Carl Paul
So sei mit
Carl Paul eingesetzt. Es klingt wie ein Märchen: Es waren einmal sieben Brüder
und dazu eine Schwester namens
Maria.
Sie alle kamen in Lorenzkirch zur Welt, und zwar als die Kinder des
Pfarrerehepaars
Simeon Fürchtegott Paul und
Auguste Sophie geb. Heyme und
wuchsen hier in dieser Gemeinde auf. Der
älteste und der
vierte Sohn studierten
Theologie, der
zweite wurde Kriminalrat,
der dritte General, der
fünfte
Forstmeister, der
sechste
Apotheker und Professor der Pharmazie, der
siebente
Großkaufmann in Bremen. Das viertälteste Kind aber war
Maria.
Sie stand der Mutter tüchtig bei und heiratete später den Pfarrer von Skäßchen
namens
Albert Pötzsch.
Gewiss gäbe es zu einem jeden der Paulkinder1 viel zu
erzählen. Doch will ich - ehe ich auf Carl Paul näher eingehen möchte - nur den
außergewöhnlichen Lebensgang des
ältesten ein wenig skizzieren.
Er wurde am
24. August des Jahres 1848 geboren und erhielt den Rufnamen Arndt. Hier in
Lorenzkirch besuchte er vier Jahre lang Dorfschule, dann die Großenhainer
Bürgerschule und von 1862 an das berühmte Gymnasium St. Afra zu Meißen. Nun zog
er gen Leipzig, um Theologie zu studieren; er schien ganz und gar in die
Fußtapfen des Vaters treten zu wollen. Doch dann kam es anders. Zwar legte er
ordnungsgemäß die Examina ab und wurde - wie damals allgemein üblich -
Hauslehrer. Anschließend aber war fast ein Jahrzehnt lang als Hilfslehrer an der
Großenhainer Bürgerschule tätig, blieb Junggeselle und lebte in allergrößter
Bescheidenheit und Dürftigkeit, da er sich in seinen freien Stunden den ärmsten
Straßenkindern widmete und sein geringes Einkommen mit ihnen teilte. Um sie vom
Herumstreunen, Betteln oder illegalem Beutemachen abzubringen, mietete er einen
vor der Stadt gelegenen Acker und bestellte ihn während seiner Freizeit
gemeinsam mit jenen mehr oder minder asozialen Kindern. Den Ertrag teilte er mit
ihnen. Schließlich sorgten seine Geschwister dafür, dass er mit fast vierzig
Jahren (im Jahr 1884) nach Bethel bei Bielefeld ging und dort in die
Bruderschaft der Diakone eintrat. Sein Betätigungsfeld fand er nun bei den
Epileptikern und Schwachsinnigen. Aus dem umfänglichen Nachruf, den ihm
(nachdem er am 02.11.1918 in Bethel gestorben war) Pastor Gustav v.
Bodelschwingh widmete, seien nur die folgenden Worte zitiert: ""Sein Wesen war
leicht erregbar und zu Heftigkeiten, ja Grobheiten geneigt; aber das trat der
Regel nach nur im Umgange mit gesunden Mitarbeitern zutage, während er den
Schwachen und Kranken gegenüber stets ein zartes, mitleidendes Empfinden bewies.
Seine Erhohlungsstunden benutzte er vor allem zum Studium der Werke Luthers,
sowohl in deutscher wie in lateinischer Sprache ..." In seiner Stube türmten
sich "Bücher, Musikalien, Atlanten und Stöße von alten Postkarten ... In diesem
Durcheinander konnte es ihm wohl geschehen, dass ihm die Briefe seiner Mutter,
an der er mit inniger Liebe hing, abhanden kamen. Er war sehr erregt darüber und
glücklich, als er sie schließlich in all der Wirrnis wiederfand ..." usw. usw.
Er hatte "den Weg der freiwilligen Armut gewählt" - so heißt es in dem sechs
Druckseiten umfassenden Nachruf,2 aus dem ich zitierte und dessen Ablichtung
ich gern einem jeden der hier Versammelten mit auf den Weg gäbe.3
So viel also
zu Arndt Paul aus Lorenzkirch. Nun aber sollen Leben und Wirksamkeit des
Pfarrers Carl Paul, dem fünften in der Reihe der Brüder, verdeutlicht werden. Am
04.02.1857 wurde er in Lorenzkirch geboren und wuchs hier auf. Gymnasiast wurde
er in Leipziger Thomasschule. Zum Theologiestudium zog er nach Tübingen, kehrte
aber nach einigen Semestern zurück nach Leipzig, um es hier zum Abschluss zu
bringen. Danach betätigte er sich zwei Jahre lang als Hauslehrer in der Familie
eines Bremer Großkaufmanns. 1882 bis 1884 gehörte er dem Predigerkollegium zu
St. Pauli in Leipzig an. 1884 aber übernahm er das Pfarramt in Rothschönberg (in
der Gegend von Meißen) und wechselte 1887 nach Lorenzkirch.4 Hier wirkte er die
ersten Jahre an der Seite seines Vaters (dieser verstarb am 29.05.1890 in
Lorenzkirch und wurde hier begraben). Aufschlussreich ist für uns die 1901
veröffentlichte Berichterstattung Carl Pauls zur Situation des Kirchgemeinde
Lorenzkirch, zu der auch die Bewohner der Ortschaften Cottewitz, Zschepa und
Kleinzschepa gehörten (um 1900 mit insgesamt 567 Seelen);5 hingegen bildeten
die benachbarten Orte Gohlis (um 1900 hier etwa 760 Einwohner)6
und Kreinitz (um 1900 an die 600 Einwohner)7
samt Jacobsthal (hier um 1900 etwa 340 Einwohner)8
zu damaliger Zeit selbständige Pfarreien.9
Carl Paul
beschreibt Lorenzkirch in diesem Bericht mit den folgenden Worten: "Es ist das
am tiefsten gelegene sächsische Elbdorf. Seine Häuser bilden eine lange Reihe,
die in gleicher Richtung mit dem Strom verläuft. Die gefährliche Nachbarschaft
des zeitweilig wild entfesselten Elements zwang die Bewohner, zu gegenseitigem
Schutze in einer Linie zu bauen. Von oben her gesehen nimmt sich das Dorf daher
wie ein langes, schlankes Fahrzeug aus, zumal wenn die Flut bei Hochwasser bis
an den Ort heranreicht. Der annähernd in der Mitte stehende Kirchturm ragt wie
ein Mastbaum aus der Häuserreihe auf. Unmittelbar hinter den Gehöften, dem
unkundigen Auge aus einiger Entfernung kaum bemerkbar, zieht sich der starke
Hochwasserdamm hin. Das auf der Flussseite liegende breite Vorland ist mit
herrlichen Wiesen bedeckt, die den Stolz ihrer Besitzer bilden. Hinter dem Dorfe
liegen die Felder. Unmittelbar an diese schließen sich die Fluren der
Rittergüter Cottewitz und Kreinitz an, mit deren Geschichte die Schicksale von
Lorenzkirch aufs engste verflochten sind. Elbaufwärts liegen die eingepfarrten
Orte Zschepa und Kleinzschepa, letzteres hart an Gohlis grenzend. Sie treten
noch näher an den Strom heran, als der Kirchort.
Wie die Lage
der Parochie, so steht auch die Bevölkerung im engsten Zusammenhang mit der
Elbe. Ein großer Teil ist bei der Schiffahrt und dem Uferbau beschäftigt. Die
beteiligten Männer sind in der Regel 9-10 Monate von Hause abwesend, nur die
Zeit der Winterruhe bringen sie in der Heimat zu... Es mag etwa der dritte Teil
der Bewohner sein, den der Beruf aufs Wasser führt. Ein zweites Drittel sitzt
auf der väterlichen Scholle und baut das fruchtbare Aueland an. Die übrige
Bevölkerung sucht Lohnarbeit in den nahen Städten Strehla und Riesa..."10
Auch die
weiteren Ausführungen Pauls von 1901 sind sehr beachtenswert. Sie bezeugen große
Sachkenntnis und Heimatliebe. An die drei Jahrzehnte später - wenige Wochen vor
seinem Tode - drängte es ihn, nochmals sein Heimatdorf und besonders dessen
Gotteshaus in einem Aufsatz zu schildern, den er unter der Überschrift: "Eine
Wallfahrtskirche an der Elbe" veröffentlichte.11
Freundschaftlich verbunden war er dem bekannten Kulturhistoriker unseres
Sachsenlandes, dem Meißner Gymnasiallehrer und Schulprofessor Otto Eduard
Schmidt. Dieser besuchte bereits um die Jahrhundertwende und auch später
(offenbar zu mehreren Malen) Lorenzkirch und ließ sich von Pfarrer Paul so
manches erzählen.12 In der 3.
Auflage seiner berühmten "Kursächsischen Streifzüge" geht Schmidt sehr
ausführlich auf Lorenzkirch ein, ja gerät ins Schwärmen, wenn er vom
Zusammensein mit Carl Paul schreibt.13
Letzterer begründete in seinem Heimatdorf ein Museum, das auch mich (als ich ein
Kind war) faszinierte. Anderen wird es ähnlich ergangen sein. Leider ging es in
den Wirrnissen des Jahres 1945 spurlos zugrunde. Erhalten blieb aber eine
anschauliche Schilderung seiner Bestände. In diesem an sich kleinen, im
Nebengebäude des Pfarrhofes untergebrachten Museum waren u. a. das Modell einer
Schiffsmühle und charakteristische Austatattungsstücke alter Elbkähne zu sehen,
dazu Handwerkszeuge der Fischer, alter dörflicher Hausrat, kirchliche
Sehenswürdigkeiten wie Abendmahlskelche oder Leuchter, alte Münzen, rostige
Waffen und anderes kriegerisches Gerät, nicht zu vergessen auch interessante
Bilder und Schautafeln, so zum Thema der schlimmen Hochfluten, Eisgänge und
Überschwemmungen.14
Doch
schweifte der Blick des Lorenzkircher Pfarrers schon frühzeitig in die Weite.
