Deutsche, Buren und Engländer in Südwestafrika
Begleitwort zu einer
Nationalitätenkarte der Europäer in Südwestafrika
Sonderdruck aus
"Koloniale Rundschau" Heft 9/10, 1931
Von Dr.
Johannes Paul
Inhalt
Für die
Beurteilung der Lage des Deutschtums in
Südwestafrika ist es häufig als
Mangel empfunden worden, dass genaue statistische Unterlagen über die
absolute Zahl und das relative Stärkeverhältnis von Deutschen,
Buren und
Engländern nicht vorliegen. Die amtliche Nationalitätenstatistik beruht auf
den Angaben über Staatsangehörigkeit; da aber bei der Europäerbevölkerung
Südwestafrikas Nationalität und Staatsangehörigkeit sehr oft nicht
übereinstimmen, ist diese sogenannte Nationalitätenstatistik für die Lösung
der vorliegenden Frage von recht beschränktem Wert. Zwar lässt sich aus ihr
die Gesamtzahl der Deutschen noch mit einiger Genauigkeit ermitteln, da nach
der automatischen Naturalisation des größeren Teiles der 1924 im Lande
ansässigen Deutschen (Londoner Abkommen 19231) und Naturalisationsgesetz
19242) diese auch weiterhin gesondert als "British by naturalization"
aufgeführt werden. Aber die Nationalitätenstatistik gestattet keine klare
Unterscheidung von Buren und Engländern; außerdem gibt sie nur die Summen
für das ganze Land, so dass eine Untersuchung der Verhältnisse in den
einzelnen Landesteilen sowie eine kartographische Darstellung unmöglich ist.
Auch die Sprachenstatistik ist für die Ermittlung der
Nationalitätenverhältnisse unbrauchbar. Ebenso führt die
Geburtsortsstatistik nicht zum Ziel, schon allein darum nicht, weil von der
gesamten Europäerbevölkerung Südwestafrikas heute bereits mehr als ein
Viertel im Lande selbst geboren ist, also mit den Mitteln dieser Statistik
der Nationalität nach nicht erfasst werden kann. Von deutscher Seite in
Südwestafrika liegen Schätzungen über die jeweilige Zahl der Deutschen vor,
die wohl praktischen Bedürfnissen genügen. Die Schätzungen über die
Verteilung der restlichen Bevölkerung auf Buren und Engländer beruhen
dagegen schon auf recht unsicheren Grundlagen, und noch unklarer sind die
Vorstellungen von der relativen Stärke der einzelnen Nationalitäten in den
verschiedenen Teilen des Landes.
Gerade diese Frage ist aber für die Beurteilung der gegenwärtigen und vor
allem der zukünftigen Lage des Deutschtums von wesentlicher Bedeutung. Es
ist wichtig zu wissen, ob und in welchem Stärkeverhältnis vorwiegend,
deutsche Landesteile solchen mit vorherrschend englischer oder
Burenbevölkerung gegenüberstehen, bzw. wie weit der tatsächlich bestehende
Prozess der räumlichen Durchdringung der Nationalitäten heute bereits
fortgeschritten ist. Eine solche Umgestaltung des Bevölkerungsbildes hat
nicht nur politische Folgen, z. B. für das Stimmenverhältnis bei den Wahlen,
das durch die ungleichen Wahlrechtsbestimmungen für die Deutschen an sich
schon ungünstig ist, sondern verändert auch die kulturelle Lage des
Deutschtums. Denn es wachsen damit die Möglichkeiten für eine kulturelle
Assimilation an das stärkste Bevölkerungselement, die Buren, wenn diese
Möglichkeiten auch in einem weiträumigen Lande wie Südwestafrika, das als
ländliche Siedlungsform fast nur die Einzelfarm kennt, anders zu beurteilen
sind als etwa in Europa. Dabei ist nicht nur das Stärkeverhältnis von
Deutschen zu Nichtdeutschen zu berücksichtigen, sondern bei letzteren auch
der Anteil von Buren und Engländern, da deren Einstellung zu den
Bestrebungen des Deutschtums in manchen wichtigen Punkten wesentlich
verschieden ist. Gerade dieses relative Stärkeverhältnis der drei
Nationalitäten in den verschiedenen Teilen des Landes konnte aber bisher
nicht mit Sicherheit beurteilt werden.

