äußeren Sitten und Lebensgewohnheiten
zivilisierter Völker annehmen, aber sich nicht die Grundsätze aneignen, auf
denen der Fortschritt beruht, dann wird das Ergebnis vernichtend sein.
Die Regierungen dieser Welt sind nur Abbilder der himmlischen Regierung,
deren König Gott ist. Deshalb laufen die Regierungen dieser Welt Gefahr zu
verfallen und zu versinken, wenn nicht Gott, die Quelle aller Güte und
Ordnung, in den Herzen der Behörden wie der Bürger, der Herrscher wie der
Untertanen herrscht. Einige wollen ein sittliches Leben führen ohne Gott,
aber sie vergessen, ohne Gott ist alle Sittlichkeit hohl und tot.
-
Ohne geistlichen Fortschritt ist der weltliche
Fortschritt Trug und Täuschung, denn weltlichen Fortschritt können wir nur
erreichen, wenn wir anderen Menschen Schaden zufügen. Wenn Menschen um die
Wette laufen, kann nur der den Sieg erringen, der die anderen überholt. Ihre
Niederlage wird sein Sieg. Der eine Kaufmann erwirbt sein Vermögen auf
Kosten der anderen. Demgegenüber ist geistlicher Fortschritt allein etwas
Wirkliches. Denn der Fortschritt des einen hilft auch den anderen, ja, er
hängt seinerseits wieder von deren Erfolg ab. Die Erfahrung beweist: wer für
das Wohl der anderen arbeitet, empfängt Hilfe, oft ohne dass er selbst es
weiß.

12 DAS KREUZ
-
Ob wir wollen oder nicht, dem Kreuz können wir nicht
entrinnen. Wenn wir nicht das Kreuz Christi tragen wollen, dann müssen wir
das Kreuz der Welt tragen. Zunächst mag das Kreuz Christi uns schwer
erscheinen und das Kreuz der Welt leicht. Aber die Erfahrung zeigt: das
Kreuz der Welt ist tatsächlich schwer, denn wer es nimmt, muss wie in den
Tagen des Römischen Reiches schließlich den Tod eines Sklaven sterben.
Christus jedoch hat Sein Kreuz in Herrlichkeit verwandelt. Früher war das
Kreuz ein Sinnbild der Schande und des Todes; nun aber bedeutet es Sieg und
Leben. Wer das Kreuz trägt, weiß aus Erfahrung, das Kreuz trägt ihn und
bringt ihn sicher zu seiner Bestimmung. Aber das Kreuz dieser Welt zieht uns
hinab und führt uns ins Verderben. Welches Kreuz hast du auf dich genommen?
Halt inne und besinne dich.
-
Bei verschiedenen Leuten ist das Kreuz verschieden, je
nach ihrer Arbeit und dem Zustand ihres Geistes. Von außen mag es voller
Nägel erscheinen, aber in seinem Wesen ist es süß und friedevoll. Die
Honigbiene hat zwar einen Stachel, aber sie erzeugt süßen Honig. Wir sollen
uns nicht vor den äußeren Schwierigkeiten des Kreuzes fürchten, sonst
verlieren wir seine geistlichen Segnungen.
-
Ein unwissender Wanderer, vom Auf- und Niedersteigen in
den Bergen ermüdet, könnte denken, Gott habe einen Fehler gemacht, als Er
die Berge erschuf, und es wäre viel besser, Er hätte nur ebenes Land
geschaffen. Dies zeigt, er hat noch nicht eingesehen, wozu die Berge und die
in ihnen aufgespeicherten Schätze gut sind. Um nur eines zu nennen: die
Berge bewirken den Kreislauf des Wassers, und der ist in der Welt ebenso
nötig wie der Kreislauf des Blutes im Leibe. In derselben Weise bewirken das
Auf und Ab des Lebens und das Ungemach des Kreuztragens, dass unser
geistliches Leben in Bewegung bleibt, bewahren es vor Erstarrung und bringen
der Seele zahllose Segnungen.
-
Während des Weltkrieges wurden in einer fruchtbaren
Gegend Gräben ausgehoben und Felder zerstört. Nach einiger Zeit begannen in
diesen Gräben schöne Blumen und Früchte zu erscheinen. Man entdeckte, der
Boden war fruchtbar, aber darunter war die Erde noch viel fruchtbarer. So
kommen, wenn wir das Kreuz tragen und leiden, die verborgenen Reichtümer
unserer Seele ans Licht. Wir sollen nicht über dem verzweifeln, was als
Zerstörung erscheint, denn es treibt die verborgenen, brachliegenden Kräfte
unserer Seele zum Wirken.
-
In der Schweiz brach einmal ein Schäfer das Bein eines
Schafes. Als man ihn fragte, wozu er das getan habe, sagte er, es habe die
schlechte Angewohnheit gehabt, dass es die anderen Schafe in die Irre führte
und sie zu gefährlichen Höhen und Abgründen leitete. Das Schaf war so böse,
dass, wenn der Schäfer es füttern kam, es mitunter ihn zu beißen versuchte.
Aber nach einiger Zeit wurde es freundlich und leckte seine Hände. Ebenso
verfährt Gott mit denen, die ungehorsam und widerspenstig gewesen sind: Er
führt sie durch Kummer und Leiden auf den Weg der Geborgenheit und des
ewigen Lebens.
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Jedes Gas nimmt in kühlem Zustande einige Lichtstrahlen
auf, und wenn es erhitzt wird, sendet es sie wieder aus. Genau so leben wir,
wenn wir geistlich kalt sind, in der Finsternis, obgleich die Sonne der
Gerechtigkeit fortwährend um uns herum scheint. Wenn aber durch die Reibung
des Kreuzes das Feuer des Heiligen Geistes in uns entzündet und dadurch
Wärme erzeugt wird, dann werden wir zunächst selber durch seine Strahlen
erleuchtet und bringen das Licht zu anderen.
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Die Schönheit der Diamanten blendet uns erst, wenn sie
geschliffen sind. Dann fallen die Sonnenstrahlen auf sie und lassen sie in
wundervollen Farben scheinen. So werden auch wir, wenn wir durch das Kreuz
geschliffen sind, als Edelsteine im Reiche Gottes scheinen.