Bald fesselte ihn die Frage, auf welche Weise die biblische Botschaft zu den
Ureinwohnern der deutschen Kolonialgebiete gelangen könne. So gründete er kurze
Zeit nach seinem Amtsantritt in Rothschönberg einen "Missionskreis" für den
Kirchenbezirk Meißen und schuf damit die Grundlage für die 1887 entstandene
"Sächsische Missionskonferenz,"15
deren Schriftführer er wurde. Seine Urlaube verbrachte er damit, in Belgien, in
Holland oder in England dortige missionarischen Bemühungen kennenzulernen. Im
Lorenzkircher Pfarrhaus verfasste er diverse Schriften zum Thema der Mission in
Übersee16 und galt um 1910
innerhalb Sachsens als der beste Sachkenner solcher Dinge. So kam es, dass er
sein Pfarramt in Lorenzkirch aufgab. 1911 wurde er zum Missionsdirektor und
damit zum Leiter der in Leipzig beheimateten Lutherischen Mission berufen und im
folgenden Jahre auch zum "ordentlichen Honorarprofessor" für neuere
Missionsgeschichte und Missionskunde an der Universität Leipzig ernannt. Bald
reiste er nach Afrika und Indien, um die Missionsgebiete persönlich in
Augenschein zu nehmen.17 Es ist
hier nicht der Ort, von seiner weiteren Wirksamkeit zu berichten. Um seine
Auffassung zu verdeutlichen, sei nur weniges aus seinem 1914 erschienen Buch:
"Die Leipziger Mission daheim und draußen" zitiert: "Es "ist festzustellen, dass
das Zusammentreffen von Mission und Kolonisation leicht Zusammenstöße und
Erschwerungen mit sich bringt. Die Kolonialpolitik ist in ihrer Reinkultur eine
ausgesprochene Egoistin. Die Mission stellt sich in einen ausgesprochenen
Gegensatz zu solchen egoistischen Bestrebungen. Sie will aus den Kolonien für
sich nichts holen; sie will etwas, und zwar hohes Gut, in überseeische Gebiete
hinaus tragen..."18
Carl Paul
besuchte, als er in Leipzig und später während des Ruhestandes in Schweta bei
Mügeln wohnte, je und je sein Heimatdorf. Seinem Willen entsprach es, dass er
hier am 13.10.1927 beerdigt wurde.19

Friedrich
Ruppel
Sein voller
Name lautete: Johann Heinrich Emil Friedrich Ruppel. Wenn ein Kind aus der Schar
seiner Neffen und Nichten seine sämtlichen Vornamen in der richtigen Reihenfolge
herzusagen vermochte, erhielt es von ihm einen Groschen. Auch sonst hinterließ
er bei uns Kindern durch sein freundliches und humorvolles Wesen starke
Eindrücke. Wir mochten ihn sehr gern. (Ich bin einer seiner Neffen, dazu auch
sein Patenkind.) Geboren wurde er am 25.06.1875 in Chemnitz,
wuchs in Radeburg auf, wo sein Vater Georg Wilhelm Ruppel das Pfarramt
innehatte, besuchte die St. Afra - Schule in Meißen und studierte danach
Theologie. Von ihm schrieb sein um sechs Jahre jüngerer Bruder in seinen
Lebenserinnerungen: "Er war vom Jahre 1890 bis 1895 Afraner gewesen, hatte ein
Jahr in Leipzig bei 107 gedient und begab sich nach Erlangen zum theologischen
Studium." (Es müsste das einschlägige Afranische Ecce zu Rate gezogen werden!!!)
Nach
Tätigkeiten als Schullehrer in Roßwein wurde er Pastor (oder wie es damals hieß:
"Diakonus") in Frauenstein. Hier gewann er die Arzttochter Gertrud Ullrich20
lieb. Sie wurde ihm für die weitere Zukunft zur zuverlässigen Partnerin. Sie
heirateten am 04.08.1910 in Frauenstein. Am 21.01.1912 übernahm er die im
Spätjahr 1911 freigewordene Pfarrerstelle zu Lorenzkirch und blieb hier -
gemeinsam mit seiner Frau und den drei Töchtern, die hier heranwuchsen - bis zu
seiner Emeritierung im Jahre 1939.21 Er war also während der schweren Zeiten des
1. Weltkrieges wie in den anschließenden von dessen Folgen überschatteten zwei
Jahrzehnten unablässig in der hiesigen Kirchgemeinde tätig.
Das
Schriftstück, welches er 1916 anlässlich der Reparatur des Kirchturmdaches
formulierte und in die den Turm bekrönende Kugel einlegte, ist abschriftlich im
Pfarrarchiv erhalten.22 Er begann mit den Worten:
"Im Namen der heiligen
Dreifaltigkeit! Im Jahre 1916, als dem nunmehr dritten Jahre des gewaltigen
Krieges, den unser schwerbedrängtes Vaterland seit dem 1. August 1914 gegen eine
Welt voller Feinde zu fuhren hat, machte sich nach 28 Jahren ... wiederum eine
Ausbesserung der westlichen Seite der oberen Turmbedeckung notwendig." Er
berichtet einiges zu dieser Reparatur, dann aber von den derzeitigen
Verhältnissen - wie er schreibt - "unserer Kirchfahrt", also des Kirchspiels
Lorenzkirch. So nennt er den Kirchenpatron, Herrn Christoph Arndt von Egidy,
Besitzer des Rittergutes Kreinitz23 und führt weiter aus:
"Des Amtes als
Kirchschullehrer waltet seit dem 11. Oktober 1909 Ewald Emil Stecher, Sohn und
Amtsnachfolger des früheren langjährigen und treuverdienten Kantors Friedrich
Ewald Stecher, verstorben am 11. Mai 1914 in Dresden. ... Als Glöckner,
Totengräber und Kirchner fungiert der Schuhmachermeister Georg Klingenberg von
hier." Auch zählt er die damaligen Kirchvorsteher auf, nämlich: Robert Görne
(zugleich "Gemeindevorstand" in Lorenzkirch), Reinhold Lamm (Gutsbesitzer in
Lorenzkirch), Herwarth Heyde (Rittergutspächter in Cottewitz), Reinhold Schmorl
("Gemeindevorstand" in Zschepa), Otto Schreiber (Gutsbesitzer in Zschepa) sowie
Richert Riedel (Fleischermeister in Klein-Zschepa). Weiter berichtet Ruppel
davon, dass das Gotteshaus in den zurückliegenden Jahren "mehrfachen wertvollen
Schmuck erhalten" habe. "Im Jahre 1906 schenkte das Kgl. Ministerium des Inneren
eine aus Holz geschnitzte Altargruppe, darstellend den Gekreuzigten und vor ihm
kniend einen Schiffer und eine Magd, ein Werk von Professor Schneitmüller24 in
Dresden. 1909 stiftete der Kaiserliche geheime Regierungsrat, ordentlicher
Professor an der Universität München, Dr. phil. und med. Theodor Paul,
Pfarrerssohn von Lorenzkirch und gegenwärtig Besitzer hiesigen Klosterhofs,
einem Gefühl tiefeingewurzelter Heimatliebe ausdruckgebend, einen plastischen
Schmuck in Gestalt eines zwei Meter hohen Taufengels aus Bronze, entworfen und
ausgeführt von dem Münchner Künstler Johannes Seiler.25 Der granitene Sockel
hierzu wurde durch einen Taucher vom Nixstein aus der Elbe gebrochen."
"Von
größeren Hochfluten der Elbe, wie sie in früherer Zeit so oft unsere Gegend
betroffen haben, sind wir seit der Überschwemmung von 1890 und 1897, durch die
viel Schaden an den Fluren und an der Ernte angerichtet wurde, gnädig bewahrt
geblieben. Um so härter lastet auf unserer Gemeinde wie auf unserem ganzen
Vaterlande der Druck der gegenwärtigen Kriegsnöte. Was an Männern im wehrfähigen
Alter vorhanden gewesen, steht im feldgrauen Kleide an den Fronten im Osten und
im Westen. Über 90 sind es bereits, die dem Rufe zu den Waffen haben folgen
müssen. Unter den Hunderttausenden deutscher Männer, die auf der Wahlstatt ihr
Leben haben lassen müssen, befinden sich nicht wenige Glieder aus unserer
Kirchgemeinde. Andere müssen das trübe Los der Gefangenschaft in Feindeshand
tragen. Da ist viel bange Sorge und Sehnsucht in den Herzen und Häusern.
Dazu kommt,
dass infolge des Aushungerungskrieges, den England, unser Hauptfeind, jegliche
Zufuhr von außen her uns unterbindend, in Missachtung aller Gesetze der
Menschlichkeit und des Völkerrechts gegen uns führt, eine schlimme Teuerung
entstanden ist, so dass einem jeden sein Anteil Brot, Fleisch, Zucker usw. oft
in recht geringer Höhe zugewiesen werden und für diese Dinge, um die Preise
nicht unerschwinglich werden zu lassen, Höchstpreise festgesetzt werden mussten.
Die Preise für andere Gegenstände des täglichen Bedarfs haben eine Höhe
erreicht, wie sie bislang unerhört gewesen sind. Noch ist von diesen Nöten, die
je länger, je schwerer gefühlt werden, ein Ende nicht abzusehen ... Eingehüllt
in Dunkel und Ungewissheit, voller Schrecken und Gefahr liegt vor uns die
Zukunft. Noch wird in dem ungeheueren Völkerringen viel edles deutsches Blut
fließen müssen ...Wir vertrauen auf die heldenhafte Tapferkeit unserer Heere,
die so manchen glorreichen Sieg schon errungen ... und auch fernerhin einen
undurchdringlichen, ehernen Wall zum Schutz der bedrohten Heimat bilden werden.