I. Statistische Grundlagen
Es ist nun hier der Versuch gemacht worden, zur Klärung dieser Frage die
Konfessionsstatistik heranzuziehen. Die Auswertung der Konfessionsstatistik
zur Feststellung von Nationalitätenverhältnissen in völkischen Mischgebieten
ist für andere Länder schon mehrfach und mit verschiedenem Erfolg versucht
worden. Der Erfolg hängt - abgesehen von der Frage der Zuverlässigkeit der
statistischen Erhebung überhaupt wesentlich davon ab, ob wirklich jeder
Nationalität eine besondere, nur ihr eigentümliche Konfession (oder Gruppe
von solchen) entspricht, bzw. ob für die Konfessionen, die Angehörige
verschiedener Nationalitätszugehörigkeit umfassen, eine den tatsächlichen
Verhältnissen entsprechende Verteilungsquote gefunden werden kann. In
Südwestafrika kommen praktisch nur drei Nationalitäten in Frage, Deutsche,
Buren und Engländer, und für sie sind diese Voraussetzungen tatsächlich
soweit erfüllt, dass eine ausreichende Genauigkeit gewährleistet ist. Nur 1,8
Prozent der Gesamtbevölkerung hatte nach der Zählung von 1926 eine
Staatsangehörigkeit, die keiner dieser drei Nationalitäten entspricht.
-
Die Buren gehören mit sehr
seltenen Ausnahmen durchweg der Reformierten Kirche an, die in Südwest
ganz vorwiegend durch die
Nederduits-Gereformeerde Kerk, in geringerem
Maße auch durch die Gereformeerde Kerk van Suid Afrika und durch die Hervormde Kerk vertreten ist. Der Anteil der Buren an der
Gesamtbevölkerung lässt sich also mit großer Genauigkeit feststellen, da
außerhalb des Burentums Reformierte praktisch nicht in Frage kommen.
-
Die Deutschen setzen sich
hauptsächlich aus Lutheranern bzw. Protestanten im engeren Sinn
zusammen. Weiter gehört zu ihnen der größte Teil der Katholiken. Da
jedoch ein kleiner Teil der Katholiken den Engländern zuzuzählen ist,
so muss eine prozentuale Verteilung vorgenommen werden. Nach dem gut
übereinstimmenden Urteil von mehreren Vertretern der katholischen Kirche
in Südwest wurden 80% der Katholiken als deutsch, 20% als englisch
gerechnet. Bei der guten Übersicht, die die katholische Kirche in
Südwest über ihre Mitglieder hat darf diese Verteilungsquote als recht
genau angenommen werden, wenigstens für das Jahr 1926. In ähnlicher
Weise wurden die Juden zu 30% den Deutschen, zu 70% den Engländern
zugerechnet. Da die von der Konfessionsstatistik als Juden Aufgeführten
nur 1,8% der Gesamtbevölkerung ausmachen, so würde auch eine größere
Ungenauigkeit dieser aus der Beobachtung gewonnenen Verteilungsquote die
Endresultate nur in ganz geringem Maße beeinflussen.
-
Die Engländer schließlich setzen
sich ganz vorwiegend aus Anglikanern sowie einer geringen Zahl von
Presbyterianern, Kongregationalisten und Methodisten zusammen, denen
dann noch 20% der Katholiken und 70% der Juden zugezählt wurden.
Damit sind die großen
Konfessionsgruppen, deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität
ganz oder nahezu eindeutig festgestellt werden kann, aufgeteilt. Es
verbleibt noch ein Rest von einigen ganz kleinen Sekten usw. Sie machen nach
der Zahlung vom Jahre 1926 insgesamt nur 2,4% der Gesamtbevölkerung aus.
