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Horst-Werner Franke Kolumnist der Bremer taz

Inhaltsverzeichnis

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1990


Rot/Grün: vom gleichen Holz

Was im Bund verendet, müsste eigentlich kraftvoll auferstehen: Ein rot-grünes Reformbündnis. Bremen ist dafür jedoch nicht der richtige Ort. In einer Großen Koalition aber sieht die SPD alt aus.

Von Horst-Werner Franke

Dass da ein Hurrikan über die SPD hinweggefegt ist, hat auch der letzte Genosse begriffen. Wie aber die Schäden zu reparieren sind, weiß keiner, auch der Kanzler nicht. Wir werden vermutlich in den nächsten Wochen ein weiteres Zerbröseln der Berliner Restmacht erleben. Zwar wird die Opposition die Regierung nicht stürzen können, weil sie derzeit kein konstruktives Misstrauensvotum zustande bringt, schließlich müsste sie imstande sein, sich auf einen Kanzlerkandidaten zu einigen - und die Grünen müssten reif sein für die Flucht aus dieser Koalition. Also wird die Agonie weiterdauern. Zu welchem Zweck und Ende, weiß derzeit niemand.

Alles wartet ab, weil doch jetzt eine Wahlpause in den Ländern eintritt. Dass in diesem Jahr Bremen und Bayern wählen, zählt anscheinend nicht. Die Ergebnisse stehen scheint's fest. In Bayern und Bremen wird bestätigt, was bisher gilt: CSU und Große Koalition. Lohnt es da, über ein eventuelles Bündnis Rot-Grün in Bremen nachzudenken? Kann in der Hansestadt ein Bündnis neu installiert werden, das im Bund zerfasert und die Wähler massenhaft in die Flucht treibt? Der Frage nachzugehen, ist natürlich ein Sandkastenspiel. Und die Antwort hängt sehr von der politischen Befindlichkeit des jeweiligen Betrachters ab. Setzen wir aber den Fall, nach der Bürgerschaftswahl gäbe es rechnerische die Möglichkeit für eine solche Koalition von Rot und Grün. Welchen Rat sollen wir den Genossen geben, auch wenn wir wissen, dass es ungebetener Rat ist? Dass Grün sich einer solchen Koalition nicht verweigern würde versteht sich. Aber was ist mit der SPD?

Wenn Berlin erfolgreich wäre, hätte in vielen Bremer SPD-Köpfen die Koalition mit den Grünen herumgespukt. Ein Landesparteitag hätte nach der Wahl vermutlich eine heftige Auseinandersetzung um die Koalitionsfrage geführt. Aber jetzt, wo Rot-Grün als aussterbende Art unter Bestandsschutz gestellt werden müsste - soll Bremen ein Zeichen setzen? Wofür denn? Wahrscheinlich spüren es viele Genossinnen und Genossen, wie das Bündnis mit der CDU ihre Partei in die große Lähme geführt hat. Die Unterbezirksparteitage, die Landesparteitage sind Gespensterreigen im Vergleich zu den lebendigen und aufregenden Parteitagen der Vergangenheit. Von den Ortsvereinen geht keine Initiative aus, die öffentlich wirksam wären. Was da gelegentlich ein Unterbezirksvorsitzender oder ein Ortsverein als abweichende Meinung äußert, kann vom Rathaus getrost übergangen werden. Eine erdrückende Parlamentsmehrheit lässt jeden Abweichler zum Exoten werden, der gefahrlos übersehen werden kann. Die Bremer SPD ist in der Großen Koalition eine tote Partei geworden.

Auch die Bürgerschaftsfraktion ist Abbild dieser Lethargie. Wenn die Ortsvereine austrocknen, muss sich das notwendigerweise in der Fraktion widerspiegeln, die sich ja aus den Ortsvereinen speist. Auch hier sind die Helden müde geworden, eine muntere Mannschaft ist das sicher nicht, die beim nächsten Mal in das Parlament einzieht. Ein redlicher und auch kluger Fraktionsvorsitzender müht sich nach Kräften, wo es geht, Flagge zu zeigen, aber viel Profil bringt das am Ende nicht.

Nun dürfen wir nicht übersehen, dass es in einem bankrotten Gemeinwesen sehr schwer ist, Profil zu zeigen und Politik aus Partei und Parlament zu gestalten. Wo nichts mehr zu verteilen ist, ist auch die Politik zu Ende. Und machen wir uns nichts vor, nach 2004 wird es für Bremen entsetzlich werden. Wenn die Bundeszahlung fortfällt und auch das Notwendigste kaum mehr läuft. Was sollen da Partei und Fraktion noch groß beschließen? Ein neues Bündnis von Rot und Grün in Bremen würde schon Sinn machen, auch und gerade angesichts des Niedergangs der Berliner Koalition. Wenn nicht die Bleierne Zeit der schwarzen Übermacht die Bundesrepublik auf lange Zeit ersticken soll, müssen Widerstandsnester entstehen, von denen aus ein neuer Geist und eine rotgrüne Aufbruchstimmung ausgeht.

Rot und Grün stammen aus dem gleichen Holz, sie sind natürliche Partner, schon immer gewesen. Ich habe immer Grün als eine Abspaltung von Rot angesehen, mit der die SPD das Bündnis zu suchen hat. In Bildungspolitik, in der Kulturpolitik, in der Sozialpolitik, in der Justizpolitik, aber auch in der Innenpolitik steht Grün der SPD näher als die CDU. Selbstredend gilt das besonders für die Umweltpolitik. Sogar in der Wirtschaftspolitik sehe ich keine großen Diskrepanzen, seit Grün den Mittelstand entdeckt hat. Also, Gemeinsamkeiten für ein Bündnis gäbe es genug. Es wird aber trotzdem nicht dazu kommen. Die Bündnispartner müssten nämlich kraftvolle, dynamische Parteien sein, die sich mit Wucht artikulieren können und nach harten Sachdebatten zu kraftvoller Einheit finden. Blutleere Parteien können keine Zeichen setzen. Bremens SPD wird sich weiter ängstlich unter den Schutzmantel von Henning Scherf bergen, der zwar kein großer Gestalter, aber trotzdem ein großer Bürgermeister ist. Was früher als Ressortchef seine Schwäche war, ist jetzt seine Stärke. Er kann exzellent moderieren, versöhnen, ausgleichen, umarmen. Gegen den hochgeschätzten Spitzenkandidaten, der das stärkste Pfund im Wahlkampf sein wird, schließt am Ende keiner ein Gegenbündnis mit Grün. Die Querulanten, die es trotzdem versuchen werden, haben bei weitem keine Mehrheit.

Querulieren reicht nämlich nicht. Und die Große Koalition ist diesem Bürgermeister auf den Leib geschnitten. Was sollte der mit einem Rotgrünen Senat anfangen. Wie sollte der aus dem kleinen und maroden Bremen das neue Zeichen im Bund für die Zukunft von Rotgrün setzen. Nein, so dringend die Republik eine Renaissance von Rotgrün auch braucht, von Bremen kann sie nicht ausgehen. Zu sehr haben finanzielle Not und Große Koalition die politischen Strukturen erodiert. Wie es am Ende der nächsten Legislaturperiode dann weitergehen soll, weiß niemand. Aber vielleicht gewinnt ja die SPD die absolute Mehrheit. Was macht dann Henning Scherf?

taz Bremen Nr. 6975 vom 8.2.2003

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Gastkommentar

Theater auf der Kippe

Wer zieht Böse an Land?

Er hat es wirklich ernst gemeint: Kuno Böse wollte Klaus Pierwoß behalten. Dass dann die Geschichte so gründlich danebenging, klärt auch den Naivsten darüber auf, wie man es nicht macht. Nun wird Kultursenator Böse kein Lehrstück nötig haben, wie man Intendanten behält. Beim nächsten Intendantenwechsel gibt es keinen Kultursenator Böse mehr, und das ist gut so. Gut so ist auch, dass mit einem neuen Kultursenator auch ein neuer Staatsrat für Kultur zuständig sein wird.

Aber zurück zu unserem neuesten Senatsflop. Fakt ist, dass Bremens Theater schon seit längerem unterfinanziert ist. Jeder Vergleich mit ähnlichen Großstadtbühnen verdeutlicht das. Als ich vor Jahren McKinsey auf das Bremer Theater ansetzte, haben wir es anschließend auch nach Meinung ausgebuffter Theaterkenner finanziell auf die Grundlinie heruntergefahren, in den Jahren danach ist das Bremer Theater trotzdem immer noch ärmer gemacht worden. Einige Jährchen wird Bremen dessen ungeachtet immer noch ein Theater haben. Denn einen, der sich gern Generalintendant nennt, findet man immer, und Schauspieler, die sich verzweifelt selbst ausbeuten, nur damit sie spielen können, stehen auch noch vor der Tür.

Zwar ist die Autobahn nach Bremen nicht mehr die wichtigste Einrichtung der Theaterstadt Hamburg, wie einst Die Welt schrieb, aber ein Abglanz dessen liegt noch über uns - Pierwoß sei Dank. Vielleicht klärt mal einer die Regierung der Möchtegern-Kulturhauptstadt Europas darüber auf, wie Kultur und Theater zusammengehören. Bei der Gelegenheit könnte auch dem Wirtschaftssenator gesagt werden, dass ein renommiertes Theater auch ein Ansiedlungsfaktor für Unternehmen ist. Und der Kollege Perschau könnte lernen, dass zu einem Oberzentrum, das seine Selbstständigkeit verteidigen will, unbedingt die Leistungskraft eines kulturellen Zentrums gehört. Und der Kollege Lemke könnte lernen, dass zur Bildungslandschaft Bremen und guten Schulen auch ein gutes Theater gehört. Und warum haben die Herren ihren Kollegen Böse auf den Topf gesetzt und die Finanzierung nicht wenigstens so gelassen wie bisher? Weil der Kultursenator sich so dämlich angestellt hat. Er hat versäumt, so früh wie möglich ein Bündnis mit dem Mann zu schließen, der für die Vorbereitungen von Senatsentscheidungen am wichtigsten ist: mit dem Chef der Senatskanzlei, mit Reinhard Hoffmann. Hoffmann sitzt im Aufsichtsrat Theater. Nun liegt der Intendant im Brunnen. Ob er da wieder rauszuholen ist? Böse muss es versuchen. Scherf muss es versuchen. Sinn macht ein solcher Appell aber nur, wenn beim Kultursenator und auch beim Bürgermeister ernsthaft die Auffassung besteht, man sollte Pierwoß halten. Davon aber sollten man ausgehen. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Reinhard, zieht den armen Kuno auf festes Land. Gemessen an den Summen, die ihr andernorts versenkt habt, geht es hier wirklich um Peanuts. Gebt Pierwoß den alten Vertrag.

Horst-Werner Franke, Kultursenator a. D.

taz Bremen Nr. 6965 vom 28.1.2003

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Offener Brief von Ex-Senator Franke an Rudolf Hickel

Bremen verröchelt - Rettung nirgends in Sicht

Horst-Werner Franke, der sich von Freunden gern "Thomas" nennen lässt, war eine kleine Ewigkeit lang Senator für Bildung, Wissenschaft und Kultur - 14 Jahre lang. Reinhard Hoffmann, heute Chef der Senatskanzlei, war "sein" Staatsrat. Seit seinem Rücktritt im Dezember 1989 hat Franke zahllose Gastkommentare für die Bremer taz geschrieben. Sein Thema immer wieder: Die absehbar scheiternden Versuche, die Staatsfinanzen zu sanieren. Während das politische Establishment sich daran klammert, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, fordert der abtrünnige Senator Franke (Foto), der bitteren Wahrheit ins Auge zu sehen. Unseren Bericht über den Vortrag des Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel (taz 18.11.) nahm Franke zum Anlass für einen Offenen Brief.

Lieber Rudolf,

große Geduld und große Sorge bringen Dich immer wieder dazu, öffentlich von Senat und Bürgerschaft eine andere, radikal andere Politik für Bremen zu fordern. Und die gute alte Tante taz versucht unermüdlich, das träge politische Bremen wachzurütteln. Ihr Wackeren, auch Euch wird am Ende die Resignation überwinden, und jene Lähme wird über Euch kommen, die inzwischen bremisches Kennzeichen geworden ist.

Die Fakten sind seit einem Dutzend Jahre bekannt. Schon weiland Finanzsenator Kröning hat auflisten lassen, dass Bremen nur mit Wundern der finanziellen Katastrophe entkommen kann: Rasanter Bevölkerungsanstieg, exorbitantes Wirtschaftswachstum, das um ein Mehrfaches den Bundesdurchschnitt übertreffen muss, drastisches Senken der Zinssteuerquote, das waren und sind die Bedingungen für Bremens Sanierung. Geschehen sollte alles innerhalb des Sanierungszeitraums, den der Bund und die Länder gezwungenermaßen und darum höchst widerwillig bis 2004 finanzieren.