Wir vertrauen vor allen Dingen und von ganzem Herzen auf den großen Helfer
droben, unsern Gott. Er ist unsere Zuflucht für und für, unsere Zuversicht und
Stärke in den großen Nöten, die uns betroffen haben, felsenfest ist unser Glaube
und unerschüttert steht die Hoffnung, dass, der im Regiment der Welten sitzt,
wie er bisher so sichtbarlich zu unserer gerechten Sache sich bekannt hat, so
auch in Zukunft nicht von uns lassen wird, sondern noch Großes mit unserem
lieben deutschen Volke vorhat. Ja, du treuer und barmherziger Gott, breite du
deine Gnadenhände über unser deutsches Land, über unser heldenmütiges Heer und
auch über alle Glieder unserer Kirchgemeinde, die draußen stehen in Kampf und
Not. Lass unser Volk siegreich und ungeschädigt, innerlich geläutert und
erneuert, als starkes, freies und frommes Volk hervorgehen aus der harten
Prüfung dieser Kriegszeit..."
Dies
Schriftstück, das ausführlich zitiert wurde, ist bezeichnend für die deutsch -
nationale Gesinnung, aus der heraus Pfarrer Ruppel (gewiss sehr ähnlich wie
viele andere damalige evangelische Pfarrer) die schlimmen Geschehnisse der
damaligen Zeit beurteilte und auch sein Glaubensbekenntnis profilierte. In
entsprechender Weise wird er von der Kanzel gepredigt und die Jugend
unterrichtet haben. Diese Gesinnung war darauf aus, den Dreieinigen Gott, der
uns durch die Bibel entgegentritt, zu verkleinern und ihn ideologisch
festzulegen, um ihn als deutschen Nationalgott zu verstehen und ihn höchst
einseitig für die eigene Sache in Anspruch nehmen zu können. Waren nicht im
September 1916 ganz andere Einsichten und Erkenntnisse fällig9! Zwar ist es sehr
leicht, 80 Jahre danach kritisch zu urteilen. Doch kommen wir nicht umhin,
unsere Schmerzen, die in uns bei einer solchen Rückschau aufkommen, zu
artikulieren. Wir tun damit - so meine ich - nicht etwas, das einer
Herabwürdigung unserer Voreltern gleichkäme.
So könnte
ich nun weiter ausbreiten, was Friedrich Ruppel in einer Predigt, die er 1919
hielt, zum Ausdruck brachte, oder in seiner Ansprache bei der Einweihung des
Kriegerdenkmals am 10. Oktober 1920.26 Im Grunde liegt es ganz auf der Linie
dessen, was er in jener für die Kugel des Kirchturmes bestimmten Schrift
dokumentierte. Die Nachkriegszeit empfand er in vieler Weise als bedrückend, so
dass er 1933 die Machtübernahme Hitlers - zu mindest in ihrem ersten Stadium -
als eine Befreiung auffaßte. Bezeichnend dafür ist der (relativ kurz gefasste)
Text des Schriftstückes, den er damals als eine weitere in die Kugel des
Kirchturmes einzubringende Einlage formulierte; dieser lautet. "Im Jahre 1933,
dem Jahre der deutschen Revolution und nationalen Erhebung nach 14 Jahren der
Schmach und der Verwirrung erfolgte eine Reparatur der Turmbedachung durch den
Dachdeckermeister Meyer aus Herzberg.
Pfarrer der
hiesigen Kirchfahrt ist zu dieser Zeit Friedrich Ruppel, Kantor und Oberlehrer
Emil Stecher. Dem Kirchenvorstand gehören außer diesen beiden an:
Rittergutspächter Heyde in Cottewitz, Bäckermeister Paul Burkhardt in
Lorenzkirch, Bürgermeister Hugo Grosse ebendaselbst; von Zschepa: Gutsbesitzer
Oskar Köhler, Gutsbesitzer Otto Schreiber, Gutsbesitzer Curt Schmorl,
Depotaufseher Rudolph. Bürgermeister in Zschepa ist der Gastwirtschaftsbesitzer
Otto Naumann.
Gott der
Herr segne unsere Nachfahren mit Wohlergehen, Freude und Frieden! Lorenzkirch,
am 27. Juni 1933."27
Bestimmte
Aussagen der Kirchenvorstandsprotokolle verdeutlichen, dass die braune
Propaganda nicht ohne Wirkung blieb. So heißt es im Sitzungsprotokoll vom
10.09.1933: "Glaubensbewegung Deutsche Christen. Der Herr Vorsitzende wirbt für
den Eintritt in die Glaubensbewegung Deutscher Christen."28
Und im Protokoll vom 06.04.1934: "Fahne. Es soll eine Fahne in der Größe von 200
x 800 cm angeschafft werden. Der Herr Vorsitzende will Offerten einholen." Zum
gleichen Thema heißt es am 22. 10. 1934: "Beflaggung der Kirche. Es dürfen nur
noch die schwarzweißroten Hakenkreuzflaggen, eventuell in Verbindung mit der
Landesflagge gehisst werden. Eine Beschaffung ist wegen schlechter Finanzlage z.
Z. unmöglich." In der Sitzung vom 02.10.1935 aber wurde festgestellt: "Herrn ...
(soundso) sollen für das Aufziehen der Flagge auf dem Kirchturm jedes Mal 0,75 M
gezahlt werden." Wie sie aussah, ist nicht notiert.29
Doch musste
der Lorenzkircher Ortspfarrer bald erkennen, dass die nazistische Agitation die
Kirchlichkeit der Menschen keineswegs beflügelte. So schrieb er im Kirchlichen
Jahresbericht für das Jahr 1934: "Eine Besserung (des Gottesdienstbesuches)
gegen früher ist nicht eingetreten, insbesondere nimmt die Unkirchlichkeit der
Jugend immer mehr zu."30 Auch
muss er bemerken: "Die Seelsorge ist durch die
außerordentliche Inanspruchnahme der Zeit des Pfarrers für Ausstellung von
arischen Zeugnissen sehr beeinträchtigt worden." (entsprechende Äußerungen sind
in den Jahresberichten der folgenden Jahre enthalten, dazu auch die Klage, dass
der Pfarrer durch die aufgenötigte Ausfertigung von Nachweisen einer arischen
Abstammung keine Zeit zu eigener wissenschaftlich theologischer Arbeit finde).
Als dann Hitler im Nopvember 1938 radikal gegen die Juden vorging, äußerte sich
Fritz Ruppel im vertraulichen Gespräch mit dem Kirchenvorsteher Alwin Max
Mehling (geb. 29.01.1879, gest. 26.05.1959) etwa folgendermaßen: "Jetzt greift
er (gemeint ist Hitler) die Juden an. Und da geht er unter." (überliefert durch
Herr Karl Mehling).
Es dauerte
nur wenige Jahre, bis die NSDAP ihre Feindschaft gegen die Kirche in aller
Öffentlichkeit demonstrierte. So wurde es im Sommer 1938 den Lehrern, die
zugleich Schulleiter waren, untersagt, weiterhin als Kantoren und Organisten zu
wirken. In den Sitzungsprotokollen des Kirchenvorstandes ist davon mehrfach zu
lesen. Emil Stecher trat damals in den Ruhestand. Der neue Schulleiter namens
Bayer war durchaus gewillt, wie sein Vorgänger das kirchliche Amt des Kantors zu
übernehmen. Doch wurde ihm dies von der Schulbehörde untersagt. Man verhandelte
hin und her Schließlich aber heißt es im Protokoll vom. 14.09.1939: "Herr Kantor
Beyer kündigt für den 01.07.1939 seinen Kantorendienst der Kirche." In der
Folgezeit spielte die Lorenzkircher Orgel wohl meistenteils Herr Lehrer Knolle
aus Gohlis.
Im Protokoll
vom 31.03.1939 ist eine weitere kirchenfeindliche Aktion der braunen
Staatsführung festgehalten; es heißt hier: "Ein Runderlass vom Landeskirchenamt,
betrifft Ausscheidung der politischen Leiter und Unterführer aus dem
Kirchenvorstand, wurde bekannt gegeben und zur Kenntnis genommen."
Doch - Gott
sei Dank! - geschah und geschieht in einer Kirchgemeinde vieles Wichtige und
Wesentliche unabhängig von den politischen Tagesfragen. Das galt gewiss auch für
Lorenzkirch in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts.
So
wurden mit viel Liebe und Hingabe das Gotteshaus und der Friedhof weiter
ausgestaltet und verschönt. Daran waren verschiedene ehemalige Lorenzkircher
sehr aktiv beteiligt, allen voran Theodor Paul, der Professor für
Nahrungsmittelchemie. Er fertigte dazu vielseitige Gutachten, holte Künstler und
Handwerker herbei, stiftete persönlich erhebliche Mittel und regte andere dazu
an, ähnliches zu tun. Er verfasste dazu eine an den Kirchenvorstand adressierte
Denkschrift mit Datum vom 28.10.1919, in der er diesem viele sehr durchdachte,
konkrete Vorschläge nahebrachte. Die allermeisten wurden in den folgenden Jahren
realisiert, einige aber auch nicht, so z. B. die Erstellung einer
"Ausstellungshalle für vorbildliche Grabdenkmäler an der Nordseite des
Budenhauses" oder die Neugestaltung sämtlicher Kirchenbänke. Er hatte dabei im
Sinn, - wie er schreibt - "die Einführung der Bildschnitzerei als Erwebszweig
für die während der Winterzeit meist beschäftigungslosen Schifferbevölkerung des
Dorfes" anzuregen; er meint: ."Da die erforderlichen Werkzeuge und Naturalien
leicht mit auf die Reise genommen werden können, lassen sich Schnitzarbeiten
auch in den Feierabendstunden während der Fahrt auf den Schiffen ausführen. Auf
diese Weise könnte ein lohnender Nebenerwerb geschaffen werden ..." Immerhin
setzte er es durch, dass Erhard Jähnig aus Gohlis (geb. am 16.11.1906), Sohn des
dortigen Tischlermeisters, per 01.09.1921 die Möglichkeit erhielt, die
Fachschule für Glasindustrie und Holzschnitzerei in Zwiesel (im Bayerischen
Wald) zu besuchen und in der Holzbildnerei eine Ausbildung zu erhalten, die
später in Oberammergau zum Abschluss gebracht werden könnte.