Deren Anhänger wurden gleichmäßig auf Buren, Deutsche und Engländer
verteilt. Sollte diese Verteilungsquote nicht ganz zuverlässig sein, so
würde also der Fehler bei einer der drei Nationalitäten selbst im
ungünstigsten Falle nur 1,8% betragen. Es besteht daher Grund zu der
Annahme, dass die mit dieser Methode gewonnenen Ergebnisse innerhalb einer
sehr engen Fehlergrenze den Tatfachen entsprechen. Eine Möglichkeit zur
Kontrolle gibt der Vergleich des prozentualen Anteiles der Deutschen an der
Gesamtbevölkerung nach der Nationalitätenstatistik mit den aus der
Konfessionsstatistik gewonnenen Werten. Die Nationalitätenstatistik ergibt
den Anteil der Deutschen für 1921 zu 40,4%, für 1926 zu 36,9% (d. h. 1926
"German" plus "British by naturalization"). Die Auswertung der
Konfessionsstatistik ergibt für die gleichen Jahre 41,1% und 36,9%. Die
Übereinstimmung dieser völlig unabhängig voneinander gewonnenen Endresultate
ist so genau, dass damit die Brauchbarkeit der vorliegenden Methode auch für
die Untersuchung der Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen und für die
Trennung von Buren und Engländern erwiesen sein dürfte. Die Berechnung nach
der Zählung vom Jahre 1926 ergibt folgendes Bild:
Übersicht nach
Distrikten für 1926
|
Buren |
Engländer |
Deutsche |
Summen |
Aroab |
616 |
29 |
50 |
695 |
Bethanien |
315 |
51 |
91 |
457 |
Gibeon |
1.421 |
96 |
213 |
1.730 |
Gobabis |
565 |
65 |
324 |
954 |
Grootfontein |
304 |
208 |
1.105 |
1.617 |
Karibib |
357 |
285 |
411 |
1.053 |
Keetmanshoop |
1.982 |
436 |
270 |
2.688 |
Lüderitzbucht |
455 |
451 |
1.687 |
2.593 |
Maltahöhe |
277 |
20 |
78 |
375 |
Okahandja |
378 |
77 |
311 |
766 |
Omaruru |
246 |
103 |
401 |
766 |
Otjiwarongo |
361 |
114 |
322 |
797 |
Outjo |
156 |
46 |
109 |
311 |
Rehoboth |
538 |
69 |
143 |
750 |
Swakopmund |
385 |
452 |
1.048 |
1.885 |
Warmbad |
1.759 |
143 |
126 |
2.028 |
Windhuk |
1.244 |
1.172 |
2.186 |
4.602 |
Summ en |
11.359 |
3.817 |
8.875 |
24.051 |

II. Die Verbreitung der einzelnen
Nationalitäten
Nach der oben beschriebenen Methode
wurde die Konfessionsstatistik der beiden bisher vorliegenden Zählungen aus
den Jahren 1921 und 1926 bearbeitet3).
Die Ergebnisse für 1926 kommen in den beiliegenden Karten zur Darstellung,
die somit ein Bild von der räumlichen Verbreitung von Deutschen, Buren und
Engländern in diesem Jahre geben. Auf Karte 2 sind je 25 weiße Einwohner
durch einen Punkt dargestellt, die Nationalität kommt durch Form und Farbe
zum Ausdruck. Als kleinste Zählungseinheit gibt die Statistik den
Magistratsdistrikt. Die Verbreitung der europäischen Bevölkerung innerhalb
der einzelnen Distrikte ist aber sehr ungleichmäßig. Vor allem im
Küstengebiet, wo die Bevölkerung an wenigen Punkten konzentriert ist, aber
auch in den Distrikten des Binnenlandes, die Teile der Namib oder des
Sandfeldes umfassen, war ein Ausscheiden der völlig unbesiedelten Gebiete
und eine genaue Festlegung der wirklichen Wohnplätze notwendig, wofür in
erster Linie die Farmbesitzstandskarte des gleichen Jahres4)
maßgebend war. Die Ortschaften mit mehr als 500 weißen Einwohnern wurden
ausgeschieden und durch drei entsprechend größere Kreise dargestellt. - Auf
Karte 1 ist die gesamte Bevölkerungszahl jedes einzelnen Distriktes durch
einen der Größe dieser Zahl entsprechenden Kreis dargestellt; der Anteil der
einzelnen Nationalitäten ist durch Sektoren veranschaulicht.
