Verlag für Evangelisch-lutherische Mission, Leipzig 1936
Im
Jahre 1935 ging es auf dem südindischen Missionsgrundstück in
Pattukkottai laut und lebhaft zu, während sonst auf dem großen Platze
Stille herrschte. Wenn auch das Pastorat und einige Lehrerhäuser an
seinem Rande liegen und nicht weit davon die Missionsschule, so war doch
sonst wenig davon zu merken, dass hier eine Missionsstation sich
befindet. Jetzt aber gingen Arbeiter in dem großen Missionshause ein
und aus; Kulifrauen schleppten in flachen Körben auf den Köpfen Kalk ins
Haus in großen/festen Tongefäßen wurde der Kalk verrührt. Man besserte
unter viel Lärm und Geschrei die Schäden aus, die ein Haus in den Tropen
aufweist, wenn es nur teilweise bewohnt gewesen war und nicht
durchgängig in guter Reparatur gehalten werden konnte. Die Dächer
mussten nachgesehen werben, sowohl das schräge Schlafzimmerdach wie auch
die flachen Verandadächer, damit die Hausbewohner in der Regenzeit von
unliebsamen, nassen Überraschungen verschont blieben, verschmutzte Wände
wurden geweißt oder mit glänzendem Muschelkalk abgerieben - kurzum, nach
jahrelanger Pause sollte wieder ein Missionar einziehen.
Zeichnung von Christian Rietschel, Berlin
Man hatte leider die Station nicht besetzen können, als sie nach der
Wiederaufnahme unsrer indischen Arbeit im Jahre 1926 bei der
Auseinandersetzung zwischen der Schwedischen Kirchenmission und der
Leipziger Mission an Leipzig fiel. Zur Versorgung der Gemeinde war ein
eingeborener Pastor nach Pattukkottai versetzt worden. Jetzt war es
endlich möglich, die evangelistische Arbeit in diesem großen Distrikt
wieder aufzunehmen. Missionar Paul Gäbler sollte weiterführen und
ausbauen, was 2½ Jahrzehnte vorher der
schwedische Missionar Frykholm angefangen hatte, nachdem der Sitz des
Missionars von dem benachbarten Aneikadu nach Pattukkottai verlegt worden
war.
Aneitkadu gehört zu den älteren Gemeinden der Dänisch-Halleschen
Mission. Von ihrer Gründung erzählt in sehr feiner, anschaulicher Weise
der 68jährige Bauer Gurubadam. Er schrieb die Geschichte seiner Familie
seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts, mit der die Geschichte der
kleinen lutherischen Gemeinde in Aneikadu eng verknüpft ist, indem er
sie mit dem spitzen, eisernen Griffel in lange, schmale
Palmblattstreifen, die sog. Oleis, einritzte. Diese Oleis hat Missionar
Dworkowicz, der um das Jahr 1900 die Station verwaltete, ins Deutsche
übersetzt, und ich möchte jedem raten, diese kleine Schrift einmal zu
lesen; er wird einen tiefen Eindruck davon bekommen, wie wunderbar Gott
die Menschen führt, an ihnen arbeitet und sie ihren Mitmenschen zum
Segen werden lässt.
Als Leipziger Gemeinde, von
Tanjore aus versorgt, erscheint Aneikadu zum
ersten Male im Jahresbericht unserer Leipziger Mission von 1862, später
tauchen auch die Namen der dazugehörigen Gemeindlein auf, z. B.
Pattukkottai, das Propst Pamperrien einmal ein "gesundes Zweiglein" der
Station Aneikadu nennt. Schließlich wurde Aneikadu von 1878 an von einem
eingeborenen Pastor verwaltet, den aber bald ein europäischer Missionar
ablöste. Schon 1879 schrieb Missionar Ouchterlony, der damalige
Stationarius von Tanjore:
"Da in jener Gegend auf der einen Seite der
Küste entlang bis nach
Ramnad im Süden und auf der anderen bis
Negapatam
hin keine andere Mission ist, so dürfte sich Aneikadu, das eine sehr
gesunde Lage hat, vortrefflich zur Anlage einer neuen Station eignen."
