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Leseprobe aus "Frauenportraits im Impressionismus"

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Monet und Camille – Frauenportaits im Impressionismus - 2005 Hirmer - Seite 164-7, 197

James McNeill Whistler (1834-1903)

Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke, 1876 - Arrangement in Black and Brown: The Fur Jacket 1876, Öl auf Leinwand, 194 x 92,7 cm - Bezeichnet links in der Mitte durch den Schmetterling - Worcester Art Museum, Worcester, Massachusetts, YMSM 181

Mit seiner Camille hatte Claude Monet 1866 einen besonderen Typus der Rückenfigur in die Malerei eingeführt: Weder ist sie, wie etwa die Rückenfiguren der Romantik, auf eine sich im Bildhintergrund erstreckende Landschaft orientiert, noch ist ihre Haltung durch einen narrativen Zusammenhang zu erklären. Die Rückenfigur der Camille offenbart vielmehr eine neue Auffassung von Modernität, die unter anderem im Ausblenden des Erzählerischen, in der Selbstbezogenheit der Figur und in der Darbietung modischer Kleidung zutage tritt.

Es war der amerikanische Künstler James McNeill Whistler, der diese »modern-ästhetische Rückenfigur« seit den 1870er Jahren in zahlreichen Portraits weiterführte. (1) Ein prägnantes Beispiel dafür ist das Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke, das Whistler 1876 malte. (2)

Wie für fast alle seine großformatigen Figurenbilder seit Anfang der 1870er Jahre wählte Whistler auch für das Arrangement in Schwarz und Braun ein langgestrecktes Hochformat, das von der dargestellten Person fast in voller Höhe durchmessen wird. Einen Hintergrund im herkömmlichen Sinne gibt es in diesem Bild Whistlers nicht. Nicht einmal eine Wand oder ein Vorhang dienen als Folie für die Figur; sie scheint sich vielmehr im leeren Raum zu verlieren. Die Konzentration auf die Figur, die auch Whistlers französische Kollegen wie Monet und vor allem Manet durch die Schlichtheit des Hintergrundes in vielen ihrer Bilder erreicht hatten, wird so von Whistler noch gesteigert.

Charakteristisch für Whistlers Kunst ist auch die äußerst reduzierte Farbgebung. Braun- und Schwarztöne, in feinsten Abtönungen aufeinander abgestimmt, beherrschen das Bild: Der hellbraune Fußboden geht einerseits allmählich in das tiefe Schwarz des Hintergrundes über, andererseits nahtlos in den gleichfalls braunen Rock der dargestellten Frau; nur wenige, mit leichtem Pinsel fließend geführte, schwarze Linien geben eine Ahnung von dem Material des weichen Stoffes, der locker zu Boden fällt.

Die Frau scheint sich gerade zum Betrachter umgewendet zu haben; das jedenfalls legen die kurvig geführten Falten ihres Rockes nahe, die von ihren auf dem Rücken verschränkten Händen zum Boden führen und Bewegung andeuten. Diese Wendung bei gleichzeitiger Orientierung der Figur auf den Bildhintergrund hin könnte Whistler bei Monets Camille gesehen haben. Sie wird zu einem Lieblingsmotiv seiner Bildniskunst. Das zeigt nicht nur das Arrangement in Schwarz und Braun: Die Pelzjacke, sondern auch eine ganze Reihe ähnlicher weiblicher Portraits von Whistler wie die Symphonie in Fleischfarben und Pink: Portrait Mrs Frances Leyland, 1871-1874, (3) oder das Arrangement in Schwarz: die Frau im gelben Schnürstiefel - Portrait Lady Archibald Campbell, 1882-84. (4)

James McNeill Whistler: Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke, 1876

Gerade das Arrangement in Schwarz und Braun: Die Pelzjacke aber erinnert in besonderer Weise an Monets Camille: Zum einen trägt das Modell einen pelzverbrämten Paletot, eine im Schnitt modernisierte Version des Jäckchens der Camille. Zum anderen malte Whistler wie Monet bei der Camille kein Auftragsbildnis, sondern ein Portrait seiner langjährigen Geliebten, Maud Franklin. (5) Wie Monets Bild, so war auch das Bildnis von Maud keineswegs in erster Linie als ein Portrait gedacht. Das zeigt schon der Titel, den Whistler dem Gemälde gab, als er es zum ersten Mal in der Grosvenor Gallery in London 1876 ausstellte: Harmonie in Bernsteinfarben und Schwarz. (6) Die Farbstimmung also war für Whistler von entscheidender Bedeutung, weniger die Identität der Dargestellten.

