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Fremd im eigenen Land?

Ostdeutsche zwischen Trauer, Ressentiment und Ankommen

Von Annette Simon

Der "Sozialreport 1998" brachte wie viele andere dieser Befragungen das Ergebnis, dass sich zwei Drittel der ehemaligen DDR-Bürger nicht als Bundesbürger, also als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, fühlen.

Mit diesen zwei Dritteln will ich mich heute beschäftigen, nicht mit dem einen Drittel der Angekommenen, die es selbstverständlich gibt und die sich mit dem Leben in der Bundesrepublik identifizieren können .

Die Gefühle des Ausgegrenztseins und des Nicht-Dazugehörens der neuen Bundesbürger. Woher kommen diese Gefühle und wie kann man sie verstehen?

Die DDR war eine Gesellschaft, die sich selbst nicht kannte - so hat es der Soziologe Klaus Wolfram ausgedrückt, weil jeder öffentliche politische Diskurs fehlte. Es gab keinerlei öffentliche Selbstverständigung über wesentliche Konflikte dieser Gesellschaft. Dieser Diskurs wurde zum Teil in der Kunst geführt und in den überall bestehenden Diskussionszirkeln, auch in der Kirche. Bis zum Jahr 89 aber hat es aber über ganz wesentliche Dinge nie eine größere gesellschaftliche Öffentlichkeit gegeben.

Dadurch konnte auch nicht so überdeutlich werden, dass die DDR auch eine tief gespaltene Gesellschaft war, die sich teilte in Menschen, die für oder gegen das herrschende System, die herrschende Ideologie waren. Innerhalb dieser Spaltung konnte es unzählige Variationen des Lebens und Spielarten der Biographien geben. Jemand konnte für den Sozialismus sein, als anzustrebende Gesellschaftsform, aber gegen das herrschende System in konspirativen Zirkeln arbeiten. Eine andere konnte den Sozialismus z.B. aus religiösen Gründen zutiefst ablehnen, aber als ganz angepasste Bürgerin leben. Oder wieder andere versuchten als Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit es sich mit keiner von beiden Seiten zu verderben.

Aber irgendwie gruppierte sich alles in der DDR um die Gretchenfrage: Wie stehst Du zu diesem Staat? Dieses quasi-persönliche Verhältnis ging die DDR auch zu jedem ihrer Bürger ein. Sie forderte ständig und immer Loyalität. Mehr oder weniger demagogisch gefragt, sollte man dauernd dazu Stellung nehmen, ob man auf der Seite der Arbeiterklasse, des Friedens und des Fortschritts stünde oder etwa nicht. Durch die lange fehlende außenpolitische Anerkennung der DDR und ihre immer wieder in Frage gestellte innere Stabilität, wollte sie von ihren Bürgern ständig die Versicherung hören, dass man zu ihr halte.

Propaganda und Ideologie vermittelten ständig, dass der Staat DDR für seine Bürger/ für "unsere Menschen" da sei, sich um sie sorge und etwas für sie tue, und sie hätten dafür dankbar zu sein, in dem sie blieben und zu ihm hielten. Auch wenn viele diese Propaganda nicht glaubten, sie durchschauten und sich über sie lustig machten, wurden sie doch ständig in diese Bekenntniszwänge eingeklemmt. Im Extremfall drohte ja auch der Tod an der Mauer, wenn jemand illegal weggehen wollte, die Loyalität wirklich konsequent aufkündigen wollte.

So fordernd und eng tritt die Bundesrepublik nicht an einen heran und manche mögen dies als Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit dieses Staates ihnen gegenüber empfinden. Wenn man sich jahrzehntelang in einer engen Umklammerung befand, wird die Lockerung dieser Klammer vielleicht als Aufkündigung von Zuwendung und Wärme erlebt - als ausgrenzende Gleichgültigkeit und damit als fremd.