Doch wurde bald die Missionsstation nach Pattukkottai verlegt, "von dem
unbedeutenden Dorfe," wie es heißt, "nach dem nahegelegenen kleinen,
aber aufstrebenden Landstädtchen," das auch als Bahnstation und als
Wohnsitz einer Anzahl von eingeborenen Regierungsbeamten eine ganz
andere Bedeutung hat als das abseits liegende Aneikadu.
Auf dem schönen, großen, etwa sieben Minuten vom Bahnhof entfernten
Missionsgrundstück erbaute Missionar Frykholm das Missionshaus mit dem
dazugehörenden Nebengebäude. Das Bungalow (Europäerhaus) bietet in
seinen hohen Räumen seinen Bewohnern den unbedingt nötigen Schutz gegen
die sengenden Sonnenstrahlen, und die vielen einander gegenüberliegenden
Türen und Fenster lassen immerhin soviel Luftzug in und durch das Haus
gehen, wie es überhaupt gibt, und weder Gardinen noch ähnliche, für
europäische Augen sonst so unbedingt nötige Fensterverzierungen
verhindern dem kleinsten Lüftchen den Eintritt.
Missionshaus in Pattukkottai
Mit geringen Kosten hat man in dem geräumigen Hause sogar noch eine
kleine Wohnung bereit gestellt für eine Diakonisse, die in und um P ein
reiches Betätigungsfeld finden würde und die Predigt des Missionars mit
der Tat der christlichen Liebe, die aus dem Evangelium hervorgeht,
unterstützen könnte. So schreibt Missionar Gäbler einmal über diese
Sache:
"Eine Frage, die mich immer wieder innerlich beschäftigt,
erwächst aus der Tatsache, dass wir den Dörflern wohl immer wieder etwas
von Christus sagen, aber kaum je von ihm durch ein Handeln Zeugnis geben
können. Selbst ein mehrtägiger Aufenthalt ist ja viel zu kurz, als dass
man durch sein Leben als solches seinen christlichen Charakter erweisen
könnte. Da ergibt sich dann eben, dass auf die Dauer die
Wortverkündigung allein nicht ausreicht, sondern sich mit der Tatpredigt
verbinden muss, wie wir es auch im Leben Jesu sehen. Und so glaube ich,
dass wir bei intensiver evangelistischer Arbeit auf die Dauer der
ärztlichen Arbeit als eines Tatbeweises der christlichen Liebe nicht
werden entraten können."
Damit spricht er aus, was schon solange unser
Wunsch und unsere Hoffnung für unser indisches Missionsgebiet gewesen
ist, was aber aus Mangel an Mitteln nie verwirklicht werden konnte. Wie
viel besser haben es da doch unsere schwedischen Mitarbeiter. So
schreibt Missionar Frykholm 1908 aus Pattukkottai:
"Ich schätze mich
glücklich, an der Seite eines Missionsarztes arbeiten zu dürfen. Eine
bessere Hilfe, dem Evangelium Eingang in eine schwer zu bearbeitende
Gegend zu gewinnen, kann man sich kaum denken." Und wieder: "Ich kann
mir nicht denken, dass es ein besseres Mittel, dem Reiche Gottes auf
unserm indischen Missionsfeld den Weg zu bereiten, geben kann - als ein
Missionskrankenhaus."
Und er konnte aus Erfahrung sprechen, denn Pattukkottai hat schon einmal einen Missionsarzt gehabt. Der bekannte
Schwede Dr. Kugelberg fing seine missionsärztliche Tätigkeit in Indien
hier an, zuerst in einem gemieteten Hause, er siedelte aber schon nach
vier Jahren, 1910, auf die neugegründete schwedische Station Tirupatur
über, wo sich im Laufe der Jahre die ärztliche Arbeit in ungeahnter
Weise entwickelt hat.