13 DER FREIE WILLE
-
Wir haben die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu
unterscheiden und eins von beiden zu wählen. Das heißt, wir können innerhalb
der Grenzen unseres Wesens frei handeln. Sonst hätte die Kraft, die wir
haben, um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, keinen Sinn. Der Geschmack
sagt uns, was bitter ist und was süß. Er würde keinen Sinn haben, wenn wir
nicht frei wären, nur das zu essen, was wir wählen. Wir sind frei, nicht
weil wir auch hätten anders handeln können, sondern einfach weil wir
handeln.
Wenn ich z. B. die Kraft habe, hundert Pfund zu tragen, dann habe ich die
Freiheit, das Ganze oder nur einen Teil davon zu tragen. Und wenn eine Last
schwerer ist als hundert Pfund, dann übersteigt sie meine Kraft und auch
meine Verantwortung: dann bin ich von der Notwendigkeit, die Last zu tragen,
befreit; denn der mir die Last aufgelegt hat, verlangt von mir nicht mehr,
als ich leisten kann. Somit habe ich Freiheit in jedem Fall. Und wenn ich
das nicht tue, was im Bereich meiner Kraft liegt, dann muss ich für meine
Pflichtversäumnis und Gleichgültigkeit leiden, denn ich habe die mir
gegebene Kraft missbraucht.
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Bosheit und Verbrechen können nicht dadurch ausgetilgt
werden, dass man den Verbrecher bestraft. Wenn man das erreichen könnte,
dann dürften bald alle Gefängnisse geschlossen werden. Trotz der strengen
Strafe, die den Übeltätern zugemessen wird, finden wir keine Veränderung.
Und das Böse werden wir vom Angesicht der Erde erst dann vertreiben können,
wenn sich ein jeder Mensch aus freiem Willen entschließt, es bis zur Grenze
seiner Fähigkeit zu vertilgen. Wenn andere ihn zwingen wollen, so erreichen
sie gar nichts. Gott hält die Hand des Mörders nicht fest, noch schließt Er
die Lippen des Lügners, denn Er tritt dem freien Willen des Menschen nicht
in den Weg. Wenn Gott sich so verhielte, dann gliche der Mensch nur einer
Maschine. Auch schätzte er dann die Wahrheit3 nicht, noch fände er Freude
darin, ihr entsprechend zu handeln; denn Freude kann nur aus einer Tat
freien Willens folgen.
-
Die Welt empört sich in gewisser Weise gegen Gott und
macht die Nachfolger Christi zu Sklaven. Wenn diese durch Gottes Gnade von
der Knechtschaft und Macht der Welt befreit sind und in die himmlischen
Örter eingehen, dann wird die Welt selbst ihnen Untertan, denn die Welt
erkennt, sie sind mit der lebendigen Macht im Bunde, die sie [die Welt]
geschaffen hat. Dann wird sie, anstatt zu siegen, selbst besiegt. Gott
gewährt denen, die aus eigenen freien Willen Ihm in Liebe dienen, auf ewig
vollkommene Freiheit.

14 GESUNDHEITSREGELN
-
Grundsätze der Gesundheit, der leiblichen wie
geistlichen, sind selbst schon Mittel zur Gesundheit. Grundsätze sind nichts
anderes als die festgesetzten Mittel, durch die man bestimmte Ziele
erreichen kann. So hat z. B. das Geld keinen Sinn in sich selber. Es ist nur
ein Mittel, das zu erreichen, was wir brauchen.
Musik, Wohlgeruch, leckeres Essen, Licht und Wärme - all dieser Dinge können
wir uns erfreuen, wenn wir sie mit Maß genießen. Haben wir nicht genug, dann
spüren wir den Mangel; haben wir mehr als genug, dann leiden wir. Gott hat
uns äußere und innere Sinne gegeben, damit sie uns vor drohenden Gefahren
warnen oder uns wirkliches Glück anzeigen. Schmerz ist das Zeichen dafür,
dass in unserem Leib oder Geist etwas nicht in Ordnung ist. Gehorchen wir
den Gesetzen der Wirklichkeit2, so haben wir Ruhe und Glück.
-
Wenn wir der Natur widerstreben, so ist sie wider uns.
Aber wenn wir versuchen, naturgemäß zu leben, dann wird sie, anstatt uns zu
schädigen, uns helfen, jenes Ziel vollkommener Gesundheit zu erreichen, von
dem Gott haben wollte, dass wir es durch diese Mittel erreichen. Und indem
wir vollkommene Gesundheit erlangen, gewinnen wir die ewige Seligkeit in
Gott, und danach geht das erste Verlangen unserer Seele.

15 DAS GEWISSEN
-
Das Gewissen ist das sittliche Gesetz oder der sittliche
Sinn in uns. Es ist der Persönlichkeit nur im Keim angeboren. Es bedarf der
Erziehung, Zucht, Übung und Gewöhnung. Auch die Umgebung übt großen Einfluss
auf sein Wachstum.
Gleich wie wir den Geschmack haben und damit zwischen dem Hässlichen und
Schönen unterscheiden können, so haben wir das Gewissen, das uns hilft,
zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
-
Schmerz in irgendeinem Organ des Leibes ist ein Alarmruf,
der eine Gefahr anmeldet. In gleicher Weise bewirkt die Sünde Qual und
Unruhe der Seele. Wie der Tastsinn uns im Bereich des Leibes warnt, so warnt
uns das Gewissen vor kommender Gefahr und Zerstörung und drängt uns, die
Schritte zu tun, die zur Rettung nötig sind.
-
Wenn die Schiffe in der Nähe der Küste den Leuchtturm
oder die Felsen oder die Umrisse des Landes sehen, so wissen sie, wo sie
sind. Aber draußen auf hoher See können sie sich nur nach Sternen und
Kompass richten. Ebenso braucht unsere Seele auf ihrer Reise zu Gott sehr
notwendig das Gewissen und den Heiligen Geist, damit wir unser Ziel
erreichen, ohne irre zu gehen.