Es hat von Anfang an die Kassandras gegeben, die Bremens Erlösung durch Wunder bezweifelt haben. In ihrem Leib- und Magenblatt, der taz bremen, ist immer wieder lang und breit über den wunderlosen Weg Bremens in den Abgrund gejammert worden. Der überregional hoch geschätzte Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel bleibt aber wie alle anderen an der Weser unbeachtet. Auch Deine Rufe, lieber Rudolf, müssen matter werden und schließlich verstummen.

Gigantischer denn je

Jahrelang haben Senat und Regierungsfraktionen den Wählern Bremens den vermeintlich erfolgreichen Weg aus der Schuldenfalle in beredten Worten geschildert. Wie würde wohl Freund Perschau dastehen, wenn ihn ein Untersuchungsausschuss mit diesen seinen politischen Versprechungen konfrontierte. Und wie es sich für einen loyalen Beamten gehört, erklärt dieser Tage Staatsrat Dannemann sich ebenfalls für untersuchungsausschussreif, wenn er seinem Herrn Perschau vollmundig unterstellt, in der Vergangenheit immer das Richtige in Sachen Sanierung gesagt zu haben. Vielleicht kommen die Abgeordneten noch auf die Idee des Untersuchungsausschusses, wenn sie in die ausweglose Enge getrieben einen Schuldigen suchen.

Was wird 2004 zu besichtigen sein? Am Ende des Sanierungszeitraums sind die Schulden Bremens gigantischer als jemals zuvor. Wenigstens ein gutes Dutzend Milliarden Euro kommt alles in allem zusammen. Wahnsinnigerweise hat die Sanierung fast zur Verdoppelung der Schulden geführt. Bremens Schulden haben die Größe, die Eichel jetzt bräuchte, um die Bundesrepublik vor der Katastrophe zu bewahren. Veritable Schwellenländer werden wegen solcher Summen vom IWF unter Kuratel gestellt.

Von wegen neue Milliarden

Der Kanzler soll der ertrinkenden Hansestadt 2004 den Rettungsring zuwerfen. Angeblich hat er das versprochen. Jener ominöse Brief, der mit allgemeinen Redewendungen Bremen tröstet, kann nur von politischen Naivlingen als neuerliches Milliardenversprechen gewertet werden. Die Finanzsituation der Bundesrepublik wird 2004 Hans Eichel, so er dann noch Finanzminister ist, nicht zu neuen Milliarden für Bremen veranlassen. Die weitere Verelendung der öffentlichen Einrichtungen Bremens ist vorgezeichnet.

Weil nirgends Rettung in Sicht ist, die großen Trostworte der Politik aber allmählich im Hals stecken bleiben, redet jetzt keiner mehr zur Sache. Interessanterweise nimmt in seinem jüngsten offenen Brief Finanzstaatsrat Dannemann das Wort von der geglückten Sanierung Bremens nicht mehr in den Mund. Ganz im Gegenteil, der oberste Finanzfachbeamte Bremens räumt inzwischen öffentlich ein, dass die Sanierung gescheitert sei. So ist sein Brief an die Grünen zu verstehen.

Und weil es angesichts der Großen Koalition auch keine massenwirksame Opposition gibt, stört keiner das Schweigen. Vor einer Wahl und nach der Wahl werden in den Parteien Posten vergeben, da heißt es friedlich sein. Die SPD Bremens ist genauso wie die CDU als Partei schon lange domestiziert und zum gutartigen Haustier für das Rathaus verkommen. Wie sonst ist das Schweigen auf Parteitagen zu erklären.

Weil das Bundesland nicht mehr funktioniert, aber auch nicht aufhören kann, hat sich die politische Elite Bremens entschlossen, die Sache auszusitzen, was auch einen Sinn machen kann. Schließlich wird Bremen rein dinglich gesehen bleiben und wenn nichts mehr geht, muss es doch weiter gehen. Die bremische Politik verlässt sich darauf, dass am Ende eine Lösung kommen muss. Freilich wäre da noch der Hoffmann-Plan, der auf der Vernunft aller Beteiligten aufbaut. Er ist einfach zu begreifen: Wenn Bremen verröchelt, stirbt der niedersächsische Speckgürtel mit, wird das jetzt bis auf das Zentrum Bremen blühende Nordwestniedersachsen zur Notstandsregion. Wäre Bremen niedersächsisch, drängte die Landesregierung längst auf die Bildung einer Region nach dem Vorbild des Großraums Hannover. Weil es aber ist, wie es ist, bleibt Gabriel passiv und der Oberkreisdirektor von Diepholz Verhandlungspartner von Bremen. Die Ergebnisse sind danach. Nein, der einzig kreative Kopf im Rathaus bleibt folgenlos.

Es wird ein flauer Wahlkampf werden, der letzte von Henning Scherf, dessen Strahlkraft sicherlich noch einmal ausreicht, die SPD über die Hürde zu heben. Beim nächsten Mal wird Willi Lemke eine gänzlich veränderte Welt vorfinden, allerdings keine veränderte SPD. Was, lieber Rudolf, wirst Du Hennings Nachfolger ins Stammbuch schreiben?

Wie immer voller Bewunderung

Dein Thomas Franke

taz Bremen Nr. 6912 vom 23.11.2002

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Gastkommentar

Ende der Schulzentren

Der Politik fehlte Überzeugungskraft, Konfrontationsbereitschaft, Sachverstand

Auf Schröders Spuren in die vermeintliche Mitte der Gesellschaft wirft die SPD neben anderem Ballast auch die Reste linker Bildungspolitik über Bord. Der niedersächsische Ministerpräsident Siegmar Gabriel zum Beispiel dekretiert auf Gutsherrenart seiner Partei die neue Richtung, die heißt: Schluss mit dem Integrationsquatsch von damals, nach vier Grundschuljahren wird sortiert. Die Guten aufs Gymnasium, die Schlechten in die Restschule. Das könnte bundesweit der neue SPD-Trend werden. Gabriel ist nicht irgendwer. Er operiert in großer Nähe zum Kanzler und Parteivorsitzenden. Manche handeln ihn schon als künftigen Schrödererben auch im Bund.

Bremen schwankt bildungspolitisch seit Jahren richtungslos dahin. Die bodenständige SPD dümpelt in den Koalitionen nicht nur bei der Bildungspolitik ideenlos. Die CDU hatte keinen großen Gegner niederzuringen bei ihrem konsequenten Weg zurück zum isolierten Einzelgymnasium.

Es begann damit, dass Klaus Wedemeier als Ampel-Bürgermeister die Wiederherstellung von Einzelgymnasien zuließ. Ein bisschen Sündenfall konnte doch nicht schaden. Sein Bildungssenator Henning Scherf ging den Weg mit. Sogar die Grünen fanden damals ein wenig Konservatismus ganz pikant. Sie begriffen alle nicht, wie fragil die neugeschaffenen Schulzentren noch waren, die nicht auf einer großen Zustimmungswoge gegründet worden waren, sondern gegen härtesten öffentlichen Widerstand politisch ertrotzt worden waren. Sollten sie überleben, musste an ihnen gearbeitet werden. Die Konsolidierung der jungen Schulzentren brauchte Zeit, Ideen, Lehrer und politischen Schutz. Doch statt Konsolidierung zu betreiben, setzte sie der Senat sofort wieder der Konkurrenz mit dem altgewohnten Einzelgymnasium aus, das bei der öffentlichen Armut besser bestehen kann. Einzelgymnasien sind einfacher und billiger zu betreiben als Schulzentren.

Der Erfolg einer Schulreform steht und fällt mit der fachlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Schule. Hier musste gewaltig gearbeitet werden. Es galt, alle Ressourcen zu bündeln und hart und konsequent jeden Leistungsschlendrian zu bekämpfen. Das kostet Überzeugungskraft, Konfrontationsbereitschaft, Sachverstand und Ressourcen. Der Politik fehlte alles.

Es ist müßig, jetzt den Stab zu brechen. Das hier verlorene Terrain ist nicht wiederzugewinnen. Bremens Armut hat die Schulen weiter ausgepowert. Und kein Ende ist in Sicht. Die Reden vom künftigen Geberland Bremen gehören in Grimms Spinnstube. Bremen bleibt arm und seine Schulen weiter im Elend.

Den Weg zum Abitur nach zwölf Jahren hätten intakte Schulzentren meistern können, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten. Jetzt scheint die Lage hoffnungslos. Die Doppelgleisigkeit, auf die die gegenwärtige Bildungspolitik hinausläuft, ist in Wahrheit das Ende der Schulzentren. Willy Lemkes Aufgabe wird es sein, möglichst elegant zu liquidieren. Ihm allerdings darf das nicht angelastet werden.

Horst-Werner Franke (SPD). Bildungssenator a.D.

Bei seinem Rücktritt 1989 galt Franke als "dienstältester" Bildungssenator der Republik

taz Bremen Nr. 6400 vom 19.3.2001

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"Endlich beginnt der Klügste am Tabu zu rütteln"

Endlich beginnt der klügste Kopf im Rathaus an dem Tabu zu rütteln, das allzu lange die Eigenstaatlichkeit Bremens für alle Politiker des Stadtstaates zu sein schien. Reinhard Hoffmann beginnt in den letzten Jahren seiner Staatsrattätigkeit öffentlich darüber nachzudenken, welcher Weg aus Bremens Haushaltskatastrophe führen könnte. Bislang gab es bei allen nur die Beschwörungsformel vom Festhalten am bisherigen Sanierungskurs, an dessen baldigem Ende wieder die alte Herrlichkeit des souveränen Bundeslandes Bremen stehen sollte. Tatsächlich schwindet mit jedem Jahr jede Erfolgsaussicht unter den sich immer höher auftürmenden Schulden. Die Sanierungsschimäre muss sogar dafür herhalten, die Zerschlagung der Stadtkultur zu rechtfertigen.

Hoffmann sieht die Rettung Bremens in der politischen Verzahnung mit dem Umland. Die Wirtschaft Bremens ist schon längst diesen Weg gegangen. Sie ignoriert die Stadtgrenze als Wirtschaftsgrenze. Firmen, geführt von honorigen Stadtpatriziern, siedeln längst im nahen niedersächsischen Umland und bezeichnen sich nach wie vor als Bremer Firmen. Der Speck um Bremen ist aus hanseatischem Fleisch gewachsen. Hoffmann will ihn wieder organisch mit dem Ursprungskörper verbinden. Solche Strukturen sind in allen bundesdeutschen Ballungsräumen anzutreffen. Bremen war nicht nur durch seine Landesgrenzen eingeengt, es hat auch selbst seine Stadtstaatgrenzen tabuisiert. Seit Wilhelm Kaisens Zeiten gilt die Formel, wir bleiben, was wir sind, der kleine feine Stadtstaat. Der Traum ist ausgeträumt. Politische Flächenverbunde entstehen allenthalben. Die Großräume Hannover, Frankfurt, Stuttgart zum Beispiel sind längst zu modernen Horizonten aufgebrochen.

Natürlich sind die Widerstände gegen eine Einbeziehung des niedersächsischen Umlandes in eine Bremen-bestimmte Region scheinbar unüberwindlich. Die reichsten Landkreise Niedersachsens liegen um Bremen. Ihr Scherflein für den niedersächsischen Finanzausgleich ist beträchtlich. Hannover hat noch nie Lust gezeigt, hier etwas zu ändern. Aber der Reichtum der Anrainer ist allein bremengespeist. Ein Siechtum Bremens ist notwendigerweise auch eine Krankheit des Speckgürtels. Solange Bremen tönte, dass es sich mit Bundeshilfe und eigener Kraft rappeln kann, konnten die Regenten des Speckgürtels weiter ungestraft schmarotzen. Den Star muss ihnen Bremen nun stechen. Freilich ist dazu nötig, dass SPD und CDU in Bremen endlich ihren Realitätsverlust überwinden. Bremen kann natürlich nicht als Eroberer ins Umland eindringen. Die neue Großregion braucht eine eigene Entscheidungskompetenz. Der Weg dorthin kennt keine Alternative. Bremen ist nach der Verfassungslage und nach der politischen Realität nahezu unauflösbar. Die Bevölkerung Niedersachsens und Bremens müsste zustimmen. Also bleibt nur die neue Zwischenform. Über sie darf man aber nicht nur mit Bürgermeistern und Landräten sprechen. Hannover ist gefragt, über das Bremen bislang hochmütig hinweggesehen hat. Liebe GenossInnen von der SPD, wagt endlich die Eröffnungsdebatte in der Bürgerschaft. Nicht nur im Rathaus sollte ein kluger Kopf sitzen.

Horst-Werner Franke, SPD-Senator a.D.

taz Bremen Nr. 6086 vom 7.3.2000

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Kommentar Horst-Werner Franke, SPD-Senator a.D.

"Der Bremer Gau wird verdrängt"

Rede - Gegenrede: Horst Werner Franke glaubt, dass die Wirtschaftspolitik auf die Zeit nach der Sanierung ausgerichtet ist

Wirtschaftsdebatte: Der Ökonom Rudolf Hickel argumentierte in der taz, die Wirtschaftszahlen für Bremen wiesen den richtigen Weg für die Sanierung des Bundeslandes. Der Grüne Haushaltspolitiker Helmut Zachau widersprach dem: Mit der derzeitigen Wirtschaftspolitik fahre man den Karren vor die Wand. Der ehemalige Bildungssenator Horst-Werner Franke (SPD) sagt: Beide haben recht. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.