Sogar Frauenmissionsarbeit ist damals schon in Pattukkottai getan
worden, denn wo ein Missionsarzt arbeitet, da fehlen auch die
Missionslehrerin und ihre Bibelfrauen nicht, die sich der Kranken und
ihrer Angehörigen annehmen und dadurch dann auch auf die umliegenden
Dörfer geführt werden. Ein lebendiger Beweis für den Segen dieser
missionsärztlichen und Frauenmissionsarbeit ist Dr. Arockiam in
Tirupatur. Er war Hütejunge in einem Dorfe nicht weit von Pattukkottai.
Mit zerquetschtem Fuße wurde er, auf dringendes Zureden einer unserer
Christenfrauen, zu Dr. Kugelberg gebracht. Dem gelang es nach
monatelanger Behandlung, den kranken Fuß zu heilen. Wie dann aus diesem
Heidenjungen der Christ Arockiam wurde, erzählt uns Ester Peterson in
unserem früheren Frauenmissionsblatt, der "Lydia". Leider haben sich
seine Verwandten nicht entschließen können, auch Christen zu werden.
Monsunzeit und Palmyrapalmen
Das Gebiet, das zu unsrer Station Pattukkottai gehört, ist ungeheuer
groß, es erstreckt sich weit nach Süden und umfasst einen großen Teil
des Distrikts Tanjore. Man macht sich wohl kaum einen Begriff davon, wie
dichtbevölkert diese Landstriche sind. Wenn man mit der Bahn von
Tuticorin oder
Danushkodi nach Norden fährt, ist man überwältigt davon,
wie viele Dörfer und Dörflein man überall liegen sieht. Wo immer ein
paar große Bäume ihre dichtbelaubten Zweige ausbreiten, da tauchen in
ihrem Schatten sicher auch einige Hütten und Hüttlein auf, die freilich
meistens einen sehr ärmlichen Anblick bieten. Auf niedrige Lehmmauern
hat man den Dachstuhl aufgesetzt, dessen Stangen mit Kokosfaserstricken
zusammengebunden sind; denn denn wie man in Indien die Fischerboote
nicht baut, sondern bindet, so "bindet" man auch das indische Haus. So
bindet man dann auch die fächerartigen Blätter der
Palmyrapalme und die
geflochtenen Blätter der
Kokospalme am Dachstuhl fest, bindet noch eine
Schicht Reisstroh darauf und beschwert dann das Dach mit einigen
Stangen. Oft reißen die brausenden Monsunstürme hier ein Eckchen ab und
dort ein Blatt heraus, und die niederstürzenden Regenmassen setzen dies
Zerstörungswerk fort. In solchen elenden Behausungen wohnen viele
Millionen Menschen in unbeschreiblicher Armut, Menschen wie wir, denen
Gott auch eine unsterbliche Seele gab, und denen wir das Evangelium
schuldig sind. Wohl gibt es Gebiete, wo die Verhältnisse nicht so
schlimm sind, wo verschiedene
Sudrakasten den Hauptteil der Bevölkerung
bilden. Diese zeichnen sich durch eine gewisse Wohlhabenheit aus. Auch
das Gebiet, das von unserer Station Pattukkottai aus bearbeitet werden
soll, hat unter etwa 500.000 Bewohnern, die in über 1.000 Dörfern und
Dörfchen wohnen, eine ganz verschiedenartige Bevölkerung. Aber seinen
Bewohnern allen, ob bettelarm und verkommen oder reich und angesehen,
ist doch das eine gemeinsam, sie alle tragen die gleiche Not: sie kennen
den nicht, der sie in ihrer Armut reich und zufrieden und in ihrem
Reichtum glücklich und frei von der Furcht vor ihren Göttern machen
kann.