16 DIE ANBETUNG GOTTES
-
Man findet kaum Menschen, die nicht Gott oder irgendeine
Macht anbeten. Wenn gottlose Denker oder Wissenschaftler, von
materialistischer Weltanschauung erfüllt, Gott nicht anbeten, dann neigen
sie oft dazu, große Männer und Helden oder irgendein Wunschbild zu einer
Macht zu erheben und zu verehren. Buddha lehrte nichts über Gott. Das
Ergebnis war, seine Anhänger begannen ihn selber anzubeten. In China hatten
die Menschen nicht gelernt, Gott anzubeten, deshalb verehrten sie ihre
Ahnen. Selbst des Schreibens unkundige Menschen verehren irgendeine Macht
oder irgendeinen Geist. Kurzum, wir Menschen können nicht anders, als zu
verehren oder anzubeten. Dieses Verlangen nach Anbetung, von dem der Mensch
nicht loskommen kann, hat ihm der Schöpfer anerschaffen, damit er, von
diesem Verlangen geleitet, mit seinem Schöpfer verbunden sei oder sich
ewiger Gemeinschaft mit Ihm erfreue.
-
Die aber zu halsstarrig sind, um an Gott zu glauben,
obgleich man ihnen die auf Planmäßigkeit und Ordnung gegründeten Beweise für
Sein Dasein vorlegt, würden an Ihn auch dann nicht glauben, wenn sie Ihn
selber sähen. Und zwar aus zwei Gründen. Wenn Gott Sich ihnen offenbarte und
ihnen Gründe gäbe, die Seine Gottheit beweisen, und zwar Gründe göttlicher
Logik, dann würden sie Ihn doch nicht verstehen, denn solche Gründe
überragen weit ihre menschliche Logik und Philosophie. Wenn Er ihnen aber
andererseits Gründe gäbe, die der Richtschnur menschlicher Erkenntnis
folgen, dann würden sie ihn doch verachten und sagen: "Das kennen wir alles
schon. Gott ist nicht viel besser als wir, denn Seine Art zu denken, scheint
der unseren zu gleichen. Er mag ein wenig höher stehen als ein menschliches
Wesen, aber nur ein wenig, mehr nicht."
-
Der Mensch ist ein Teil des Weltalls und ein Spiegel, der
es widerspiegelt. Deshalb spiegelt sich in ihm die sichtbare wie unsichtbare
Schöpfung wider. In dieser Welt ist er das einzige Wesen, das die Schöpfung
deuten kann. Er ist sozusagen die Sprache der Natur. Die Natur spricht wohl,
aber schweigend. Diese stillen Äußerungen der Natur faßt der Mensch in
Worte.
-
Der Mensch ist ein begrenztes Wesen. Somit sind auch
seine Sinne, die inneren wie die äußeren, begrenzt. Deshalb kann er des
Schöpfers Schöpfung nicht von allen Seiten schauen. Wollte er es, so
brauchte er unzählige Sinne. Unsere wenigen Sinne können nur wenige Seiten
der Schöpfung und ihrer Natur wahrnehmen und diese nicht einmal vollkommen.
Trotz dieser Begrenzungen hat das Herz Erkenntnis der Wirklichkeit2, denn
diese hängt weder vom Verstand ab, noch kann der Verstand sie begreifen. Das
menschliche Auge ist zwar in sich selber klein, aber es wandert über
ungeheure Entfernungen und erreicht Orte, wohin der Mensch selbst nicht
gehen kann. Es schaut die Sterne, die Millionen Meilen entfernt sind,
beobachtet ihre Bewegungen und erfreut sich ihres Glanzes. Genau so blicken
die Augen des Herzens aufmerksam auf die Geheimnisse Gottes, und diese
Einsicht drängt den Menschen dazu, Ihn anzubeten, in dem allein die Nöte
seines Herzens für immer vollkommen gestillt sind.