Paul drängte
darauf, dass das Lorenzkircher Gotteshaus ein neues Geläut erhalte, da die zwei
größeren Glocken 1917 für die Rüstungsindustrie abgeliefert worden waren,31 und
erdachte für den äußeren Schmuck der drei neuen Glocken ein sinnreiches
Bildprogramm. Die Finanzierung des neuen Geläutes aber wurde vor allem durch die
großzügige Spende von 5.000 Mark gesichert, die ein einzelner Stifter aufbrachte,
nämlich der aus Zschepa stammende Herr Hugo Köhler, der damals in Dresden
wohnte. Dessen Brüder, die sich auch an anderen Orten niedergelassen hatten,
beteiligten sich ebenfalls an der Neugestaltung der Kirche; sie finanzierten die
Herstellung mehrer Glasbilder. Entsprechendes taten weitere wohlwollende
Heimatfreunde, die ich hier nicht namentlich aufzählen will.
Herausheben
aber will ich zwei Aktionen. Die eine bezog sich auf die Stiftung eines
Glasbildes, auf welchem der hl. Laurentius dargestellt werden sollte. Für dieses
Fensterbild war schon einige Male auf dem Lorenzmarkt gesammelt worden. Nun aber
sollte vor allem durch den Verkauf farbiger Postkarten mit Lorenzkircher
Motiven, gestaltet durch den Hanauer Kunstmaler Pedro Schmiegelow,32
die noch fehlende Summe aufgebracht werden. Und hatte damit binnen kurzem guten
Erfolg! Es kamen so die erforderlichen 1.431,10 Mark ein (wie am 16.08.1921
rückblickend festgestellt werden konnte). Nach einem Entwurf von Johannes Seiler
aus München wurde das gläserne Laurentiusbild tatsächlich hergestellt und im
Fenster neben der Kanzel eingefügt. Leider wurde es bei der 1951 bis 1953
erfolgten großen Kirchenrenovation entfernt.
Die andere
Aktion galt der Orgel, die während des Krieges um einige zinnene Pfeifen ärmer
geworden war, die man - wie die zwei Glocken - zu militärischen Zwecken
eingeschmolzen hatte. Herr Bankdirektor Fritz Grossmann in Bremen, der einen
Teil seiner Kindheit im Lorenzkircher Pfarrhaus bei Familie Carl Paul zugebracht
hatte, erklärte sich dazu bereit, sich für die Orgelerneuerung finanziell zu
engagieren.33
Noch viele
weitere Einzelheiten könnten dazu aufgeführt werden. Nur dies sei noch erwähnt:
Theodor Paul gewann den schon mehrfach erwähnten Otto Eduard Schmidt dazu, Lichbildervorträge zu halten und die dabei einkommenden Gelder dem Lorenzkircher
Gotteshaus zuzuwenden, desgleichen auch den in Leisnig ansässigen Musikdirektor
Franciscus Nagler, der sich auch als Schriftsteller einen Namen gemacht hatte,34
Kirchenkonzerte im hiesigen Gotteshaus - besonders zum Lorenzmarkt - zu Gehör zu
bringen, ja "die Komposition eines kirchlichen Musikstückes" zu gestalten,
"das
den Verhältnissen in Lorenzkirch Rechnung tragen und nur für unsere Kirche
bestimmt sein soll." Der finanzielle Reinertrag aber solle Lorenzkirch zugute
kommen.
Pfarrer
Friedrich Ruppel förderte die genannten Aktivitäten nach Kräften. Er leistete
Jahr um Jahr getreulich seinen Dienst als Prediger und als Seelsorger, tauschte
sich gern mit seinem Bruder Heinrich aus, der parallel zu ihm lange Zeit als
Pfarrer in Strehla tätig war.35 Zu den hohen Kirchenfesten vertraten sie sich
gern wechselseitig. Eine ältere, in kirchlichen Dingen sehr erfahrene Lorenzkircherin sagte mir kürzlich: Friedrich Ruppel war ein Pfarrer von altem
Schrot und Korn. Und sie erinnert sich lebhaft daran, dass er regelmäßig per
Fahrrad in die Filialgemeinde Gohlis fuhr, und dass er ab und an mit Genuss eine
Zigarre rauchte, etwa wenn er sich mit dem Kirchner unterhielt, Herrn
Schuhmachermeister Klingenberg. Als dieser 1942 todkrank danieder lag, reiste
Ruppel, der sich bereits im Ruhestand befand, von Leipzig an, blieb über eine
Woche lang, um dem Kranken Beistand zu leisten, und hielt dann auch die Predigt
zu dessen Beerdigung. So war und blieb er wohl lebenslang sehr vielen Menschen
des Kirchspiels Lorenzkirch in Aufmerksamkeit und Liebe zugetan.
Seine
heimliche Leidenschaft war das Schachspiel, auf das er sich ausgezeichnet
verstand - war er doch ein sehr kluger Mann. Doch fiel es ihm sichtlich schwer,
aus einer Partie als der Verlierer hervorzugehen.
Der
derzeitige Senior des Ortes, Herr Max Göttlich (geboren 1907) erzählte mir u. a., dass er als Konfirmand gemeinsam mit anderen
Knaben im Pfarrgarten Weintrauben stibitzt habe (obschon solche in den
elterlichen Grundstücken reichlich vorhanden waren). Die kleinen Missetäter
wurden erwischt und vom Pfarrer - im Sinne eines Denkzettels - damit beauflagt,
sämtliche zwölf Verse des schönen Liedes: "Befiehl du deine Wege" auswendig zu
lernen. Offenkundig hatte das Ereignis eine nachhaltige Wirkung, sodass Herr
Göttlich noch in diesen Tagen schmunzelnd davon zu berichten weiß.
Friedrich
Ruppel trat am 01.10.1939 in den Ruhestand. Er starb am 26.09.1956 in Leipzig im
Alter von 81 Jahren (und sein Bruder Heinrich im gleichen Jahr am 29. 6. in
einem Alter von 74 Jahren).

Kurt Lehmann
Im Protokoll
des Kirchenvorstandes vom 14.09.1939 ist zu lesen, dass Herr Vikar Rudolf Eisert
zur Verwaltung der Pfarrstelle in Lorenzkirch eingesetzt werden solle. Und so
geschah es auch. Er war bereits bekannt, da er zuvor als Lehrvikar in Strehla
tätig gewesen war (so Prof. Gottfried Kretzschmar, Leipzig; er wuchs in Strehla
auf). Doch musste er sehr bald schon in den Krieg hinaus ziehen und 1942 den
Soldatentod sterben. Seine Frau wohnte einige Zeit über im Lorenzkircher
Pfarrhaus, ihm aber war es nicht vergönnt, hier Fuß zu fassen.
Nach ihm
wurde das Lorenzkircher Pfarramt dem damals auch im Wehrdienst befindlichen
Vikar Kurt Lehmann übertragen. Dessen offizielle Amtseinführung konnte im
September 1943 erfolgen, da er sich zu jener Zeit in einem nicht weit entfernt
gelegenen Lazarett befand.
Im hohen
Alter schrieb er seinen Lebenslauf nieder. Er tat dies zu dem Zweck, dass dieser
am Tage seiner Beerdigung der versammelten Gemeinde vorgelesen werde. Sein Sohn
Christoph, der als Pfarrer an der Versöhnungskirche in Dresden-Strießen tätig
ist, stellte mir eine Fotokopie dieser Niederschrift zur Verfügung. Sie beginnt
mit den Worten: "Am 8. Mai 1914 wurde ich als Ältester der vier Kinder meiner
Eltern, des Eisenbahnarbeiters Louis Lehmann und seiner Ehefrau Frieda geb.
Schumann in Trünzig bei Werdau in Sachsen geboren. In Sorge, das Schulgeld nicht
bezahlen zu können, lehnte Vater den von mir sehr erbetenen Besuch der
Oberrealschule in Werdau im fälligen Jahr ab. Er entschloss sich aber auf mein
erneutes Bitten im nächsten Jahr, mich doch gehen zu lassen. An den Folgen eines
Unfalls als Lokomotivheizer wurde er 1931 - 42 Jahre alt - heimgerufen. Dadurch
geriet unsere Familie in ernste Armut., der ich als Ältester durch Zeitungtragen,
Bauhilfsarbeiten und dergleichen etwas zu wehren versuchte. 1934 konnte ich das
Abitur abschließen und - weil ich nach ernster Krankheit nicht zum
Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde - das ersehnte Theologiestudium in Leipzig
beginnen. Doch infolge der Einberufung zur Wehrmacht musste ich mein Studium im
Herbst 1935 für zwei Jahre unterbrechen. Die 1937 erfolgte Fortsetzung wurde
bereits 1939 durch Einberufung zum Kriegsdienst und durch das noch vorher
erbetene Kriegsexamen abgeschlossen.
Kurz vor dem
Einsatz an der Westfront ließen wir uns - Hildegard geb. Richter (Lehrerin) und
ich - am 21.09.1939 in Kurort Jonsdorf durch den dortigen Ortspfarrer Manfred
Müller trauen. Nach dem Frankreichfeldzug, infolge Wirtschaftsurlaubs, konnte
ich ½ Jahr als Ephoralvikar von Zittau, besonders in den Kurorten Jonsdorf -
Oybin - Lückendorf als Vertreter des erkrankten Pfarrer Müllers tätig sein und
im April 1941 mein 2. theologisches Examen in Dresden ablegen. Wieder an die
Ostfront einberufen, wurde ich in Stalingrad schwer verwundet und aus dem Kessel
ausgeflogen. Nach ¾ Jahr Lazarettzeit erneut an die inzwischen in der Heimat
liegende Front geschickt, kam ich bei Kriegsende in Englische Gefangenschaft,
aus der ich im Juli 1945 entlassen wurde."