Whistlers Ausbildung zum Künstler berührt sich in vielen Punkten mit derjenigen Monets: 1855 kam er nach Paris, wo er sich begeistert in das Leben der von Henri Murger dichterisch besungenen Boheme stürzte. Er studierte eine Weile bei Charles Gleyre, in dessen Atelier einige Jahre später auch Monet eintrat. Wie Monet, so stand auch Whistler zunächst im Bann von Courbets Realismus. Obwohl er 1859 seinen Wohnsitz nach London verlegte, blieb er in ständigem Kontakt mit der Pariser Kunstszene. 1865 arbeitete er gemeinsam mit Monet, Boudin und Courbet an der normannischen Küste. Vielleicht war es sogar Whistler, der Monet eine entscheidende Anregung für das Bild der Camille gab. 1863 hatte er nämlich im ersten Salon des Refuses ein lebensgroßes Bildnis einer jungen Frau ausgestellt: die Frau in Weiß, ein Bild, das er später in Symphonie in Weiß, Nr. 1 umbenannte. (7) Er war damit der erste unter den jungen Malern, der in den 1860er Jahren ein Ganzfigurenportrait einer anonymen jungen Frau ausstellte, ohne es durch Nennung der Portraitierten (Modell war Whistlers Geliebte Joanna Hiffernan) oder einen erzählerischen Kontext eindeutig einer Gattung zuzuordnen und so dem zeitgenössischen Publikum verständlich zu machen. Whistler lieferte mit diesem damals heftig diskutierten (8) Bild einen Anknüpfungspunkt für Gemälde wie Monets Camille.

Während der Ausdruck der Frau in Weiß, elegisch und etwas rätselhaft, den Einfluss der englischen Präraffaeliten verrät (Whistler war in London ein Nachbar Dante Gabriel Rossettis), ist die Malweise doch ganz dem französischen Realismus verpflichtet: Die Farbe ist pastos aufgetragen, und in vielen Partien wie dem Tierfell und dem unteren Teil des Vorhanges bleibt der schnelle Pinselstrich sichtbar.

Bei dem Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke dagegen wirkt die ganze Oberfläche wie aus einem Guss, die Faktur ist kaum noch nach vollziehbar. Dieser Stilwandel Whistlers hatte sich in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre unter dem Eindruck der englischen Aquarellmalerei und der Portraitkunst des 18. Jahrhunderts vollzogen. Besonders die Einheitlichkeit und Glätte der Oberfläche, die er in Portraits Thomas Gainsboroughs fand, zog Whistler an. Er suchte eine ähnliche Wirkung durch sehr starke Verdünnung der Farben zu erreichen, die er dann lasierend in mehreren Schichten übereinander legte. Die flüssige Farbe ermöglichte es ihm, das ganze Bild in einem Arbeitsgang zu behandeln und dabei stets eine einheitliche Wirkung zu wahren. (9) Auf diese Weise kam Whistler seiner Idealvorstellung eines vollendeten Kunstwerkes nahe, wie er sie In seinen 1890 erschienen Kunstregeln formulierte: »Ein Bild ist erst dann fertig, wenn jede Spur der zu der Vollendung aufgewendeten Mittel hieraus verschwunden ist.« Und er fuhr fort: »Das Meisterwerk muss dem Maler wie die Blume erblühen - vollkommen in der Knospe wie in der vollen Blüte - ohne Begründung für seine Existenzberechtigung, ohne eine Mission erfüllen zu sollen - eine Freude für den Künstler - eine Enttäuschung für den Philanthropen - ein Rätsel für den Botaniker - ein Gegenstand der Begeisterung für den Dichter.« (10)