So können auch manche ehemalige Oppositionelle durchaus das Gefühl haben, dass ihre Meinung und ihr politisches Auftreten in einem viel geringeren Maß ernst genommen werden und in der Meinungsvielfalt untergehen. Das Gegenüber DDR, das sofort aufschrie, wenn man es kritisierte, ist nicht mehr da. Die Reaktion auf jedwede Meinungsäußerung ist jetzt ungleich leiser, als man es von früher gewohnt ist. Das Engagement wird vom Öffentlichkeitsmarkt geschluckt und binnen Tagen verdaut. Dieser ungewohnt dünne Widerhall trägt auch zum unheimatlichen Gefühl bei.

Ganz andere Gründe für Entfremdungsgefühle hat z.B. mein ehemaliger Geschichtslehrer an der EOS. Er war tief identifiziert mit dem Marxismus-Leninismus und mit dem Staat DDR. Er war überzeugt, auf der besseren deutschen Seite zu stehen und seine Ideologie gab ihm Halt und Stütze für sein Leben. Als Geschichtslehrer sah er die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen in einer ständigen Höherentwicklung begriffen und damit die DDR eine geschichtliche Epoche weiter als die BRD. Sein Weltbild bestand aus solchen wirklich geglaubten Glaubenssätzen. 

Nach der Wende sagte er: Nun hat die andere Seite gesiegt. Von ihm aus ist das tief ehrlich: sein Weltbild ist zusammengebrochen. Die Werte, für die er gelebt und die er vertreten hat, zählen nicht mehr. Er ist jetzt wahrscheinlich ein verbitterter Rentner und überzeugter PDS-Wähler. Er muss aber an seinem Weltbild nichts verändern. Wenn die anderen gesiegt haben, ist er eben der unterlegene Verlierer und kann sich in seiner Rechthaberei einmauern und mit dauerndem Ressentiment auf das Treiben in diesem Land gucken, das nicht mehr seins ist. 

Seine Fremdheit in der Bundesrepublik wird nur durch die PDS aufgefangen, daher ist es auch gut, dass es diese Partei gibt, obwohl ich ihr erbittert kritisch gegenüberstehe. Es ist gut, dass im jetzigen Deutschland für Menschen wie meinen Geschichtslehrer Möglichkeiten der Artikulation und der demokratischen Mitwirkung bestehen, die sie selber Andersdenkenden nie zu geben bereit waren. 

Nun aber zu meiner eigenen Fremdheit im neuen Deutschland. Ich denke, dass das Gefühl des Nichtheimischseins in beiden Deutschländern auch ein Grundgefühl der 1. Generation sein kann, die im nachfaschistischen Deutschland aufwuchs. Die Erwachsenen des Dritten Reichs haben nach 1945 alles wieder aufgebaut: schnell und blitzblank im Westen, langsamer und mit viel neuer Ideologie im Osten. Aber nicht alle Kinder fühlten sich wohl in diesen neuen Häusern, in denen die Gespenster von gestern im Keller wohnten. Die 68er West brachten dies in ihrem Protest 1968 deutlich zum Ausdruck, im Osten wurde der Protest dieser Generation nach der Okkupation der CSSR früh erstickt, lebte aber untergründig in den Oppositionszirkeln weiter.

Ansonsten habe ich wie viele andere meiner Generation den Mythos der DDR geteilt, dass es nach dem Krieg dort einen radikalen Neubeginn gegeben hätte. Die in der DDR nach 1945 in die Macht eingesetzte Generation war zum Teil erwiesenermaßen antifaschistisch oder reklamierte dies für sich. Sie schuf einen antifaschistischen Gründungsmythos, der eine ungeheuer starke Wirkung entfaltete - bis in die einzelnen Familien hinein - da er umfassende Schuldentlastung bot. Diese Schuldentlastung wurde von den gar nicht unschuldigeren Deutschen Ost gierig ergriffen. Die Identifikation mit den machthabenden Antifaschisten und später auch mit der DDR bot den ungeheuren Vorteil, nun scheinbar auf der richtigen deutschen Seite zu stehen, auf der Seite des Widerstands und damit auch auf der Seite der Opfer. 