So weit erst
einmal diese sehr knapp gefasste Rückschau des Pfarrers Kurt Lehmann, der
schließlich im September des besonders für die Lorenzkircher bitter schweren
Jahres 1945 bei ihnen seinen Dienst aufnehmen konnte. Seine Frau hatte sich hier
bereits wohnlich eingerichtet, war aber beim Herannahen der sowjetischen Truppen
mit ihrem am 01.06.1944 geborenen Sohn Christoph in die Gegend von Döbeln
geflüchtet.
Er hingegen
befand sich in jenen Tagen in Strehla, und zwar als Offizier in einer Artillerie-Einheit, die seinem Befehl unterstand. Als nun russische Soldaten das östliche
Elbufer erreicht und den Ort Lorenzkirch besetzt hatten, sollte er auf sie mit
den Kanonen der ihm unterstellten Batterie das Feuer eröffnen. Man versetze sich
in seine Lage: Er als der Pfarrer von Lorenzkirch sollte - im klaren Wissen
darum, dass außer den gegnerischen Soldaten nicht nur die hier Ansässigen
größerenteils im Ort anwesend waren, sondern auch Tausende von Flüchtlingen
dicht zusammengedrängt innerhalb des Dorfes und auf den Elbwiesen kampierten -
er sollte einen vernichtenden Feuerregen über all diese Menschen niedergehen
lassen! In dieser Situation entschied er sich für eine heimliche Weise der
Befehlsverweigerung. Er befahl seinen Leuten, mit den Kanonen einen -
militärisch gesehen: völlig überflüssigen -Stellungswechsel vorzunehmen, nur um
Zeit zu gewinnen. Danach aber ordnete er an, die Rohre der Geschütze (es
handelte sich wohl um solche vom Kaliber 8,8 cm) so zu richten, dass die
Geschosse über das Dorf hinwegflögen und hinter diesem in die. Feldflur
einschlügen. Und so geschah es auch. Der Geschoßhagel ging nicht auf die
Menschen nieder! Eine derartige Vorgehensweise fiel natürlich diversen
Beobachtern auf. Und es fehlte nicht viel, dass radikale Kräfte der bereits in
der Auflösung befindlichen deutschen Armee den Offizier Kurt Lehmann
standrechtlich erschossen hätten. Doch - Gott sei Dank! - entging er diesem
Schicksal.36 Sein Verhalten erinnert an entsprechende Aktionen anderer
sächsischen Pfarrer, etwa an die des Superintendenten
Herbert Böhme in Meißen,
des Pfarrers Karl Talazko36a in Gersdorf (zwischen Kamenz und Pulsnitz gelegen)
oder des Pfarrers Jentzsch in Helbigsdorf (in der Nähe von Freiberg).
Obschon in
jenen Tagen Lorenzkirch auf solche Art und Weise vor den Granaten der schweren
Artillerie verschont blieb, spielten sich damals hier im Ort und auf den
Elbwiesen furchtbare Dinge ab. Dazu soll wiederum Kurt Lehmann persönlich zu
Worte kommen. Rückblickend schrieb er 1948 einen Bericht nieder, der dafür
bestimmt war, in der Kugel des Kirchturmes eingelagert zu werden:37
"Ein namenloses Elend herrschte in unserer Gemeinde. Auf den Höfen, in Gärten,
Feldern und Wiesen lagen allerwärts Gefallene, die nicht mehr im Gefecht,
sondern als Gefangene von den Feinden niedergeschossen worden waren. Mehr als
120 Tote liegen auf dem Friedhof, in der nahen Sandgrube, hier und da noch in
Einzelgräbern auf Lorenzkircher Flur beerdigt. Die Häuser wurden weithin völlig
ausgeplündert.
Vieh blieb
nur noch in ganz wenigen Häusern übrig, entweder wurde es fortgeführt, oder an
Ort und Stelle geschlachtet. Wäsche und Bekleidungsstücke, sogar wo sie
vergraben waren, wurden fast restlos aus den Häusern fortgeschleppt. Oft mussten
die aus ihren Häusern Vertriebenen Körbe, Taschen und Rucksäcke ausleeren und
alles hingeben. Ja nicht selten wurden ihnen die Zugtiere vom Wagen gespannt und
Bekleidungsstücke und Schuhe, die sie auf dem Leibe trugen, noch weggenommen.
Auf den Häusern fehlten weithin die Dächer, und der Regen drang bis ins
Erdgeschoß ..."
Es ist bei
dem allen, was Pfarrer Lehmann berichtet, zu bedenken, dass gegen Ende April 45
und in den darauf folgenden Wochen unzählig viele durch den Einmarsch der Roten
Armee und der Amerikaner befreite Kriegsgefangene, KZ-Leute und andere
Zwangsarbeiter verschiedenster Nationalität durch Lorenzkirch und umliegende
Ortschaften zogen und je nach Bedarf plünderten und Beute machten. Überhaupt
müsste bedacht werden, dass sich Lorenzkirch mitten zwischen diversen schlimmen
Lagern befand, die einen traurigen Ruhm davon trugen, und dazu auch zwischen
Zentren der Rüstungsindustrie.
Als Familie
Lehmann im Sommer 1945 in das Lorenzkircher Pfarrhaus zurückkehrte, befand es sich
in einem wüsten Zustand. Drei Jahre danach schreibt Pfarrer Lehmann: "Aus dem
Pfarrhof wurden nicht weniger als 12 Pferdefuhren Unrat, die Trümmer der Möbel,
die eigene Bücherei und Pfarrarchiv abgefahren." Später stellte es sich
erfreulicherweise heraus, dass wesentliche Bestände des Pfarrarchives zwar arg
durcheinander gebracht worden waren,38
aber doch für die Nachwelt erhalten blieben. In der jüngsten Vergangenheit hat
sie Frau Vobus sehr gut sortiert und geordnet, wovon ich mich selbst bei meinen
Studien überzeugen konnte.
Kurt Lehmann
fand also im September 45 hier in Lorenzkirch für seine Arbeit als Pfarrer sehr
harte Bedingungen vor. Doch ging er mit großer Entschlossenheit ans Werk. Schon
in der Hitlerzeit war er der "Bekennenden Kirche" zugetan, also der Gruppierung
evangelischer Christen, die sich gegen die Überfremdung unserer Kirche durch die
braune Ideologie zur Wehr setzten. Eine solche Auffassung bekundete er nun in
Predigten und Gesprächen, stieß aber durchaus nicht immer auf Verständnis. So
heißt es im Kirchenvorstandsprotokoll vom 10.03.1948: "Der Kirchenvorstand
lehnt eine Beteiligung an der bekennenden Kirche ab."
Im Protokoll
vom 13.9. desselben Jahres aber heißt es: "Es soll wieder eine Bibelwoche
stattfinden. Die Zeit wird noch festgesetzt." Bekanntlich fanden die zu
winterlicher Zeit durchgeführten Bibelwochen in sehr vielen Kirchgemeinden einen
großen Zuspruch, so offenbar auch in Lorenzkirch.
Von einem
Ereignis, das an einem Hl. Abend der ersten Nachkriegszeit geschah, wird
folgendes erzählt: Als er in Gohlis nach Beendigung der Christvesper sein
Fahrrad besteigen wollte, um nach Lorenzkirch zu gelangen, hielten ihn russische
Soldaten an und forderten von ihm, dass er ihnen sein Stahlross aushändigen
solle. Er aber weigerte sich, schlug einem Zudringlichen auf die Hand und
schwang sich in den Sattel. Sie schössen hinter ihm her, verfehlten aber den
mächtig in die Pedalen tretenden Pfarrer. Auch sonst zeigte er allerhand
Zivilcourage. So begab er sich, als einige Russen ihm das Klavier aus dem Hause
geholt hatten, nach Zeithain zur Kommandantur und protestierte - in diesem Falle
allerdings erfolglos - gegen die Willkür.
Bezeichnend
ist auch eine Geschichte, in der es um eine Ziege geht. In jener Zeit nach
Kriegsende fehlte es im Lorenzkircher Pfarrhaus an der nötigen Nahrung. Kurt
Lehmann machte sich darum nach Jonsdorf, der Heimat seiner Frau, auf den Weg, um
dort - wie man sich damals auszudrücken pflegte - für seine Familie "zu
organisieren," und hatte dabei außerordentlichen Erfolg. Es gelang ihm, eine
lebendige, Milch spendende Ziege zu erwerben! Er reiste mit der Ziege und einem
Handwagen39 in die Eisenbahn bis Riesa. Dabei ergab es sich, dass er mit dem
lieben Tier auf dem Dresdner Hauptbahnhof umsteigen musste. Während sie hier auf
den passenden Zug zu warten hatten, sah er die Zeit für gekommen an, dass die
Ziege gemolken werden müsse. Er tat es sogleich - zur Freude anderer Passagiere
der Deutschen Reichsbahn, deren einige ihn sogleich um etwas Milch ansprachen.
Und Lehmann verteilte die erbetenen Kostproben. Entsprechende Gaben soll er auch
dem Zugbegleitpersonal gereicht haben, damit es dem Transport des Tieres
zustimme.
Er war ein
großer, schlanker Mann ("eine hühnenhafte Gestalt" - so sagte einer, der ihm
damals begegnete). In der kühlen Jahreszeit kleidete er sich mit seinem alten
Soldatenmantel. Wenn er auswärts zu predigen hatte, verpackte er den Talar nicht
in einen Koffer oder Rucksack, sondern trug ihn über dem Arm. Er hatte keine
Scheu davor, von den Passanten als Pfarrer erkannt zu werden. An den Sonnabenden
suchte er mit Vorliebe eine leer stehende Scheune auf, um an diesem Ort die
Predigt, die er für den folgenden Sonntag schriftlich ausgearbeitet hatte, laut
sprechend zu memorieren - sehr zur Verwunderung derer, die an der betreffenden
Scheune vorüberwanderten und die speziellen Gepflogenheiten des Ortspfarrers
nicht kannten (so Prof. G. Kretzschmar nach Erzählungen von Herrn Georg Engel).