Karte 1

Als Gesamtbild ergibt sich, dass
abgesehen von den Küstenorten
Swakopmund,
Walfischbai und
Lüderitzbucht mit
den Diamantfeldern fast die gesamte weiße Bevölkerung innerhalb der Grenzen
des Farmlandes im Binnenland ansässig ist. Auch innerhalb des besamten
Gebietes, das als ein langer und relativ schmaler Streifen zwischen
Namib
und Kalahari die eigentlichen Binnenhochländer bis etwa zur Etoschapfanne
nach Norden umfasst, ist die Dichte der Europäerbevölkerung, nicht ganz
gleichmäßig. Einige kleinere Eingeborenenreservate und vor allem das große
Reservat der Rehobother Bastards, in denen Weiße kein Land erwerben können,
sind noch ziemlich frei von Europäern. Durch die Errichtung von Missions-,
Polizei- oder sogar Eisenbahnstationen, Kaufläden usw. sind aber auch hier
bereits einzelne Europäerfamilien ansässig, so dass heute tatsächlich schon
ein fast zusammenhängendes, wenn auch außerordentlich dünn bewohntes
europäisches Siedlungsgebiet von Oranje bis nahe zur
Etoschapfanne und vom
Westrand des Sandfeldes bis zur östlichen Namibgrenze besteht.
Sehr auffällig ist die Tatsache, dass
die Dichte der ländlichen Europäerbevölkerung in dem klimatisch begünstigten
Norden nicht größer, sondern gleich oder stellenweise sogar geringer ist als
im trockenen Süden (vgl. z. B. Distrikt
Grootfontein und Distrikt
Warmbad).
Auf Grund der von Nordosten nach Südwesten abnehmenden Regenmengen und der
dadurch bedingten dürftigeren Weide ist die Größe einer Durchschnittsfarm im
Norden 3 - 5.000 ha, um Windhuk 8 - 10.000 ha, im Süden aber bis 20.000 ha
und mehr. Es wäre zu erwarten, dass diese nach Süden zunehmende mittlere
Farmgröße durch abnehmende Bevölkerungsdichte zum Ausdruck käme. Tatsächlich
ist das, wie Karte II zeigt, nicht der Fall. Der Grund dafür ist in erster
Linie darin zu suchen dass im Süden das Burentum in seinem prozentualen
Anteil an der Gesamtbevölkerung bei weitem überwiegt (Distrikt Grootfontein
19% Buren, Distrikt Warmbad 87% Buren). Durch seine bescheidene
Lebenshaltung kann der Bur auf der gleichen Farmfläche mehr Menschen
ernähren, als es - unter sonst gleichen Umständen - dem Deutschen oder
Engländer möglich ist. Seinen natürlichen Ausdruck findet das in der großen
Kinderzahl der ländlichen Burenfamilien. Auch ist das Systern der "Beiwohner",
die südafrikanische Form des ländlichen Arbeitslosenproblems vielfach von
den Buren nach Südwest übernommen worden, wodurch ebenfalls die
durchschnittliche Zahl der europäischen Bewohner einer Burenfarm erhöht
wird.
Karte 2

Wie in den meisten Kolonialländern,
so ist auch in Südwest die europäische Bevölkerung stark auf die Städte
konzentriert. Die acht größten Ortschaften, die auf Karte II besonders
herausgehoben sind, umfassen zusammen nahezu die Hälfte aller Europäer des
Landes. Damit ist aber der Anteil der städtischen Bevölkerung noch
keineswegs erschöpft. Denn auch viele der kleineren Ortschaften wie
Okahandja, Karib,
Omaruru usw. sind trotz ihrer geringen Einwohnerzahl nach
ihrer Funktion im Wirtschaftsleben und nach dem Einfluss, den sie auf die
Lebensführung ihrer Bewohner ausüben, durchaus als Städte zu bezeichnen, so
dass die Gesamtzahl der unter städtischen Lebensbedingungen stehenden
Bevölkerung tatsächlich noch wesentlich höher ist. Die Hauptstadt
Windhuk
steht dabei weitaus an erster Stelle; mit über 3.800 weißen Einwohnern (im
Jahre 1926) umfasst sie allein fast ein Sechstel aller im Lande lebenden
Europäer.
Die drei Nationalitäten sind in allen
Teilen des Landes vertreten, aber in so verschiedener Stärke, dass in den
einzelnen Landschaften große Unterschiede im nationalen Charakter der
Bevölkerung hervortreten. Die Küstenorte und die wenigen Siedlungen in der
Namibwüste zeigen ein starkes Vorherrschen der Deutschen. Auf den
Diamantfeldern der südlichen Namib und in den von ihnen abhängigen Gewerben
waren Arbeiter, Angestellte, Handwerker usw. zum größten Teil Deutsche.