17 DAS SUCHEN NACH DER WIRKLICHKEIT
-
Die Weisen aus dem Morgenlande kamen aus weiter Ferne und
wurden durch den Stern zur Sonne der Gerechtigkeit geführt. Diesen Männern,
die von so weither kamen, wurde, als sie den König der Gerechtigkeit sahen
und anbeteten, das Verlangen ihres Herzens erfüllt, während in einem
gewissen Sinne Sein eigenes Volk, die Juden, Ihn verwarfen und kreuzigten
und dadurch ihren Segen verloren. Aus Ost und West kommen Leute zu Ihm: sie
suchen die Wirklichkeit2 und finden Ihn, beten Ihn mit Herz und Seele an und
legen sich selbst als Opfer Ihm zu Füßen. Durch dieses Opfer ererben sie
ewiges Leben in Seinem Reich. Andererseits verwerfen Ihn Christen, die
sozusagen Sein eigenes Volk sind, mit Wort und Tat und erleiden dadurch
unsagbaren Verlust. Die Weisen aus dem Morgenlande verweilten nicht lange
genug, so dass sie Christi Lehre nicht hörten und Seine Wunder, Seine
Kreuzigung, Seine Auferstehung und Himmelfahrt nicht sahen; deshalb hatten
sie auch keine Botschaft für die Welt. Ebenso ergeht es manchen, welche die
Wirklichkeit2 suchen: sie leben nicht in seliger Gemeinschaft mit dem Herrn
und erfahren deshalb auch nicht Seine Leben schenkende und rettende Macht;
so haben sie keine Botschaft für die Welt.
-
"Wer da hat, dem wird gegeben, und er wird die Fülle
haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden" (Matth.
25, 29). Wenn ein Mensch nicht hat, wie kann dann etwas von ihm genommen
werden? Mag er auch keine Begabung oder verantwortliche Arbeit haben, weil
ihm diese wegen seiner Nachlässigkeit abgenommen worden sind, so ist ihm
aber doch wenigstens seine Fähigkeit gelassen worden, zwischen dem
Wirklichen und dem Unwirklichen zu unterscheiden. Wenn er jedoch dieses
Unterscheidungsvermögen nicht benutzt, dann wird auch das noch von ihm
genommen. Dadurch wird sein Gewissen starr und tot. Und ihm ist nichts mehr
geblieben.
-
Es gibt Menschen, deren Unterscheidungsvermögen ist so
tot, dass, wenn es ihnen nicht gelingt, mit ihren feinen wissenschaftlichen
Werkzeugen die Anfänge des Lebens in dieser Welt nachzuweisen, sie dann
nicht an Gott als die Quelle allen Lebens glauben, sondern zu denken
beginnen, Lebenskeime seien von Meteoren herabgefallen - gewiss eine
Unmöglichkeit. Wenn der tote Stoff der Welt kein Leben erzeugen kann, wie
können dann Meteore, die aus demselben Stoff gemacht sind wie die Erde,
Leben hervorbringen? Wenn der Stoff der Meteore sich von dem der Erde
unterscheidet, wie können dann Keime von Meteoren auf dieser Erde wachsen,
da doch die Umgebung so verschieden ist? Jedoch die Wahrheit3 ist: wo Gott
gegenwärtig ist, da ist Leben. Im Wasser, es sei heiß oder gefroren, gibt es
Lebewesen. Auch in heißen Quellen werden Lebewesen gefunden. So wirkt Gottes
schöpferische Gegenwart überall. Unter allen Bedingungen schafft Er Leben.
-
Wahrheit3 oder
Wirklichkeit2 wird an ihren Früchten
erkannt. Wer im Einklang mit der Wirklichkeit2 handelt, dem fallen, schon
während er so handelt, Früchte zu, und in der Zukunft wird ihm das oberste
Gut zuteil - die Gewohnheit. Die Wirklichkeit2 allein kann das Sehnen der
Seele stillen.
Wie tief ein Mensch auch in Sünde gefallen und wie sehr er auch entartet
sein mag, so liebt und schätzt er doch die Wahrheit3. Ein Lügner z. B. mag
selber lügen, aber er hat es nicht gern, dass andere Leute auch lügen. Ein
anderer wieder, wie ungerecht er selber auch sein mag, ärgert sich, wenn
andere Leute auch ungerecht sind. Das zeigt: in der Tiefe ihres Wesens
verlangen solche Menschen nach Wahrheit3 und Gerechtigkeit und schätzen sie
auch, denn die Wahrheit hat sie so geschaffen, dass sie sich, wenn sie für
die Wahrheit3 und in ihr leben, selig fühlen. Wenn sie der
Wahrheit3
entgegenhandeln, werden sie leiden, denn damit stellen sie sich gegen ihr
eigenes Wesen wie gegen das Wesen der Wahrheit3, die sie geschaffen hat.
-
Die Wahrheit hat viele Ansichten. Jeder einzelne Mensch,
je nach der ihm von Gott gegebenen Fähigkeit, drückt aus oder offenbart eine
andere Ansicht der Wahrheit3. Ein Baum mag dem einen Menschen wegen seiner
Früchte gefallen, einem anderen wegen seiner hübschen Blüten. Die Menschen
würdigen und erklären jene Ansichten des Baumes, die ihnen zusagen. So
erklären und beschreiben der Philosoph, der Gelehrte, der Dichter, der Maler
und der Mystiker, jeder nach Fähigkeit und Temperament, die verschiedenen
Ansichten der Wirklichkeit2, die auf sie gewirkt haben. Einem einzelnen
Menschen ist es unmöglich, eine allumfassende Schau der Wirklichkeit2 zu
gewinnen und alle ihre verschiedenen Stufen zu beschreiben.
-
Wenn wir herausfinden wollen, ob eine Sache wahr ist oder
nicht, so müssen wir sie von verschiedenen Seiten betrachten. Sonst entsteht
Missverständnis und Irrtum. Wenn wir z. B. einen geraden Stock von einem
Ende nur mit einem Auge anblicken, dann können wir nicht erkennen, wie lang
er ist. Wenn wir einen richtigen Eindruck von dem Stock gewinnen wollen,
dann müssen wir ihn von verschiedenen Seiten ansehen.
Wer mit seinem ganzen Gemüt und seiner ganzen Seele die Wirklichkeit2 sucht
und sie erlangt, der erkennt: noch bevor er nach der Wirklichkeit2 zu suchen
begann, hat die Wirklichkeit selber nach ihm gesucht, um ihn in ihre selige
Gemeinschaft und Gegenwart zu bringen. Es ergeht ihm wie einem verirrten
Kind, das seine Mutter sucht. Nachdem es wieder in ihren Schoß gefunden hat,
erkennt es: noch bevor es an sie dachte, hatte sie schon mit tiefer
mütterlicher Liebe nach ihm zu suchen begonnen.

18 REUE UND RETTUNG
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Zur Rettung ist Reue notwendig; aber Reue allein kann
Sünder nicht retten, wenn Gottes Gnade ihnen die Sünde nicht vergibt. Wenn
ich einen Stein gegen einen Menschen schleudere, wenn er stirbt und ich
bereue es, dann mag solche Reue mich davor bewahren, dass ich jene Torheit
in Zukunft wiederhole; aber der Schaden, der angerichtet worden ist, kann
nicht ungeschehen gemacht und das Leben des Mannes nicht wieder
zurückgebracht werden. Gott allein kann mir vergeben und dem Toten im
nächsten Leben eine Gelegenheit gewähren, dass der Schaden, den er durch
seinen plötzlichen Tod erlitten, wieder ausgeglichen werde. Auf diese Weise
können beide, der Mörder sowie der Ermordete, gerettet werden.
-
Gott allein kann richtig strafen oder vergeben, denn Er
allein versteht die inneren Nöte und Umstände des Menschen und weiß, was aus
Seiner Vergebung oder Strafe folgen wird. Wenn der Mensch jedoch straft,
dann wird oft der Zweck der Strafe nicht erreicht, denn er kennt die inneren
Nöte und Umstände des Missetäters nicht. In einigen Fällen schafft die
Strafe nichts Gutes, sondern schadet nur, während Vergebung nahezu
zauberhaft wirkt, indem sie die Menschen verwandelt. In anderen Fällen mag
die Vergebung nur als Gelegenheit zu neuer Missetat verstanden werden;
solche Menschen sind dann nur durch Strafe zu bessern. Gott allein kennt das
wirkliche Wesen der Menschen und errettet sie, wie sie es nötig haben, von
den Ursachen wie Folgen der Sünde.
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Die Absicht der Seele ist, wirkliche und bleibende Freude
zu erlangen. Wer dieses Ziel mit falschen Mitteln, z. B. durch Sünde, zu
erreichen sucht, der zerstört gerade die Fähigkeit der Seele, sich des
Glücks zu erfreuen. Und wer diese Fähigkeit verkümmern lässt oder
missbraucht, der zerstört sie. Denn Gott hat in Seiner Liebe diese Kräfte,
Fähigkeiten oder Sinne zur Freude geschaffen und will, dass wir uns in
Seiner Gemeinschaft ewiger Glückseligkeit erfreuen. Darin besteht die
Errettung.
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Stolz ist Sünde, denn der stolze Mensch hält von sich
mehr, als er wirklich ist. Dadurch verliert er Gottes Gnade, fällt in Sünde
und zerstört seine Seele. Lüge ist Sünde, denn sie widerspricht der
Wahrheit. Wer beständig Lügen erzählt, wird allmählich ein Mensch, der sich
selbst belügt. Er vertraut nicht mehr seinen inneren und äußeren Sinnen,
sondern bezweifelt stets ihre Wahrheit3. Schließlich bezweifelt er sogar
Gottes Liebe und Gnade und verliert damit sein geistliches Leben und Gottes
reichste Segnungen. Habsucht ist Sünde, denn der Habsüchtige sucht
Befriedigung in geschaffenen Dingen und verlässt damit seinen Schöpfer.
Ehebruch ist Sünde, denn der Ehebrecher zerreißt Familienbande und zerstört
Reinheit und Leben. Diebstahl ist Sünde, denn der Dieb beraubt die anderen
ihres Verdienstes. Er sucht Freude, indem er anderen einen Verlust zufügt.
Deshalb ist es notwendig, dass wir uns von diesen und allen anderen Sünden
reumütig abwenden und uns retten lassen, damit Gottes Wille in unserem
Erdenleben geschehe, wie er im Himmel unter Heiligen und Engeln geschieht.
-
Gelehrte und Philosophen, die an Entwicklung glauben,
sprechen vom Überleben des Tüchtigsten durch natürliche Zuchtwahl. Es gibt
jedoch noch eine andere größere Tatsache, die durch das verwandelte Leben
von Millionen bewiesen ist, dass nämlich in der göttlichen Zuchtwahl die
Untüchtigen (d. h. die Sünder) überleben. Trinker, Ehebrecher, Mörder und
Räuber sind aus den Tiefen der Sünde und des Elends emporgehoben worden und
haben ein neues Leben des Friedens und der Freude empfangen. Dies ist die
Rettung, die wir durch Jesus Christus erlangen, der in die Welt gekommen
ist, um Sünder zu retten (1. Tim. 1,15).