Auch sonst hinterließ er bei den Zeitgenossen so manchen bemerkenswerten
Eindruck. Gottfried Kretzschmar, der nachmalige Theologieprofessor, fuhr als
Schüler hin und wieder mit ihm gemeinsam in
der Eisenbahn von Strehla nach Oschatz. Er entsinnt sich daran, dass Kurt
Lehmann bei solchen Fahrten mit gespannter Aufmerksamkeit in dem kurz nach
Kriegsende im Berliner Aufbauverlag erschienen Roman: "Stalingrad" (verfasst von
Theodor Plievier)40 las. Lehmann hatte ja - was Kretzschmar damals wohl noch
nicht wusste - die Hölle von Stalingrad am eigenen Leibe durchlitten.
Pfarrer
Lehmann blieb nur wenige Jahre in Lorenzkirch, nämlich nur bis 1949.
Wahrscheinlich auf Weisung sowjetischer und deutscher Polit - Funktionäre erhob
der Lorenzkircher Bürgermeister gegen Lehmann schwerste Vorwürfe. Jenen Bericht,
den dieser zur Verwahrung in der Kugel des Kirchturmes geschrieben, zuvor aber
öffentlich verlesen hatte, und andere entsprechende Äußerungen veranlassten den
Bürgermeister zu der radikalen Forderung: Lehmann müsse weg! Er sei nicht mehr
tragbar! Um Pfarrer Lehmann vor staatlichen Zugriffen zu schützen, sorgte die
Leitung der Sächsischen Landeskirche umgehend dafür, dass Pfarrer Lehmann
anderen Ortes seiner Fähigkeit und Standhaftigkeit angemessene kirchliche
Positionen erhalte. In seinem Lebenslauf schreibt er dazu nur dies: "Dann wurden
wir 1949 nach Bischheim bei Kamenz gerufen, wo ich zugleich als
Ephoraljugendpfarrer tätig war." Seinen weiteren Weg aber charakteresiert er mit
den Worten: "1957 - 1977 hatte ich die 2. Pfarrstelle an der CHRISTUS - Kirche
in Dresden - Strehlen inne. Unsere Ruhestandswohnung bezogen wir im Januar 1977
im Pfarrhaus Bannewitz im ausgebauten Dachgeschoß. Von hier aus konnte ich noch
manchen Vertretungsdienst in Strehlen, besonders Hausbesuche, gern übernehmen."
Anschließend
teilt er noch einiges von seinen Kindern und Enkeln mit: "Nach fünfjähriger
Wartezeit schenkte uns GOTT in den Jahren 1944, 45, 46, 49 und 53 vier Söhne und
eine Tochter und durch sie 14 Enkel" und sagt dann zusammenfassend von seinem
Erdenweg: gewährt worden sei ihm - "GOTT sei gepriesen - sowohl familiär als
auch dienstlich ein reiches und erfülltes Leben, eine tröstliche Bestätigung
meines Konfirmationsspruches: Wir wissen aber, dass denen, die GOTT lieben, alle
Dinge zum Besten dienen (Röm. 8, 28)."
Kurt Ernst
Lehmann starb am 28.02.1998 in Bannewitz - eine Woche vor seinem 84. Geburtstag.
GOTT segne
Lorenzkirch! GOTT segne dieses ihm geweihte Haus, in dem wir uns heute - wie es
viele vor uns taten - versammelt haben! GOTT segne alle, die hier ein und aus
gehen, nach dem Reichtum seiner Gnade!
Der Schriftsteller Theodor Plievier (bis 1933 hieß er Plivier) stand während der
Weimarer Republik der KPD nahe. 1933 emigrierte er in die Sowjetunion und
erhielt hier "den Auftrag für den offiziellen 'Stalingrad' - Roman." 1945 kehrte
er nach Deutschland zurück und ließ sich in der Sowjetischen Besatzungszone
nieder. Zwei Jahre später aber wandte er sich vom Kommunismus ab und begab sich
in den Westen. Er starb am 12.03. 1955 (vgl. Deutsches Literatur-Lexikon Bd. 12,
1990 Sp. 63 - 70).

Wortlaut des Schriftstücks von 1948 in der Kugel des
Kirchturms
Der Wortlaut
des Schriftstückes, das Pfarrer Kurt Lehmann 1948 formulierte und den in der
Kugel des Kirchturmes deponierten Dokumenten beifugte.41
-
Im Namen
Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
-
So
spricht der Herr: Gleichwie ich über dies Volk all dies große Unheil habe
kommen lassen, so will ich auch alles Gute über sie kommen lassen, das ich
ihnen zugesagt habe.42
-
So wolln
wir mitten im Gericht / auf deine Gnade trauen. Was immer deine Hand
zerbricht, das wirst du schöner bauen. Du führst doch alles wohl hinaus /
und wirst mit starken Händen / das einstmals angefangne Haus / gestalten und
vollenden.43
Heute (1.
April), da nach dem Beispiel der Väter Daten und Schilderungen zur Verwahrung im
Knopf unseres Kirchturmes für kommende Geschlechter geschrieben werden sollen,
ist uns das oben angeführte Wort Gottes als Tageslosung (Losungen der Herrnhuter
Brüdergemeinde) geschenkt. Da wir als Christen den Wechsel der Zeiten und alles
Geschehen und Erleben nicht als zufällig, sondern als von starken Händen
geordnet und geleitet betrachten, dürfen wir das Wort Heiliger Schrift als eine
besondere Gabe, einen hellen Strahl göttlichen Lichtes in das Dunkel, die Not
und den Kampf unserer Tage und alles Geschehens, von dem im Folgenden zu
berichten sein wird, empfangen.
Wir heutigen
wollen allen Kummer und alle nagende Sorge ob der Nacht über der Zukunft
begraben und versenken ins Meer der Güte und Barmherzigkeit Gottes, und unsere
Nachfahren, an denen sie sich leuchtend erweisen möchten, mögen nicht versäumen,
Gott gebührenden Dank und höchste Ehre für die Bestätigung seiner Zusagen durch
gesegnete Zeiten zu erweisen. Wir dürfen davon Zeugnis ablegen, dass Gott uns
gewürdigt hat, unter Tränen und tödlichen Gefahren, in Trauer und Armut seine
helfende und bewahrende Hand sichtbar zu schauen und ihn zu preisen auch in der
Not und Ungewissheit der Gegenwart. Ehre und Ruhm, Preis und Dank unserem
segnenden Gott zuvor!
Der äußere
Anlass zu diesen Zeilen ist das Abnehmen des Knopfes unseres Kirchturmes, in dem
wir Urkunden aus den Jahren 1687, 1818, 1846, 1888, 1916 und 1933 vorfanden. Der
Grund dafür war der starke Verfall des Turmdaches und des Gestühls sowohl als
das ganz schief hängende Turmkreuz mit dem mehrfach durchschossenen Knopf. Durch
fortwährendes Herabfallen von Turmschiefern und Balkenteilen wurden die
Gottesdienstbesucher schon gefährdet. Ein Verzug mit den Erneuerungsarbeiten
hätte zu baupolizeilichem Schließen unseres Gotteshauses fuhren können. Hier war
schnelles Handeln das Gebot der Stunde.
Doch die
Schwierigkeiten schienen unüberwindlich. Wie Handwerker gewinnen? Woher die in
großen Mengen nötigen Baumaterialien wie Schiefer, Holz, Nägel und Blech
beschaffen? Dazu waren die Gemeindeglieder meist zu sehr mit der Beseitigung
empfindlicher Kriegsschäden (viele Dächer waren ganz oder teilweise durch
Beschuss oder Minenexplosionen abgedeckt und neue Ziegel oder Schiefer nirgends
zu bekommen) an ihren eigenen Häusern beschäftigt, und es galt, mit viel Geduld
Hände und Herzen willig zu machen, das schier unmöglich scheinende Unterfangen
der Wiederherstellung unserer Kirche zu beginnen. Denn damit nicht genug galt
es, auch die großen Dachschäden an den Gebäuden des Pfarrhofes zu beseitigen,
sowie fast die Hälfte aller Fensterscheiben zu erneuern. Im Wohnhaus war wie in
vielen Häusern der Gemeinde wegen der Dachschäden schon in verschiedenen Räumen
der Putz von den Decken gefallen. Aus dem Pfarrhof wurden nicht weniger als 12
Pferdefuhren Unrat, die Trümmer und Reste der Möbel, des Geschirrs, der eigenen
Bücherei wie des Pfarrarchivs durch unseren stets bereitwilligen Kirchenvorstand
Emil Richter aus Zschepa abgefahren. Hatten doch ¼ Jahr lang viele Hunderte von
Polen und Russen im Pfarrhof und Kirche gehaust. Die Pfarre war wochenlang eine
Reparaturwerkstätte für russische Panzer und motorisierte Einheiten gewesen. Die
Möbel wie Klavier, Betten, Sofa, Nähmaschine, Radio, Schränke waren abgefahren
und die zurückgelassenen meist zur Unkenntlichkeit verschandelt und beschädigt.
Wäsche, Geschirr, Bekleidung und Bücher fanden wir im Pfarrhaus, wie auch in
andern Privathäusern nicht mehr vor. Das gesamte Pfarrarchiv war verwüstet
worden. In der Kirche hatten frevelnde Hände die Orgel erbrochen und gegen 350
Pfeifen zertrampelt oder verschleppt, den schönen großen Glasleuchter völlig
zerschlagen, die meist gestifteten bunten Glasfenster fast restlos durchstoßen,
Altargerät und -behänge, Teppiche usw. geraubt.