Recht haben sie, beide, Zachau und Hickel, und der kluge Rudolf weiß das auch. Helmut Zachau sagt nur, dass Bremens Sanierungspolitik erfolglos bleibt, und Hickel hält Bremens Wirtschaftspolitik im großen und ganzen für geglückt. Das ist beileibe kein Widerspruch. Eins hat nämlich mit dem anderen nichts zu tun. Zwar möchte die Bremer Politik noch immer glauben machen, sie sei mit der Sanierung des kleinsten Bundeslandes auf dem richtigen Weg und die Wirtschaftspolitik des Senats gehöre dazu, doch Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) und Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) können nicht so töricht sein, an solche Reden selbst zu glauben. Wahrscheinlich ist der Schwindel nötig, weil sonst die Bundesmilliarden nicht hätten in den laufenden Landeshaushalt gekippt werden können. Mit Bremens großen Spaßprojekten wäre keine müde Mark abzuzocken gewesen.

Am Anfang der Sanierung stand im Mai 1992 die lapidare Feststellung Karlsruhes, Bremen könne seine Aufgaben als Bundesland nicht mehr erfüllen und brauche Hilfe. Das Bundesverfassungsgericht nannte auch den einzigen Grund der Bremer Misere: die Schulden. Wer wie Bremen rund ein Viertel seiner Einnahmen für Zinszahlungen ausgeben muss, befindet sich in extremer Haushaltsnotlage und braucht Hilfe. Alle Hilfe sollte begrenzt sein und nur dem einen Ziele dienen, die Zins-Steuer-Quote zu senken. Nach dem Sanierungszeitraum sollte Bremen wieder normales Bundesland sein. Es ist müßig, noch von den seinerzeit verabredeten Sanierungsplänen zu reden. Sie sind längst Makulatur. Niemand redet mehr von der Senkung der Zinslast, die höher ist denn je. Am Beginn des Milliardenzuflusses hatte Bremen 16 Milliarden Schulden, jetzt höchstwahrscheinlich alles in allem noch einmal 10 Milliarden obendrauf. Die extreme Haushaltsnotlage von damals ist während der Sanierung noch extremer geworden. Was Karlsruhe vor Jahren auf Antrag Bremens festgestellt hatte, dass es die ihm aus seiner politischen Autonomie zuwachsenden Aufgaben eigenständig und eigenverantwortlich nicht lösen könne, gilt heute und wird weiter gelten. Dass selbst die klügste Wirtschaftspolitik das Land nicht aus dem Elend führen kann, erklärten die Gutachten für Karlsruhe dem Senat schon vor zehn Jahren. Es hieß da wörtlich, dass der auf Sand baue, der im Falle Bremens von einer Stärkung der Wirtschaftskraft die Sanierung der Finanzen abhängig machen wolle. Wirkliche Hilfe beim gegenwärtigen Finanzausgleich brächte allein Einwohnerwachstum. Darum verkündete der Senat die Zielzahl von 60.000 Einwohnern mehr bis 2007 als wichtigsten Sanierungsbeitrag. Auch davon brauchen wir nicht mehr zu reden. Bremen schmilzt nach wie vor zusammen.

Lassen wir die alten Kamellen, die hier nur unterstreichen, wie richtig Zachau liegt. Seit Jahren kennen alle, die es angeht, diese Wirklichkeit. Man kann sie nur noch auf der Gebetsmühle klappern und staunend fragen, worauf die Reden gründen, die den wachsenden Erfolg der Sanierungspolitik verkünden. Wenn in vier Jahren endgültig die letzte Mark vom Bund nach Bremen geflossen ist, fällt die Finanzierung des laufenden Haushalts samt riesiger Zins-Steuer-Quote allein auf Bremens schwache Schultern. Die künftige Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, soviel ist jetzt schon zu erkennen, wird für Bremen den Status quo gewiss nicht bessern. In der Stadt ist das Problem zwar sattsam bekannt, doch redet keiner von der Zeit danach. Es gibt auch keine Arbeitsgruppe des Senats für diesen Katastrophenfall. Der Bremer Gau wird radikal verdrängt. Keine Fraktion wagt hier die offene Debatte im Parlament. Kein Ortsverein der SPD stellt auf dem Parteitag die Frage, wie es weitergehen soll.

Und doch hat der Senat sich längst entschieden. Wie sonst wäre zu erklären, dass er nicht auf Schuldenabbau setzt. Seine hickelgelobte Wirtschaftspolitik zielt auf die Zeit danach. Was immer aus Bremen werden wird, eine gute Wirtschaftsstruktur kann Bremen keiner mehr nehmen. Wozu ist ein schuldenreduziertes Land gut, das in seiner Selbständigkeit nicht leben und nicht sterben kann, weil seine Wirtschaft durchhängt. Lassen wir es also darauf ankommen, spielen wir va banque. Wir nehmen das Sanierungsgeld und stärken unsere Wirtschaft. Das rettet zwar uns nicht vor dem Bankrott als Stadtstaat, doch sichert halbwegs gutes Überleben für die Zeit danach. Die Schulden sind schließlich Landesschulden. Die Stadt Bremen steht nach dem Kladderadatsch so ziemlich ohne Schulden und mit sanierter Wirtschaft ganz gut da. Das sieht auch Rudolf Hickel so, und damit hat er recht.

Horst-Werner Franke, Senator a. D.

taz Bremen Nr. 6077 vom 25.2.2000 Seite
Dokumentation Horst-Werner Franke  

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Günter Grass-Blamage des Senats

Betrifft: "Günter Grass? Nein danke!", taz vom 22.1.2000

Einigermaßen verblüfft lese ich in der taz bremen, dass Wolfgang Emmerich, von mir freundschaftlich geschätztes ehemaliges Mitglied der Jury für den Bremer Literaturpreis, sich daran zu erinnern meint, ich habe als zuständiger Senator seinerzeit der Jury zu verstehen gegeben, dass der Bremer Literaturpreis dem Renommée der Stadt zu dienen habe, was wohl unterstellt, die Unabhängigkeit der Jury sei von mir nicht strikt geachtet worden. Nach der Grass-Blamage des Senats ist das eine hässliche Unterstellung. Ich erinnere mich, stets ein völlig ungetrübtes Verhältnis zur Jury besessen zu haben. Einzelnen Mitgliedern, nicht nur Emmerich, bin ich bis zuletzt freundlich verbunden gewesen. So hat es zwischen dem Vorsitzenden und leider viel zu früh verstorbenen Herbert Heckmann und mir nie auch nur den Hauch einer Verstimmung gegeben. Vielleicht ist Wolfgang Emmerich so nett und teilt den taz-Lesern konkret mit, wann und in welcher Form ich irgend einen Druck auf die Jury versucht hätte. Ich weiß davon nämlich nichts. Schließlich habe ich als Senator tapfer Peter-Paul Zahl geehrt, der aus dem Gefängnis zur Preisverleihung vorgeführt wurde und in seiner Rede dann die Bundesrepublik Deutschland mit dem Auschwitzstaat der NS-Zeit gleichsetzte. Dafür bin ich bundesweit beschimpft worden. In der Bürgerschaft habe ich gegenüber dem empörten Parlament die Entscheidung der Jury verteidigt, einem rechtskräftig verurteilten Terroristen den Förderpreis des Bremer Literaturpreises zu verleihen. Auch meine Genossen im Parlament standen damals nicht für mich ein. Einzig Walter Jens und Fritz Raddatz verteidigten mich damals öffentlich.

Im übrigen bin ich sehr wohl der Meinung, dass bei Preisentscheidungen immer auch die Preispflege bedacht werden muss. Die Glanzlichter eines Preises strahlen schließlich auch auf diejenigen, die auf öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen sind, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Wenn nicht ab und zu nicht bewusst solche Markierungspunkte gesetzt werden, verliert ein Preis seine Bedeutung und hilft auch keinem Preisträger mehr. Das ist nicht Marketing für die Stadt, sondern Werterhaltung des Preises. Nikolaus Born, Volker Braun, Peter Handke, Siegfried Lenz, Christa Wolf, Peter Rühmkorf, um nur einige zu nennen, sind solche Wertmarken. An die blamable Senatsentscheidung in Sachen "Blechtrommel" mussten wir uns zwar 1999 noch einmal erinnern, aber nicht mehr mit der alten Bitternis. Die Aussöhnung mit Günter Grass ist schon zu meiner Zeit gelungen.

Vielleicht noch als Anmerkung zur alten Geschichte: Der damalige Wirtschaftssenator Eggers aus Bremerhaven meldete sich am Ende der Senatsdebatte zu Wort, nachdem er bis dahin geschwiegen hatte. Er lese kaum und kenne auch nicht das hier verhandelte Buch namens "Blechtrommel". Er habe aber begriffen, dass der Senat es für unmoralisch halte. Nach seiner guten Kenntnis des Kollegiums fehle dem aber jegliche Berechtigung für ein solches Urteil. Die Jury bestünde aus angesehenen und ausgewiesenen Literaturfachleuten. Der Senat sei gut beraten, in einer Sache, von der er nichts verstehe, den Fachleuten zu folgen. Er werde so verfahren. Die Mehrheit im Senat verfuhr anders, zum letzten Mal. Seit damals wird über den Bremer Literaturpreis bekanntlich im Senat nicht mehr abgestimmt.

Senator a.D. Horst-Werner Franke

taz Bremen Nr. 6051 vom 26.1.2000
LeserInnenbrief Horst-Werner Franke  

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Gastkommentar

... schauen wir auf Willi Lemke ...

Bremens ehemaliger Bildungssenator Horst-Werner Franke meint: Nicht lästern über neuen Bildungsmanager

Sie hätten es haben können, aber sie wollten es nicht, und so bleibt das Ressort Bildung und Wissenschaft bei der SPD. Allein die Kunst wandert ins Polizeiressort unter CDU-Aufsicht. Das den Ländern einzig verbliebene gesellschaftspolitische Gestaltungsressort Bildung bleibt, was es seit den Nachkriegsjahren gewesen ist: eine sozialdemokratische Domäne.

Ungleich kommunikativer

Das ist ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen: Willi Lemke als neuer Bildungssenator wird die Einbrüche an der bildungspolitischen Front begradigen müssen. Zwar tritt er wie Vorgängerin Bringfriede Kahrs ohne Hausmacht an. Aber der wuselige Werder-Manager ist ungleich kommunikativer als die spröde Dame und wird eher Bündnispartner gewinnen können. Bildung muß wieder ins Zentrum des Partei-Interesses und darf nicht weiter randständig behandelt werden. Es ist das Überlebensthema für unsere Gesellschaft.

Werderglück in die Politik

Lästern wir nicht über den neuen Bildungsmanager, sondern setzen wird darauf, daß er Werderglück in die Politik bringt. Seine politische Zukunft entscheidet sich gleich am Anfang: Mit welchen Staatsräten wird er regieren? Der Mann für die Wissenschaft hat er schon im Hause: Rainer Köttgen war faktisch schon längst Staatsrat im Verborgenen. Nun kann er es offen sein. Für die Schulen muß Willi Lemke eine glücklichere Wahl treffen als seine Vorgängerin. Das Haus ist in den letzten Jahren nicht besser geworden und braucht eine feste Hande, hinter der viel Kompetenz steht. Außerdem wird der zweite Staatsrat sich gegen den gewieften Köttgen durchsetzen müssen. Die Nova aus Bremerhaven für den Sozialbereich und der Werdermanager für Bildung sind also die beiden Neulinge bei den Sozialdemokraten. Jens Böhrnsen und Christian Weber bleiben draußen, obwohl der gerade in letzter Zeit viel Stehvermögen und Sachkompetenz für das Bauressort entwickelt hatte. Damit bleibt bei der SPD das Hauptproblem ungelöst: Wer soll die nächsten Wahlen gewinnen? Der Scherf-Nachfolger muß jetzt in die Profilierungsposition gehievt werden.

Risiko für nächste Wahlen

Wo Jens Böhrnsen populär werden kann, bleibt bei dieser Senatsbildung offen. Daß Weber und Böhrnsen sich nicht empfindlich ins Gehege kommen, ist nur durch ein anderes Senatspuzzle aufzulösen. Das konnten und wollten die Koalitionäre nicht auflegen. Die Sozialdemokraten gehen bei dieser Senatsbildung ein hohes Risiko für die nächsten Wahlen ein.

Bleiben wir neugierig, und schauen wir auf Willi.