Whistlers Ideen von der Selbstgenügsamkeit der Kunst treten hier klar zutage: Im Gegensatz zu der im 19. Jahrhundert etablierten bürgerlichen Kunstauffassung wehrte er sich dagegen, Kunst für moralische Exempel zu instrumentalisieren oder sie im Geiste des positivistischen Zeitalters zu einer bloßen Nachahmung der Wirklichkeit zu degradieren. Kunst habe ihre Existenzberechtigung in sich selbst, und Schönheit in der Malerei sei nicht vom Bildgegenstand abhängig, sondern einzig von der Harmonie der Farben. Von daher sei auch die Identität eines Portraits nur für die dargestellte Person und ihre Familie und Freunde von Bedeutung, füge aber dem Kunstwerk nichts Neues hinzu: »Man nehme das Bild meiner Mutter, das ich in der Königlichen Akademie als ein >Arrangement in Grau und Schwarz< ausgestellt habe. Dieser Titel sagt, was es ist. Für mich hat es Interesse als das Bild meiner Mutter. Was kann oder darf aber das Publikum die Identität des Porträts interessieren?« (11)

Das Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke ist für diese Kunstauffassung Whistlers exemplarisch: Es gehört zu einer Reihe von Bildnissen, die der Künstler ohne Auftrag von seiner Geliebten Maud Franklin schuf, um seine künstlerischen Ideen umzusetzen. Laut eigenen Angaben wollte er mit dem Bild bei seiner ersten Ausstellung in der Grosvenor Gallery 1876 vor allem diejenigen ansprechen, »who understand the technical matter«; Kunstsachverständige also. (12) Nur ihnen konnte er ein Bild zumuten, das für ihn wohl auch eine Art Experiment war. Fünfzehn Jahre später schrieb er an einen Kunsthändler, dieses Bild sei für den Verkauf nicht so interessant, denn es sei »more of an artists picture«. (13)

Allein die Größe des Gemäldes und die Signatur, der Schmetterling, ferner die häufigen Ausstellungen des Bildes zeigen, dass es für Whistler deutlich mehr als eine Studie war. Deklarierte er es aber als eine Art Experiment, rechtfertigte er damit die sehr weitgehende Abstraktion des Bildes: Die Konturen zwischen Figur und Umgebung vor allem im Bereich des Bodens lösen sich so weit auf, dass sich der Eindruck ergibt, die Figur sei fast körperlos.

Der österreichische Kunsthistoriker Ludwig Hevesi schrieb zu einem anderen Bildnis Whistlers, dem Arrangement in Schwarz: Die Dame im gelben Schnürstiefel-Portrait Lady Archibald Camphell, 1882-84 (vgl. Abb.), sie sei »im Begriffe nach dem Hintergrunde abzugehen, ganz und gar zu verschwinden, eine richtige >piece fugitive<[...].« (14) Wo Lady Archibald Campbell diesen Eindruck des Flüchtigen, des Verschwindens, durch ihr Gehen hervorruft, erhält man den gleichen Eindruck im Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke trotz der eher statischen Pose der Figur durch die Auflösung der Konturen. Damit konnte Whistler auch den von Baudelaire formulierten Vorstellungen einer modernen Kunst in besonderer Weise gerecht werden: Modernität ist für ihn »das Vergängliche, das Flüchtige, das Zufällige, die eine Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unwandelbare ist«. (15) Die Figur Maud Franklins, zart und ätherisch, wirkt - auch in ihrer modischen Kleidung - wie eine flüchtige Erscheinung, wie etwas Vorübergehendes, »das gleich wieder verschwunden sein wird«. (16) Dennoch haften ihr, in der Harmonie der Farben, der Leichtigkeit der Linien und der Vollendung der Oberfläche, die ewigen Gesetze des Schönen an - so wie Whistler sie verstand.

H.H.