Sonneuntergang zwischen Kokospalmen
Das haben schon unsere Väter aus der Dänisch-Halleschen Mission wohl
erkannt, wenn sie z. B. schon dem ersten Landprediger Aaron, der 1733
ordiniert wurde, unter anderem aufgaben, "jährlich eine Visitationsreise
bis in die entlegensten Teile des westlichen und ebenso durch den ganzen
Kreis bis Ramnad zu machen", und das ist gerade der Teil unseres
Missionsfeldes, von dem hier die Rede ist. Dieser Weisung sind er und
seine Nachfolger getreulich nachgekommen. Auch später, in der Leipziger
Zeit, lesen wir immer wieder in den Missionsblättern von den Gemeinden
und Gemeindlein im Süden und Südosten des Tamulenlandes und von der
evangelistischen Arbeit, die hier geschehen ist. Auf der am Meere
entlang führenden Pilgerstraße nach dem heiligen Rameswaram wanderten
und wandern alljährlich nicht nur Tausende und aber Tausende von frommen
Heiden, die dort in dem alten, in ganz Indien berühmten Siwatempel beten
und in seinen heiligen Teichen baden wollen, sondern auch die weißen und
braunen Boten des Evangeliums sind dieselbe Straße gezogen, um in den
Dörfern dort und in den vielen Rasthäusern und Pilgerherbergen die frohe
Botschaft zu verkündigen. Und doch gibt es immer noch Ortschaften in
diesem weiten Gebiete, die noch nie eines weißen Mannes Fuß betreten
hat, wo man noch nie etwas von Jesus, dem Sünderheiland, hörte.
Diese so dringend nötige evangelistische Arbeit erneut in Angriff zu
nehmen, wurde Missionar Gäbler im Jahre 1931 nach Pattukkottai versetzt.
Ein Umzug ist schon in Deutschland keine sehr angenehme Sache; aber man
ziehe nur einmal in Indien um! Nachdem man alles im Schweiße seines
Angesichts - wörtlich zu verstehen! - eingepackt und die besseren Möbel
in Matten eingenäht hat, fährt einem nicht etwa ein großer Möbelwagen
vor die Tür, der von geübten Packern kunstgerecht beladen wird, sondern
es kommen mehrere Ochsenwagen angefahren, in die nun einige Kulis mit
wenig Geschick, aber mit viel Geschrei und Gestöhne die Kisten und
Kasten, die Tische, Stühle, Schränke, Bettstellen und den sonstigen
Hausrat verstauen. Wir können froh sein, wenn die solche schwere Arbeit
nicht gewöhnten Männer die Stücke nicht auf die Erde krachen lassen. Die
Wagen schwanken zum Bahnhof, wo das ganze Hab und Gut in einen
Güterwagen umgeladen wird. Kommt es dann endlich nach langem Warten an,
so muss alles erst wieder in Ochsenwagen geladen werden. Der Besitzer
mag wohl zusehen, dass er alle Schrankfüße und Stuhlbeine, und was sonst
alles unterwegs noch abgebrochen und abgestoßen wurde, mitkriegt. Aber
schließlich ist auch ein indischer Umzug überstanden, und jedes
Möbelstück steht an seinem Platze. Nachdem der Missionar dann auch noch
alle die anderen Arbeiten, die mit der Übergabe seiner alten Station an
den Nachfolger und mit der Übernahme der neuen Arbeit verbunden sind,
erledigt hat, kann er endlich die langersehnte, schöne evangelistische
Arbeit in Angriff nehmen.
Strasse im Pariadorf
Bald geht es hinaus zur Heidenpredigt, vor allem auf Wochenmärkte, die
überall in Indien in den größeren Orten regelmäßig abgehalten und aus
der ganzen Umgegend besucht werden. Schon unsere alten Missionare haben
diese Gelegenheit gern benutzt, um den vielen Marktbesuchern das
Evangelium zu verkündigen, unter ihnen Traktate zu verteilen und ihnen
einzelne Evangelienteile zum Kaufe anzubieten. Es ist zwar für den
Missionar und seine Gehilfen nicht immer leicht, in dem lärmenden
Marktgewühl ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo die Menschen für einige
Zeit ihre irdischen Angelegenheiten vergessen und sich erzählen lassen
von dem, der so hoch über uns steht, dass er nicht mit sich handeln
lässt, wie es die Menschen untereinander tun, vielleicht als Käufer oder
Verkäufer oder mit Leistung und Gegenleistung. AIs ob man Gott etwas
durch Opfergaben wie Reis, Kokosnüsse, Bananen und andere Früchte
abkaufen könnte! Der Lärm ringsum ist unbeschreiblich, die Hitze ist
schon an für sich schlimm genug, in diesen Menschengewimmel aber
geradezu unerträglich. Dicke Staubwolken ziehen über den Platz,, und
unbeschreibliche Gerüche erfüllen die Luft, und die Menschen haben
zunächst ganz andere Dinge im Kopfe als das, was der Europäer ihnen
bringen will.