Host-Werner Franke, Ex- Bildungssenator

taz Bremen Nr. 5865 vom 21.6.1999

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Triumph der Nichtpolitik

Bürgermeister siegt mit Anti-Kampf

Triumph der Nichtpolitik! Die unpolitischen Wähler haben einem unpolitischen Politiker ihre Stimme gegeben. Die Entpolitisierung Bremens hat ihren Gipfel erreicht. Obwohl jeder wußte, daß am 6. Juni in Bremen über die Bundesratsmehrheit von Rotgrün entschieden wird, stand dieser wichtige politische Aspekt nicht im Zentrum der Kommentare. Staunend verbreiteten sich vielmehr die Meinungsmacher der Republik darüber, wie in aller Welt der Spitzenkandidat der SPD und Regierungschef Henning Scherf seinen Wahlkampf damit bestreiten konnte, nicht gewinnen zu wollen. Und nun wird alle Welt rätseln, wie der radikal entpolitisierte Wahlkampf der Bremer SPD zu einem solchen Wahlsieg führen konnte. Ist der mutige Schritt, keine politischen Wahlaussagen mehr zu machen, vom Wähler belohnt worden, weil er eh keinem Wahlprogramm mehr traut? "Think positive!" Das ist schließlich die Rettungsformel in unserer depressiven Welt. Das inhaltslose Versprechen, alle positiven Kräfte zusammenzufassen, ist tröstlicher als die Leerformel, Arbeitsplätze zu schaffen. Markiert Bremen die längst fällige Abkehr von programmatischer Politik und den Sieg sanft-vager Sympathiewerbung?

Gemach, bevor wir zynisch über den eingelullten Henning-Wähler spotten, sollten wir prüfen, ob sich Bremens Wähler nicht doch politisch verhalten haben. Schließlich weiß jeder halbwegs aufgeklärte Bremer, daß der Zwei-Städte Staat jetzt und immerdar aus eigenem Steueraufkommen nicht zu sanieren und Außenhilfe nicht in Sicht ist. Die paradoxe Situation, daß Bremen nicht länger sein kann, was es ist, aber auch nichts Neues werden, paralysiert die Hirne der Politiker. Was sollen sie dem Wähler auch versprechen? Die Entschuldung Bremens? Einwohnerwachstum? Abbau der Arbeitslosigkeit? Mehr Geld und junge Lehrer für die Schulen? Die Liste der unmöglichen Notwendigkeiten ist lang. Gepumptes Geld kommt bald ans Ende und mit ihm auch die Politik. Weil das der Wähler weiß, wagt kein ernsthafter Politiker, ihm weiter die Lösung der Bremer Landesprobleme zu versprechen. Wer es dennoch tut, wird nicht gewählt. Und alle richten sich in diesem Wartaweil ein. Irgend etwas wird schon kommen. Bei Werder ging es ja auch weiter. Bauen wir derweil den Space Park und das Musical. Die retten zwar nichts, wie jeder weiß, putzen aber ungemein.

Soll man da nicht einen sympathischen Bürgermeister, der ohne Ansicht der Parteien alle positiven Kräfte des Landes zusammenbringt, unterstützen. Daß der auch keine Lösungen weiß und sich intelligent dazu bekennt, macht ihn erst richtig wählbar. Nein, Bremens Wähler sind auf niemanden hereingefallen. Sie sind Realisten, die die Lage ihres kleinen Bundeslandes richtig einschätzen. Daß sich das politische Nirwana und alle denkbaren Katastrophen in einer Großen Koalition am besten überstehen lassen, sieht jeder kluge Wähler leicht ein. Schließlich brächte Grün nach derzeitigem Erkenntnisstand nichts Neues in die Regierungsehe ein. Den von manchen vermutete linke SPD-Flügel zähmte ein starker Scherf. Es müßten ungeheuerliche neue Gedanken gedacht werden, um Rotgrün zu etablieren. Von wem?

 Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5853 vom 7.6.1999

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Gastkommentar zur Wahl

Christdemokratische Sozialdemokraten?

SPD und CDU haben ihre Funktion als politische Parteien in Bremen verloren

Auf die Preisfrage, den Unterschied zwischen SPD und CDU zu benennen, können Bremer nur mit den Schultern zucken. Es gibt keinen. Selbst die Grünen kreisen inzwischen mit im Mahlstrom des Bremer Einerleis und wissen keine andere Alternative als das Angebot, auch ihrerseits mitzumachen. Die ehrlichsten Großplakate für den jetzigen Wahlkampf hätte die vereinigte Rathausliste der christdemokratischen Sozialdemokraten aufstellen können, und die Grünen hätten sicherlich geschmollt, daß Helga Trüpel nicht mit auf dem Plakat sei.

Die vollständige Entpolitisierung Bremens zu bejammern, ist jedoch wenig hilfreich. SPD und CDU haben ihre Funktion als politische Parteien verloren. In Bremen wird besonders deutlich, daß die Parteien nur noch dazu da sind, das politische Establishment personell hervorzubringen. Diese inhaltliche Funktionslosigkeit prägt das Gesicht der Parteien. Es ist kein Zufall, wenn Christian Weber, der Fraktionsvorsitzende der SPD, von seiner Partei als einem harmonischen "Haufen" spricht. Ein Haufen ist eine unstrukturierte Ansammlung, die nur durch ihre diffuse Masse wirkt.

Gänzlich falsch wäre es aber, dies einzelnen Personen anzulasten - etwa Henning Scherf. Die SPD oder auch Bremen hat das Glück, mit ihm den denkbar vollkommensten Repräsentanten für diese Verhältnisse zu besitzen. Scherf versteht es meisterhaft, die Leere der bremischen Politik zu kaschieren. Durch ihn wird die Gefahr vermieden, daß durch Hohlköpfe das entpolitisierte System vollends diskreditiert wird.

Der Grund für diesen Zustand liegt in der Wahnsinnsschuldenlast, die auf Bremen lastet und immer noch gewachsen ist. An die Zahl von etwa 20 Milliarden Mark haben sich inzwischen alle gewöhnt. Man muß schon mit spektakulären Vergleichen kommen: Die Auslandsschulden des wirtschaftlich zerrütteten Jugoslawiens etwa betrugen vor dem NATO-Angriff 18 Milliarden Dollar. Der Winzling von der Weser trägt mehr als die Hälfte. Helfen könnte nur ein Wunder von außen. Ob Scherf und Perschau daran glauben? Oder igeln sie sich fatalistisch ein mit immer größerer Distanz zur Wirklichkeit? Eine Repolitisierung verlangte, diese Inselmentalität zu durchbrechen.

Offensichtlich wagt das keiner. Alle Welt applaudiert im Augenblick Hans Eichel für seine Ankündigung härtester Sparjahre. Weiß Bremen, was das bedeutet? Zwar hören wir gelegentlich Kassandrarufe, die andeuten, ohne Konsolidierung der Staatsfinanzen sähe Bremens Zukunft als selbständiges Bundesland düster aus. Und auch das endgültige Ende aller zusätzlichen Bundeshilfe wird konstatiert. Aber niemand sagt, zu welchen Konsequenzen das führen müßte. Selbst wenn der kommende Wirklichkeitsschock Bremen erschüttert, wird die gegenwärtige und zukünftige Regierung keinen Ausweg wissen. Sie hat längst vergessen, was Politik ist.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5833 vom 12.5.1999

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"Schröderplan für den Balkan"

Wirtschaftshilfe soll Gräuel in der krisengeschüttelten Region stoppen

Gastkommentar von Ex-Senator Horst-Werner Franke (SPD)

Wer könnte schon dagegen sein, die Verbrechen jeder Seite zu verurteilen. Wer hat schon ein gutes Gewissen bei Angriffskriegen ohne UN-Mandat. Und deutsches Militär im Einsatz auf den Kriegsschauplätzen Hitlers muß uns entsetzen. Warum also nicht bei denen unterschreiben, die gegen unsere Beteiligung am Krieg in Jugoslawien sind? Wir Linken haben unser politisches Leben lang die Proteste gegen das Unrecht in dieser Welt unterschrieben. Unsere Proteste sind Leerformeln gegen Gewalt und Unterdrückung, solange sie den Mächtigen nichts anderes sagen, als daß sie aufhören sollen. Glauben wir wirklich, mit dem Ende der Militärschläge hörte Milosovic mit den ethnischen Säuberungen auf? Die Greuel und Massaker an anderen Volksgruppen sind Bestandteil seiner Politik seit langem und uns allen sattsam bekannt. Unser linker Schrei, den Wahnsinn zu beenden, beruhigt uns und bewirkt nichts. Natürlich steht dann noch am Ende dick gedruckt die Aufforderung an die Bundesregierung, "sich verstärkt für eine politische Lösung des Konfliktes einzusetzen". Solcher Allgemeinplätze bin ich überdrüssig. Solche Aufforderungen an die Regierung, gut zu handeln und niemandem zu schaden, beruhigen mein Gewissen nicht mehr.

Daß das ethnische Konglomerat auf dem Balkan nicht mit Luftschlägen zu ordnen ist, geht allmählich auch denen auf, die Tarnkappenbomber für weiterentwickeltes Polizeigerät halten, dessen Erprobung dem gesetzestreuen Teil der Menschheit diene. Wenn also die SPD als Regierungspartei sich nicht in die Gemeinplätze von verstärkten diplomatischen Bemühungen flüchten will, muß sie die Bundesregierung auffordern, endlich das zu tun, was schon längst hätte getan werden müssen: So wie Westeuropa nach dem letzten Weltkrieg durch den Marshallplan aus der Katastrophe geführt worden ist, braucht die Balkanregion ein sehr konkretes, sehr großzügiges und sehr wirkungsvolles wirtschaftliches Hilfsprogramm. Der EU-Ratsvorsitzende könnte einen Schröderplan für den Balkan vorschlagen, der keine Augenwischerei sein darf, sondern der den Westen und natürlich die Deutschen einiges kostete. Wer den Finanzstreit der Europäer in Berlin erlebt hat, kann mit Recht daran zweifeln, daß Europa dazu fähig ist. Die gegenwärtige Ratspräsidentschaft muß hier das Beispiel liefern. Natürlich kostet das Opfer und verlangt unser aller Geld. Es mag irre vorkommen, jetzt nicht nur Mazedonien und Albanien, sondern auch Milosovic wirkungsvolle Wirtschaftshilfe anzubieten. Viel Geld aber ist die einzige Alternative zu viel Militär. Wer der schwachen Demokratie in Serbien aufhelfen will, muß schnell wirkungsvolle Wirtschaftshilfe bringen. So allein gewinnt die Opposition in Serbien die nötige Bewegungsfreiheit, und können die ethnischen Säuberungen gestoppt werden. Selbstredend ist der Marshallplan für den Balkan an den Aufbau der Friedensordnung gekoppelt.

Dafür die SPD zu gewinnen, macht Sinn, obwohl die Unterschriften zögerlich kommen werden. Sollen wir für die Idioten da unten auch noch zahlen? Mögen sie sich umbringen, wenn sie Lust dazu haben, wird es an den Stammtischen heißen. Und Bonn wird uns für verrückt erklären, einer Regierung im Verschiß noch so etwas aufzuhalsen. Aber Serbien soll eben nicht sterbien. Dazu bedarf es mehr als der Forderung nach verstärkten diplomatischen Bemühungen.

taz Bremen Nr. 5801 vom 1.4.1999

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Auf du und du mit den Hessen

Sozis, vergesst Rot-grün!

Die Bremer Grünen sind ein Chaosclub ohne Regierungsprofil / Bonn wird auf einen anderen Retter warten müssen

Endlich macht es wieder Sinn, ein Bundesland zu sein. Nach dem hessischen Wahldebakel wird Bremen Bonn retten. Oskar, deine Sanierungsmilliarden tragen reichlich Zinsen! Im Juni bringt dir das rot-grüne Bremen die Bundesratsmehrheit zurück. Zwar sind die roten Nordlichter noch verwirrt ob dieser Chance, doch Bremens Grüne wissen endlich, wozu sie da sind: Die Schmach von Wiesbaden wird an der Weser getilgt. Der Bremer Fortschritt streitet für Rot-Grün. Wer hier nicht mitmacht, hilft Stoiber weiter auf die Beine.

Wenn es doch so einfach wäre! Fangen wir bei der Binsenweisheit an, daß Rot und Grün nur regieren können, wenn diese Mischung als probates Regierungsmittel auch in den Köpfen der Wähler existiert. Rot-Grün in Bonn ist aber immer noch nicht mehr als ein Antidot zur Entfernung von Kohl. Wie der Chaosclub bis zum Juni anerkanntes Regierungsprofil entwickeln soll, weiß derzeit keiner. Die Identitätskrise der Grünen hat erst begonnen. Die Wählerzweifel, wozu es gut sein soll, grün zu wählen, werden wachsen und die Partei weiter lähmen. Grün ist kein Meinungsführer mehr, wenn es darum geht, den Deutschen ihre Zukunftsangst zu nehmen. Die SPD kann hier nicht helfen. Sie läuft Gefahr, auf dem Weg zur Kanzlerpartei selber sprachlos zu werden. Wer sind wir eigentlich, fragen sich nicht nur die Grünen. Wenn aber niemand weiß, was rot-grüne Politik konkret dem Lande bringen kann, bleibt Aufbruchstimmung aus. Hessen ist das Beispiel.