19 ERBSÜNDE
-
Es ist möglich, dass Kinder die Krankheiten der Eltern erben. Aber wenn
die Eltern Hände, Füße oder Augen verlieren, so müssen die Kinder deshalb
noch lange nicht lahm, verkrüppelt oder blind geboren werden. So steht es
auch mit der Erbsünde. Die Kinder erben nicht alle Eigenschaften der Eltern,
seien sie gut oder schlecht; sondern vieles im Charakter der Kinder ist das
Ergebnis ihrer eigenen bewussten Taten. Wenn sie alle Eigenschaften ihrer
Eltern erbten, dann könnten sie für ihre Taten nicht verantwortlich gemacht
werden. Fähigkeit und Charakter sind nur in geringem Grad erblich; wie sie
wachsen und reifen, das hängt weithin von den eigenen Anstrengungen ab.
-
Wenn irgendein Gegenstand vor dem Licht steht, so wirft er einen
Schatten oder ruft Dunkelheit hervor. Mondfinsternis tritt ein, wenn die
Erde zwischen Sonne und Mond steht. Wenn der Schatten eines anderen
Gegenstandes auf uns fällt, sind wir nicht verantwortlich dafür, denn nicht
wir, sondern der Gegenstand außer uns hat den Schatten geworfen. Da wir uns
im Bereich jenes Schattens befinden, werden wir von ihm berührt, aber wir
sind nicht verantwortlich dafür. Doch wir tragen Verantwortung für die bösen
Gedanken, die gleich Wolken aus unserem Herzen aufsteigen, am Himmel
schweben und Dunkelheit bewirken.
-
Sünden und ihre Folgen sind zwar gefährlich, dauern aber nicht ewig.
Nichts ist ewig als Gott allein, und wem Er Ewigkeit verleiht. Wenn noch ein
anderes Wesen aus sich selber neben Gott leben sollte, dann müsste es auch
die unendlichen Eigenschaften Gottes besitzen. Das ist aber unmöglich, denn
nur Einer ist unbedingt.
Gottes Dasein verbürgt eine vollkommene Ordnung, die beständig erhalten
bleiben soll. Was Seinem Wesen widerstrebt (d. h. das Böse), kann in Seiner
Gegenwart nicht auf ewig bestehen. Deshalb soll die ganze Schöpfung, die da
seufzt und in Wehen liegt, weil sie dem Bösen und der Nichtigkeit
unterworfen ist, für immer befreit werden aus der Knechtschaft der
Verderbnis zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm. 8, 20-22).

20 VEDANTA UND PANTHEISMUS
-
Nach dem
Vedanta ist Gott (Brahma) allein wirklich; alles
andere ist Täuschung. Die menschliche Seele ist dasselbe wie Gott, obgleich
sie, wegen der menschlichen Unwissenheit, von Ihm getrennt zu sein scheint.
- Wenn das wahr wäre, dann würde es bedeuten, auch Gott sei der Täuschung
unterworfen. In diesem Fall kann Er nicht Gott sein. Gott ist in
Wirklichkeit von aller Täuschung frei und weiß alles. Die Anhänger des Vedanta behaupten auch, in tiefer Versenkung (samadhi) werde der Fromme
durch Erkenntnis von Täuschung (maya) frei. Da erhebt sich die Frage: wenn
alles Täuschung ist, wie erkennen wir da, dass der Fromme, in samadhi
versunken, und was er in diesem Zustand erkennt, nicht auch Täuschung sind?
-
Wenn wir zugeben, dass der Vedanta wahr sei, dann müssen
wir auch zugeben, dass - da Mensch und Gott dasselbe sind - Gott in
Entwicklung begriffen sei und dass Er vermittels Täuschung und Verwandlung
des Stoffs Vollkommenheit erlangen wolle. Wenn maya das nicht für Gott
leistet, dann sollen die Anhänger des Vedanta uns sagen: was ist die erste
Ursache von maya? welche Handlungen haben dazu geführt, dass wir in maya
verstrickt sind? und wozu ist maya gut? Tatsache ist: Gott ist in jedem
Ding, und jedes Ding ist in Gott. Aber Gott ist nicht jedes Ding, und jedes
Ding ist nicht Gott. Wer den Schöpfer mit seiner Schöpfung verwechselt, der
ist in Unwissenheit versunken.