"Und doch", schreibt Missionar Gäbler einmal, "sind diese
Marktpredigten eine unvergleichliche Gelegenheit, Dörfer derer entlegensten Ortschaften zu erreichen. Kommen wir in diese Orte, so
finden wir den Boden schon ein wenig zubereitet. Ein Evangelium, das wir
auf dem Markte oder vielleicht im Zuge verkauft haben, ist manchmal
schon durch mehrere Hände gegangen und hat bereits leise zu wirken
angefangen."
Die Missionare beschränken sich bei ihrer evangelistischen Arbeit nicht
auf ihren Wohnort und seinen Wochenmarkt oder auf die nächste Umgebung
ihrer Station, sondern es geht auch weiter hinaus. Besonders der
Missionar von Pattukkottai ist fast dauernd unterwegs, um in dem
riesengroßen Bezirk an möglichst vielen Orten die frohe Botschaft zu
verkündigen. Die Bewohner von Pattukkottai selbst und in der näheren
Umgebung stehen dem Christentum gleichgültig, ja feindlich gegenüber.
Neben anderen Kasten wohnen dort vor allem
Kaller, und die Kaller sind
ein eigenwilliges, hartes Geschlecht. Wohl ist auch unter ihnen, die als
Diebe und Räuber lebten und leben, schon lange gearbeitet worden, und
Gottes Wort ist nicht leer zurückgekommen. Aus den Kaller-Gemeinden, die
seit etwa 150 Jahren um Tanjore herum gesammelt werden konnten, sind
unsere besten und tüchtigsten Pastoren und Lehrer hervorgegangen, z. B.
der bekannte Landprediger N. Devasagayam in Madras, der uns in seiner
selbstverfassten interessanten und lesenswerten Lebensbeschreibung auch
allerlei von der Entstehung seiner "Räuberkaste" erzählt. Ihr Hauptmann
wohnt weiter im Süden, und zwar westlich von der bekannten Stadt
Madura,
und lebt bis heute getreu seinen alten Sitten und Gewohnheiten. Die
englische Regierung tut seit einigen Jahren alles Mögliche, diese Kaller
zu zivilisieren.
Dass Pattukkottai selbst so schwer zu bearbeiten ist, erfuhr schon
Missionar Frykholm. Er nannte diesen Boden "seltsam unfruchtbar". Seiner
Predigt in der Stadt ist der heftigste Widerstand begegnet. Da Missionar
Gäbler dieselbe Ablehnung erfuhr, so ging auch er hauptsächlich in die
nähere und entferntere Umgebung der Stadt nach allen vier
Himmelsrichtungen bis tief ins Land hinein.
Reisernte
Nachdem der Missionar mit seinen Gehilfen an Hand der sehr genauen
Distriktskarten, die unseren Generalstabskarten ähnlich sind, den
Reiseplan aufgestellt hat, geht es im altgewohnten, federlosen
Ochsenwagen oder im modernen Autobus oder Auto oder mit der Bahn hinaus
zur Arbeit. An den Vorbereitungen zu einer solchen Reise hat auch die
Missionarsfrau ihren reichlichen Anteil. Denn sie muss ihren Mann
ausrüsten mit allem, was zum Leben gehört. Gasthäuser gibt es nicht.