Auf dem
Friedhof, im Pfarrgarten oder andern Privatgärten hatten wochenlang Lagerfeuer
zum Abkochen gebrannt, weil die Häuser die Tausende zurückflutenden Ostvölker
nicht zu fassen vermochten. Auf den breiten Eibwiesen, in Gärten, Feldern und im
Wald lagen Hunderte ausgebrannter und ausgeraubter Last- oder Personenwagen,
Pferde- oder Handwagen, Fahrräder, ganze Berge von Wäsche, Möbel, Geschirr aus
all diesen Treckfahrzeugen, die noch über die Elbe hatten kommen wollen, um den
Russen zu entfliehen, aber an der Elbe von den anstürmenden Feinden überrannt
worden waren, weil in Riesa wie auch hier die von unseren Truppen erbauten
Pontonbrücken gesprengt worden waren.
Ein
namenloses Elend herrschte in unserer Gemeinde. Auf den Höfen, in Gärten,
Feldern und Wiesen lagen allerwärts Gefallene, die nicht im Gefecht, sondern als
Gefangene von den Feinden niedergeschossen worden waren. Mehr als 120 Tote
liegen auf dem Friedhof, in der nahen Sandgrube, hier und da auch noch in
Einzelgräbern auf Lorenzkircher Flur beerdigt. Die Häuser wurden weithin völlig
ausgeplündert. Vieh blieb nur noch in ganz wenigen Höfen übrig, entweder wurde
es fortgeführt oder an Ort und Stelle geschlachtet. Wäsche und
Bekleidungsstücke, sogar wo sie vergraben waren, wurden fast restlos aus den
Häusern fortgeschleppt. Oft mussten die aus den Häusern Vertriebenen Körbe,
Taschen und Rucksäcke ausleeren und alles hingeben, ja nicht selten wurden ihnen
die Zugtiere vom Wagen gespannt und Bekleidungsstücke und Schuhe, die sie auf
dem Leibe trugen, noch weggenommen.
Am
hässlichsten aber waren die wochenlangen Belästigungen und Vergewaltigungen der
Frauen und jungen Mädchen, auf die besonders nachts eine wahre Hetzjagd
getrieben wurde. Nicht wenige haben gesundheitliche Schäden davongetragen, nicht
zu reden von den seelischen Belastungen und Hemmungen, die so menschenunwürdige
Behandlung erzeugte. Namentlich Frauen waren weithin zur Unkenntlichkeit
verändert durch die ausgestandenen Ängste und Verfolgungen, nicht wenige haben
sich, um ihnen zu entgehen, selbst entleibt.
All diese
und viele ungenannten Nöte nahmen ihren Anfang am Sonntag, den 22. April 1945,
dem Tag der Einnahme unseres Dorfes durch die Russen. Am 23. April fanden noch
heftige Kampfhandlungen statt. Die Feinde versuchten, zwischen den schon
zerschossenen Gespannen und Lastwagen auf den Elbwiesen und auf den Trümmern der
gesprengten Pontonbrücke auf das westliche Ufer zu gelangen, was unsere Truppen
durch Infanterie-, Flak- und Pakfeuer zu verhindern suchten. In der Nacht vom
23. zum 24. April wurde Riesa und Strehla kampflos von unseren Truppen
aufgegeben. Wenige Zeit später wurde zwischen Lorenzkirch und Strehla eine
hölzerne Brücke von den Besatzungstruppen errichtet, bei der die Ortseinwohner
zu Arbeiten herangezogen wurden. Dadurch kam neue Bedrängnis für die Gemeinde,
besonders durch die nun wochenlang über die Elbe nach Westen marschierenden
Truppen, noch schlimmer aber durch die nach Osten flutenden Polen, Ukrainer,
Ungarn u. dgl., die alle wie Bettler in Fetzen ankamen und alle bewegliche Habe
mit sich führten. Sie bauten sich Fahrzeuge mit jedem verfügbaren Rad, ob vom
Pflug, von einer Dreschmaschine oder einer Pumpanlage und luden alles ihnen
Anstehende auf und nahmen's mit sich fort. Da viele Gemeindeglieder geflohen
waren oder von der Besatzungsarmee zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen waren,
fanden sie oft erst nach Wochen die leeren und arg verwüsteten Wohnungen wieder.
So waren viele Einwohner fast ihrers gesamten persönlichen Eigentums beraubt und
suchten, sich dann auf den Eibwiesen aus den zerstörten und herrenlos
herumstehenden Treckfahrzeugen schadlos zu halten.
Zu dieser
Not kam dann noch, dass viele Felder im Frühjahr nicht hatten bestellt werden
können, so dass die Ernte von ihnen ausfiel. Andere Felder waren so durch
Schützen- und Panzergräben verwüstet, dass auch sie nichts hergaben. Auf den
Elbwiesen wurde monatelang von der Besatzung zusammengetriebenes Vieh (Hunderte
von Pferden und Kühen) geweidet; man trieb sie sogar im Herbst 1945 noch auf die
junge Saat der Felder, so dass für 1946 auch dadurch die Ernte beschnitten
wurde. Das Schwierigste war die Beschaffung der Zugtiere und des Viehs. Etliche
Höfe mit 50 St. Rindvieh fingen mit 1 - 2 Kühen wieder an, die für teures Geld
von den Bauern jenseits der Elbe, oft erst durch behördlichen Zwang abgegeben,
gekauft werden mussten, da dort nur selten Vieh weggeschleppt worden war. Die
Gärten waren verwüstet, Beete wie Straßen so festgetrampelt, Obstbäume abgesägt
oder stark beschädigt. Fast alle Monate kamen Flüchtlinge an (Umquartierte aus
den an unsere Feinde abgetretenen Ostgebieten Schlesien, Pommern, Ostpreußen),
die wieder untergebracht werden mussten, wo oft kaum für die Ansässigen genügend
Wohnraum in den Häusern war, da weithin die Dächer fehlten und der Regen bis in
die Erdgeschosse drang. Unsere Gemeinde mit 476 Seelen hat zur Zeit noch 212
Umquartierte in ihren Häusern untergebracht, denen weithin das Nötigste an
Kleidung, Wäsche, Geschirr usw. von dem Wenigen, das in den ansässigen Familien
noch da war oder mühsam zusammengetragen war, wieder abgegeben werden musste;
denn sie waren oft nur mit dem, was sie auf dem Leibe trugen, aus ihrer Heimat
vertrieben worden.
Mitten in
solche Not kam nun die unbeschreibliche Dürre des vergangenen Jahres mit einer
Missernte, wie sie auch die ältesten Zeitgenossen noch nicht erlebt hatten.
Besonders die Hackfrüchte erbrachten oft nicht einmal den Ertrag der
ausgesteckten Samenmenge. Der 2. Schnitt auf den Wiesen fiel völlig aus. So
musste viel Vieh wegen Futtermangel geschlachtet werden und anderes wird nur
ganz dürftig und kärglich vor dem Verenden bewahrt. In den ersten Apriltagen
sahen sich viele gezwungen, ihr Vieh auf die Weide zu treiben.
Die Menschen
sterben namentlich in den Städten zu Tausenden an Unterernährung. Die
Tagesrationen betragen, wie aus beiliegender Karte ersichtlich: Brot: 300g,
Kartoffeln: 400g, Fett: 10g, Fleisch: 20g, Zucker: 20g, Marmelade: 30g,
Nährmittel 20g. Diese Mengen werden oft noch ganz unregelmäßig ausgegeben oder
ersetzt wie für Fleisch Quark, für Fett Zucker. Sie sind so niedrig, dass ein
völlig untätiger Mensch damit auf die Dauer nicht bestehen kann, geschweige denn
einer, der arbeiten muss. In solcher Lage gilt gemeinhin nur noch als Währung,
was der Bauer erzeugt. Ein Zentner Getreide, für den er offiziell 9 bis 12
Reichsmark erhält, kostet im Schwarzhandel das Hundertfache. Gearbeitet wird nur
gegen Lebensmittel bei vielen Handwerkern, auch Baumaterialien sind nur gegen
solche zu haben. Unter solchen Verhältnissen schien es um so unmöglicher, an
Kirche und Pfarrhaus Bauvorhaben zu beginnen. Um so dankbarer sind wir, dass uns
doch so mancher Schritt gelungen ist.
Zunächst
erneuerte uns Herr Glasermeister Berthold (Strehla) 1946 die Fenster der
Südseite unserer Kirche, nachdem er schon im Herbst 1945 die Fenster des
Pfarrhauses mit dem Glas aus den nur teilweise erhalten gebliebenen
Doppelfenstern ausgebessert hatte. Herr Dachdeckermeister Friedrich Marschner
(Strehla) deckte 1947 mit von der Scheune gewonnenen Ziegeln Pfarrhaus und ein
Nebengebäude völlig um, nachdem im Herbst 1945 nur die größten Schäden
notdürftig behoben worden waren. Auch der vordere Teil der Kirche (Apsis und
Altarraum) konnte im Spätherbst 1947 noch umgedeckt werden. Nach vielen Bitten
konnte endlich Herr Baumeister Obenaus (Strehla) gewonnen werden für die
schwierigen Arbeiten am Turm, die nicht ohne Gerüst ausgeführt werden konnten,
uns dies Gerüst noch im Spätherbst 1947 zu errichten und die schadhaften Balken
am Gestühl sowie die verfaulten Belegbretter des Schieferdaches zu erneuern. Die
dazu erforderliche große Menge Nägel stellten teils die Landwirte unter den
Kirchenvorständen durch eine Getreidespende und teils Gemeindeglieder durch eine
Nägelsammlung von Haus zu Haus zur Verfügung. Besonders großes Entgegenkommen
erwies uns Herr Dachdeckermeister Korn aus Oschatz, der uns ohne
Naturalienforderung den erforderlichen Turmschiefer verkaufte, ohne den alle
Arbeiten am Turm nicht möglich gewesen wären. Die Kirchgemeinde ist ihm deshalb
zu ganz großem Dank verpflichtet. Schon im Herbst 1945 konnte die Orgel
wenigstens in einigen Registern wieder spielbar gemacht und im Sommer 1947 die
umfangreiche völlige Erneuerung der Orgel von der Firma Hermann Eule (Bautzen)
durchgeführt werden, deren Kosten sich auf 1.769 Reichsmark beliefen. Um die
Verbindung zu Handwerkern, Künstlern und Amtsstellen, die für für die
ausgedehnten Arbeiten nötig war, machte sich als Leitung der Herr Architekt Karl
Obenaus (Strehla) verdient. Viel Mühe wendete er auch auf, um die Vergoldung des
Knopfes zu ermöglichen, leider konnte aber trotz kleiner Stiftungen aus der
Gemeinde die erforderliche Menge von 8 g nicht zusammengebracht werden, so dass
der Knopf nur ausgebeult und gelötet wieder aufgesetzt werden muss. Die
Klempnerarbeiten am Turmgestühl übernahm die Firma Trabus, Strehla. Das
zerbrochene Turmkreuz besserte Herr Schmiedemeister Kalix aus Lorenzkirch aus,
dessen Vater es 1916 angefertigt hatte. Das Löten und Ausbeulen des Knopfes
wurde von Herrn Kupferschmiedemeister Richter (Strehla) ausgeführt.