21 CHRISTUS UNSERE ZUFLUCHT
-
Eine Biene kommt zu einer Blume, um Honig zu sammeln.
Während sie mit dieser lieblichen Aufgabe beschäftigt ist, wird sie mitunter
von einer Spinne gestochen. Dieser Stich lässt die Biene erstarren, so dass
sie eine leichte Beute der Spinne wird. Genau so verfährt Satan: er kann uns
nicht nur an bösen Orten angreifen, sondern auch während wir uns einer
guten, nützlichen und angenehmen Arbeit hingeben. Wenn wir nicht treu sind
im Gebet, droht die Gefahr, dass Satan uns angreift und überwältigt.
-
Die Sünde macht das Gewissen taub und den Willen kraftlos
und schwach. In solcher Lage vermag der Mensch, wenn er Gefahr und Tod vor
sich sieht, ihnen nicht zu entfliehen - so hilflos ist er -, selbst wenn er
ein starkes Verlangen danach hat. Einst trieb im tiefen Winter ein Leichnam
den Niagara-Fällen zu. Ein Raubvogel saß darauf und war geschäftig, ihn zu
verzehren. Als der Vogel den Wasserfällen nahe kam, wollte er den Leichnam
verlassen und sich retten. Doch seine Krallen waren festgefroren, so dass er
nicht fortfliegen konnte. So stürzte er in die tosenden Wasser und starb
eines elenden Todes.
-
Wenn wir vor den Angriffen und Gefahren des Feindes
geborgen sein wollen, dann müssen wir in der Gemeinschaft mit dem Herrn
leben und Ihm ähnlich werden. In schneereichen Ländern kleidet die Natur
Tiere und Vögel in Weiß, so dass sie dieselbe Farbe wie ihre Umgebung haben
und somit vor Angriffen sicher sind. Wo die Umgebung anders ist, da sind
auch die Tiere anders gekleidet. Das Chamäleon und der Bay-Plattfisch können
ihre Farbe im Augenblick wechseln: sie nehmen dieselbe Farbe wie ihre
Umgebung an und entkommen ihren Feinden. Jedoch blinde Fische können das
nicht, denn sie können die Farbe um sie herum nicht sehen. In gleicher Weise
ist es höchst wichtig, dass wir geistliche Schau haben; denn wenn wir
beständig auf Christus blicken und Ihm nachfolgen, können wir Ihm ähnlich
werden sowie in Ihm auf ewig geborgen und vor allen Angriffen des Feindes
behütet leben.

22 FEINDE GROSS UND KLEIN
-
Des Menschen Todfeinde sind nicht nur große Tiere wie
Tiger, Wölfe und Schlangen. Kleine Keime, die wir nur durch das Mikroskop
sehen können und durch unsere Nahrung sowie durch Wasser und Luft in uns
aufnehmen, sind oft noch viel gefährlicher und rufen tödliche Krankheiten
hervor. Ebenso gefährden nicht nur große Sünden unsere Seele, sondern
verborgene böse Gedanken, die Keime großer und kleiner Sünden, wirken noch
viel zerstörender. Wir müssen danach trachten, diese Keime von Anfang an aus
unserem Gemüt zu entfernen, damit wir und andere von ihren verhängnisvollen
Folgen frei werden.
-
In unserem Leib haben wir Gesundheitskeime (phagocytes)
wie auch Krankheitserreger (bacteria). Wenn unter irgendwelchen Umständen
die Krankheitskeime sich vermehren und die Gesundheitskeime überwältigen,
dann wird der Mensch krank, und wenn er nicht richtig behandelt wird, stirbt
er. Wenn aber die Gesundheitskeime stärker sind, so widerstehen sie und
töten die Krankheitserreger, und der Mensch erfreut sich guter Gesundheit.
Gleicherweise wirken unsere guten Gedanken: sie überwältigen unsere bösen
Gedanken und helfen uns, dass wir uns, von den Verwüstungen der Sünde
befreit, guter Gesundheit erfreuen. Dieser Sieg kann nicht errungen werden
ohne die Hilfe des Heiligen Geistes, der die Quelle aller Gutheit, aller
Freude und des vollkommenen Lebens ist.
-
Manche Menschen werden so sehr von bösen Gedanken
überwältigt, dass sie alle Hoffnung zu verlieren scheinen und sich in großer
Verzweiflung das Leben nehmen. Aber anstatt sich selbst zu töten, sollten
sie vielmehr mit Gottes Hilfe jene Gedanken töten, die ihnen alle Hoffnung
und Kraft zum Siege nehmen. Wir sollen nicht unser Leben mit Gift oder
tödlichen Waffen zerstören, sondern geistliche Waffen, wie das Gebet,
benutzen, um das Böse bis in die Wurzel zu vernichten. Dann bringen wir uns
nicht um, sondern retten uns und helfen dadurch auch anderen, sich zu
retten.
-
Selbstsucht ist in gewisser Weise Selbstmord; denn Gott
hat uns gewisse Fähigkeiten und Eigenschaften gegeben, damit wir sie zum
Wohle anderer gebrauchen. Indem wir anderen helfen, finden wir neue Freude
und helfen auch uns selber. Dies ist ein Gesetz unseres inneren Seins. Wenn
wir anderen nicht helfen, verlieren wir diese Freude. Wenn wir unsere
Nächsten nicht wie uns selber lieben, sind wir ungehorsam gegen Gott.
Solcher Ungehorsam beraubt uns der Freude, von der unsere Seele lebt. Dann
bleibt unsere Seele hungrig und stirbt. Ein selbstsüchtiger Mensch meint, er
schaffe zu seinem eigenen Vorteil; aber ohne es zu wissen, fügt er sich
selber großen Schaden zu. Wenn jeder Mensch sich nur dazu entschließen
könnte, die Selbstsucht aufzugeben, dann würde aller Kampf und Streit in der
Welt aufhören und die Erde zum Himmel werden. Alle Sünden kommen aus der
Selbstsucht. Deshalb gebot uns unser Herr, uns selbst zu verleugnen und Ihm
nachzufolgen (Luk. 9, 23).
-
Wenn wir fortwährend andere tadeln und an ihnen etwas
auszusetzen haben, fügen wir ihnen wie uns selber großen Schaden zu. Wenn
wir jedoch den Selbstruhm aufgeben und uns selber tadeln, dann wird uns das
umgestalten: wir werden am Leben der anderen teilnehmen und sie lieben. Auf
diese Weise werden die anderen wie auch wir selber Gewinn haben. Und wir
werden das verheißene Land erben, das Reich wirklicher Liebe.