Für Bremen gilt vorerst nichts anderes. Ihr gegenwärtiges Image gewinnt die SPD allein als Partei der Großen Koalition. Niemandem ist erkennbar, was die SPD ohne CDU anders machte. Aus der Verbindung mit der CDU erwächst nicht nur kein Leidensdruck für die SPD, sie fühlt sich vielmehr sichtlich wohl in dieser Ehe und unterstreicht das auch bei jeder Gelegenheit. Die Bremer SPD kennt kein anderes Wahlziel als Henning Scherf wieder zum Bürgermeister an der Spitze einer Großen Koalition zu machen. Und wenn sie sich nicht zu bescheuert anstellt, wird sie das Ziel erreichen. Die Entpolitisierung der Politik in Bremen infolge Haushaltsnot, die inzwischen eingetretene Verwechselbarkeit von SPD und CDU wird dem Wähler nur eine interessante Frage stellen: Soll Scherf Bürgermeister der vereinigten SPD und CDU bleiben. Und weil dazu keine Alternative existiert, gibt es nur eine Antwort.

Sollten Scherf und die SPD in den nächsten Wochen erkennbar machen, daß Rot-Grün für sie in Bremen denkbar oder gar wünschenswert sei, könnte urplötzlich aus Perschau die Alternative zu Scherf werden. Doch die Gefahr besteht nicht. Die Bremer SPD muß sich aus vielerlei Gründen einem rot-grünen Bündnis verweigern. Nicht nur, weil sie gar nicht wüßte, was ein von ihr geführter rot-grüner Senat in Bremen anstellen sollte, sondern weil auch die Grünen in Bremen für niemanden eine Herausforderung sind, es mit ihnen zu versuchen. Partner, mit denen man sich verbinden will, müssen einschätzbar sein. Wofür stehen künftig die Bremer Grünen? War schon schwer genug erkennbar, wofür sie bisher standen, kann nach dem Kandidatenschlachtfest vollends keiner kalkulieren, wozu Grün im Senat gut wäre. Wenn selbst der herbeigeeilte Altvater Fücks das Chaos kaum zu bändigen vermag, wie soll dann Regierungsattraktion entstehen. Trüpel und Mützelburg sind jetzt Fossile aus vergangenen Zeiten, deren Regierungsverläßlichkeit keinen Roten vom Sitz reißt. Nein, Bremens Grüne verführen niemanden zum Regieren. Selbst wenn Bremens SPD keine Schlafmützenpartei wäre und den Drive zum Ausbruch aus der Großen Koalition hätte, sie fände derzeit keinen Partner.

Bremens Zukunft hängt daran, wie bis 2004 der Finanzausgleich mit Bund und Ländern gefunden wird. In einer polarisierten Republik wird es für den Stadtstaat sehr schwer werden, Verständnis und Unterstützung bei vielen zu finden. Die Große Koalition wird damit argumentieren, daß ihr allein der Spagat über die Fronten gelänge. Grün müßte schon sehr attraktiv sein, um dagegen anzukommen. Es ist wirklich jammerschade, aber Bonn wird auf einen anderen Retter warten müssen.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5760 vom 12.2.1999

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Gastkommentar

Zukunft des Landes unsicherer denn je

Düstere Aussichten - trotz Bonner Milliarden und Wirtschaftsaufschwungs

Ein Hundsfott, wer jetzt noch Bremens Zukunft bezweifelt. Der Bremer Glücksfall Lafontaine sorgt schließlich dafür, daß bis 2004 ein letztes Mal die Bonner Quellen sprudeln und 7,7 Milliarden Mark in Bremens Haushaltslöcher fließen. Was kann jetzt noch passieren?

Die Große Koalition sieht sich gerettet. Um diese Jahreszeit verbreiten sich wundersame Mär traditionsgemäß leichter. Wunder sind aber jetzt in Bremen gefragt. Bremen hat ja schon einmal fast 10 Milliarden aus Bonn erhalten, um seine Wahnsinnsschuldenlast von damals 16 Milliarden Mark zu verringern. Die nämlich sind es, die das Land zerstören. Fast ein Viertel der Bremer Einnahmen dienen allein dem Zinsdienst. Die zehn Milliarden sind verbraucht, doch Bremens Schuldenlast beläuft sich jetzt auf zugegebene 17 Milliarden - realistisch wohl 20 Milliarden Mark - und damit mehr als je zuvor. Die Zukunft des Landes ist unsicherer denn je.

Das erste Wunder, das der Senat vollbringen muß, heißt also, die neuen und letztmaligen Bonner Milliarden diesmal wirklich zur Schuldenreduzierung zu verwenden. Weil nach wie vor im Haushalt große Deckungslücken klaffen, ist die Versuchung groß, die neuen Bonner Milliarden auf den Weg der alten ins Bremer Finanzloch zu schicken. Doch selbst wenn das erste Wunder glückt, wie soll es nach 2004 weitergehen? Stärkung der Wirtschaftskraft heißt ein nächstes Wundermittel. In der Tat, die jetzt erzielten 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum sind eine großartige Leistung. Aber schon Volker Kröning rechnete dem Senat als Finanzsenator vor, daß Bremen zweistellige Wirtschaftswachstumsraten erzielen müßte, damit beim Finanzausgleichssystem sich eine positive Wirkung bemerkbar macht. Weil Wirtschaftswachstum mit dem Länderfinanzausgleich verrechnet wird, verliert Bremen dort, was es hier aus der Stärkung seiner Wirtschaftskraft gewinnt. Schon beim damaligen Karlsruher Verfahren stellten Bremens Gutachter fest, daß der auf Sand baue, der die Sanierung der Bremer Finanzen von der Stärkung der Bremer Wirtschaftskraft erhoffe.

Die nächste Wunderwaffe heißt Einwohnerzuwachs. Einwohner bringen nämlich das meiste Geld beim Finanzausgleich. Bei der ursprünglichen Sanierungsplanung ging der Senat einmal davon aus, daß bis 2007 in Bremen 60.000 Einwohner mehr leben. Bis heute sinkt die Zahl. Es gibt keinen Wanderungsgewinn. Billiges Bauland kann keine Wende bringen, die sich in absehbarer Zeit auszahlt. Bremen bleibt Gefangene ihrer engen Stadtgrenzen und leidet weiter unter der Kluft zum Umland.

Es liegt mehr als ein Hauch von Tragik über der Bremer Politik, wer immer sie verantwortet. Was auch entschieden wird, es führt zu keiner Lösung der Finanzprobleme des Kleinsten im Bunde. Aus Bonn kam diesmal nur die neuerliche Hilfe, weil auch das Saarland sie braucht. Damit dürfte 2004 endgültig Schluß sein.

Nun soll just zu dem Zeitpunkt auch die neue Finanzverfassung stehen. Wenn Bremen in ihr keine besonderen Möglichkeiten erhält, ist seine Zukunft als Bundesland sehr ungewiß. Der Senat täte gut, sein Krisenmanagement auch darauf auszurichten. Wunder gibt es nicht immer wieder.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5726 vom 4.1.1999

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Gastkommentar

Köpfe nach DIN?

Nicht prüfbar: Persönlichkeitsbildung

Mit Ausdauer praktizierter Unsinn bleibt am Ende das, was er ist. Bremens Bildungsverwaltung wird es nicht gelingen, das in Jahrzehnten angesammelte pädagogische Reformwissen außer Kraft zu setzen. Unstrittig ist nämlich bei allen aufgeklärten Köpfen, daß die Ergebnisse von Schule exakt zu messen, äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Den in Ziffern ausgedrückten Zensuren traut ohnedies keiner mehr, weil niemand weiß, mit welcher Latte hier gemessen wird. Die Wirtschaft ist längst dazu übergegangen, die Abgangszeugnisse durch standardisierte Tests zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Die beste Schulbildung hätten dann die genossen, mit denen systematisch im Unterricht die gängigen Tests eingeübt worden wären. Eine grauenhafte Vorstellung für alle, die sich von Schule erhoffen, daß da Persönlichkeiten entfaltet werden.

Inzwischen kann jeder Dienstleistungsbetrieb zum TÜV gehen und sich ein Zertifikat dafür holen, daß bei ihm ständig die gleiche Qualität produziert wird. Das ist nach dem Gusto der Bildungsverwaltungen aller Orten. Den Deutschen Industrienormen (DIN) treten jetzt die Deutschen Schulnormen (DSN) zur Seite. Von NRW bis Bremen, die Sozis wollen überall ihr Odium loswerden, ihre Schulen leisteten zu wenig. Schulranking heißt die neue Mode.

Schulautonomie hieß das letzte Schlagwort, mit dem die Pädagogen in die Freiheit entlassen wurden. Eine Scheinfreiheit, wie wir jetzt merken, gerade dafür gut, fehlende Mittel vor den Eltern zu verantworten. Wie immer es gedreht wird, das Gitternetz aus vorgegebenen Tests gleichmäßig über die Schullandschaft der Stadt gelegt, wird die Misere bildungsferner Stadtteile verdeutlichen und die Kollegien hierfür in Haftung nehmen. Ob testbeste Schulen allerdings für das Leben richtig vorbereiten, darf füglich angezweifelt werden.

Ist also dem Widerstand von GEW und Lehrerkollegien gegen die neuerliche Testerei Sieg zu wünschen, damit alles beim alten bleiben kann? Natürlich nicht, weil Schule in der Tat aus der subjektiven Beliebigkeit einzelner Lehrer und Kollegien herausgeführt werden muß. Die erzwungene Außenkontrolle ist aber der schlechteste Weg. Lehrer müssen motiviert werden, ihren Unterricht zu reflektieren und für andere transparent zu machen. Die gegenseitige Hospitation ist hierfür ein bislang kaum geübtes Instrument. Unterrichtseinheiten in Parallelklassen können auch schulübergreifend verabredet werden, an deren Ende gemeinsam verfaßte Erfolgskontrollen stehen sollten. Kurzum, in den Kollegien müssen pädagogische Prozesse in Gang kommen, die von den Lehrern selbst initiiert werden. Vergleichbare Schulen müssen ihre Arbeit vergleichen, fachliche Zielvorstellungen für Abschlüsse in den Kollegien und zwischen Schulen verabredet werden. Frustrierte Lehrer in Verweigerungshaltung verursachen nur Schuldesaster. Die Welt lernt durch Rückkoppelung. Die aber findet in unseren Schulen kaum statt. Und für Behörden gilt das Prinzip natürlich auch. Wann wird man am Rembertiring gelernt haben, welchen Irrweg man mit den verordneten Tests beschreitet?

Frustrierte Kollegien zu motivieren, bedarf allerdings mehr als nur guter Worte. Hospitationen, Fachkonferenzen, schulübergreifende Besprechungen kosten Lehrerstunden. Die Repädagogisierung der Schulen ist nicht zum Nulltarif zu haben. Vermutlich wäre aus dem allgemeinen Stundenbrei dafür noch manche Stunde zu gewinnen, wenn man das Vertrauen der Kollegien hätte. Durch Zwang von außen gewinnt man es nicht.

Horst-Werner Franke (Ex-Bildungssenator)

taz Bremen Nr. 5656 vom 10.10.1998

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Gastkolumne

Politik bedeutet Handeln

Bremens finanzielle Eigenständigkeit endet im Jahre 2004

Alle Hoffnung ruht auf einem einzigen Satz. "Im Jahre 1997 überprüfen Bund und Länder gemeinsam in Anlehnung der dann gegebenen Haushaltslage aller Länder, ob zur Haushaltsstabilisierung Bremens und des Saarlandes weitere Sanierungshilfen erforderlich sind."(§ 11 Abs. 6 Satz 2 Finanzausgleichgesetz) Es lohnt nicht, die juristische Sprödigkeit dieses Satzes aufzudröseln. Das Jahr 1997 ist vorbei. Nur Narren spulen diesen Satz weiter von ihren Gebetsmühlen. Die Fakten sind anders.

Offenbarungseid

War 1994 am Beginn des Sanierungszeitraums als schlimmster Fall befürchtet worden, Bremen würde trotz der jährlichen Hilfen von 1,8 Milliarden Mark seine damals mit 16 Milliarden Mark bezifferten Schulden bis 1998 nicht gänzlich auf die verabredeten 9,7 Milliarden senken können, lautet der Offenbarungseid nun, daß Bremen am Ende der Sanierung statt der damals als ungeheuerlich empfundenen 16 Milliarden mehr als 20 Milliarden Mark Schulden tragen muß.

Die Situation wird nicht dadurch erleichtert, daß Bremen im letzten Jahrzehnt äußerste Haushaltsdisziplin gewahrt hat und der Sparsamsten einer im Lande war und ist. Damit wird nur unterstrichen, daß der Stadtstaat im förderativen System der Bundesrepublik nicht lebensfähig ist. Das wird als Überzeugung der Ländergemeinschaft gegenüber Bremen offen ausgesprochen. Der Bund, der seine eigenen Schulden seit 1991 verdoppelt hat und finanziell nicht weiter- weiß, unternimmt nichts gegen die Verweigerungshaltung der Länder.