Darum ist auch die Stadt Lüderitzbucht ganz vorwiegend deutsch, da ihr
Wirtschaftsleben wesentlich mehr von den Diamantfeldern als von ihrem
weiteren Hinterland beeinflusst wird. Auch Swakopmund behielt den Charakter
einer deutschen Stadt. Nach der Schließung des Hafens konnte es seine alte
Einwohnerzahl nur mit Mühe behaupten, für die Zuwanderung von Buren und
Engländern war darum außer den Beamtenstellen wenig Gelegenheit. Auch die
wachsende deutsche Schule stärkte das deutsche Element, ebenso die Tatsache,
dass viele der in dem heißen Höhenklima des Binnenlandes wohnenden Deutschen
gern hier in dem kühlen Küstenort jährlich einige Erholungswochen zubringen,
während die Engländer und Buren dazu meist eine Reise in die Südafrikanische
Union bevorzugen. Dagegen bildet die neue Hafenstadt Walfischbay, die erst
in jüngster Zeit auf Kosten von Swakopmund rasch gewachsen ist, im
Küstengebiet eine Ausnahme. Da die Beamten der Hafen- und Zollbehörden einen
großen Teil der Bevölkerung ausmachen, sind die Deutschen hier in der
Minderheit.
Wesentlich anders liegen die
Verhältnisse in der südlichen Hälfte des Binnenlandes, also im ganzen
Namaland und im südlichen Sandfeld, soweit es heute schon besiedelt ist.
Hier ist das Übergewicht des Burentums so stark, wie es keine der drei
Nationalitäten in einem anderen Teil des Landes wieder erreicht. Deutsche
und Engländer bilden zusammen nur eine kleine Minderheit, die stellenweise
(südliches Namaland) bis auf 11% sinkt. Bemerkenswert ist, dass die Buren
auch im Ort Keetmanshoop, der einzigen größeren Stadt dieses riesigen
Gebietes, bei weitem überwiegen, während sonst das Burentum in allen anderen
größeren Ortschaften des Landes nicht die Stärke erreicht, die seinem Anteil
an der Gesamtbevölkerung von Südwest entspricht.
Die Landschaften des nördlichen
Binnenlandes zeigen kein ganz einheitliches Bild. Im Durchschnitt stellen
die Deutschen fast die Hälfte, die Buren ein Drittel der Bevölkerung. Aber
es bestehen starke örtliche Unterschiede, die vor allem durch die hier im
Norden zahlreicheren Städte bedingt sind. In der Hauptstadt Windhuk, wo sich
ebenfalls eine große deutsche Schule und manche Zentralorganisationen des
Deutschtums befinden, ist nahezu die Hälfte der Einwohner deutsch, Buren und
Engländer kommen einander fast gleich. In
Usakos ist der Anteil der
Deutschen geringer, weil hier die Eisenbahnwerkstätten mit ihren zum größten
Teil nichtdeutschen Arbeitern und Angestellten die Zusammensetzung der
Bevölkerung bestimmen. Ganz im Norden zeigt dagegen
Tsumeb noch einmal das
Bild einer Stadt mit vorwiegend deutschem Charakter, da die dortigen
Kupferminen in ihren Betrieben fast nur Deutsche beschäftigen.