Die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit hat es in der DDR gegeben, aber irgendwie abstrakt, theoretisch und ritualisiert. Nur selten wurde in den Familien oder Institutionen die konkrete Frage an Eltern oder Vorgesetzte gestellt: Was habt ihr vor 1945 gemacht? Wenn man so wenig zurückgeblickt hatte, konnte sich schon ein Gefühl der Entfremdung einstellen.

Am meisten aber fühlte ich mich oft fremd im DDR-Alltag mit seinen autoritären und rigiden Strukturen, in diesem System der "organisierten Verantwortungslosigkeit" wie Rudolf Bahro es benannte. In dieser Diktatur, in der Individualität und Anderssein mit Repressionen beantwortet wurden, die jeden und jede treffen konnten, die sich öffentlich auflehnten.

Die Aufhebung der Fremdheit im eigenen Land kam für mich aber im Herbst 1989. In diesem Aufbruch wurde die Selbstentfremdung der DDR aufgehoben. "Wir sind das Volk war eine zutiefst wahre Losung: Die Entfremdung des DDR-Volkes von sich selbst durch die herrschende Kaste wurde gebrochen und es ging um die Wiederaneignung von Subjektivität und Realität, um die Rückeroberung von Öffentlichkeit und Identität. Das Schöne an dieser Zeit war dieses zu sich selbst Finden vieler Menschen - das Artikulieren der lange nur im stillen Kämmerlein gehegten Gedanken. Leider war dieser Prozess zu kurz. Reinhard Höppner hat dies vor kurzem ausgedrückt: "Was haben wir eigentlich gewollt? Das Volk der DDR müsste antworten, aber es kann nicht, denn es hat ein Volk der DDR nie gegeben. Es hat in der DDR keine Debatte darüber gegeben, was das Volk will, weil es keine Öffentlichkeit gegeben hat..." Und, meine nun ich, die Zeit vom Herbst 89 bis zu den ersten Wahlen im März 1990 war zu kurz, dass dieser Prozess sich hätte ausformen und konsolidieren können. Meine Trauer gilt dieser Zeit. Zu schnell wurden nach der Wahl alle, aber bis ins Detail alle Strukturen der Bundesrepublik übertragen und übernommen. Das Eigene, was begonnen hatte, sich gerade zu bilden, musste zwangsläufig zurückgenommen werden. 

Hier, wie gesagt, liegt meine Trauer und ein Prozess erneut einsetzender Entfremdung. Der gerade einsetzende Selbstgestaltungsprozess wurde gebremst und in die Bahnen der westlichen Strukturen gelenkt. Und ich denke, psychologisch geschickt wurde die Vereinigung sowieso nicht vollzogen. Welches symbolisch sichtbare Zeichen gab es für unser Dazukommen? Welche Anerkennung für die Leistung unserer Selbstbefreiung? Weder wurde eine neue gemeinsame Nationalhymne gefunden, noch eine neue Verfassung erstellt oder hätten sich die Herren Regierenden etwas schneller nach Berlin bewegt und Bonner Bequemlichkeit aufgegeben. 

Jetzt ging es sehr schnell darum, sich neue, wirklich fremde Strukturen aneignen zu müssen, sich in sie einzupassen. 

Die Frage war und ist auch - und die steht für viele DDR-Bürger -, woher Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung nehmen, wenn sie sich nach den Kriterien der neuen Gesellschaft bewerten. Da sind wir immer diejenigen, die weniger gereist sind, bestimmte Bildung nicht erwerben konnten und ganz objektiv ärmer sind. Es gibt bekanntlich sehr viel weniger Besitz im Osten.