23 "GÄSTE UND FREMDLINGE AUF ERDEN"
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Ein Philosoph reiste um die Erde um einen Ort vollkommener Stille und
Ruhe zu finden. Stattdessen fand er überall Sünde und Sorge, Leiden und Tod.
Aus der Erkenntnis und Erfahrung, die er so gewonnen hatte, kam er zu dem
Schluss, diese Welt sei nicht dazu bestimmt, unsere bleibende und wirkliche
Heimat zu sein, sondern die wirkliche Heimat, nach der sich unsere Seele so
sehr sehnt, sei anderswo; dort werde die Seele vollkommene Ruhe finden.
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Einst wurde nahe beim Golf von Mexiko ein Vogel
gefangen und nach einem Ort verschickt, der 850 engl. Meilen weit entfernt
lag. Er wurde in einen engen Käfig gesteckt und kannte den Weg, den er
geschickt wurde, nicht. Aber als er herangewachsen war, kehrte er ohne
Führung und Hilfe zu eben derselben Stelle wieder zurück, von der man ihn
fortgenommen hatte. Sein Instinkt hatte ihn geleitet. Ebenso ergeht es dem
Menschen, dessen Gewissen durch Gottes Gnade wach ist: er verlässt diese
vergängliche Welt und erreicht durch die Führung und Hilfe des Heiligen
Geistes den Himmel, die ewige Heimat, für die er geschaffen worden ist.
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Ein Naturforscher brachte die Eier einer Nachtigall in
ein kaltes Land und hoffte, dass die Vögel, wenn sie dort ausgebrütet wären,
jenes Land für ihre Heimat halten und dort bleiben würden. Aber sie krochen
aus und flogen, als der Sommer vergangen war, fort in ihr Heimatland und
kehrten niemals mehr zurück. Ganz ähnlich ergeht es auch uns: obgleich in
dieser Welt geboren, sind wir doch nicht für sie bestimmt. Sobald die Zeit
kommt, da wir den Leib verlassen, begeben wir uns in unsere ewige Heimat. 4.
Wenn der Leib stirbt, dann stirbt die Seele nicht, noch geht sie an einen
weit entfernten Ort. Sondern mit dem Tod beginnt sie ein neues Leben, indem
sie in einen neuen Zustand eintritt. Es ergeht ihr wie einem Kinde: wenn das
Kind den Mutterschoß verlässt, beginnt ein neues Leben, indem es in einen
neuen Zustand eintritt, aber die Welt oder der Ort, wo es lebt, bleiben
weiterhin dieselben. So geht der Geist, nachdem er den Leib verlassen hat,
in einen weit besseren Geisteszustand ein, obgleich die Welt, in der er
lebt, weiterhin die gleiche bleibt. Das Kind im Mutterschoß wie der Geist im
Leibe bleiben über ihren zukünftigen Zustand unwissend, denn er ist ihren
Augen verborgen. Nachdem das Kind den Mutterleib verlassen hat, kann es den
Leib, aus dem es gekommen, nicht mehr sehen. Ebenso vermag die Seele -
besondere Umstände ausgenommen - die Körperwelt, aus der sie gekommen, nicht
mehr zu sehen, denn nun lebt sie für immer in der Geisteswelt; die
Körperwelt ist als grober Stoff in die Geisteswelt eingeschlossen. Wie das
Kind beim Durchschneiden der Nabelschnur vom Mutterschoß getrennt wird, so
wird der Geist vom Leib getrennt, wenn der silberne Strick abgeschnitten
wird (Pred. Sal. 12, 6). Für das Kind ist der Mutterschoß der Ort, wo es für
die Zukunft zubereitet wird, und für die Seele ist es der Leib. Aus dem Leib
geht die Seele in Gottes Gegenwart hinüber, wo sie ihre wirkliche Bestimmung
und Vollkommenheit erlangt.

24 GLAUBE UND REINHEIT
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Keine Arbeit, sie sei geistlich oder weltlich, kann ohne
Glauben geleistet werden. Wenn wir nicht einander glaubten, würde das Leben
in dieser Welt unmöglich. Wenn alles so sehr vom Glauben abhängt, welche
Schande ist es da, wenn wir nicht Ihm vertrauen, der in unserem Wesen die
Fähigkeit zum Glauben geschaffen hat! Wenn unsere Erkenntnis unendlich wäre,
dann hätten wir natürlich keinen Glauben nötig. Aber da unsere Erkenntnis so
begrenzt ist, dass sie nahezu ein Nichts ist, werden wir in dieser Welt
immer den Glauben brauchen. Und tatsächlich auch in der nächsten Welt, denn
sogar dort wird unsere Erkenntnis nicht unendlich sein.
Der Glaube ist wie die Liebe die Ranke der Seele, die sich an Gott klammert,
Zweige und Blätter treibt und geistliche Früchte in Fülle hervorbringt.
-
Durch den Glauben empfangen wir die Taufe mit dem Feuer
des Heiligen Geistes. Ohne sie genügt die Wassertaufe zur Reinheit und
Rettung nicht. Silber und Gold können durch Wasser nur äußerlich gereinigt
werden, denn es kann nicht in sie eindringen. Um sie zu läutern, dazu bedarf
es des Feuers. Die Taufe mit dem Feuer des Heiligen Geistes ist nötig, damit
die Seele vollkommen gereinigt wird.