Zur Erklärung dieser auffälligen
regionalen Unterschiede kann die verschiedene Stellung der drei
Nationalitäten im Wirtschaftsleben und in der Verwaltung des Landes
beitragen, wie schon bei einzelnen Städten gezeigt wurde. Die zahlreichen
Beamtenstellen, zu denen die Deutschen in Südwest bisher nur in ganz
seltenen Ausnahmefällen Zugang hatten, sind in der Hand von Buren und
Engländern. Darum haben auch diejenigen Städte, deren im freien Erwerbsleben
stehende Bevölkerung zum größten Teil Deutsches sind, immer noch eine
bestimmte nichtdeutsche Minderheit. Die große Zahl der deutschen Arbeiter
usw. auf den Diamentfeldern bei Lüderitzbucht und in den Minenbetrieben von
Tsumeb erklärte auch den deutschen Charakter dieser Orte. Weiter liegt die
Einfuhr aus Europa vorwiegend, der Kleinhandel und das Hotelwesen zum guten
Teil in deutscher Hand. Dadurch erhöht sich der Anteil der Deutschen in
Handelszentren wie Windhuk, Swakopmund (das auch der Wohnort für manche der
in Walfischbai tätigen Geschäftsleute geworden ist) und in vielen der
kleineren Ortschaften. Schließlich müssen auch die deutschen Schulen erwähnt
werden. Sie entstanden naturgemäß an den Orten, wo schon die Zahl der
ansässigen Deutschen es erforderte. Aber die größeren von ihnen (Swakopmund,
Windhuk, Lüderitzbucht) haben unter ihren Schülern auch eine große Zahl von
Auswärtigen, vor allem Farmerkinder, die in umfangreichen Schülerheimen
untergebracht sind. Dadurch tragen diese Schulen auch wiederum dazu bei, das
Deutschtum an dem betreffenden Ort zu stärken. Denn der unmittelbare Umsatz
der Schülerheime kommt ganz den ansässigen deutschen Geschäftsleuten zugute,
und die Eltern kommen öfter zu Besuch in die Stadt, wobei auch Einkäufe für
die Farm usw. gemacht werden.
Die Deutschen in Südwest sind jedoch
nicht nur ein städtisches Element, noch immer haben sie einen maßgebenden Anteil
an der Farmwirtschaft. Aber der Schwerpunkt des deutschen Farmbesitzes hat sich
stark in die nördliche Hälfte des Landes verschoben. Zwar befinden sich auch im
Süden noch bedeutende Farmen in deutscher Hand, aber sie liegen hier vereinzelt
oder als kleine deutsche Gruppen inselartig inmitten reiner Burenumgebung. Erst
nördlich von Windhuk trifft man auf größere Erstreckung vorwiegend deutsche
Farmgebiete. Denn der Strom der Buren, die alle auf dem Landweg von Süden her
kamen, ergoss sich zunächst über das Namaland. Sehr viele von ihnen stammten aus
der westlichen Hälfte des
Kaplandes, sie fanden also hier auf den trockenen Karru- und Grassteppen
ganz ähnliche Klima- und Wirtschaftsverhältnisse vor. Auch befand sich ja
bereits zur deutschen Zeit vor dem Kriege ein beträchtlicher Teil der Farmen des
Namalandes im Besitz von Buren, bei denen nun viele der neu Zugewanderten ein
erstes Unterkommen fanden. Die Mehrheit dieses Burenzustroms blieb darum
zunächst im Namaland, aber schon vor 1926 begannen die Buren auch in den
nördlichen Landschaften Farmbesitz in größerem Maße zu erwerben. Die Übernahme
der Unionsregierung durch die Nationalisten und die daraufhin erfolgende
energische Durchführung des Gesetzes, dass alle Beamten die beiden amtlichen
Landessprachen (Englisch und
Afrikaans) beherrschen müssen, verschaffte schließlich den Buren auch
verstärkte Zugangsmöglichkeit zu den Beamtenstellen. Das wirkte sich auch auf
Südwest aus und sicherte den Buren, die sonst in den städtischen Berufen recht
schwach vertreten sind, einen gewissen Anteil an der städtischen Bevölkerung im
ganzen Lande. Von der Gesamtheit der Buren ist das jedoch nur ein kleiner Teil.
In seiner großen Mehrheit ist das Burentum in Südwest das ländliche
Bevölkerungselement, das stärker als jede der beiden anderen Nationalitäten
seinen Rückhalt in der Farmwirtschaft hat. Das Gegenteil ist der Fall bei den
Engländern. Als Kaufleute und Beamte leben sie ganz vorwiegend in den größeren
Ortschaften. Ihr Einfluss auf das wirtschaftliche, politische und kulturelle
Leben des Landes ist jedoch größer, als nach ihrer an sich geringen Gesamtzahl
angenommen werden könnte. Fast ein Drittel aller Engländer ist in Windhuk
ansässig. Die Zahl der englischen Farmer ist in allen Landesteilen gering.

III.