Viele Ostdeutsche sehen für die Rettung ihres Selbstbewusstseins nur den Weg, die alten Werte hochzuhalten und beinahe trotzig PDS zu wählen. Andere, besonders Jugendliche, wollen wenigstens stolz sein, ein Deutscher zu sein und schließen sich in rechten Gruppierungen zusammen.

So versuchen sie, dem Sich-Fremdfühlen im neuen Deutschland zu begegnen. Aber wird damit nicht auch etwas abgewehrt? Abgewehrt wird bei den einen die Zugehörigkeit zu dieser deutschen Nation, die in diesem Jahrhundert eine mörderische war und abgewehrt wird die Bindung an sie, damit wird aber auch die Verantwortlichkeit mit abgelegt. Die rechten Jugendlichen dagegen betonen ihre Zugehörigkeit zu Deutschland und grenzen alles für sie Fremdartige aus, m.E. artikulieren sie so auch ihre Fremdheit in der neuen Westkultur. 

10 Jahre nach dem Fall der Mauer wird bei uns überall darüber diskutiert, ob es die mentale Einheit zwischen Deutschland West und Deutschland Ost - die "innere Einheit" geben kann, ob sie schon erreicht ist oder ob sie überhaupt wünschenswert ist. 

Am Anfang dieser Diskussion stand 1989 der so eingängige und überzeugende Satz von Willy Brandt, dass nun zusammenwachse, was zusammengehöre. 

Ergebnisse repräsentativer Umfragen haben ergeben, dass die Werte zur Demokratieakzeptanz im Osten deutlich unter denen im Westen liegen. Das Vertrauen in demokratische Institutionen ist im Osten weitaus geringer als im Westen. Gleichzeitig erwarten die Ostdeutschen mehr vom Staat als die Westdeutschen: Arbeitsplatzgarantie, die Regelung sozialer Gerechtigkeit u.v.m.

Der Bürgerrechtler Heiko Lietz meint, dass die Ostdeutschen "faktisch die Aneignung des Systems verweigern" würden.

Ich denke, es drückt sich in diesen Ergebnissen dreierlei aus: 

  1. eine sehr ernste Anfrage an die bundesrepublikanischen Strukturen, so wie sie nun mal in den Osten kamen, nämlich nicht langsam wachsen konnten wie in der alten BRD, sondern über Nacht da waren. In der letzten Zeit konnte man in allen Medien verfolgen, wie lange und kontrovers um das Grundgesetz in der BRD 1949 in- und außerhalb des Bundestages gestritten wurde. Es war ein längerer Prozess der gesellschaftlichen Selbstverständigung über viele konkrete Streitfragen. Die DDR hat das Grundgesetz 1990 als Geschenk bekommen, ein Prozess gesellschaftlicher Diskussion und Aneignung hat hier aber nicht stattgefunden. Zudem wurden und werden die neuen Strukturen mancherorts von den alten Leitern vermittelt, die jetzt die neuen Chefs sind und nur andere Parolen im Munde führen, was natürlich das Vertrauen in diese Strukturen sofort untergräbt.

  2. ein Akt der trotzigen Selbstbehauptung, der mit der erlebten massiven Entwertung nach der Vereinigung zu tun hat. Zu der ökonomischen Abwertung gesellte sich die kulturelle, in dem die DDR-Vergangenheit einerseits mit vollem Recht und andrerseits zu pauschal in Frage gestellt wurde und damit alle Werte, die in der DDR gegolten hatten. Selbst wenn der schnelle Beitritt der DDR zur Bundesrepublik notwendig und sogar selbstgewählt war, konnte das Bewusstsein des Einzelnen durch den schnellen Wechsel vieler Werte trotzdem stark verunsichert oder sogar überfordert sein. Ungerecht wird die jetzige Abwertung des Lebens in der DDR auch deswegen erlebt, weil es auch nicht das Verdienst der Westdeutschen war oder ihre angeborene Überlegenheit, dass sie nach 1945 andere Besatzungsmächte hatten als die Ostdeutschen und

