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Cy Twombly in der Pinakothek der Moderne

Erotisches Verlangen nach Form

Von Alexander Altmann

Noch dort, wo die Linie einzeln, verletzlich und zart übers Papier zittert, hat sie bei Cy Twombly etwas Zwanghaft-Insistierendes. Kein Wunder, dass sie sich auf vielen Blättern dass auch zu undurchdringlichen Strichballungen verdichtet oder als Schrift zum aggressiv-flirrenden Palimpsest mutiert wie in den "mythologischen" Arbeiten etwa der 70er Jahre, wo vielfach übereinandergelegte Schriftzüge Namen wie "Venus" oder "Apollo" formen. Und erst recht in den wunderbaren öl- und Acrylblättern der, jüngeren Zeit, wo ein dionysisch wühlender Pinselduktus die Farbe zu bunten, pastosen Tümpeln klumpt, tritt jener drängend-obsessive Gestus hervor, der das Werk des seit langem in Rom lebenden amerikanischen Künstlers von Anfang an prägt.

Es ist ein brennendes, fast erotisches Verlangen nach Form, das Twombly zu unmittelbarem, reinem, die Figuration nur selten vage tangierendem Ausdruck werden lässt und das gerade darum unstillbar bleibt - ein Paradox, dessen existenzielle Tragik sich in der amorphen Hochspannung all dieser Werke spiegelt, die quasi im Ersten Gang Vollgas zu fahren scheinen und deren Belanglosigkeit seltsamerweise integraler Bestandteil ihres ästhetischen Reizes ist, weil sich notwendig nur im Scheitern ihre Bestimmung erfüllen kann. Das ist der Grund, warum Twomblys faszinierender Tanz voll Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht, selbst in den farbenfrohsten Blättern von einer elegischen Grundstimmung getragen wird. Erst wo die Grenze von der Manie zur Manier überschritten wäre, entstünde nämlich zwingende Kunst - aber der Amerikaner balanciert bloß auf dieser Grenze entlang; das Manische ist bei ihm nicht mehr nur diffuser Drang, aber auch noch nicht Gestalt.

Die pubertäre Wehmut dieses Puppenstadiums erscheint bei Twombly als Gebärde zager Drastik, in der Hilflosigkeit und bildnerischer Furor aufs Anrührendste zur Allerweltsattitüde zusammenfließen. Mit seiner genialen Beliebigkeit ist Twomblys Werk deshalb Ausdruck einer medial dominierten Epoche, in der Authentizität, sobald sie sich mitteilt, automatisch und ungewollt zu ihrer eigenen Pose verkommt. Wenn es also noch eines Beweises bedurft hätte, dass die klassische Gattung der Graphik nicht von gestern ist, sondern genau auf die Zumutungen der Gegenwart reagiert, dann wäre er durch diese Schau erbracht, bei der die Staatliche Graphische Sammlung jetzt in ihren Präsentationsräumen in der Pinakothek der Moderne "Arbeiten auf Papier" zeigt: Werke von 1953 bis 2002 repräsentieren sämtliche Phasen von Twomblys Schaffen, das bei allen inneren Wandlungen durch eine einheitliche Grundhaltung zusammengebunden scheint.

Nach St. Petersburg ist München die zweite Station dieser Ausstellung zum 75. Geburtstag des Künstlers, die anschließend nach Paris und London weiterwandert, Und weil die Exponate sämtlich aus dem Besitz Twomblys selbst stammen, finden sich darunter viele, die bisher noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt wurden. Ein weiterer Grund für die eingeschworene Twombly-Gemeinde, nach München zu pilgern, das sich ja mit den umfangreichen Twombly Beständen der Sammlung Brandhorst ohnehin zu einer Art Mekka für die Verehrer dieses sensiblen Künstlers zu entwickeln scheint, von dem Michael Semff, Direktor der Graphischen Sammlung, zu berichten weiß: "Er ist äußerst scheu und liebt überhaupt nicht Menschenansammlungen."

Bayerische Staatszeitung vom 31.10.2003

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