Die modisch-elegante Garderobe von Maud Franklin erscheint in ihrer gedämpften Farbigkeit angemessen für die winterliche Promenade. Whistlers Geliebte trägt einen schlichten langen Rock aus hellbraunem Stoff, dazu einen hüftlangen, langärmeligen Paletot in der aktuellen » halbanschließenden « Form, das heißt vorn weit geschnitten und hinten tailliert, mit einem kleinen Schößchen; diese Fasson entspricht der modischen Gesäßbetonung. Ähnlich wie Camilles Paletot besteht auch der von Maud aus schwarzem Samt oder Pelz und hat Kantenbesätze aus flauschigem, braunem Pelz. Kaum zu erkennen ist der dunkle Hut, scheinbar mit schmaler aufgebogener Krempe, der die dezente Promenadentoilette vervollständigt. Einer genaueren kleidungshistorischen Analyse steht die Malweise entgegen, die textile Strukturen und konstruktive Details buchstäblich im Dunkeln lässt. Doch auch wenn die Kleidung hier nicht im Mittelpunkt des künstlerischen Interesses steht, gibt Whistlers Darstellung einen unmittelbaren, sinnlich fassbaren Gesamteindruck von Mauds Garderobe. Diese interpretiert die um 1876/77 herrschende Mode in schlichter und geschmackvoller Eleganz, mit einer leicht luxuriösen Note.

Anmerkungen

James McNeill Whistler - Arrangement in Schwarz und Braun: die Pelzjacke, 1876 - Worcester Art Museum, Worcester, Massachusetts, Inv. Nr. 1910.5 YMSM 181

Prov.: verkauft vom Künstler an A. Graves um 1876/77 - 1888 vom Künstler zurückerworben - 1892 an den Glasgower Händler Alexander Reid verkauft - 1897 erworben von dem Reeder William Burrell - 1905 von diesem an die Kunsthändler Obach, London & New York, verkauft - von den Macbeth Galleries 1909 erworben -verkauft an das Worcester Art Museum, 31. Dezember 1909/5. Januar 1910.

(1) Definition der »modern-ästhetischen Rückenfigur« bei Steiner 2003, S. 159.

(2) Literatur zum Bild: Young / MacDonald / Spencer / Miles 1980, Bd. I, Nr. 181, S. 105; Mac Donald in: Kat. Ausst. New York 2003, S. 127-129, 135.

(3) Symphonie in Fleischfarben und Pink: Portrait Mrs Frances Leyland, 1871-74, Frick Collection, New York, YMSM 106.

(4) Arrangement in Schwarz: die Frau im gelben Schnürstiefel - Portrait Lady Archibald Campbell, 1882-84, Philadelphia Museum of Art, YMSM 242

(5) Zur Person Maud Franklins s. besonders Margaret F. Mac Donald: Maud Franklin and the ,Charming Little Swaggers', in: Kat. Ausst. New York 2003, S. 132-155.

(6) Young / MacDonald / Spencer / Miles 1980, Bd. I, S. 105.

(7) YMSM 38.

(8) Paul Mantz, Kritiker der Gazette des Beaux-Arts etwa fand, das Bild sei »le morceau capital du salon des heretiques« (Gazette des Beaux-Arts 1863, S. 61). Bürger-Thoré berichtete, man habe zunächst nur über das Bild gelacht, bis »eine kleine Schar von Künstlern und Kritikern, auf der Jagd nach irgendeinem Wunder, in diesem Pandämonium von fern der bleichen Frau gewahr« wurde und sich auf sie stürzte (Bürger-Thore 1911, Bd. III, S. 206).

(9) Richard Dorment: Whistler and British Art, in: Kat. Ausst. London / Paris / Washington 1994/95, S. 23-28, zur Maltechnik besonders S. 25.

(10) Die Kunstregeln veröffentlichte Whistler in seinem 1890 erschienenen Buch The gentle art of making enemies; deutsche Übersetzung: Whistler 1996, Zitat S.78f.

(11) So Whistler in einem Artikel für World, 27. Mai 1878; wieder abgedruckt in The gentle art of making enemies, Whistler 1996, S. 89.

(12) Aussage Whistlers nach dem Bericht der Daily News über das Verfahren Whistlers gegen den Kunstkritiker John Ruskin; zitiert nach Young / MacDonald / Spencer / Miles 1980, Bd. I, S. 105.

(13) Whistler am 2. August 1892 in einem Brief an den Glasgower Händler Alexander Reid; zitiert nach Young / MacDonald / Spencer / Miles 1980, Bd. I, S. 105.

(14) Ludwig Hevesi: Whistler (28. August 1903), in: Altkunst-Neukunst, Wien 1894-1908, Wien 1909, S. 481.

(15) Baudelaire 1863, S. 226.

(16) Hevesi 1909 (wie Anm. 14), S. 481.

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