25 OFFENBARUNGEN CHRISTI
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Wenn wir den Heiligen Geist nicht empfangen, können wir
die Größe und Gottheit Christi nicht verstehen, auch wenn wir Ihm unser
ganzes Leben hindurch nachfolgen. Das zeigen deutlich die Erfahrungen der
Jünger. Christus berief sie aus einem niederen zu einem höheren und edleren
Werk: aus Fischermenschen machte Er sie zu Menschenfischern. Drei Jahre lang
lebten sie mit Ihm. Während jener Jahre taten sie edlen Dienst: sie
verkündigten den Menschen die frohe Botschaft des Heils. Aber als Christus
gekreuzigt und begraben ward, versanken alle ihre Hoffnungen mit in Seinem
Grab. Die Jünger kehrten zurück und nahmen dieselbe alte Arbeit auf, die sie
früher zu ihrem Lebensunterhalt getan hatten. Doch Christus, den sie für tot
hielten, erstand wieder von den Toten und erschien ihnen bei verschiedenen
Gelegenheiten. Als Er einmal Seinen Jüngern am See Genezareth erschien,
erkannte Petrus Ihn als den Herrn und schämte sich so sehr, dass er ins
Wasser sprang, um sich zu verbergen. Er tat das wohl aus zwei Gründen: der
eine Grund war, er sah Christus zum ersten Mal seit seiner Verleugnung und
schämte sich, denn er dachte: "Ich erklärte feierlich, ich würde selbst mein
Leben für Christus geben und Ihn auf keinen Fall verleugnen. Aber ich tat es
dennoch. Wie kann ich nun vor Ihm bestehen?" Der andere Grund war sehr
wahrscheinlich dieser: er schämte sich, wenn er daran dachte, dass vor drei
Jahren er und die anderen Jünger an genau derselben Stelle zu dem großen
Werk berufen worden waren, Menschen zu Christus zu führen, und dass sie nach
drei Jahren das edlere Werk aufgegeben hatten, zu dem alten zurückgekehrt
waren und ihm an derselben Stelle nachgingen, während sie doch das große
Werk hätten fortsetzen sollen, zu dem Christus sie berufen hatte. Als
Christus von den Toten auferstand, kehrten auch ihre toten Hoffnungen wieder
ins Leben zurück; und als sie weiterhin die Fülle des Heiligen Geistes
empfingen, wurden sie aufs neue der Gottheit Christi gewiss, so dass sie,
obwohl sie verfolgt wurden und als Blutzeugen leiden mussten, bis zum Ende
ihres Lebens Ihn verkündigten und das Werk fortführten, zu dem sie berufen
worden waren.
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In der gegenwärtigen Zeit gibt es viele Christen, die
Christus nachgefolgt sind, ohne dass sie Seine Größe und Gottheit in ihrem
eigenen inneren Leben erfahren haben. So sind sie in die Irre gegangen. Sie
denken, Christus sei ein großer und vollkommener Mensch gewesen, der vor
Jahrhunderten lebte und starb. Aber denen, die sich zu Ihm wenden und beten,
offenbart er sich aufs Neue in Seiner Herrlichkeit und Kraft wie dem Paulus.
Und sie erneuern ihre Gemeinschaft mit Ihm und dienen Ihm durch die Kraft
des Heiligen Geistes getreu bis ans Ende ihres Lebens.

26 DEMUT
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Wenn der Geist Christi nicht in uns wohnt, können wir
nicht demütig und sanftmütig sein wie Er, der - obgleich Gott - die Gestalt
eines Knechtes annahm (Phil. 2, 6-7). Wir dürfen dem falschen Stolz in
unserem Herzen keinen Raum geben, indem wir vergessen, was wir wirklich
sind. Durch Stolz fallen wir von der Wahrheit3 ab und zerstören uns selber.
Auch wenn wir mehr Fortschritte als andere Menschen gemacht haben, dürfen
wir nicht vergessen: Diamant und Kohle sind aus demselben Stoff gemacht,
nämlich aus Kohlenstoff. Verschiedene Umstände haben bewirkt, dass sie so
verschiedene Gestalt angenommen haben. Aber obgleich ein Diamant so wertvoll
ist, kann er ebenso vollständig verbrannt werden wie Kohle.
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Wenn wir am Rande eines Abgrunds stehen und
hinunterblicken, empfinden wir Schwindelgefühl und Furcht, auch wenn die
Tiefe nur ein paar hundert Fuß betragen mag. Aber wir fürchten uns niemals,
wenn wir zum Himmel hinaufblicken, obgleich unsere Augen dort über viel
größere Höhen streifen. Warum? Weil wir nicht nach oben fallen können.
Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass wir hinabstürzen und in Stücke
zerschmettern. Wenn wir zu Gott emporblicken, so fühlen wir, dass wir in Ihm
geborgen sind und von keinerlei Gefahr bedroht. Aber wenn wir unser
Angesicht von Ihm abwenden, erfüllt uns die Furcht, wir könnten von der
Wirklichkeit2 abstürzen und in Stücke zerschmettern.

27 ZEIT UND EWIGKEIT
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Die wirkliche Zeit, das heißt die Zeit in ihrer Beziehung
zur Wirklichkeit2, ist Ewigkeit. Die Zeit, wie wir sie kennen, ist ein
flüchtiger Schatten jener wirklichen Zeit. Für Gott gibt es weder
Vergangenheit noch Zukunft, sondern alles ist Gegenwart. Da Seine Erkenntnis
unendlich ist, stehen Vergangenheit und Zukunft zugleich vor Ihm. Aber für
uns hat die Gegenwart kein Dasein, da sie nur der Übergang der Zukunft in
die Vergangenheit ist. Ein jeder Augenblick taucht aus der Zukunft auf und
gleitet unvorstellbar schnell in die Vergangenheit hinüber. Auch
Vergangenheit wie Zukunft haben für uns kein Dasein, denn sie sind jenseits
unserer Reichweite. Somit hat die Zeit für uns keine Wirklichkeit.
Wenn wir aus dem Schlaf erwachen, vermögen wir kaum zu sagen, wie viel Zeit
während unseres Schlafes vergangen ist. Selbst in unseren wachen
Augenblicken ist die Zeit so unwirklich. In Sorgen und Leiden scheint ein
Tag ein Jahr zu sein, in Freuden dagegen ein Jahr ein Tag. Deshalb hat die
Zeit keine Wirklichkeit, denn Wirklichkeit2 ist unter allen Umständen
wirklich, und wir haben keinen Sinn für die Zeit, denn wir sind für die
Wirklichkeit2 geschaffen worden, und die ist ewig.
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Jahr, Monat, Tag sowie Stunde, Minute, Sekunde schaffen,
was wir Zeit nennen, indem wir sie auf Ereignisse oder Veränderungen von
Gegenständen im Raum beziehen. Nimm irgendeinen Gegenstand im Raum; wenn er
sich verändert, schafft er Zeit. Während der Veränderung ist Gegenwart;
nachdem die Veränderung stattgefunden hat, ist sie Vergangenheit; wenn sie
sich noch ereignen soll, ist sie Zukunft. Wenn die Gegenstände sich
verändern, so verändert sich die Zeit mit ihnen in Zukunft oder
Vergangenheit. Die Wirklichkeit2 dagegen verändert weder sich selbst noch die
Ewigkeit, mit der sie zusammenhängt.
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Die Zeit mag wechseln und vergessen werden. Aber was auch
immer wir in der Zeit getan haben, das wird niemals ausgelöscht werden,
sondern in die Ewigkeit eingehen.
"Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt
in Ewigkeit" (1. Joh. 2,17).
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