Doch sind eine wesentliche Hilfe und Stützpunkte die sog. Rasthäuser,
die hin und her im Lande von der englischen Regierung erbaut wurden für
ihre Beamten auf Dienstreisen. In denen können gegen eine kleine Gebühr
auch andere Reisende übernachten und unter Umständen auch etliche Tage
wohnen. Einen Tisch und einige Stühle gibt es dort wohl immer,
vielleicht auch ein paar Bettstellen; doch denen bleibt der vorsichtige
Mann besser fern. Sie beherbergen nämlich Wanzen. So muss der Missionar
sozusagen alles mitnehmen: sein Feldbett und alles, was dazu gehört; der
Moskitovorhang darf natürlich nicht vergessen werden. In eine Kiste
werden die Kochtöpfe, das Geschirr, windsichere Stall-Laternen, ein
Eimer, die nötigen Lebensmittel und anderes mit möglichster
Raumausnutzung verpackt. Vor allem muss die Hausfrau an die Kusa denken,
die Wasserflasche aus gebranntem Ton, die jeden Morgen wieder mit
abgekochtem Wasser zu füllen ist. Kein Europäer darf in Indien
ungekochtes Wasser trinken; wer meinte, über diesen Erfahrungssatz sich
hinwegsetzen zu dürfen, könnte schwer dafür büßen. Man muss nur einmal
einen Blick in die verschmutzten indischen Brunnen werfen und die Teiche
und Wasserlöcher sehen, und wer und was sich darin wäscht oder gewaschen
wird, dann wundert man sich nicht mehr, dass man so vorsichtig mit dem
Wasser sein muss. Ist nun alles beisammen, was auf solch einer
mehrtägigen Fahrt ins Land hinein gebraucht wird, und ist es
kunstgerecht im Wagen verstaut worden - die richtige Verteilung des
Gewichtes spielt z. B. beim Beladen des zweirädrigen Ochsenwagens immer
eine große Rolle -, dann kann die Reise beginnen. Wehmütig blickt die
Missionsfrau hinter dem Wagen her. Werden sie und ihre Kinder doch nun
wieder einmal 8 - 10 Tage allein sein, die einzigen Weißen auf viele
Meilen im Umkreis. Unbekümmert spielen die Kinder unter den
dichtbelaubten Bäumen, oder sie sehen den Pächtern zu, die einen Teil
des 2½ Hektar großen
Missionsgrundstückes mit Tabak und Erdnüssen bebauen, für die der etwas
salzhaltige Boden besonders geeignet ist.
Der Missionar aber fährt oder wandet mit seinen beiden Evangelisten dem
Orte zu, der diesmal der Mittel- und Ausgangspunkt ihrer Arbeit sein
soll. Ja, sie wandern auch viel. Denn die Dörfer liegen nicht alle
bequem an der Straße, sondern die meisten weit verstreut und weitab vom
Wege, und es ist nicht immer einfach, dahin zu kommen. Vielleicht führt
ein schmaler Weg dahin, kaum breit genug für einen Ochsenwagen. Meistens
werden sie es vorziehen, hinter ihm her zu gehen, denn der Wagen stößt
und schüttelt auf den ausgefahrenen, löchrigen und steinreichen Wegen
entsetzlich.
Oft gibt es keine Möglichkeit, mit dem Wagen hinzukommen;
dann wandern sie vom Rasthause aus querfeldein über die in der heißen
Zeit ausgedörrten Felder über Ödland, wo Dornengestrüpp und sonstiges
Buschwerk den Weg einengen. Während und nach der Regenzeit steht das
bebaute Land monatelang unter Wasser, dann müssen sie auf den die
einzelnen Felder voneinander trennenden schmalen, schlüpfrigen Dämmen den
Ort zu erreichen suchen. Da heißt es vorsichtig sein, damit man nicht
unangenehme Bekanntschaft mit der nassen Erde macht. Und wenn Autobus
und Auto einmal eine Panne haben, dann kann es vorkommen, dass die
Reisenden stundenlang in der glühenden Sonne auf der Straße sitzen und
warten müssen, bis endlich Hilfe, vielleicht aus einem weitentfernten
Orte, gebracht werden kann.
So
suchen sie denn unter mancherlei Schwierigkeiten und Hemmungen den Ort,
wo sie arbeiten wollen, zu erreichen, und während sie so dahinwandern,
mag wohl manches Mal die bange Frage in ihnen aufsteigen, ob es ihnen
gelingen wird, an die Leute heranzukommen, ob sie willige Hörer finden
werden. In Stunden der Verzagtheit wird sie aber immer wieder die
Verheißung ihres Meisters trösten, dass sein Wort, das sie den Menschen
bringen wollen, nicht leer zurückkommen soll.