Gigantische Schuldenlast

Und wer noch weiß, wie schwer sich seinerzeit Karlsruhe getan hat, um in Sachen Bremen überhaupt zu einem Spruch zu kommen, kann auch auf kein neues Urteil hoffen. Sechs Jahre gilt noch das gegenwärtige finanzielle Ausgleichssystem im Bund, das Bremen ein Existenzminimum von 92 Prozent des jeweiligen Bundesdurchschnitts gewährt. Angesichts der gigantischen Schuldenlast findet Politik in Bremen dann nicht mehr statt. Was nach 2004 kommt, weiß noch niemand, aber sicherlich keine ausreichende Alimentierung durch die anderen.

Bremen als belagerte Festung

Bremen gleicht also einer belagerten Festung, die nicht gestürmt, sondern ausgehungert werden soll. In coolen Sprüchen sagen das die Geberländer schon jetzt. Natürlich weiß man auch im Hause des Festungskommandanten Bescheid. Der Rücktritt des letzten Finanzsenators hatte ganz sicherlich auch hier seine Ursache. Kluge Banker wissen, wann Schluß ist. Noch will keiner das Tabu brechen und über das Ende von Bremens Selbständigkeit reden. Aber Beschwörungsformeln durchbrechen nicht den Belagerungsring.

Die Tabuisierung ist so stark, daß der Senat es nicht einmal wagt, eine interne Arbeitsgruppe darauf anzusetzen, die Folgejahre nach 1998 zu bedenken, wenn kein Geld mehr aus Bonn kommt und der 1999er Haushalt nicht mehr ausgeglichen werden kann. Auch in Parlament und Parteien fragt keiner danach - noch nicht. Neue Schulden wären eine Wahnsinnstat. Der Ausweg hülfe auch nicht lange, weil die Verweigerung der Kredite durch seriöse Banken bald in Sicht käme. Das Tafelsilber ist verscherbelt, und irgendwann sind selbst die Gardinenstangen abgenommen. Das gehört zum Konzept der Aushungerer. Bremen muß das Gesetz des Handelns wieder für sich zurückgewinnen.

Senat muß Modell entwickeln

Bremen muß offensiv werden. Der Senat muß die Möglichkeit einer Länderneugliederung selbst thematisieren und selbst Modelle entwickeln. Er muß aufhören mit dem Verkauf von wichtigem Stadteigentum, das für die Zeit danach erhalten werden muß. Er muß mit Hannover verhandeln, weil eine Ländererneuerung in Norddeutschland radikale Veränderungen in bisherigen Verwaltungsstrukturen bewirkt. Der Großraum Bremen gewönne ein ganz neues Gewicht. Der Speckgürtel würde gesprengt und anders mit Bremen verbunden. Oldenburg, Osnabrück, Hannover bekämen die Auswirkungen zu spüren. Darüber muß verhandelt, aber vor allem zuerst nachgedacht werden.

Die Neuordnung kommt

Daß diese Neuordnung einmal kommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Zeit bis dahin kann lang werden. Bremen darf sich aber den anderen nicht erst dann ausliefern, wenn sie es finanziell erdrosselt haben. Es muß vorher seine Bedingungen artikulieren. So nur macht man Politik.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5436 vom 20.1.1998

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Gastkommentar

Parlament gekappt

Ex-Senator Franke über McKinsey, Finanzen und die Bürgerschaft

Wo ein Bundesland, da ein Landesparlament. Bei so viel Selbstverständlichkeit fragt niemand, wozu das gut sei. Da wäre zum Beispiel das parlamentarische Urrecht, über die Staatsfinanzen zu entscheiden.

In Bremen allerdings können zwei von der Verfassung nicht vorgesehene Herren, nämlich Bernd Neumann und Detlev Albers, dem Parlament erklären, daß es vorerst keine Staatsfinanzen zu bescheiden gibt. Und wenn es wieder soweit ist, gehört alles Geld entweder den Banken oder wird vom Freikorps Haller dem Parlament vor der Nase wegrequiriert. Wer die Haushaltsdebatten der Bürgerschaft in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß, daß hier nur eine Registratur am Werke ist, die Schimäre eines Verfassungsorgans.

Selbstredend ist das nicht Schuld der Parlamentarier. Der überschuldete Stadtstaat muß auf ein in Haushaltsdingen entscheidungsfähiges Parlament verzichten. Die große Bremer Staatsreform gründet darum auf Technokratenrat. McKinsey kann Firmen analysieren und verbessern. Wie der demokratische Verfassungsstaat politischen Willen artikuliert, kann nicht Sache von Unternehmensberatung sein.

So darf es keinen wundern, daß bei der Optimierung des Bremer Staatsgebildes nach McKinsey Parlamentarismus nicht mehr vorgesehen ist. Am Schicksal des Kulturressorts wird das überdeutlich. Bürgerschaft und Deputation bleiben künftig weg. Ein Mischmasch aus Verwaltung und Betroffenen rangelt sich um die knappen Mittel.

Dem Technokratenregime gehört die Zukunft. Hibeg-Mauschelei und Vulkan-Pleite verbrauchen jedoch am Ende unkontrolliert Milliarden Steuergelder. McKinseys Empfehlung für Hafen- und Wirtschaftsressort ändern nichts. Wo die Kontrollinstanz Parlament gekappt wird, wuchert Technokratenherrschaft. Im Unterschied zur freien Wirtschaft, wo McKinseys Ratschläge gut und teuer sind, fehlt bei der staatlichen Verwaltung der entscheidende Sanktionsmechanismus: Sie kann nicht pleite gehen.

Bremens Parlamentarier wollen indes von ihrer Wichtigkeit nicht lassen. Von allen Bundesländern geben in absoluten Summen nur Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen mehr Geld für ihr Parlament aus als die Bremer, die trotz gegenwärtiger und kommender Entmachtung der Bürgerschaft von ihren hundert Abgeordneten nicht lassen wollen.

Selbst Bayerns CSU, bei Pfründenvergabe sonst nicht zimperlich, verkleinert den Bayerischen Landtag. Bremens Beitrag zur Parlamentsreform aber lautet: Seit 1973 Steigerungsrate der staatlichen Zahlungen an die Bürgerschaftsfraktionen 1000% (Quelle Statistisches Bundesamt). Einsame Spitze! H.W. Franke

taz Bremen Nr. 5397 vom 2.12.1997

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Gastkolumne

Teerhof? Dämlichkeit!

Vieles Falsche wächst sich aus, geht erst die Zeit über die Fehler der Politik hinweg. Doch manchmal konservieren Beton und Ziegel politische Dummheit auf ewig. Bremens Denkmal für politische Dämlichkeit ist der Teerhof. Aus der entsetzlichen Kriegswunde einer von Bomben plattgemachten Weserinsel inmitten der Stadt war dem Senat eine einmalige städtebauliche Chance zugefallen: Die große Flußinsel mitten zwischen Neustadt und Altstadt konnte eine Vitalitätszone werden, durch die die immer noch spürbare historische Trennlinie zwischen den städtischen Uferregionen links und rechts der Weser ein für allemal überwunden und vom Leibnitzplatz bis zum Wall ein urbanes Kraftfeld geschaffen werden konnte.

Dieses städtebauliche Sahnestück setzte der Kreativität kühner Stadtplaner keine Grenzen. Andere Großstädte hatten vorgemacht, wie weit ins Land ausstrahlende Urbanität hergestellt werden kann. Köln, Frankfurt, Stuttgart haben in ihren Innenstädten umgeben von attraktiven Kaufzentren kulturelle Reizzonen geschaffen und lassen das Publikum zwischen Warentempeln und höchst lebendigem kulturellen Entertainment hin und her strömen. Daß Bremens Innenstadt auch so ein Besuchermagnet sein müßte, konnten damals selbst schlichte Gemüter wissen, die es in die Politik verschlagen hatte. Die Chance war also da, mit der Teerhofbebauung eine in deutschland einmalige urbane Flußlandschaft entstehen zu lassen. Wo gab es das sonst, eine Altstadt mit einzigartigen historischen Bauwerken dicht an den Fluß gedrängt, attraktive Uferpartien, eine Neustadt, die sich im Uferbereich kulturell mauserte und mittendrin die bebauungsreife leere Flußinsel!

Der heutige Teerhof ist das steingewordene Abbild der Jämmerlichkeit Bremer Politik. Natürlich gab es Vorschläge für eine kulturelle Bebauung. Als Kaffee-Schilling die Weserburg aufgab und sie billig an die Stadt fiel, war der kulturelle Nukleus da: Ein modernes Sammlermuseum sollte her, wie es bis dahin in Deutschland nicht existierte. Erfahrungsgemäß sind aber Musen für zeitgenössische Kunst nur attraktiv, wenn sie nicht isoliert existieren, sondern mit Kontrastmuseen verkoppelt werden. Bremens Focke-Museum ist ein sehr reizvolles historisches Museeum, das aber unter seiner Randlage leidet und niemals an den innerstädtischen Besucherströmen partizipieren kann, außerdem baulich schlecht dran ist. Es brauchte also einen mit der Weserburg verkoppelten Neubau auf dem Teerhof. Bremens freie Theatergruppen gehörten damals zu den besten der Republik. Für sie mußte eine Spielstätte auf den Teerhof. Um dieses Zentrum hätten sich Läden, Werkstätten, Kneipen, Ateliers, Galerien etc. entwickelt, wie wir es andern Orts sehen, ein paar extravagante Wohnungen dazu.

Daß sich heute eine öde Yuppieschlafstadt ausbreitet und abends Leere gähnt, wo urbanes Leben pulsieren sollte, ist Ausfluß Bremer Besonderheit. Natürlich mischen Baulobbyisten in allen Großstädten mit. Wir kennen schließlich den Spruch, wonach jede Bauverwaltung korrupt sei. In Bremen war es aber wohl mehr eigenes Gestaltungsunvermögen. Dem stadtprägenden Mittelmaß fällt nichts ein. Der Kultursenator wurde schließlich mit dem Argument gekauft, er bekäme sein bislang entschieden abgelehntes Sammlermuseum Weserburg und eine Option für das Focke-Museum im ehemaligen Fernmeldeamt der Post in der Langenstraße gleich neben dem Schütting. Die Teerhoflobby sei außerdem bereit, ein Drittel des Areals für kulturelle Zwecke herzurichten. Das brachte auch den Beirat Neustadt auf die Bretter. Es gibt noch einen Zettel aus der Entscheidungsschlacht, auf den der Kultursenator den Preis für seine Kapitulation notiert hat.

Natürlich sind wir alle angeschissen worden. Das kulturelle Drittel ist nie gekommen. Das Focke-Museum dümpelt am Stadtrand weiter vor sich hin, der Teerhof ist städtebaulich tot wie eine Müllhalde gehobenen Bedarfs. Einzig die Baulobby konnte kräftig absahnen. Was jetzt als Schlußmaßnahme beim Teerhof rauskommt, ist Totenschmuck und hilft keinem. Bei allem Zorn wollen wir nicht lästerlich sein und uns etwa eine neue Plattmache für den Teerhof wünschen. Das Schandmal bleibt.

Horst-Werner Franke, (betroffener) Kultursenator a.D.

taz Bremen Nr. 5363 vom 23.10.1997

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Gastkommentar

CDU-Versorgungsgarde

Horst-Werner Franke über das Gespann Scherf-Perschau

Versuchsanordnungen, die eindeutige Aussagen über die künftige Entwicklung erlauben, sind in der Politk selten. In Bremen braucht diesmal nicht im Kaffeesatz gelesen zu werden, wie es mit Scherf-Perschau weitergehen wird. Natürlich weiß jeder, daß der neue Finanzsenator und Bürgermeister aus der CDU-Versorgungsgarde stammt, über die Kohl seine Fittiche gebreitet hat, genau wie Neumann. Das muß kein Nachteil für Bremen sein, wenn Kohl Kanzler bleibt. Ein Kanzler Schröder wird sich aber für solchen CDU-Altfilz nicht erwärmen.

Was im Augenblick jedoch in Bremen interessiert, ist das künftige Koalitionsklima. Weber und Neumeyer werden sich weiter umhalsen. Wie aber wird Neumann-Spezi den Auftrag seines Meisters umsetzen, Scherf deutlich zu schwächen? Darüber werden wir bald Klarheit haben. Staatsrat Hoffmanns Schicksal entscheidet über das neue Koalitionsklima. Er hätte sich nicht träumen lassen, daß sein inzwischen schon prähistorischer Finanztrick für den Schulbau Jahre später hochpolitische Bedeutung bekommen würde. Bleibt Hoffmann, hat Scherf die Eröffnungsoffensive Neumanns abgeblockt, stürzt Hoffmann, bricht Scherfs politische Hauptbastion zusammen. Von dieser Schwächung wird er sich schwer erholen. Für Neumann gilt alles umgekehrt: Er muß Hoffmann stürzen, will er nach Nölles Rücktritt wieder politische Dominanz zeigen. Bleibt Hoffmann, ist Neumanns Auftritt in der neuen Ära von Anfang an verpatzt.