Bevölkerungsbewegung
Ein Vergleich der
Bevölkerungsverhältnisse des Jahres 1921 mit denen von 1926 gestattet einen
gewissen Überblick über die Bevölkerungsbewegung in diesem Zeitraum und die
Verschiebungen in der Stärke der einzelnen Nationalitäten. Die Gesamtzahl der
Europäer in Südwestafrika stieg in diesen fünf Jahren von rund 19.500 auf rund
24.000 an. Die relative Zunahme war jedoch in den verschiedenen Teilen des
Landes nicht gleichmäßig. In den beiden Hafenorten und auf den Diamantfeldern
war sie stärker als im Binnenland. Vor allem die neue Hafenstadt Walfischbai
zeigt einen starken Zuwachs, in fünf Jahren hat sich ihre Einwohnerzahl mehr als
verdoppelt, während das benachbarte Swakopmund, durch den Verlust des Hafens
schwer geschädigt, trotz aller Anstrengungen seine alte Einwohnerzahl nur ganz
wenig vergrößern konnte. Im Binnenlande zeigen bemerkenswerterweise viele der
Ortschaften eine geringere relative Zunahme als die meisten ländlichen Gebiete.
Der Bevölkerungszuwachs ist also hauptsächlich der Ausbreitung der
Farmwirtschaft zu verdanken, die auch durch Regierungsmaßnahmen (Abgabe von
Kronland und Krediten zu günstigen Bedingungen) lebhaft gefördert wurde.
Naturgemäß mussten schon darum die Buren, die ja am stärksten das Farmerelement
verkörpern, den meisten Gewinn daraus ziehen. Der Anteil der Deutschen, Buren
und Engländer an der Zunahme der Bevölkerung war deshalb sehr verschieden, wie
ein Vergleich der Stärke der drei Nationalitäten und ihres prozentualen Anteils
an der Gesamtbevölkerung in den Jahren 1921 und 1926 zeigt. (Bei der Berechnung
der folgenden Zahlen wie auch auf den Karten wurde das Amboland außer Betracht
gelassen; 1921 lebten dort 30, 1926 aber schon 64 Europäer, fast alle
Missionsangehörige finnischer Staatsangehörigkeit).
|
1921 |
1926 |
Buren |
8.288 |
43 % |
11.359 |
47 % |
Deutsche |
7.979 |
41 % |
8.875 |
37 % |
Engländer |
3.135 |
16 % |
3.817 |
16 % |
Bei weitem der Hauptteil des Zuwachses
kam also den Buren zugute, deren Zahl damit beinahe die Hälfte der Bevölkerung
erreichte. Die Zunahme der Engländer war wesentlich geringer; immerhin gelang es
ihnen, ihren alten Anteil von etwa einem Sechstel zu behalten. Auch die absolute
Zahl der Deutschen zeigt eine Zunahme (um rund 900 Köpfe), die jedoch gegenüber
dem gewaltigen Zuwachs der Buren gering ist, so dass der relative Anteil der
Deutschen an der Gesamtbevölkerung beträchtlich zurückging. Auch in den
einzelnen Landschaften zeigen sich auffällige Unterschiede. Die Zunahme der
Engländer erstreckte sich zum größten Teil auf die Hafenstädte, vor allem
Walfischbai; im Binnenlande war sie geringer, einzelne Gebiete des Namalandes
zeigten sogar eine schwache Abwanderung der Engländer. Die Zahl der Buren stieg
fast überall beträchtlich an, auch in den Landesteilen, wo sie bisher noch am
schwächsten vertreten waren. Die Deutschen dagegen erhielten nur in den
Ortschaften des Küstengebietes und in Windhuk und Tsumeb einen bemerkenswerten
Zuwachs, während die reinen Farmgebiete fast überall eine Abnahme zeigen, auch
in den nördlichen Binnenlandschaften, wo die Deutschen vorher noch durchweg die
Mehrheit der Bevölkerung gebildet hatten.