An
Ort und Stelle angekommen, lassen sie den Koch, der für ihr leibliches
Wohl sorgen soll, bei ihren Sachen. Sie selbst gehen von einem Hause zum
andern, treffen die Leute bei dieser und jener Hantierung oder auch "schumma",
d. h. nichtstuend auf der niedrigen Veranda unter dem vorspringenden
Hausdach sitzend, und versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Bereitwillig gibt der Goldschmied Auskunft über den Schmuck, an dem er
gerade arbeitet, und hört willig, wenn ihm gesagt wird, dass auch unser
Herz rein sein soll wie das Gold, das er im Feuer gereinigt und
geläutert hat. Oder mit dem Kaufmann, der über seinen Rechnungsbüchern
sitzt und sinnt, sprechen sie von den vielerlei Sorgen, die die Menschen
haben, und wie sie da so leicht über der Sorge um das irdische Geld und
Gut die Sorge um ihre Seele vergessen. Und da steht oder sitzt ein Mann
am Töpferrad, das er mit dem Fuße dreht, während seine geschickten Hände
all die verschiedenen Tongefäße, die in einem indischen Haushalt
gebraucht werden, formen; mit ihm sprechen sie vielleicht im Laufe der
Unterhaltung davon, wie wir hervorgegangen sind aus der Hand Gottes und
uns von ihm bilden und formen lassen sollen. Gerne lassen sich die
Hütejungen von dem guten Hirten erzählen und verstehen aus ihrer eigenen
Erfahrung heraus gut, dass er die verirrten und verlorenen Schafe so
lange sucht, bis er sie findet. Was immer sie sehen, dient den
EvangeIisten als Anknüpfungspunkt, ob es nun die Frauen sind, die am
Brunnen stehen und in diesen wasserarmen Gegenden unendlich mühsam das
kostbare Wasser schöpfen müssen, oder die Kanalbauer, die jahrelang mit
ihrer Familie zur Arbeit weiterwandern. Sie sind bei den großen
Kanalbauarbeiten beschäftigt, durch die dieses "gen Himmel schauende"
wasserarme Land in einen Garten Gottes verwandelt werden soll; wie es
das Kaweridelta mit seinem weitverzweigten Kanalnetz ist. Sie sprechen
mit den Feldarbeitern, die, wenn endlich die Regenzeit eingesetzt hat,
nach Urväterweise mit dem schwachen Holzpflug den Boden ritzen und ihn
vorbereiten zur Aufnahme der jungen Reispflanzen. Oder in der Erntezeit
beobachten sie, wie die Männer gegen Abend, wenn der Wind sich erhoben
hat, mit der Worfschaufel die Spreu von den Reiskörnern scheiden. In den
Küstendörfern sehen die Fischer ihre kleinen Boote durch die Brandung
bringen, den Fang bergen und die guten Fische von den schlechten
scheiden; oder sie sprechen mit ihnen, wenn sie am Strande sitzen, ihre
Netze flicken und ihre anderen Fanggeräte in Ordnung bringen.
Wasserschöpfer
So
gibt es für den Missionar und seine Gefährten vielerlei Möglichkeiten,
mit den Leuten ein Gespräch anzuknüpfen und ihnen auf diese oder jene
Weise die Christusbotschaft nahe zu bringen. Und sie dürfen es oft
voller Freude erfahren, dass diese Botschaft gern angehört wird. Aber an
Widerstand und Feindschaft fehlt es natürlich auch nicht. Sie haben es
sogar mit einer Art Gegenmission zu tun.