Natürlich weiß Henning Scherf, worum es geht. Niemand kann ihn nach der Rechtslage zwingen, Hoffmann zu entlassen, keine Bürgerschaft und kein Senat. Staatsräte hängen in Bremen allein am Senator oder Bürgermeister. Hoffmann kann nur fallen, wenn Scherf ihn preisgibt, wohlgemerkt für eine Handlung, die Scherf als damaliger Bildungssenator politisch verantwortet. Der Countdown läuft. Den hochpolitischen Ausgang entschärft auch kein Gutachter. Kluge Politik vergibt nur Gutachten, wenn das Resultat vorher bekannt ist.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5333 vom 17.9.1997

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Gastkommentar

Bremen braucht Scherf!

Er ist das Licht in de Hoffnungslosigkeit

Scherf ist ein guter Bürgermeister. Wer auf den Justizsenator schlägt, darf nicht den Bürgermeister treffen. Als senatorischer Traumtänzer allerdings hat Henning Scherf lange Nachwirkung. Ob es die antizyklische Personalpolitik war, die Bremens Verwaltung aufblähte, die Neuordnung der Sozialen Dienste, die Chaos stiftete, oder die Schulautonomie unter Einschluß der Arbeitszeitregelung für Lehrer, die jetzt verwirrt, stets mußten Nachfolgerinnen und Nachfolger die guten Taten des Chaosstifters Scherf ausbaden. Die Spur des Justizsenators wird dieser Tage sichtbar.

Für die Sünden des Senators Scherf muß es aber ein Generalpardon geben, weil Bremen ihn als Bürgermeister braucht. In diesem Amt kann endlich Frucht bringen, was ihm in den Ressorts hinderlich war: seine Gabe, Realitäten zu negieren und mit Charme eine eigene Wirklichkeit zu stiften. Wer sonst könnte in der Hoffnungslosigkeit des bankrotten Stadtstaates noch Identität vermitteln?

Als Bürgermeister von Bremen hat Scherf die Rolle seines Lebens gefunden. Mit barocken Gesten und pastoraler Segnungskraft beschwichtigt er die ängstlichern Parteien. Scherf glaubt auch in Endzeiten an sich selbst. Bremen braucht das! Mach weiter Henning, aber höchstens mit dem Ressort kirchliche Angelegenheiten nebenbei!

Horst-Werner Franke, als Bildungssenator über Jahre Scherfs Kollege im Senat

taz Bremen Nr. 5227 vom 15.5.1997

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Gastkommentar

Bremen in politischer Agonie

Die Profillosigkeit des Senats setzt sich überall fort

Sie verdienen wirklich das Mitleid des Publikums, die rührenden Versuche, den lethargischen Brei der politischen Provinz Bremen durch Personaldebatten ein wenig in Wallung zu bringen. Streit um Personen, Führungskämpfe, sind zwar das Salz in der politischen Suppe, Bremen wird aber noch Jahre auf diese Würze verzichten müssen.

Wo in Parteien um Spitzenpositionen gekämpft wird, gibt es Flügel und gegeneinander abgegrenzte Gruppierungen, die sich einander falsche Politik vorwerfen. Motor solcher innerparteilichen Dynamik ist der Machthunger von Newcomern, die den Verschleiß der alten Garde für ihre Aufstiegskämpfe nutzen und eine neue Politik proklamieren.

Natürlich hat Bremen eine Erneuerung von Politik und Politikern nötig. Das Kabinett der Unauffälligen stimuliert niemanden. Die interessanteste Person ist ohne Zweifel immmer noch der Oldie Henning Scherf, diese komplizierte Mischung aus Bekennerlust und Opportunismus. Er kann gleichermaßen mit charismatischen Auftritten verblüffen und mit öden Anpassungssprüchen abstoßen. In den Ressorts, durch die er gezogen ist, hat er Spuren hinterlassen, die schwer reparabel sind. Aber er ist eine unverwechselbare Persönlichkeit, ein Charakter besonderer Art. Seine Stärke ist zugleich seine Schwäche: Keiner weiß, wie verläßlich er am Ende eine Position durchträgt und wann es unversehens zu Provokationen kommt. Scherf langweilt nicht durch Beständigkeit. Im Kreise der bundesdeutschen Landesfürsten ist er aber eher ein Leichtgewicht. Man muß nur nachzählen, wie oft und wofür er überregional erwähnt wird.

Wer die öffentliche Berichterstattung über Ressortpolitik in Bremen verfolgt, wird von den übrigen SPD-Senatoren nicht viel wissen, obwohl es ungerecht wäre, Tine Wischer mit den anderen beiden SPD-Nobodies in einen Topf zu werfen. Im Kreis der rosagrauen Mäuse ist sie schon ein Farbtupfer. Wählermassen mobilisieren sie aber alle nicht.

Die CDU hat mit ihrer Regierungsmannschaft keinen Grund zur SPD-Häme. Perschau war als Münch-Kumpan schon vor seiner Bremer Zeit verschlissen. Den einen versorgte Kohl via Entwicklungshilfe in Südamerika, den anderen via Neumann in Bremen. Natürlich darf das Sensibelchen Schulte nicht mit dem Bremer Kantherverschnitt Borttscheller in einen Topf geworfen werden, und Softie Nölle ist der liebenswürdigste Finanzsenator, den man sich denken kann, ein Kontrastprogramm zur SPD liefern sie aber alle nicht. Die Glückskralle eines Ressortgestalters hat keiner.

Wo politische Charaktere und Taten fehlen, sollte Konjunktur sein für Konkurrenten. Und hier beginnt Bremens Elend. Die Profillosigkeit des Senats setzt sich in Fraktionen und Parteien fort. Kennt jemand einen Herausforderer für Scherf? SPD-Landesvorsitzender Detlev Albers oder SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Weber etwa, zwar unbekannt, doch trotzdem existent? Die Namen nennen, heißt sie verwerfen. Scherf bleibt Spitzenkandidat, solange er es will. Am liebsten wäre ihm, er könnte vergessen machen, daß er zur SPD gehört. Von der kommt eh kein Schub. Scherf sollt ihr wählen! Das ist Programm genug.

Die Bremer SPD ist ausgeblutet, dieser Partei wächst gegenwärtig kein politischer Kopf mehr zu. Kein Nachwuchs, rapider Mitgliederschwund, Frust in den Ortsvereinen, kein innerparteilicher Diskurs, wie soll es da zur Erneuerung kommen. Die letzte Personaldebatte hatte die Partei seinerzeit beim Aufstand gegen Wedemeier. Jetzt wartet sie resigniert auf das Ende.

Das kann noch etwas dauern. Die CDU hat Mühe, sich aus der Umarmung des Zombies SPD zu befreien. Es grummelt zwar ein wenig im Wahlvolk, doch für wirklichen Flügelkampf und Aufbruch fehlen Themen und Köpfe. Und Neumann sorgt dafür, daß es so bleibt. Darum bleibt Nölle sein Mann. Solange die Neumann-Herrschaft nur ein biologisches Ende nehmen kann, läuft die Bremer CDU Gefahr, den Weg der SPD zu gehen, steril und dumm dahin zu vegetieren. Eigentlich müßten ihr Bremens Erneuerungskräfte zuwachsen. Statt dessen wächst die Zahl der politischen Abstinenzler. Die Partei der Nichtwähler wird die nächste Wahl bestimmen.

Bremen in politischer Agonie. Das ist die Wirklichkeit der Stadt. Wo aber nur die Geister der Vergangenheit beschworen werden, und alles bleiben soll, wie es schon immer war, und Politik sich darin erschöpft, den Staatsbankrott vor sich herzuschieben, bleibt nur der Ausweg ins Private. Erneuerungsmodelle, die auch den Status Quo in Frage stellen, sind gefragt. Die Großen halten sich erschöpft umklammert. Wo bleibt der Einfallsreichtum der Kleinen? Grün sollte doch gut sein für nonkonformes Denken. Ich fürchte, mit Fücks entschwand auch hier die letzte Hoffnung. Der letzte macht das Licht aus.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 5024 vom 11.9.1996

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Gastkommentar

Siechender Winzling

Noch nie haben westdeutsche Politikerherzen so heiß für die PDS geschlagen wie nach ihrem Sieg über die brandenburg - berlinischen Vereiniger. Die Ossi-Partei soll mit ihrem siegreichen Kampf 3,5 Millionen Westberlinern über ihre ostdeutschen Randbürger tatsächlich die westdeutschen Kleinstaaten gerettet haben, tönt es von Saarbrücken bis Bremen.

Überlassen wir Berlin und Brandenburg ihren eigenen Wachstumsgesetzen. Die Vernetzung beider Länder schreitet unaufhaltsam voran, weil der Politik in Berlin und Potsdam auch nach der Volksabstimmung die Erkenntnis bleibt, daß beide Länder bei Wirtschaft und Raumordnung zusammengehören. An Weser und Leine aber gibt es nicht den Hauch von kreativem Denken über die Landesgrenzen hinweg. Der Regierungspräsident von Hannover hat das, was in Kabinett und Parlament gehört, jüngst vertrauensvoll in die Hände des Diepholzer Oberkreisdirektors gelegt; der soll nun die Landesgrenzen überwinden. Kreistagsbeschlüsse an die Stelle von Staatsverträgen. In Bremen könnten dementsprechend die grenznahen Ortsämter federführend werden. Krähwinkel feiert Urständ, und der Bürgermeister tönt: "Das Volk von Brandenburg hat uns gerettet."

Als ob Bremen neuerdings imstande wäre, die erdrückende Schuldenlast jemals zu tilgen. Inzwischen weiß jeder, daß nach Auslaufen der Bundeshilfe die Schulden nicht abgetragen, sondern größer sein werden.

Die weitere Verelendung der öffentlichen Bereiche ist die unausweichliche Folge. Was jetzt an Verzichten den Bremern zugemutet wird, ist erst der Anfang. Schattenhaushalte, auf Pump gebaut, werden kein Ausweg mehr sein. Öffentliche Aufgaben bleiben unerledigt, Gebäude rotten vor sich hin, die Stadt koppelt sich von der Außenwelt ab. Das, was die Soziologensprache zynisch verschleiernd "A-Gruppen" nennt, Arme, Asylanten, Arbeitslose, belebt immer mehr den Kernbereich. Der Mittelstand wandert ab.

Da wird kein Stolz mehr auf die eigene Landesherrlichkeit sein. Schon jetzt traut der eigenen Landespolitik die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr die Rettung Bremens zu. Und künftig wird es immer schwerer werden, kluge Köpfe für Bremens Politik zu finden. Die Auszehrung hat schon längst alle Parteien befallen.

Nicht, daß der Nordstaat eine schnelle Wende brächte. Ob mit oder ohne Berlin-Brandenburger Fusion wäre er ohnedies in politisch überschaubarer Zeit nicht zu realisieren. Er ist aber ein politisches Ziel, für das zu arbeiten der bremischen Politik wohl anstünde. Der Kampf um den Nordstaat brächte Bremen schon jetzt Argumente gegenüber Bund und Länder. Einem dahinsiechenden Winzling, der auf Neuordnung Norddeutschlands drängt, weil es außer Emotionen keine Argumente mehr für die Bundesunmittelbarkeit einer deutschen Großstadt gibt, kommt eher Hilfe zu, solange ihm die Neuordnung verweigert wird, als wenn er trotzig darauf beharrt, auf ewig zu bleiben, was er ist. In allen Politikbereichen hat Bremen das Ende der Fahnenstange längst erreicht. Spätestens das Vulkandesaster hat Bremen den Mühlstein um den Hals gebunden. Wer jetzt noch weismachen will, daß er damit schwimmen kann, verscheißert seine Wähler.

Horst Werner Franke, Ex-Bildungssenator

taz Bremen Nr. 4924 vom 15.5.1996

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Gastkommentar

Lähme überm Land

Vier Regierungserklärungen habe ich in 15 Senatsjahren zwischen 1975 und 1990 als Chef eines großen Ressorts erlebt. Längst vor dem Ende der jeweiligen Legislaturperiode waren sie allesamt Makulatur. Mit dem Tag danach begann das Vergessen. Keiner wußte mehr, was Koschnick oder Wedemeier im Namen des Senats gesagt hatten.

Der Ampel ist es nicht anders ergangen. Die Anfangsschwüre galten bald nichts mehr. Helga Trüpel kann ein Lied davon singen - der hatten sie Kulturmillionen versprochen, die sie nie bekam. Die Spar-Garotte erdrosselte die Versprechen. In den letzten 20 Jahren sind alle Regierungsabsichten noch immer von der Haushaltsmisere nach unten korrigiert worden. Das galt für die Ausbauziele der Universität wie für die Lehrerversorgung, die Modernisierung des Gesundheitswesens und die Schaffung von Kindergartenplätzen.

Rot-Schwarz wird es nicht anders gehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die Finanzplanung besonders die SPD-geführten Ressorts beutelt. Immer neue Sparrunden werden jegliche Handlungsperspektive zerstören. Rudolf Hickel hat das dem Senat schriftlich gegeben. Auch diese Koalition wird improvisieren und Politik als Ad-hoc-Geschäft betreiben. Niemand bekommt Sicherheit, und der Rasenmäher sichelt wie eh und je über die ausgepowerten Ressorts.