Sehr viel
Sorge bereitete auch die geldliche Sicherstellung solch ausgedehnter Bauarbeiten
bei der so großen Ausplünderung und Verarmung der Kirchgemeinde. Von sich aus
hätte sie ja kaum eine der vielen Arbeiten bezahlen können. So sind wir allen,
die uns dabei behilflich waren, besonderen Dank schuldig. Die Kirchgemeinde
Borna spendete 100, Bioswitz 50, Strehla 67 Reichsmark. Die gesamte Ephorie
sammelte eine Sonntagskollekte für Lorenzkirch mit dem Ertrag von 1.700.-
Reichsmark. Die bei weitem wesentlichste Hilfe verdanken wir der Rechnungsstelle
der Landeskirche durch großmütige Beihilfe von bis jetzt 14.300 Reichsmark, die
- wie angekündigt - noch durch weitere 6.000 Reichsmark erhöht werden soll. Für
diese wahrhaft vorbildliche und edle Unterstützung unserer Kirchgemeinde gebührt
der Landeskirche unser heißer und aufrichtiger Dank.
Noch warten
aber neue Aufgaben auf uns, die zu bewältigen Gott uns seine Hilfe schenken
wolle! So gilt es, nach Beendigung der Turmarbeiten noch das Hauptdach des
Schiffes umzudecken, wozu die Ziegel von der abgedeckten Scheune benutzt werden
sollen. Dann wollen wir gern die Fenster der Nordseite noch erneuern und das
Innere der Kirche neu weißen und malen lassen. Da durch den Fortfall der
gutsherrlichen Patronate (Enteignung der Rittergutsbesitzer) und durch
Überwindung der Standesgrenzen schon früher auch die Patronatslogen überzählig
geworden sind, wurden die an der Nordseite befindlichen Treppen abgebrochen und
die Türen zu den Logen zu Fenstern umgebaut. Die Loge im Altarraum, die dessen
Geschlossenheit sehr stört, soll deshalb entfernt werden. An die Beschaffung der
durch den Krieg (staatliche Verfügung) verloren gegangenen Glocken wagen wir
gegenwärtig noch nicht zu denken. Sehr dringend aber beschäftigt uns die Frage
der Eindeckung des Scheunendaches, die bei der völligen Aussichtslosigkeit auf
Ziegel wohl nur mit Stroh versucht werden kann. Wolle Gott uns eine gute Ernte
und in der Gemeinde willige Herzen schenken, dass die erforderliche Menge Stroh
beschafft werden könnte.
Von
außergewöhnlichem Hochwasser blieben wir lang verschont. dass im Sommer 1947 vom
2. August bis in den November hinein der Schiffsverkehr wegen Wassermangel hatte
eingestellt werden müssen, dürfte nicht häufig vorgekommen sein. Zu Anfang des
Jahres 1947 war die Elbe vom 7. bis 14. Januar und vom 30. Januar bis 14. März
zugefroren. Wie durch ein Wunder brach das uns schon arg bedrängende Eis in der
Nacht vom 14./15. März plötzlich auf und befreite uns von großen Gefahren, die
Wasser und Eis uns zu bringen drohten.
Seit 1938
wurde Zschepa als politische Gemeinde zu Lorenzkirch geschlagen und stellte
seitdem den Bürgermeister in Herrn Otto Naumann bis Sommer 1945. Gegenwärtig
amtiert Herr Arno Klingenberg als Bürgermeister und die Herren Erich Heinze als
Hilfslehrer und Herr Oberlehrer Richard Seifert als Schulleiter. Die
ortsansässige Gemeinde hatte im Kriege 1939 -1945 15 Gefallene und wartet noch
auf 14 Vermisste, deren Schicksal in lastendes Dunkel gehüllt ist. Von den
umquartierten Familien sind 7 Gefallene und 9 Vermisste zu nennen.
Zu
Kirchenvorständen wurden bei der letzten Wahl am 17. 8. 1947 gewählt: Engel
Helene; Kalix Ernst; Mehlig Karl; Richter Emil; Siering Otto; Hancke Frida; Kaul
Martin; Richert August; Schreiber Else; Weber Otto.
Das
Kirchneramt (Glöckner, Calcant44
, Totengräber) führt seit dem Tode ihres Vaters (1942), der es über 50 Jahre in
großer Treue geführt hatte, auf seinen Wunsch Frau Helene Engel. Das Kantorenamt
führt seit seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft im Herbst 1945 Herr Kantor
Johannes Knolle, der schon seit 1928 Kantor von Gohlis ist und seinen Dienst in
beiden Gemeinden mit großer Liebe und Treue zur Sache versieht. Sein Verdienst
ist es auch, dass seit Januar 1947 in unserer Gemeinde ein gemischter
Kirchenchor besteht (25 Mitglieder), der vor allem zu Festzeiten unsere
Gottesdienste verschönen und Gottes Lob unter uns vermehren hilft. Die Besetzung
der Pfarrstelle war folgende: Herr Pfarrer Ruppel, der die beiden letzten
Urkunden von 1916 und 1933 verfaßte,45
amtierte noch bis September 1939, wo er in den Ruhestand trat. Sein Nachfolger
im Amt wurde der damalige Vikar von Strehla und Umgebung Pfarrer Rudolf Eisert,
der leider schon im Sommer 1942 in Rußland fiel. Große Hoffnungen und ein treuer
Diener Gottes sanken mit ihm ins Grab, hatte er sich doch trotz so kurzer
Amtszeit einer großen Beliebtheit in seiner Gemeinde erfreut. Bis 1943 war die
Stelle vakant und wurde wechselnd durch Herrn Pfarrer Ruppel (Strehla), Matz (Röderau),
Winkler (Leipzig) und Hodschura (geflüchtet aus Ungarn) versorgt.
Am 5.
Oktober 1943 wurde Unterzeichneter, Kurt Ernst Lehmann, geboren am 8. März 1914
in Trünzig bei Werdau, vom Landeskirchenamt nach hier als in seine erste
ständige Stelle versetzt und durch Herrn Superintendenten Ludwig (Oschatz)
eingewiesen; konnte aber erst nach 8jähriger Militärzeit bei der Rückkehr aus
der Gefangenschaft am 1. 9. 1945 sein Amt wirklich übernehmen.
Die
Aufgaben, die uns als Kirchgemeinde gestellt waren und noch sind, sind sowohl
innerlich wie auch äußerlich keine geringen. Der Verfall unserer kirchlichen
Gebäude war weithin die Folge härtester Kriegsjahre und der damit verbundenen
Verwüstungen, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aber auch Ausdruck für unsere
Lauheit und Gleichgültigkeit ihnen gegenüber. Wir haben, weil wir Gott nicht
mehr heiß genug liebten, auch sein Haus zu wenig geliebt und gepflegt. Wir
hätten die Folgen unserer Nachlässigkeit und unseres mangelhaften Opferwillens
mit eigenen Kräften und Mitteln nicht beseitigen können durch Beschaffung der
bis jetzt schon verausgabten 17.000 RM noch der gewiss noch nötigen 10 - 15.000
RM. Unser ehrlicher Dank gegen Gott, der uns zuletzt aus Gnaden auch durch
Menschen so große Hilfe schenkte in unserem großen Bauvorhaben und die Herzen
oft wie Wasserbäche lenkte, sei darum eine neue Liebe zu Gott und seinem Hause
in unserer Mitte, eine freudige Opferwilligkeit, wo es um unsere auch in ihren
äußeren Formen so schöne Kirche und ihre Erhaltung geht. Die schönste Zierde
eines Gotteshauses aber ist eine sich treu und gern in ihm versammelnde
Gemeinde; so allein wird wahr, was unser gegenwärtiger Monatsspruch uns sagt:
„Herr, du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft."46
In dem
Wissen, dass wo uns eine Zukunft geschenkt würde, es nur eine christliche sein
kann und wird, grüßen wir unsere Nachfahren als Brüder und Schwestern in Christo
und bitten für sie und und uns zu Gott, dass er uns Gnade schenke, Glauben zu
können, was Paulus an die Epheser schreibt: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste
und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen."47
Lorenzkirch, am Tage da wir den
Turm unsres Gotteshauses durch Kreuz und Knopf wieder schmücken dürfen, den 10.
April des 1948sten Jahres nach der Geburt Christi
Curt Korn, Dachdeckermeister
Oschatz; Friedrich Marschner, Dachdeckermeister Strehla; Erich Kühne,
Klempnermeister Strehla; Rud. Obenaus, Baumeister; Karl Obenaus; Kurt Ernst
Lehmann, Pfarrer; Otto Weber; Ernst Kalix; Emil Richter; Martin Kaul; Otto
Süring; Karl Mehlig; August Richert; Else verw. Schreiber; Frida Hancke; Helene
Engel; Oberlehrer Richard Seifert, Schulleiter.

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