  3. drücken diese Ergebnisse auch etwas aus, dass ich als eine nachträgliche Verklärung der DDR bezeichnen würde oder den Sieg des Gegenwartsbewusstseins über die Fähigkeit des Sich-Erinnerns und Zurückblickens. Irgendwie steht seit der Vereinigung die Frage schon mehr oder weniger offen im Raum, ob es eine neue gemeinsame deutsche Identität geben kann, d.h. ob es uns möglich sein wird, uns an der Schwelle zum neuen Jahrtausend - ohne zu vergessen oder zu verdrängen - aus der negativen Identität des Tätervolkes zu lösen. 

Diese Suche nach einer neuen gemeinsamen Identität ist in Deutschland besonders schwer, weil wir nur im geringen Maß auf die Vergangenheit zurückgreifen können, in der das deutsche Volk allzu oft ein mörderisches war. Identitätsstiftend könnte der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus sein und auch der bürgerrechtliche Widerstand gegen die SED-Herrschaft. Bekanntlich wurde dieser Widerstand aber nur von Minderheiten getragen, die die Identitätsbildung erschweren. Trotzdem kann ich nach wie vor nicht verstehen, warum nicht die friedliche Revolution in der DDR und die solidarische Leistung der BRD bei der Vereinigung in ihrer Möglichkeit der positiven Identitätsbildung wesentlich mehr gesehen und ausgeschöpft werden. Manchmal erscheint es mir so, als ob die Bewohner der sich einst feindlich gegenüberstehenden beiden deutschen Staaten sich gegenseitig ihre Leistung nicht anerkennen können: Die Bundesrepublikaner den DDRlern nicht ihre Selbstbefreiung und die DDRler den Bundesrepublikanern nicht ihre wirtschaftliche und auch demokratische Stärke und Kompetenz.

Ich verstehe nicht, wie wir es geschafft haben, die für mich wirklich großen Leistungen, die beide Teile in den letzten 10 Jahren vollbracht haben und auf die auch beide Teile stolz sein könnten, in unserem Bewusstsein fast in einen Fehlschlag zu verwandeln, und zwar in einen Fehlschlag der jeweils anderen Seite. Das wirkt wie der nicht endenwollende Kampf zweier feindlicher Brüder, die von der Konkurrenz nicht lassen können und immer noch darum streiten, dass endlich einer als der bessere und liebenswertere anerkannt wird. 

Um wessen Anerkennung geht es dabei? Vielleicht um die der Welt, die uns Deutsche in diesem Jahrhundert zu Recht als unliebenswert verstieß - inzwischen aber ein viel positiveres Bild von uns hat als wir von uns selbst. Die friedliche Vereinigung ist außerdem eine Chance, dass die Welt ein anderes Bild von uns entwickeln kann und dass wir es in Deutschland nicht mehr nötig haben, uns gegenseitig zu beschuldigen, die jeweils schlechteren, moralisch oder sonst wie minderwertigeren Deutschen zu sein. Vielleicht könnten wir endlich aufhören, die nach dem Krieg eingetretene Spaltung, die beiden Teilen auch Entlastung von ihrer Schuld bot, fortzusetzen und sind jetzt reif genug, die Last der deutschen Vergangenheit gemeinsam zu tragen? Dann könnten wir uns auch als das sehen, was wir die ganze Zeit der Teilung über schon waren: die zwei Seiten einer Medaille.

Die Autorin, die Psychoanalytikerin Annette Simon, war von 1975 bis 1991 Psychotherapeutin in Ost-Berlin; 1989 im "Neuen Forum" aktiv. Zuletzt erschien: A. Simon, Jan Faktor: Fremd im eigenen Land? Psychosozial-Verlag, Gießen 2000, 145 S.

 

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