Die Wortverkündigung unterstützen die drei Männer häufig dadurch, dass
sie den Dörflern, wenn sie erst etwas bekannter mit ihnen geworden sind,
das Leben Jesu durch Lichtbilder näher zu bringen versuchen. Über solche
Lichtbilderabende schreibt Missionar Gäbler einmal:
"Wie möchte ich, dass Ihr einmal solch eine Feierstunde
miterlebt! Denn es ist eine Feierstunde. Die Menschen haben sich
alle gelagert und schauen gespannt auf den Schirm. Ringsum ist
dunkle Nacht, oder es ist ein von sanftem Mondschein durchflossener
Abend. Die Hitze des Tages ist vorüber, und nun hat man endlich
einmal Gelegenheit, in aller Ausführlichkeit den Hindus Christus vor
die Augen zu malen, wie es schon Paulus so gerne getan hat. Diesmal
kann man ihnen ein rundes, abgeschlossenes Bild geben. Wie brennt
einem da das Herz und wie wünscht man sich Menschen- und
Engelzungen, um recht sprechen zu können. Wie hängen die Augen der
Anwesenden an den Bildern der Leidensgeschichte! Wie es da im
Gesangbuch heißt: 'Im Geiste folgen wir dir nach von Schmerz zu
Schmerz, von Schmach zu Schmach; wir schau'n zu deinem Kreuz hinan
und beten dich mit Freuden an.' Und mit den Passionsliedern gehen
einem, während man Bild auf Bild in den Rahmen schiebt, auch
Weihnachtsklänge durch das Herz. Die Nacht ringsum, die Nacht in den
Menschenherzen, und mitten in dieser Nacht die frohe Botschaft vom
Kommen des Heilands."
Wie sehr hatte sich Missionar Gäbler einen europäischen Mitarbeiter
gewünscht, der in dem etwa 45 Kilometer entfernten Arantangi, dem
Endpunkt der Bahnlinie Mayavaram - Pattukkottoi -
Arantangi, wohnen und
von dort aus hätte arbeiten können. Denn in der kleinen Stadt mit
ungefähr 3.000 Einwohnern haben wir seit langer Zeit eine Gemeinde und
seit 1904 auch eine Schule. Der Mangel on Mitteln hat eine weitere
Besetzung und damit eine gründlichere Bearbeitung dieses so großen
Gebietes verhindert. Als Missionar Gäbler 1933 seinen Heimaturlaub
antrat, Iag die ganze Last der Arbeit auf den Schultern eines Mannes,
des jungen, allerdings sehr tüchtigen, Pastors Chinappen, eines der
beiden Evangelisten, die mit Missionar Gäbler zusammen dort gearbeitet
haben.
Ich habe versucht,
einen kleinen Einblick zu geben in die Arbeit, die hier getan wird und
in noch weit größerem Maße geschehen sollte. Eine erschöpfende
Darstellung der Arbeit und der vielen Arbeitsmöglichkeiten in diesem
riesigen Bezirk zu geben, isti in so engem Rahmen nicht möglich.
Noch einige Worte über das Pastorat Pattukkottai - Neikadu. Unsere
Gemeinde dort besteht aus 416 Seelen, die weit verstreut in 17
Ortschaften wohnen. Pastor Samuel Packiam in Aneikadu betreut sie.
Aneikadu hat eine Kirche, aber der Gottesdienst in Pattukkottai selbst
findet immer noch in der Schule statt. Wohl hatte schon im Jahre 1906
ein Gemeindeglied als Grundstock für einen Kirchenbaufonds 20 Rupien
geschenkt, und diese Summe war nach und nach auf 1.000 Rupien
angewachsen durch Gaben der Gemeindeglieder und durch Geschenke andrer
Freunde. Aber erst 1923 konnte der Grundstein gelegt und der Bau
begonnen werden. Nun ist die Kirche endlich äußerlich fertig, aber die
Innenausstattung fehlt noch. Und doch haben die wenigen Gemeindeglieder
geopfert, was sie konnten. Wann wird es möglich sein, endlich das
Gotteshaus zu vollenden?
Gott stärkt unsere Christen und helfe ihnen, die oft so vereinsamt
inmitten der Heiden wohnen, dass sie durch ihren Wandel ein gutes
Zeugnis ablegen von der Kraft des Wortes Gottes! Und die, die berufen
sind, unter den Heiden die frohe Botschaft zu verkündigen, und uns alle,
die wir mitarbeiten dürfen an diesem großen, heiligen Werke, tröste er
in Stunden der Mutlosigkeit und Verzagtheit mit seiner herrlichen
Verheißung: "Mein Wort soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern
tun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich es sende."