In einem allerdings wird der neue Senat es leichter haben: Das Klientel ist in den jahrelangen Sparschlachten gleichgültig geworden. Ging man beispielsweise einst für Hochschulen, Bibliotheken oder Theater auf die Straße und half so, Knochenschnitte abzuwenden, kann heute unbehelligt gespart werden. Kein Senator muß mehr durch Ortsvereine oder Beiratssitzungen hetzen, um Einsparungen zu verteidigen. Keine Fraktion korrigiert mehr unter dem Druck von Protesten Sparbeschlüsse des Senats. Lähme liegt über dem Land.

Nicht mehr die Politik, die Verwaltung besorgt das Geschäft. Wo doch noch Mini-Proteste hochschießen, kommt Nostalgie auf. Man muß sie umarmen, die rührend lieben Demonstranten. Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Sparer. Wenn wundert's, Herr Nölle? Die Nicht-Wähler-Partei wird weiter wachsen.

Thomas Franke, Senator a. D.

taz Bremen Nr. 4716 vom 7.9.1995

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Gastkommentar

Rot-grün jetzt!

Da sitzen sie im "Kaiser Friedrich" und feixen: Soll doch der Scherf Rotgrün probieren. Und wenn Fücks reihenweise Kröten schluckt, die Industriebaustelle Hemelinger Marsch höchstselbst mit seinen grünen Händen segnet, es nutzt dem Henning nichts, wir, der Exilsenat, die Stimme der Verprellten, fangen ihn ab. Wenigstens vier Stimmen in der SPD-Fraktion gehören uns, die reichen dicke für das Debakel bei der Senatswahl. Wir, Grobecker, Kunick, Sakuth, und Genossen werden Rotgrün verhindern.

Das ist die Bremer SPD. Schlecht geführt ist sie in einem Maß verwahrlost, das selbst den treusten Anhängern reichte, sie durch den Ortstein in den Grund zu rammen. In ihren Hochburgen blieb die Hälfte ihrer Wähler von den Urnen weg, vom Rest lief ein beachtlicher Teil zu den Schwarzen über. Die Doppelkatastrophe sollte zur Einsicht langen! Weit gefehlt, wer das den Genossen zutraut. Nicht einmal die einhellige Meinung der Bonner Spitze, daß im künftigen Drei-Parteien-Spektrum von Schwarz, Rot und Grün, die SPD nur vorwärts kommen kann, wenn sie auf Grün setzt, neutralisiert das Bremer Widerstandsnest. Scherf kann sie sich nur dann vom Halse halten, wenn er Rot-Schwarz im Rathaus etabliert.

Daß dann mit einem Regierungsblock von 75 Prozent Demokratie zur Farce wird, kümmert jene nicht, die sich einst stolz Parteisoldaten nannten und Solidarität verkündeten. Die galt immer nur ihresgleichen und war nichts anderes als Kumpelei. Wenn Rot-Schwarz künftig Öffentlichkeit nicht mehr braucht, weil das Kräftepatt zu einem Machtkartell führt, bei dem alles unter sich vertraulich ausgekungelt wird, ist das der Stil, den diese Gruppe von jeher schätzte. Nun rächt sich bitter, daß die SPD die Meuterei geschehen ließ, in der Fraktion zur Tagesordnung überging und jegliche Parteidisziplin außer Mode kam.

Jetzt, fast zu spät, muß dennoch abgerechnet werden. Die Erneuerung verlangt, daß der Versuch mit den Grünen gewagt wird, die fast bis zur Selbstentäußerung der SPD entgegenkommen müßen. Mit einem verantwortbaren Koalitionsergebnis muß der Landesvorstand dann die Mitglieder befragen und um die Mehrheit kämpfen. Das ist vor allem Henning Scherfs Part. Gestützt auf eine Mehrheit der Partei muß dann der rotgrüne Pakt gewagt werden mit Androhung radikalsten Konsequenzen für Abweichler. Wenn es dann schief gehen sollte, müssen Köpfe rollen. Wie anders faßt diese Partei wieder Schritt? Schon einmal hat die SPD geglaubt, am Aufschlagpunkt zu sein, der Fall ging trotzdem tiefer. Und jener "Exilsenat" darf nur noch Nostalgistenrunde im "Kaiser Friedrich" sein: "Genosse weißt Du noch wie wir Rotgrün fast verhindert hätten?"

Thomas Franke, Senator a.D.

taz Bremen Nr. 4621 vom 17.5.1995

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GASTKOLUMNE

Nichts geht mehr

Von der Schwierigkeit, in Bremen Politik zu machen

Es wird Zeit, daß wir uns nichts mehr vormachen und die wahren Probleme des winzigen Bundeslandes Bremen ungeniert aussprechen, dessen Größenverhältnis zur übrigen Republik ein einheimischer Politiker einmal Fliegenschiß genannt hat. In Wahrheit leidet Bremen weder an Regierungsfilz noch an insuffizienter Opposition, obwohl sich beides zu bedingen scheint.. Bremen leidet vielmehr existentiell an seiner chronischen Finanzschwäche. Alle Diskussionen in Parlament und Öffentlichkeit, die etwa Fehlentscheidungen von Regierungsmehrheit und Senat für die Finanzmisere verantwortlich machen wollen, gehen an der Sache völlig vorbei. Genauso töricht sind sektorale Problemdiskussionen. Wenn etwa die Kulturlobby den Senat berennt und die Verdopplung des Kulturetats fordert, weil dann Bremen endlich mit ähnlichen Regionen gleichzöge, dann kreist in den Köpfen der Engagierten offensichtlich die Vorstellung, man müsse es einem bornierten Senat mit öffentlichem Druck endlich beibringen, daß Kultur eine andere Finanzierung brauche. Die Erkenntnis hat aber der Senat schon lange. Was ihm fehlte, fehlt und weiterhin fehlen wird, ist das nötige Geld. Es ist darum falsch, Hoffnungen zu wecken, es werde die Einsicht wachsen und das Geld kommen. Die Einsichten sind da, aber das Geld fehlt dauerhaft. Alle Sachdiskussionen sind darum Schattenboxen.

Selbstverständlich gilt das nicht nur für den Kulturbereich, nahezu jedes Ressort ist in einer hoffnungslosen Lage. Es gibt insgesamt keine Perspektive. Jeder Hinweis darauf, daß Bremen einst zu den reichsten Bundesländern gehört hat, verdeutlicht nur die gegenwärtige Misere. Die Quervergleiche mit anderen Bundesländern und Großstadtregionen zeigen, daß die Polster in öffentlichen Einrichtungen und Verwaltungen, die Bremen einst besessen hat, längst dahin sind. Jeder Vorwurf an den Senat, er stehe einer aufgeblähten Verwaltung vor, geht ins Leere. In einem für die Bundesrepublik beispiellosen Austerityprogramm ist der Umfang der öffentlichen Einrichtungen und der Verwaltung radikal heruntergefahren worden, sind bitter notwendige Investitionen gestrichen worden. Einstmalige Spitzenpositionen wie im öffentlichen Bibliothekswesen, in den Schulen, im Sozialbereich und im Gesundtheitswesen, sind verloren. Selbst der Hafen, Bremens althergebrachtes Lebenszentrum, braucht dringend mehr Geld, als er bekommt.

Die Wende zum Schlechten begann seinerzeit mit der Steuerreform durch die Große Koalition. Die Riesenzahl der Arbeitnehmer, die in Bremen ihr Geld verdienen, aber im niedersächsischen Umland wohnen - allein beim größten bremischen Arbeitgeber Daimler sind es vierzig Prozent der Beschäftigten -, ging dem bremischen Fiskus verloren. Der zugesicherte Ausgleich, der einen Milliardenumfang hätte haben müssen, ist nie gekommen. Auch Helmut Schmidt ließ die Hansestädter in ihrer Not allein. Über beide brach dann die Strukturkrise ihrer Wirtschaft herein. Die Werften starben. Bremen und Bremerhaven waren der größte deutsche Schiffbauplatz. Der Zweistädtestaat mußte mit der Krise allein fertig werden. Bonn setzte auf die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes, was extreme Arbeitslosigkeit bedeutet hätte. Mit Landesmitteln, die es nicht gab, also mit gepumptem Geld, mußte Bremen die Krise meistern. Inzwischen liefert Bremen Tag für Tag nahezu zweieinhalb Millionen Mark bei den Banken ab, ohne daß sich damit seine Schuldenlast verringerte, die inzwischen die Milliardengrenze erreicht. Nichts läuft mehr richtig.

Für das Überleben der beiden Städte unabweisliche Bedarfe stauen sich auf. Um das Hochschulwesen einigermaßen auf dem Laufenden zu halten, müßten jährlich rund 50 Millionen DM investiert werden. Die Krankenhäuser verlangen inzwischen selbst für den Laien sichtbar einige hundert Millionen an Ersatz- und Modernisierungsinvestitionen. Die Kulturmisere ist bekannt. Überall rangiert Bremen mit seinen Aufwendungen am unteren Ende der Vergleichsskala. Wohnungsbau, Stadtentwicklung, Soziales und Jugend, die Liste ist lang. Es hat keinen Sinn, den Finanzbedarf sektoral zu diskutieren. Jeder, der mit besten Argumenten etwas fordert, scheitert an der Koalition der anderen, die leer ausgehen müssen.

Im letzten Jahrzehnt, als eine Kürzungsrunde die andere jagte, gab es ein Durchhaltemotiv für das Sparen: Wir müssen die Durststrecke überwinden, Polster abspecken, irgendwann sind wir durch. Der Trost ist jetzt weg. Zwar steigen die Steuereinnahmen, aber die Schuldenlast wächst. Die finanziellen Spielräume im Haushalt fehlen wie eh und je. Die Soziallasten steigen rapide und überholen den Bildungshaushalt. Regierung ist Sisyphusarbeit geworden.

Bremen wird sich nicht auf Münchhausens Art retten. Ohne eine neue Finanzverfassung, die dem winzigen Stadtstaat das Überleben in der Föderation ermöglicht, geht es nicht weiter. Der Weg nach Karlsruhe, das war die Hoffnung, sollte dahin führen. Die Regierung des Saarlandes spricht es inzwischen offen aus, daß sie unter den gegenwärtigen Bedingungen an ihr finanzielles Ende kommt. Sie hat sich selbst dabei nichts vorzuwerfen.

Wenn je Geld leichtfertig ausgegeben worden ist, so sind die Fehler längst mehr als gut gemacht. Eine törichte Opposition verschleiert die Krise, wenn sie meint, ohne Affären a la Galla und mit weniger Asylanten sei Bremen zu retten. Das ist absurd.

Nach der Wahl vom 2. Dezember wird sich bald herausstellen, daß die neue Bundesrepublik eine neue Finanzverfassung braucht. Die neuen Bundesländer sind binnen kurzem pleite. Die gegenwärtige Wurstelei reicht gerade noch für ein paar Wochen. In die notwendige Diskussion um eine Reform an Haupt und Gliedern muß der Zweistädtestaat seine gegenwärtige Hoffnungslosigkeit deutlich einbringen.

Niemand braucht dabei Angst zu haben, an den Pranger zu kommen. Die Probleme, die Bremen und Bremerhaven meistern müssen, suchen in der bisherigen Bundesrepublik ihresgleichen. Natürlich erfährt Finanznot von Bundesländern eine neue Bewertung durch die Lage in der ehemaligen DDR. Wer seine Maßstäbe an den dortigen Verhältnissen eicht, wird auch Bremen und Bremerhaven anders beurteilen. Aber wir können nicht warten, bis zwischen Bremen und Mecklenburg-Vorpommern ein Niveauausgleich erfolgt ist.

Der Senat scheut vermutlich die offene Diskussion um die Finanzkrise der Freien Hansestadt, weil er fürchtet, daß die längst noch nicht abgeschlossene Diskussion um die Selbstständigkeit wieder auflebt. Auch wenn die Befürchtung richtig sein mag, muß um Bremens Zukunft offen diskutiert werden. Das Wissen um eine wirkliche Finanzkrise läßt sich ohnedies nicht in geschlossenen Zirkeln halten, und rigideste Sparprogramme sind nur für begrenzte Zeiträume praktizierbar. Sie sind keine Dauerlösung. Ein offensives Angehen ist für eine Problembewältigung allemal förderlicher. Eine heruntergespielte Finanzkrise kann zur Politikkrise werden, wenn sich bei den Betroffenen der falsche Eindruck festsetzte, wie jetzt bei der Debatte um die Kulturfinanzierung, Senat und Parlament müßten nur wollen.

Was die Selbständigkeit Bremens anbelangt, so wird sie nicht mit Ängstlichkeit verteidigt. Die Lage der Kleinen und des Kleinsten in der Föderation muß fordernd geklärt werden. Es wäre zynisch, wenn der Bund die Existenz auch von kleinen Bundesländern laut bejahte und ihnen insgeheim ihre Lebensfähigkeit abstritte. Es scheint aber, daß die Bundesregierung zynisch ist.

Horst-Werner Franke, Ex-Kultursenator

taz Bremen Nr. 3258 vom 10.11.1990

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