Als Grundlage für die vorliegende
Darstellung der Nationalitätenverhältnisse und für die Karten diente die
Volkszählung von 1926, zu Vergleichszwecken auch die von 1921. In der
Zwischenzeit haben mancherlei Veränderungen stattgefunden, die sich im einzelnen
heute noch nicht übersehen lassen. Die Gesamtzahl der Europäer betrug 1930
bereits rund 31.500, die Zunahme erfolgte also in den letzten Jahren sogar noch
rascher als vorher. Auch das Stärkeverhältnis der drei Nationalitäten wurde
durch die Entwicklung dieser Jahre weiter verschoben, so dass die auf den
beiliegenden Karten dargestellten Verhältnisse heute bereits nicht mehr ganz den
Tatsachen entsprechen. Die wichtigsten Einzelereignisse für die weitere
Umgestaltung des Bevölkerungsbildes waren die fast völlige Schließung der
Diamantenfelder und die Ansiedlung der Angolaburen. Die Arbeitseinstellung auf
den Diamantenfeldern führte nicht nur zur Entlassung fast sämtlicher dort
beschäftigten Angestellten und Handwerker, sondern hat auch den Ort
Lüderitzbucht schwer betroffen. Da Lüderitzbucht und die Felder, wie oben
gezeigt wurde, eine der stärksten Stützen des Deutschtums waren, trifft das
besonders den deutschen Bevölkerungsteil sehr schwer. Manche der Entlassenen
haben anderweitig im Lande ein bescheidenes Unterkommen gefunden, ein großer
Teil von ihnen musste aber aus Mangel an jeder Arbeitsmöglichkeit nach
Deutschland zurückreisen. War es bei der Schließung der Diamantfelder eine
Auswirkung der allgemeinen Wirtschaftskrise, die das Deutschtum gerade dort
empfindlich schwächte, wo es bisher' noch eine seiner Hauptstützen gehabt hatte,
so erhielten dagegen die Buren nahezu zur gleichen Zeit einen bedeutenden
Zuwachs durch ein rein politisches Unternehmen, die Massenansiedlung der
Angolaburen. Etwa 380 Familien, im ganzen rund 3.000 Köpfe, wurden durch die
Regierung nach Südwest gebracht und zur Hälfte auf neu vermessenen Farmen des
Distriktes Gobabis
angesiedelt, in kleineren Gruppen auch auf die Distrikte
Grootfontein,
Otjiwarongo und
Gibeon verteilt. Sie
bilden also heute eine weitere bedeutende Stärkung des Burentums vorwiegend in
der Mitte und im Norden des Binnenlandes.
Daneben werden auch noch manche weitere
Verschiebungen eingetreten sein, deren Ergebnisse im einzelnen heute noch nicht
klar erkennbar sind. Die Weltwirtschaftskrise hat in Südwest nicht nur die Minen
empfindlich getroffen, sondern mindestens ebenso sehr auch die Farmwirtschaft
durch stärkste Absatzschwierigkeiten, wozu noch die Wirkungen mehrerer
aufeinander folgender Trockenjahre kamen. Gewiss werden davon alle Farmer nahezu
gleichmäßig ohne Unterschied der Nationalität betroffen, aber die Folgen dieser
schwierigen Wirtschaftslage haben doch den deutschen Bevölkerungsteil schwerer
in Mitleidenschaft gezogen als die Buren, die wegen ihrer im allgemeinen
geringeren Aufwendungen für kulturelle Bedürfnisse, Erziehungskosten der Kinder
usw. in ihrer Lebenshaltung anpassungsfähiger sind, auch an der Regierung und an
ihrer nahen Heimat in der Union einen stärkeren wirtschaftlichen Rückhalt haben.
Im allgemeinen muss ein weiteres Zurückziehen der Deutschen auf den Norden des
Landes angenommen werden, aber unter gleichzeitigem Vordringen auch der Buren.
Der relative Anteil der Deutschen an der Bevölkerung wird in den letzten Jahren
weiter zurückgegangen sein, die Gesamtzahl der Deutschen steigt aber auch heute
noch durch Geburtenzuwachs und Einwanderung langsam an. Erst wenn die Ergebnisse
der für 1931 vorgesehenen Volkszählung vorliegen, wird sich die weitere
Entwicklung der Bevölkerungsverschiebung nach Richtung, Stärke und Bedeutung für
das Deutschtum klarer erkennen lassen.

1) Vgl. Koloniale Rundschau 1924, S. 5 - 12.
2) Act to provide for the naturalization of
aliens in the mandated Territory of South West Africa. The Laws of South
West Africa 1924. Windhoek 1925. S. 82 - 85.
3) Territory of South
West Africa: Report on the Census of the Population ... 1921, Pretoria 1923.
- Report on the Census of the European Population ... 1926, Pretoria 1927.
4) South West Africa Farm Area Map, 1 : 800.000; 1926.
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